Die Verpflichtung von Behörden gegenüber Finanz- oder Verwaltungsgerichten zur kostenfreien Vorlegung angeforderter Urkunden oder Akten gilt auch für voll staatlich kontrollierte Rechtsträger anderer Rechtsform und entspricht dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art.19 Abs. 4 GG und der danach gewährten umfassenden gerichtlichen Nachprüfbarkeit des Verwaltungshandelns.

Behörden sind im Finanzprozess nach § 86 FGO ebenso wie im Verwaltungsprozess nach § 99 VwGO gegenüber den Gerichten zur Vorlage angeforderter Urkunden und Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet, soweit kein im Gesetz genannter Geheimhaltungsgrund vorliegt.
Diese Verpflichtung erstreckt sich im Übrigen auf alle angeforderten Original-Unterlagen oder vollständigen Akten einschließlich Arbeits- und Handakten, Sonder- und Anlagenbänden und trifft in allen gerichtlichen Instanzen alle deutschen Behörden ohne Rücksicht auf ihre Stellung im Rechtsstreit [1]; das gilt auch für voll staatlich kontrollierte Rechtsträger anderer Rechtsform [2].
Es ist Sache des für die Entscheidung über den jeweiligen Rechtsstreit berufenen Gerichts, darüber zu befinden, welche Urkunden, Akten, Dokumente und Auskünfte zur Aufklärung der Sache notwendig sind [3].
Dabei kommt es hier nicht auf Unterschiede in anderen Prozessordnungen an [4].
Die Verpflichtung aller Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften nach § 86 FGO und § 99 VwGO gegenüber den Gerichten entspricht dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art.19 Abs. 4 GG im Rechtsstaat gemäß Art.20 GG und der danach gewährten umfassenden gerichtlichen Nachprüfbarkeit des Verwaltungshandelns in Verbindung mit dem rechtlichen Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG [5].
Dem Zweck der Vorschrift entsprechend, dem Gericht eine vollständige Sachaufklärung zu ermöglichen, ist der Begriff der Urkunde weit auszulegen und erfasst sämtliche verkörperte Gedankenerklärungen, z. B. auch Computerdatei-Ausdrucke, Fotokopien, Telefaxe, Gutachten oder Augenscheinsobjekte [6].
Die nach § 86 FGO oder § 99 VwGO angeforderten Unterlagen hat die Behörde dem anfordernden Gericht kostenfrei zu übersenden, insbesondere ohne Berechnung von Benutzungs- oder Verwaltungsgebühren [7], so dass Kosten nur für zusätzlich von den Beteiligten – anstelle bloßer Einsichtnahme – erbetene Abschriften anfallen können [8].
Der Kostenfreiheit der Übersendung angeforderter Akten oder Unterlagen entsprechend gehört es zum allgemeinen Verwaltungsaufwand i. S. v. Art. 104a Abs. 1 und Abs. 5 GG, eine Behördenakte anzulegen und sie bei Bedarf in einem gerichtlichen Verfahren vorzulegen. Insoweit gilt nichts anderes als bei einer Beteiligung der Behörde am Rechtsstreit und ihren dabei entstehenden allgemeinen Kosten einschließlich Retent-Kopiekosten nach Original-Übersendung [9].
Die Kostenfreiheit der gerichtlichen Anforderung nach § 86 FGO oder § 99 VwGO entspricht insoweit zugleich dem allgemeinen Grundsatz der Kostenfreiheit aus Art. 104a Abs. 1, 5 GG auch bei der hier nicht einschlägigen Amtshilfe für Behörden gemäß §§ 4 ff., § 8 Abs. 1 Satz 1 und 3 VwVfG bzw. §§ 4 ff., § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG [10].
So umfasst die Amtshilfe für Gerichte nach § 13 FGO oder § 14 VwGO auch die Übersendung der gerichtlich angeforderten Akten, Unterlagen oder Auskünfte gemäß § 86 FGO oder § 99 VwGO [11].
