Versicherte haben grundsätzlich nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg auch dann Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V, wenn sie in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe leben. Eine stationäre Wohneinrichtung ist dann ein geeigneter Ort im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, wenn der Versicherte keinen Anspruch auf Behandlungspflege gegen den Einrichtungsträger hat. Rechtlich unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob es sich bei der Einrichtung um ein Heim im Sinne des Heimgesetzes handelt.

Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Nach der gesetzlichen Regelung werden die Leistungen in dem Haushalt der Versicherten, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen erbracht.
§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V setzt voraus, dass die Leistungen in einem Haushalt oder „sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen,…“ erbracht werden können. Einrichtungen, in denen behinderten Menschen Eingliederungshilfe gewährt wird, können eine „betreute Wohnform“ im Sinne des Gesetzes sein, wenn durch den Aufenthalt nicht ein Anspruch auf Leistungen der Behandlungspflege begründet wird, zumindest handelt es sich aber um einen „sonst geeigneten Ort“. Das ergibt sich insbesondere aus dem Sinn und Zweck der Regelung nach der Änderung des § 37 SGB V durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007 mit Wirkung zum 1. April 2007. Nach der Gesetzesbegründung sollte eine vorsichtige Erweiterung des Haushaltsbegriffs erfolgen, um vorschnelle stationäre Einweisungen zu vermeiden und um Lücken im Zwischenbereich von stationärer und ambulanter Versorgung zu schließen [1]. Weiter heißt es, dass ein geeigneter Ort dann nicht gegeben sei, wenn Einrichtungen medizinische Behandlungspflege schulden.
Die Gemeinsamkeiten der stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe ohne Anspruch auf Behandlungspflege mit betreuten Wohnformen rechtfertigen es, diese Wohneinrichtungen als geeignete Orte im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V anzusehen, wenn man sie nicht bereits als besondere Ausprägung des betreuten Wohnens im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V versteht. Die Einbeziehung von Einrichtungen der Eingliederungshilfe schließt auch Lücken zwischen der ambulanten und stationären Versorgung. Die stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe können nicht mit stationären Einrichtungen wie Krankenhäusern, medizinischen Rehabilitationseinrichtungen oder Pflegeheimen gleichgesetzt werden. Bei Einrichtungen der Behindertenhilfe steht die gesellschaftliche Integration der Bewohner im Vordergrund, die möglichst unabhängig werden sollen (§ 53 Abs. 3 SGB XII). Aus diesem Grund sind Behinderteneinrichtungen auch keine Pflegeheime gemäß § 71 Abs. 4 SGB XI. Nach § 6 Abs. 1 der Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII zwischen der Beigeladenen zu 1. und zu 2. in der Fassung vom 5. Juli 2006 kann die Leistungserbringung in Form von Beratung, Motivierung, Begleitung, Unterstützung, Anleitung, Förderung und Übernahme der beschriebenen Leistungen erfolgen. In der Anlage zu der Vereinbarung werden die grundsätzlichen Zielsetzungen der Leistungen formuliert. So soll den seelisch behinderten Menschen insbesondere die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft sowie die Ausübung einer angemessenen Tätigkeit ermöglicht und Krankenhausaufenthalte vermieden werden. Diese Ziele werden auch konsequent im Wohn- und Rehabilitationsvertrag zwischen der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 2. umgesetzt. Die Leistungen der Einrichtung wie Reinigung und Verpflegung werden nach dem Subsidiaritätsgrundsatz erbracht, das heißt, sie werden nur soweit übernommen, wie der Bewohner nicht in der Lage ist, sie selbst vorzunehmen. Der Bewohner ist nach § 3 des Vertrages zur Mitwirkung verpflichtet. Das alles unterscheidet sich grundlegend von dem Aufenthalt in einem Krankenhaus oder Pflegeheim, bei dem jeweils die medizinische und pflegerische Behandlung im Vordergrund steht und nicht die Stärkung der psychosozialen Fähigkeiten. Der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe (ohne Anspruch auf Behandlungspflege) ist daher eher mit dem betreuten Wohnen zu vergleichen.
