Ein „tätlicher Angriff“ im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) liegt bei Erwachsenen vor, wenn der Sexualkontakt dem Partner aufgenötigt wird, obwohl dieser ihn ablehnt. Dafür ist ein Erzwingen erforderlich.

Mit dieser Begründung hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in dem hier vorliegenden Fall einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung verneint und gleichzeitig ein anders lautendes Urteil des Sozialgerichts Hannover aufgehoben. Geklagt hatte eine 1962 geborene im Landkreis Schaumburg lebende Frau. Ein sie behandelnder Arzt hatte an der Klägerin sexuell motivierte Handlungen vorgenommen. Der Arzt hatte die Klägerin für einen Tag im Juni 2000 um 19.00 Uhr einbestellt. Zu diesem Zeitpunkt war nur noch der Arzt in der Praxis. Bei der Klägerin sollte das rechte Bein oberhalb des Knies untersucht werden. Während der Untersuchung bat der Arzt die Klägerin sich auf den Bauch zu legen und den Slip auszuziehen. In der Folge nahm der Arzt sexuell motiviere Handlungen mit dem Ultraschallgerät vor. Die Klägerin war irritiert, dachte zunächst der Arzt müsse wissen was er tue und befürchtete dann, er könne ihr bei Protest vorwerfen, sie „würde spinnen“. Nach einer Weile hat die Klägerin die Manipulationen nicht mehr ertragen, ist aufgestanden, hat sich angezogen und ist gegangen. Später teilte die Klägerin mit, sich wund gefühlt zu haben. Dies sei am nächsten Tag weggegangen.
Ende 2007 beantragte die Klägerin bei dem beklagten Land Beschädigtenversorgung. Als Schädigungsfolge machte die Klägerin im Wesentlichen ein Psychosyndrom mit Depressionen geltend. Dies lehnte der Beklagte ab. Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Hannover hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass im Jahr 2002 Vorfälle bei über 20 weiteren Patientinnen bekannt geworden seien. Im Oktober 2003 sei im Rahmen eines Deals von dem Schädiger ein Schmerzensgeld an die Klägerin gezahlt worden, die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren gegen den Schädiger eingestellt. Das Sozialgericht Hannover hat den Beklagten verurteilt eine Beschädigtenversorgung zu gewähren.
In seiner Urteilsbegründung hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen darauf abgestellt, dass ein „tätlicher Angriff“ im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes nicht vorliege. Ein „tätlicher Angriff“ könne bei Erwachsenen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vorliegen, wenn der Sexualkontakt dem Partner aufgenötigt werde, obwohl dieser ihn ablehne. Dafür sei ein Erzwingen erforderlich. Vorliegend sei eine körperliche Gewaltanwendung nicht zu erkennen gewesen. Für die Manipulationen im Vaginalbereich habe der Schädiger keinen Widerstand überwinden müssen. Die Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt auch nicht ihrer Widerstandkraft beraubt gewesen. Ein gewaltloses Berühren im Geschlechtsbereich könne nach den Ausführungen des Landessozialgerichts dann relevant sein, wenn eine erhebliche Gefährdungslage für das Opfer bestanden habe. Dies habe hier nicht festgestellt werden können.
Weiter hat das Landessozialgericht ausgeführt, dass Grundvoraussetzung für die Bewertung eines ärztlichen Eingriffs als „tätlichen Angriff“ sei, dass dieser als vorsätzliche Körperverletzung strafbar sei – was unter anderem von einer wirksamen Einwilligung des Patienten abhänge. Allerdings sei vorliegend keine strafbare Körperverletzung gegeben. Eine Wunde oder ein Wundsein habe nicht bewiesen werden können.
Da ein „tätlicher Angriff“ im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes nicht vorliege, habe die Klägerin keinen Anspruch nach diesem Gesetz. Das Urteil des Sozialgerichts Hannover ist aufgehoben worden und die Klage wurde abgewiesen.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 14. November 2013 – L 10 VE
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