Im Übrigen unterscheidet sich das Verhältnis bei der Amtshilfe für Gerichte – wie bei der Rechtshilfe – grundlegend von der Amtshilfe zwischen Behörden. Denn anders als diese unterliegen die Finanz- und Verwaltungsgerichte der verfassungsrechtlich verankerten Pflicht, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, der höhere Anforderungen an die Amtsermittlung stellt. Dem tragen die FGO und VwGO dadurch Rechnung, dass sie auf Kostenerstattungsregelungen für die Übersendung von Urkunden und Akten sowie für die Erteilung amtlicher Auskünfte verzichten [12].
Nicht zu entscheiden ist hier über weitergehende Amtshilfe für Gerichte gemäß § 13 FGO oder § 14 VwGO – etwa durch Zurverfügungstellung eines Ortstermin-Sitzungsraums oder Protokollführers – [13] und über die darauf bezogene Frage einer entsprechenden Anwendung von § 8 VwVfG [14]; Funke-Kaiser in Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 8 Rz. 5 ff., 10; Stelkens/Panzer in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 14 Rz. 14)) oder des JVEG [15].
Ferner ist die Anforderung von Unterlagen, Akten oder Auskünften nach § 86 FGO oder § 99 VwGO als kostenfreie Amtshilfe für Gerichte zu unterscheiden von Amtshilfe oder Amtshandlungen für Behörden mit den dortigen – hier nicht vorliegenden – Fällen
- der angeforderten Auslagenerstattung für eine ausnahmsweise besonders kostenaufwändige Amtshilfe der Behörde eines – in Abgrenzung zu § 8 Abs. 1 Satz 3 VwVfG – anderen Rechtsträgers gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 VwVfG bzw. HmbVwVfG [16] oder
- der ersuchten weitergehenden und u. U. gemäß § 8 Abs. 2 VwVfG bzw. HmbVwVfG kostenpflichtigen „Amtshandlung“ [17] einer Behörde in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich [18];
- z. B. Staatsarchiv-Recherche [19] oder
- Kataster-Amtshandlung [20].
Dabei setzt in diesen Fällen die Kostenerstattung durch die ersuchende Behörde eine darauf gegen letztere gerichtete Ermächtigungsgrundlage der ersuchten Behörde voraus [21].
Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 26. Mai 2014 – 3 K 198/13
- vgl. OVG Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2004 – 1 B 338/03; BFH, Beschluss vom 07.05.2001 – VII B 199/00, HFR 2001, 1045, BFH/NV 2001, 1366; Koch in Gräber, FGO, 7. A., § 86 Rz. 4[↩]
- Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 10 ff., 14, 17 f.[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 15.08.2003 20 F 8/03, NVwZ 2004, 105; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 86 FGO Rz. 28; Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 10 ff., 15 f.[↩]
- zu § 120 SGG vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.03.2011 L 18 AS 2267/10 B, Juris; zu §§ 142, 273, 358a, 432, 428 ff. ZPO, Art. 35, 20 GG vgl. BVerwG, Urteil vom 23.08.1968 – IV C 235.65, BVerwGE 30, 154, DÖV 1968, 836[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999 1 BvR 385/90, BVerfGE 101, 106, EuGRZ 2000; Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 99 Rz. 4; Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 7; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 86 FGO Rz. 1, 4[↩]
- Stiepel in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 86 FGO Rz. 15; Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 10 ff., 14[↩]
- z. B. nach Hmb. GebG oder GebOVerm, vgl. § 4 Satz 3 HmbGDIG[↩]
- VG Ansbach, Beschluss vom 10.07.2007 AN 2 E 0.610634, Juris[↩]