Nicht entscheidend ist, dass die Einrichtung, in der die Antragstellerin lebt, unter das HeimG fällt [2]. Auch hier ergibt sich eine Übereistimmung mit dem betreuten Wohnen. Das gilt insbesondere für die übergeordnete Zielsetzung ein möglichst selbständiges Leben in der Gesellschaft mit der Ausübung einer geregelten Tätigkeit zu ermöglichen.
Ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung ist, wie vom Sozialgericht zutreffend hervorgehoben nicht ersichtlich, weshalb die Leistungen der häuslichen Krankenpflege den Bewohnern nicht vorenthalten werden dürfen. Da im Gegensatz zu Pflegeeinrichtungen gemäß §§ 43 SGB XI gerade keine Verpflichtung besteht, Behandlungspflege zu erbringen und deshalb kein entsprechend qualifiziertes Pflegepersonal vorhanden ist, besteht nicht die Gefahr, dass die Einrichtungsträger zu Lasten der Krankenkassen sich von kostenintensiven Pflichtaufgaben befreien. Eine unzulässige Überschneidung der Zuständigkeiten zwischen Kostenträgern entsteht nicht. Es gibt keine Verpflichtung der Einrichtungen, im Rahmen der Eingliederungshilfe auch Leistungen der Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V zu erbringen. § 55 SGB XII betrifft Pflegeleistungen nach dem SGB XI und nicht Leistungen der häuslichen Krankenversicherung nach dem SGB V.
Für eine Einbeziehung stationärer Einrichtungen der Behindertenhilfe als geeigneten Ort spricht auch, dass § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V für Versicherte, die sich in gemäß § 43 SGB XI zugelassenen Pflegeeinrichtungen befinden, eine Ausnahmeregelung enthält. Häusliche Krankenpflege kann danach gewährt werden, wenn ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege besteht. Sofern unter besonderen Voraussetzungen in einer Pflegeeinrichtung, die grundsätzlich alle pflegerischen und medizinischen Versorgungsleistungen übernehmen muss und über entsprechendes Personal verfügt, Behandlungspflege gewährt werden kann, muss das erst recht bei einer stationären Wohneinrichtung gelten, bei der kein Anspruch auf Behandlungspflege besteht. Auch werden in dem Ausnahmetatbestand stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe nicht erwähnt. Da es keinen Grund gibt, die Bewohner derartiger Einrichtungen von der Versorgung auszuschließen, ist es naheliegend, dass der Gesetzgeber von einem bereits grundsätzlich bestehenden Anspruch ausgegangen ist.
Die pauschale Vergütung der Pflegekasse gemäß § 43 a SGB XI zur Abgeltung der Pflegeleistungen und der medizinischen Behandlungspflege, die den Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gezahlt wird, führt nicht zu einem Ausschluss des Anspruchs. Dies gilt, wie das Sozialgericht zutreffend herausgearbeitet hat, nur für Leistungen nach dem SGB XI und nicht für Leistungen der häuslichen Krankenpflege der Krankenkasse nach dem SGB V, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 SGB V vorliegen [3]. Gegen eine Abgeltung der Leistungen nach dem SGB V spricht auch die niedrige Pauschale von 256 €, die nicht überschritten werden darf.
