Ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG kann nicht unmittelbar auf Arbeitslose übertragen werden, steht mithin einem Arbeitslosengeldanspruch der werden Mutter nicht entgegen.

Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 9. September 19991 ausgeführt, dass sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesarbeitsgerichts jedenfalls bei der Anwendung des § 11 MuSchG die Annahme eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs 1 MuSchG und einer Arbeitsunfähigkeit infolge Schwangerschaft gegenseitig ausschließen. Der gegen den Arbeitgeber gerichtete Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 11 MuSchG setzt also voraus, dass allein das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot einer Beschäftigung der Schwangeren entgegensteht, was nur bei einem normalen Schwangerschaftsverlauf zutrifft und die gesunde Schwangere während der Unterbrechung der Beschäftigung aus Gründen der Gefahrenvorsorge sichert.
In der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 9. September 1999 ist aber die Frage nicht erörtert worden, inwieweit das Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG überhaupt auf schwangere Arbeitslose anzuwenden ist. Auch in der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 21. Oktober 20032, unterscheidet sich aber in seinen tatbestandlichen Voraussetzungen deutlich von einem Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG.
Nach § 3 Abs 1 MuSchG dürfen werdende Mütter nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind „bei Fortdauer der Beschäftigung“ gefährdet sind. Mithin setzt das Beschäftigungsverbot ein fortdauerndes Beschäftigungsverhältnis voraus. Dies wird auch durch § 1 Abs 1 MuSchG verdeutlicht, wonach dieses Gesetz „für Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen“ gilt. Als „Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter“ erfasst das MuSchG somit nicht die erwerbslosen Frauen3. Die im BSG-Urteil vom 9. September 1999 zitierte krankenversicherungsrechtliche Rechtsprechung und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht beschäftigen sich demgemäß auch nur mit Ausgleichsansprüchen bei laufendem Beschäftigungsverhältnis, nicht jedoch mit den Auswirkungen eines Beschäftigungsverbots für eine schwangere Arbeitslose.
Das Bundessozialgericht geht nach erneuter Prüfung davon aus, dass ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG nicht unmittelbar auf Arbeitslose übertragen werden kann. Denn § 3 Abs 1 MuSchG stellt darauf ab, ob eine Gefährdung bei Fortdauer der Beschäftigung besteht. Es geht also um den Zusammenhang zwischen der Fortdauer der Beschäftigung und der Gefahr für Leben oder Gesundheit. Dabei kann die Gefahr von einer Beschäftigung ausgehen, die Beschäftigung kann aber auch an sich ungefährlich sein und die Gefahr von der individuellen gesundheitlichen Konstitution der Frau ausgehen4. Ein Beschäftigungsverbot bewirkt lediglich, dass der Arbeitgeber die betreffende Arbeitnehmerin tatsächlich nicht beschäftigen darf. Nach Wortlaut und Systematik des MuSchG hat der Arzt bei einem individuellen Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG nur die Gefährdungslage zu attestieren; das Beschäftigungsverbot tritt kraft Gesetzes ein, sobald das Attest über die Gefährdungslage beim Arbeitgeber eintrifft5. Diese Grundsätze gelten aber jedenfalls nicht unmittelbar für Schwangere, die nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen.
Da § 3 Abs 1 MuSchG nicht für arbeitslose Frauen gilt, besteht Veranlassung, das vom Arzt ausgesprochene Beschäftigungsverbot von dem Begriff der Arbeitsunfähigkeit und dessen Anforderungen abzugrenzen. Es muss mithin zunächst der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG für die Beurteilung der Verfügbarkeit einer arbeitslosen Schwangeren von Bedeutung ist.
