Wird der Unterhaltspflichtige von seinem erwachsenen Kind, das seine bereits erlangte wirtschaftliche Selbständigkeit wieder verloren hat, auf Unterhalt in Anspruch genommen, ist es nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter ihm und seiner Ehefrau im Regelfall einen Familienselbstbehalt zubilligt, wie ihn die Düsseldorfer Tabelle und die Unterhaltsrechtlichen Leitlinien für den Elternunterhalt vorsehen1. Der Familienselbstbehalt trägt bereits dem Umstand Rechnung, dass die Ehegatten durch ihr Zusammenleben Haushaltsersparnisse erzielen2.

Gemäß § 1603 Abs. 1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Dem Unterhaltspflichtigen sollen grundsätzlich die Mittel verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötigt3. Die Bemessung des dem Unterhaltspflichtigen zu belassenden Selbstbehalts ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar Aufgabe des Tatrichters. Dabei ist es diesem nicht verwehrt, sich an Erfahrungs- und Richtwerte anzulehnen, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände eine Abweichung gebieten. Der Tatrichter muss aber die gesetzlichen Wertungen und die Bedeutung des jeweiligen Unterhaltsanspruchs berücksichtigen4.
So hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass es gerechtfertigt ist, den Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen gegenüber seinem erwachsenen Kind, das seine bereits erlangte wirtschaftliche Selbständigkeit wieder verloren hat, mit einem erhöhten Betrag, wie er in den Tabellen und Leitlinien für den Elternunterhalt als Mindestbetrag vorgesehen ist, und der sich bis zum Jahr 2011 auf 1.400 € belief, anzusetzen und ggf. noch dadurch zu erhöhen, dass dem Unterhaltspflichtigen ein etwa hälftiger Anteil seines für den Elternunterhalt einsetzbaren bereinigten Einkommens zusätzlich verbleibt5. Zwar müssen Eltern regelmäßig damit rechnen, ihren Kindern auch über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus zu Unterhaltsleistungen verpflichtet zu sein, bis diese ihre Berufsausbildung abgeschlossen haben und wirtschaftlich selbständig sind. Haben die Kinder danach aber eine eigene Lebensstellung erlangt, in der sie auf elterlichen Unterhalt nicht mehr angewiesen sind, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass sie diese Elternunabhängigkeit auch behalten. Darauf dürfen sich, wenn nicht bereits eine andere Entwicklung absehbar ist, grundsätzlich auch die Eltern einstellen6. Verliert das erwachsene Kind zu einem späteren Zeitpunkt wieder seine wirtschaftliche Selbständigkeit, findet die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen in der Regel erst statt, wenn dieser sich selbst bereits in einem höheren Lebensalter befindet, seine Lebensverhältnisse demzufolge bereits längerfristig seinem Einkommensniveau angepasst hat oder sogar bereits Rente bezieht und sich dann einer Unterhaltsforderung ausgesetzt sieht, mit der er nach dem regelmäßigen Ablauf nicht mehr zu rechnen brauchte7.
Ist der Unterhaltspflichtige – wie hier – verheiratet, gehört zu dessen nach § 1603 Abs. 1 BGB beim Verwandtenunterhalt zu berücksichtigenden sonstigen Verbindlichkeiten auch die Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau nach §§ 1360, 1360 a BGB, soweit diese nicht über ausreichendes eigenes Einkommen verfügt8.
Sofern die dargelegten Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des in der Düsseldorfer Tabelle und den Unterhaltsrechtlichen Leitlinien an sich für den Elternunterhalt bestimmten, erhöhten Selbstbehalts auf Seiten des Unterhaltspflichtigen vorliegen, ist es wegen der Vergleichbarkeit der jeweiligen Interessenlagen nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter auch auf den dort für den vorrangigen Ehegatten bestimmten Selbstbehalt, der sich für die hier maßgebliche Zeit auf 1.050 € belief, zurückgreift. Damit ergibt sich unter Berücksichtigung des erhöhten Selbstbehalts für den Unterhaltspflichtigen von 1.400 € ein zusammengerechneter Familienselbstbehalt von 2.450 €9. Der durch das Zusammenleben der Eheleute eingetretenen Haushaltsersparnis wird dann bereits durch die unterschiedlichen Selbstbehaltssätze der Ehegatten Rechnung getragen10.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. Juli 2012 – XII ZR 91/10
- im Anschluss an BGH, Urteil vom 18.01.2012 – XII ZR 15/10, FamRZ 2012, 530[↩]
- im Anschluss an BGH, Urteil in BGHZ 186, 350 = FamRZ 2010, 1535[↩]
- BGH, Urteil vom 18.01.2012 – XII ZR 15/10, FamRZ 2012, 530 Rn. 16 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 09.01.2008 – XII ZR 170/05, FamRZ 2008, 594 Rn. 24 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.01.2012 – XII ZR 15/10, FamRZ 2012, 530 Rn.20[↩]
- BGH, Urteil vom 18.01.2012 – XII ZR 15/10, FamRZ 2012, 530 Rn. 17[↩]
- BGH, Urteil vom 18.01.2012 – XII ZR 15/10, FamRZ 2012, 530 Rn. 18[↩]
- BGH, Urteil vom 08.06.2005 – XII ZR 75/04, FamRZ 2006, 27, 29[↩]
- vgl. BGH, Urteil BGHZ 186, 350 = FamRZ 2010, 1535 Rn. 39 ff.[↩]
- BGH, Urteil BGHZ 186, 350 = FamRZ 2010, 1535 Rn. 43[↩]