Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Aufhebung der mit einem Ausländer zum Zwecke der Erlangung eines Aufenthaltstitels eingegangenen Scheinehe ist nicht rechtsmissbräuchlich.

Eine Partei, die rechtsmissbräuchlich die Ehe geschlossen und hierfür ein Entgelt erhalten hat, trifft aber grundsätzlich die Pflicht, hiervon Rücklagen zu bilden, um die Kosten eines Eheaufhebungsverfahrens finanzieren zu können1. Die Behauptung der Partei, das für die Eingehung der Scheinehe versprochene Entgelt nicht erhalten zu haben, ist dem Gericht auf Verlangen glaubhaft zu machen.
Mit dieser Begründung hob der Bundesgerichtshof jetzt eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz2 auf, das die Auffassung vertreten hatte, die nachgesuchte Prozesskostenhilfe sei wegen Rechtsmissbrauchs zu versagen. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht Koblenz im Wesentlichen ausgeführt: Die Rechtsverfolgung sei mutwillig, wenn die Ehe nur zu dem Zweck geschlossen wurde, einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu verschaffen. In diesem Fall könnten die Erschleichung der Aufenthaltserlaubnis, die Heirat und das Scheidungsbegehren nicht voneinander isoliert betrachtet, sondern müssten als Gesamtplan gewürdigt werden. Die Antragstellerin habe eine Ehe geschlossen, die nach den Vorstellungen beider Parteien nie vollzogen werden sollte. Sie habe daher das Rechtsinstitut der Ehe in Erwartung eines finanziellen Vorteils missbraucht. Dass dieser Vorteil nicht eingetreten sei, weil das versprochene Entgelt nach ihrer Darstellung nicht bezahlt wurde, ändere hieran nichts. Auch einer Partei, die nur aus Gefälligkeit eine Ehe mit einem Ausländer schließe, um diesem zu einer Aufenthaltserlaubnis zu verhelfen, könne Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden.
Der Bundesgerichtshof sah dies jedoch anders: Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Satz 1 ZPO). Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen nach dieser Bestimmung Prozesskostenhilfe für ein auf Aufhebung einer Scheinehe gerichtetes Verfahren zu gewähren ist, wird in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beantwortet3.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, welche Auswirkungen die Rechtsmissbräuchlichkeit des Eingehens einer Scheinehe auf das Prozesskostenhilfebegehren für die anschließende Scheidung der Ehe hat, offen gelassen4. Nach Ansicht der Verfassungsrichter, deren Auffassung die vorgenannte Entscheidung nicht getragen hat, ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die erforderlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben sind. Die Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs mit der Begründung, wegen des Missbrauchs des Rechtsinstituts der Ehe dürfe der Steuerzahler nicht mit den Kosten des Scheidungsverfahrens belastet werden, finde im Gesetz keine Stütze. Eine solche Entscheidung führe dazu, dass die bedürftige Partei unter Verletzung des Grundsatzes der Rechtsanwendungsgleichheit schlechter gestellt werde als die nicht bedürftige. Da rechtsmissbräuchlich zwar die Eingehung einer Scheinehe, nicht aber deren Scheidung sei, wäre eine reiche Partei nicht gehindert, im Wege des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens die Aufhebung einer Scheinehe zu erreichen. Die arme Partei werde hingegen an der Scheinehe festgehalten5.
Dieser Betrachtungsweise schließt sich der Bundesgerichtshof an6. Wenn die Rechtsordnung die zu ehefremden Zwecken geschlossene Ehe als wirksam ansieht, stellt ein Eheaufhebungs- oder Scheidungsbegehren die einzige Möglichkeit zur Auflösung einer solchen Ehe dar. Bereits das spricht dagegen, das Prozesskostenhilfegesuch als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Auch eine bemittelte Partei könnte die Auflösung einer Scheinehe nicht auf anderem Weg erreichen. Als rechtsmissbräuchlich kann daher grundsätzlich nur die Eingehung der Scheinehe als solche gesehen werden, nicht aber die Beseitigung der dadurch eingetretenen Rechtsfolgen durch die Eheaufhebungsklage.
