Väter – und die Zuordnung von Kindererziehungszeiten

Nach Ansicht des Bundessozialgerichts werden Väter bei der Zuordnung von Kindererziehungszeiten nicht diskriminiert. Es liegt keine verfassungswidrige Benachteiligung von Männern darin, dass Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung im Zweifel bei der Mutter anerkannt werden. 

Väter – und die Zuordnung von Kindererziehungszeiten

In dem hier entschiedenen Fall begehrt ein Vater die Vormerkung von Kindererziehungszeiten und weiterer Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung. Der 1958 geborene Vater und die Kindsmutter lebten zunächst in häuslicher Gemeinschaft mit der 2001 geborenen Tochter. Sie gaben keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit ab. Der Vater war nach der Geburt der Tochter weiterhin in Vollzeit beschäftigt. Die Kindsmutter war nach der Geburt zunächst nicht beschäftigt und nahm kurz vor dem 6. Geburtstag der Tochter eine geringfügige Beschäftigung auf. Sie zog am 10.11.2008 aus der gemeinsamen Wohnung aus und lebt seitdem vom Vater und der Tochter dauerhaft getrennt. Inzwischen ist ihr Aufenthalt unbekannt, das Ruhen ihrer elterlichen Sorge wurde vom Familiengericht festgestellt. Der beklagte Rentenversicherungsträger, die Deutsche Rentenversicherung Hessen, merkte auf Antrag die Zeit vom 10.11.2008 bis zum 18.07.2011 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung beim Vater vor. Für die Zeit vor dem Auszug der Kindsmutter lehnte er die Vormerkung von rentenrechtlichen Zeiten wegen Kindererziehung ab. Da keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit abgegeben worden sei und sich eine überwiegende Erziehung durch den Vater erst ab dem 10.11.2008 habe nachweisen lassen, erfolge eine Zuordnung bei der Kindsmutter.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Sozialgericht Darmstadt hat die Klage nach weiteren Ermittlungen zum Umfang der (zeitlichen) Erziehungsanteile der Eltern abgewiesen1. Die Berufung des Vaters blieb vor dem Hessischen Landessozialgericht ebenfalls erfolglos2; die Zuordnung von Kindererziehungszeiten orientiere sich, so das Landessozialgericht, vorrangig am gemeinschaftlichen Willen der Eltern. Wenn dieser, wie hier, nicht erklärt worden sei, sei die überwiegende Erziehungsleistung maßgeblich. Hier habe sich ein überwiegender Erziehungsanteil des Vaters für den streitbefangenen Zeitraum jedoch nicht nachweisen lassen. Die Erziehungszeit werde daher der Mutter zugeordnet. Die Auffangregelung verstoße nicht gegen Verfassungsrecht, sondern diene in zulässiger Weise der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen. 

Die daraufhin vom Vater erhobene Revision hat das Bundessozialgericht als unbegründet zurückgewiesen. Ebenso wenig wie die Vorinstanzen hat das Bundessozialgericht verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Auffangregelung in § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI. Danach wird die Erziehungszeit der Mutter zugeordnet, wenn die Eltern keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit abgegeben haben und eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vorliegt. Zwar führt die Anwendung der Auffangregelung zu einer unmittelbaren Benachteiligung des Kindsvaters. Die Ungleichbehandlung ist aber zur Verwirklichung des Gleichstellungsgebots ausnahmsweise gerechtfertigt. Indem die Erziehungszeit im Zweifel der Mutter zuordnet wird, werden faktische Nachteile ausgeglichen, die infolge der Erziehungsleistung beim Erwerb von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen und die Frauen weiterhin deutlich häufiger betreffen als Männer. Obgleich die Erwerbstätigenquote und teilweise auch der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern unter drei Jahren und auch darüber hinaus gestiegen ist, bleiben sie immer noch deutlich hinter denjenigen der Väter zurück. Diese, die Mütter bevorzugende Auffangregelung ist auch verhältnismäßig. Die übrigen Zuordnungsregelungen in § 56 Absatz 2 SGB VI lassen genügend Raum für eine Zuordnung der Erziehungszeit an einen männlichen Elternteil.

Der Vater kann die Vormerkung weiterer rentenrechtlicher Zeiten wegen der Erziehung seiner Tochter nicht beanspruchen.

Zutreffend hat der beklagte Rentenversicherungsträger die Auffangregelung in § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI zur Anwendung gebracht. Danach wird die Erziehungszeit der Mutter zugeordnet, wenn die Eltern keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit abgegeben haben und eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vorliegt. Auf die Regelung in § 56 Absatz 2 Satz 10 SGB VI, wonach Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden, kann der Vater sich nicht berufen. Hierbei handelt es sich um eine weitere Auffangregelung für Konstellationen, in denen sonst keine Zuordnung der Kindererziehungszeit möglich ist. Hier ergibt sich jedoch bereits aus Satz 9 eine Zuordnung zur Mutter.

Die Auffangregelung des § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI verletzt nicht das Gleichberechtigungsgebot des Artikel 3 Absatz 2 GG. Zwar bewirkt sie eine unmittelbare Benachteiligung des Vaters. Sie ist aber zur Verwirklichung des Gleichstellungsgebots gerechtfertigt. Indem die Auffangregelung die Erziehungszeit im Zweifel der Mutter zuordnet, werden faktische Nachteile ausgeglichen, die infolge der Erziehungsleistung beim Erwerb von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen und die Frauen weiterhin deutlich häufiger betreffen als Männer. Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten wurde daher von Anfang an als Beitrag zur Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen konzipiert. Obgleich die Erwerbstätigenquote und teilweise auch der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit von Müttern insbesondere mit Kindern unter drei Jahren gestiegen ist, bleiben sie immer noch deutlich hinter denjenigen der Väter zurück. Die Mütter bevorzugende Auffangregelung in § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI ist auch verhältnismäßig. Die Zuordnungsregelungen in § 56 Absatz 2 SGB VI lassen genügend Raum für eine Zuordnung der Erziehungszeit an einen männlichen Elternteil.

Soweit der Vater eine Ungleichbehandlung gegenüber Personen geltend macht, die ein Kind als einer von mehreren gleichgeschlechtlichen Elternteilen erziehen, und bei denen nach der ergänzenden Auffangregelung in § 56 Absatz 2 Satz 10 SGB VI eine Aufteilung der Erziehungszeit zwischen den Elternteilen erfolgt, liegt schon keine geschlechtsbezogene Differenzierung vor. Auch das allgemeine Gleichheitsgebot des Artikel 3 Absatz 1 GG ist nicht verletzt, weil bei gleichgeschlechtlichen Eltern die Zielsetzung der Bevorzugung von Müttern keine Rolle spielen kann.

Bundessozialgericht, Urteil vom 18. April 2024 – B 5 R 10/23 R

  1. SG Darmstadt, Urteil vom 09.03.2020 – S 6 R 80/18[]
  2. Hess. LSG, Urteil vom 21.02.2023 – L 2 R 122/20[]