Auch aus den HKP-Richtlinien ergibt sich, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe maßgeblich davon abhängt, ob der Einrichtungsträger verpflichtet ist, Behandlungspflege zu erbringen [4]. Der gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen ist nach § 37 Abs. 6 ermächtigt, in Richtlinien nach § 92 SGB V festzulegen, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 des § 37 SGB V auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können. Gemäß Ziffer I. 6. unter „Grundlagen“ heißt es in den Häusliche- Krankenpflege- Richtlinien:
„Für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtungen besteht (z. B. Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospize, Pflegeheimen) kann häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist im Einzelfall durch die Krankenkasse zu prüfen.“
Aus der Ausschlussregelung ergibt sich, dass eine Einrichtung der stationären Behindertenhilfe jedenfalls dann als „geeigneter Ort“ angesehen werden kann, wenn die Einrichtung nicht verpflichtet ist, selbst Leistungen der Behandlungspflege zu erbringen. Denn nur für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtungen besteht, kann häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden. Das bedeutet, dass grundsätzlich allein der Aufenthalt in stationären Einrichtungen dem Anspruch nicht entgegensteht, sondern nur der Umstand, dass ein Anspruch auf Behandlungspflege gegen den Träger der Einrichtung besteht. Das wird exemplarisch bei Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtung, Hospizen und Pflegeheimen angenommen. Sofern schon der Aufenthalt in „Einrichtungen“ zu einem Ausschluss führen würde, wäre es überflüssig gewesen auf einen möglichen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege abzustellen. Es hätte für einen Ausschluss ausgereicht, auf den stationären Aufenthalt in einer Einrichtung abzustellen. Folgerichtig ist nach Ziffer I. 6. Satz 2 der Richtlinien im Einzelfall durch die Krankenkasse zu prüfen, ob ein solcher Anspruch besteht. Gemeint ist hiermit die Prüfung, ob in der Einrichtung ein Anspruch auf Behandlungspflege besteht.
Wenn man berücksichtigt, dass nach dem gesetzlichen Auftrag gerade durch den gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt werden sollte, an welchen Orten die Leistungen erbracht werden können, ist es sachgerecht, im Wege der Auslegung aus der Ausschlussregelung ein positives Abgrenzungskriterium abzuleiten. Deshalb ist der Umkehrschluss, dass Einrichtungen, in denen kein Anspruch auf Behandlungspflege besteht, grundsätzlich geeignet sind, naheliegend. Für diese Auslegung spricht auch, dass das Bundesministerium der Gesundheit die Richtlinie nur unter der Voraussetzung genehmigt hat, dass die ursprünglich geplante Aufnahme der Behinderteneinrichtungen im Klammerzusatz gestrichen wurde [5]. Das bedeutet, dass diese Einrichtungen gerade nicht ausgeschlossen werden sollten, wenn durch den Aufenthalt kein Anspruch auf Leistungen der Behandlungspflege gegen den Träger begründet wird. Im Auflagenbeschluss des BMG vom 20. März 2008 wird hervorgehoben, dass es im Einzelfall darauf ankomme, dass ein Anspruch auf Leistungen der Behandlungspflege außerhalb der Regelung des § 37 SGB V besteht.
Die so verstandene Auslegung der Richtlinien mit Einbeziehung der stationären Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe ohne Anspruch auf Behandlungspflege steht wie bereits dargelegt, in Einklang mit der gesetzlichen Regelung und Ermächtigungsgrundlage des § 37 Abs. 2 und 6 SGB V.
Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 12. November 2009 – L 1 B 202/09 ER KR
- BT-Drs. 16/3100 S. 104[↩]
- a.A. LSG Niedersachsen-Bremen vom 24.04.2009 – L 8 SO 1/07; SG Hamburg vom 17.12.2007 – S 56 SO 365/07 und vom 03.02.2009 – S 48 KR 1330/08 ER). Das HeimG kann für die Auslegung des geeigneten Ortes bereits deshalb nicht herangezogen werden, weil die Zielsetzung des Gesetzes nicht darauf abzielt, Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu definieren. Nach § 2 HeimG ist der Zweck des Gesetzes, vorrangig die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und ihre Rechte gegenüber dem Heimträger zu wahren.