Ob Prozesskostenhilfe wegen Mutwillens versagt werden könnte, wenn die Parteien schon bei der Heirat die Scheidung beabsichtigt und gewusst hätten, dass sie diese nicht würden bezahlen können7 bedarf hier keiner Entscheidung. Denn der Antragstellerin wurde nach eigener Darstellung ein Entgelt für die Eingehung der Scheinehe versprochen, von dem sie eine Rücklage für das Eheanfechtungsverfahren hätte bilden können und müssen8. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass ihr Gesamtplan von vornherein darauf angelegt war, die spätere Eheaufhebungsklage unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe zu führen. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin das versprochene Entgelt nach ihrer Darstellung nicht erhielt und sie die Prozesskostenrücklage somit nicht bilden konnte, begründet keinen Mutwillen in ihrer Person.
Damit kann die nachgesuchte Prozesskostenhilfe jedenfalls zu nicht wegen rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme versagt werden.
Eine Partei, die rechtsmissbräuchlich eine Ehe geschlossen und hierfür ein Entgelt erhalten hat, trifft die Verpflichtung, hiervon Rücklagen zu bilden, um die Kosten eines – regelmäßig absehbaren – Eheaufhebungsverfahrens finanzieren zu können9. Nur wenn die Partei zur Bildung von Rücklagen nicht imstande war, können die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfüllt sein. Dass die Partei nach diesen Grundsätzen hilfsbedürftig ist, hat sie im Einzelnen darzulegen. Sie muss deshalb angeben, welche Beträge sie erhalten und wie sie die Mittel verwendet hat.
Behauptet die Partei, das für die Eingehung der Scheinehe versprochene Entgelt nicht erhalten zu haben, hat sie dieses dem Gericht auf Verlangen glaubhaft zu machen. Das Gericht kann dazu Erhebungen anstellen, insbesondere die Vorlegung von Urkunden anordnen und Auskünfte einholen (§ 118 Abs. 2 Satz 1, 2 ZPO). Wie weit die Glaubhaftmachung verlangt wird, steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts10. Allerdings besteht bei einer Partei, die sich bereits durch die Eingehung der Scheinehe gegen die Rechtsordnung gestellt hat, regelmäßig Veranlassung, ihre weitere Darstellung, das dafür versprochene Entgelt nicht erhalten zu haben, einer genaueren Überprüfung zu unterziehen.
Ferner hat sich die Bedürftigkeitsprüfung darauf zu erstrecken, dass ein Unterhaltsanspruch oder ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen den Ehemann nicht besteht11 oder nicht durchzusetzen ist12. Die Darlegungen hierzu, die die Antragstellerin bereits von sich aus hätte erbringen müssen13, kann das Gericht nachfordern.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30. März 2011 – XII ZB 212/09
- im Anschluss an BGH, Beschluss vom 22. Juni 2005 – XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477[↩]
- OLG Koblenz NJW-RR 2009, 1308[↩]
- vgl. die Darstellung im BGH, Beschluss vom 22.06.2005 – XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477[↩]
- BVerfG FamRZ 1984, 1206, 1207[↩]
- BVerfG aaO[↩]
- vgl. bereits BGH, Beschluss vom 22.06.2005 – XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477; dem folgend OLG Frankfurt FamRZ 2006, 1128; OLG Köln FamRZ 2008, 1260; OLG Saarbrücken FamRZ 2009, 626; OLG Hamm Beschluss vom 05.10.2010 – II2 WF 218/10; Johannsen/Henrich/Jaeger Familienrecht 05. Aufl. § 1565 BGB Rn. 18; Staudinger/Rauscher BGB [2010] § 1564 Rn. 141[↩]
- so OLG Hamm Beschluss vom 04.02.2000 – 11 WF 407/99; OLG Koblenz FamRZ 2004, 548; OLG Naumburg FamRZ 2004, 548, 549; OLG Rostock FamRZ 2007, 1335; Philippi FPR 2002, 479, 484; Johannsen/Henrich/Markwardt Familienrecht 5. Aufl. § 114 ZPO Rn. 19[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 22.06.2005 – XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477[↩]
- BGH, Beschluss vom 22.06.2005 – XII ZB 247/03 – FamRZ 2005, 1477[↩]
- Zöller/Philippi ZPO 28. Aufl. § 118 Rn. 16[↩]
- OLG Celle FamRZ 2007, 762[↩]
- OLG Köln FamRZ 1994, 1409[↩]
- Zöller/Philippi ZPO 28. Aufl. § 117 Rn. 14[↩]