Nach § 119 Abs 5 Nr 1 SGB III steht den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung, wer eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkts ausüben kann und darf. Zumutbar sind dem Arbeitslosen gemäß § 121 Abs 1 SGB III alle seiner Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen, soweit allgemeine oder personenbezogene Gründe der Zumutbarkeit nicht entgegenstehen. Das Dürfen im Rahmen der objektiven Verfügbarkeit betrifft die rechtliche Zulässigkeit, eine Beschäftigung überhaupt oder in dem gewünschten Umfang auszuüben. Es kommt deshalb darauf an, welche Beschäftigungen der Klägerin – außer der zuletzt ausgeübten einer Verwaltungsangestellten – iS des § 121 Abs 1 SGB III objektiv zumutbar sind. Sodann ist zu prüfen, ob gesetzliche oder behördliche Verbote der Aufnahme einer bestimmten Beschäftigung entgegenstehen. Denn ist ein Arbeitsloser durch ein solches Verbot rechtlich gehindert, eine bestimmte Beschäftigung auszuüben, ist er insoweit objektiv nicht verfügbar6. Schließlich ist entscheidungserheblich, ob die Klägerin ab 11.5.2009 gesundheitlich (weiterhin) in der Lage gewesen wäre, eine ihr objektiv zumutbare Beschäftigung auch tatsächlich auszuüben; insoweit kann dem ärztlich ausgesprochenen Beschäftigungsverbot allenfalls Indizwirkung zukommen.
Die werdende Mutter ist nicht aufgrund des ärztlich attestierten Beschäftigungsverbots rechtlich gehindert, eine ihr nach den Maßstäben der Arbeitslosenversicherung zumutbare Tätigkeit aufzunehmen. Denn selbst wenn ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MuSchG als ein im Rahmen des § 119 Abs 5 Nr 1 SGB III zu beachtendes, gesetzliches Beschäftigungsverbot anzusehen wäre – wie dies in der Literatur teilweise vertreten wird7-, könnte daraus nur gefolgert werden, dass arbeitslose Schwangere nicht beschäftigt werden dürfen, soweit mit einer Beschäftigung Gesundheitsgefahren verbunden sind, wobei es näherer Prüfung der qualitativen und quantitativen Leistungseinschränkungen sowie des Kreises der nicht zulässigen Tätigkeiten bedarf8.
Bundessozialgericht, Urteil vom 30. November 2011 – B 11 AL 7/11 R
- BSG, Urteil vom 09.09.1999, SozR 3-4100 § 103 Nr 19 S 74[↩]
- BSG, Urteil vom 21.10.2003 – B 7 AL 28/03 R – BSGE 91, 226 = SozR 4-4300 § 147 Nr 2), die den Ablauf der vierjährigen Verfallfrist nach § 147 Abs 2 SGB III während eines nachgeburtlichen Beschäftigungsverbots nach § 6 Abs 1 MuSchG zum Gegenstand hatte, diese Frage nicht problematisiert. Das Beschäftigungsverbot nach § 6 Abs 1 MuSchG, das als absolutes gesetzliches Verbot ausgestaltet ist ((vgl Dalheimer, MuschG, § 6 RdNr 14, Stand Juli 2011[↩]
- vgl Abschlussbericht zu BT-Drucks IV/3652 S 2 – zum Gesetz vom 24.08.1965; ebenso Dalheimer, MuSchG, § 1 RdNr 1, Stand Juli 2011; Evers-Vosgerau in Roos/Bieresborn, MuSchG, § 1 RdNr 5, 28, Stand Mai 2006 bzw Dezember 2010 – jeweils unter Hinweis auf BSG Urteil vom 28.10.1965 – 3 RK 73/61 – SozR Nr 6 zu § 13 MuSchG = Breithaupt 1966, 192 = DOK 1965, 650[↩]
- vgl Dalheimer, aaO, § 3 RdNr 15 mwN[↩]
- vgl Zimmermann in Roos/Bieresborn, aaO, § 3 RdNr 31, Stand April 2011; ebenso Dalheimer, aaO, § 3 RdNr 19, wonach das ärztliche Zeugnis konstitutive Wirkung hat – unter Hinweis auf BAG-Rechtsprechung[↩]
- vgl – allerdings ohne nähere Erläuterung – Durchführungsanweisung der Bundesagentur für Arbeit zu § 119 SGB III, S 50, Ordnungsnummer 3.1.4 Beschäftigungsverbote [119.143]; Stand 4/2011[↩]
- so ohne nähere Begründung Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand 2006, § 119 RdNr 121, 123; Gutzler in Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe, SGB III, 3. Aufl 2008, § 119 RdNr 127[↩]
- vgl Dalheimer, aaO, § 3 RdNr 22[↩]