Ungeachtet der Tauglichkeit des HeimG für die Ermittlung des „sonst geeigneten Wohnorts“ ist die Unterscheidung zwischen dem betreuten Wohnen auf der einen und dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung bzw. einem Heim auf der anderen Seite zu undifferenziert. Das betreute Wohnen ist gesetzlich nicht definiert und die Übergänge von einer Wohngemeinschaft mit Betreuungshilfe zu einer stationären Einrichtung, welche unter die Regelungen des Heimgesetzes fällt, dürften in Abhängigkeit der Fähigkeiten der Bewohner fließend sein. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG sind Heime Einrichtungen, die dem Zweck dienen, ältere Menschen oder pflegebedürftige oder behinderte Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden. § 1 Abs. 2 Satz 3 HeimG ist zu entnehmen, dass das HeimG Anwendung findet, wenn die Bewohner verpflichtet sind, Verpflegung und weitergehende Betreuungsleistungen anzunehmen. Das W.-Haus der Beigeladenen zu 2. ist in seinem Bestand vom Wechsel und dem Bestand der Bewohner unabhängig und gemäß § 2 des Wohn- und Rehabilitationsvertrages sind Wohnraum und Verpflegung sowie Betreuungsleistungen Leistungen der Einrichtung.
Trotz Vorliegens der Voraussetzungen von § 1 HeimG sind die Unterschiede zum betreuten Wohnen vergleichsweise gering. Beim betreuten Wohnen handelt es sich um kleinere Wohngruppen, die eher nach dem Prinzip einer Wohngemeinschaft organisiert sind und bei denen die Bewohner ein möglichst selbständiges Leben führen sollen. Die Betreuungsleistungen zielen darauf ab, dass die Bewohner noch in der Lage sind, ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu führen. Art und Umfang der Betreuungsleistungen hängen jedoch stark von den gesundheitlichen Einschränkungen der Bewohner ab. Mitunter ist auch wie in einem Heim eine ständige Aufsicht und Betreuung bei den täglichen Verrichtungen erforderlich. Einrichtungen der Behindertenhilfe, in denen Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 und 54 SGB XII gewährt wird, können als institutionalisierte betreute Wohnformen angesehen werden. Es leben dort mehr Bewohner, die Einrichtung ist nicht vom Wechsel der Bewohner abhängig und die Betreuungsleistungen werden gebündelt und abgestuft erbracht. In der Einrichtung der Beigeladenen zu 2. werden seelisch behinderte/psychisch kranke Menschen aufgenommen, die in der Regel ähnlich wie bei dem betreuten Wohnen in „kleinteiligen bzw. in Wohngruppenform differenzierten Übergangs-/ Wohnheimen“ angeboten wird (s. Ziffer 2 der Anlage 1 zur Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII). Ziel ist die Vermeidung oder Verkürzung von psychiatrischen Krankenhausbehandlungen und die Sicherung der vorangegangenen Behandlungen. Die Vermeidung einer stationären Unterbringung ist nach den Gesetzesmaterialien ein Grund für die Ausweitung des Haushaltsbegriffs gewesen (BT-Drs. 16/3100 S. 104). An dieser Stelle wird deutlich, dass das Merkmal stationär zur Differenzierung nicht ausreicht, denn die stationäre Wohneinrichtung soll gerade die stationäre Krankenbehandlung verhindern. Vom Gesetzgeber gemeint sind vielmehr die Einrichtungen mit Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege wie Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, Hospize und Pflegeheime ((Ziffer I. 6. der Richtlinien über die Verordnung von „häuslicher Krankenpflege“ in der Fassung vom 11. Juni 2008 – HKP-Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses zur häuslichen Krankenpflege[↩]
- BSG vom 01.09.2005 – B 1 KR 19/04 R, SozR 4–2500 § 37 Nr.5[↩]
- LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.07.2008 – L 16 B 32/08 KR ER[↩]
- Beanstandung und Auflage des Beschlusses vom 17.01.2008 des gemeinsamen Bundesausschusses durch das BMG am 20. März 2008[↩]