- Hessischer VGH, Beschluss vom 08.10.1987 3 S 2317/87 mit zahlr. Nachw.; vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.03.1984 6 B 986/83; zum allgemeinen Verwaltungsaufwand vgl. ferner Hessischer VGH, Urteil vom 24.11.1989 7 UE 2828/84, DB 1990, 944[↩]
- vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.05.2012 – I‑10 W 6/12, 10 W, JurBüro 2012, 597; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.04.2009 – 1 Ws 92/09, NStZ-RR 2009, 296; Thüringer OLG, Beschluss vom 18.02.2008 – 1 Ws 333/07, JurBüro 2008, 602; LG Meiningen, Beschluss vom 23.01.2008 – 2 Qs 2/08, Juris; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 08.02.2007 – 1 Ws 209/06, JMBl BB 2007, 114; VG Lüneburg, Beschluss vom 04.01.2007 – 10 E 1/06; LG Neuruppin, Beschluss vom 29.06.2006 – 12 Qs 13/06; LG Freiburg, Beschluss vom 14.10.2002 – 4 T 212/02; Thüringer LSG, Beschluss vom 12.04.1999 – L 6 B 27/98 SF, Breith 1999, 657; LAG Nürnberg, Beschluss vom 31.01.1996 – 5 Ta 159/95; Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 9. A., § 8 Rz. 8; Gersdorf in Posser/Wolf, VwGO, 2. A., § 14 Rz. 7; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. A., § 8 Rz. 7[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 23.08.1968 – IV C 235.65, BVerwGE 30, 154, DÖV 1968, 836; Kopp/Schenke, VwGO, 19. A., § 14 Rz. 1; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. A., § 99 Rz. 2[↩]
- Geiger in Eyermann/Fröhler, VwGO, 13. A., § 14 Rz. 14; vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. A., § 14 Rz. 4[↩]
- vgl. Müller-Horn in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 13 FGO Rz. 5; Koch in Gräber, FGO, 7. A., § 14 Rz. 3; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 13 FGO Rz. 4[↩]
- vgl. Funke-Kaiser in Bader u. a., VwGO, 5. A., § 14 Rz. 7, 14[↩]
- vgl. Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 04.12.1986, NJW 1987, 1095; Kopp/Schenke, VwGO, 19. A., § 14 Rz. 4; Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 9. A., § 8 Rz. 4; Ziekow, VwVfG, 3. A., § 8 Rz. 3[↩]
- vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 07.10.2011 – 24 K 3330/11; VG Arnsberg, Urteil vom 11.11.2010 – 11 K 3888/09; VG Halle, Urteil vom 02.02.2010 – 1 A 71/09; Thüringer OVG, Urteil vom 23.05.2007 – 1 KO 1299/05; BayVGH, Urteile vom 02.04.2003 – 4 ZB 01.2981, KKZ 2003, 128; und vom 20.07.1993 – 5 B 92.3624, BayVBl 1994, 243; VG München, Urteil vom 16.12.1999 – M 29 K 99.1991, NVwZ-RR 2000, 742; Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 9. A., § 8 Rz. 9[↩]
- bzw. „individuell zurechenbaren Leistung“ i. S. d. BGebG[↩]
- vgl. BayVGH, Urteil vom 04.06.2013 – 5 B 11.2412; vorgehend VG Augsburg, Urteil vom 13.10.2010 – Au 6 K 10.209; AG Augsburg, Beschluss vom 30.03.2007 – 91 M 5173/05, DGVZ 2007, 95; AG Osnabrück, Beschluss vom 09.06.1995 – 9 AU 722/95, NdsRPfl 1995, 353; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.05.1989 – 11 W 59/89, Justiz 1989, 353; Hoffmann in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. A., § 8 Rz. 2[↩]
- vgl. VG Gera, Urteil vom 29.03.2007 – 5 K 270/05 GE, 5 K 270/05, ThürVBl 2008, 22[↩]
- vgl. VG Schwerin, Urteil vom 10.12.2010 – 7 A 706/10; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 14.05.2008 1 L 166/05, NordÖR 2008, 364; VG Frankfurt, Urteil vom 13.02.2007 – 1 K 913/05; BVerwG, Urteil vom 21.06.2006 – 8 C 12/05; Hess. VGH, Urteil vom 13.03.1991 – 5 UE 1719/87, DVBl 1991, 1364; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.07.1985 14 S 227/84[↩]
- vgl. VG Hannover, Urteil vom 24.09.2009 – 10 A 2071/08; BayVGH, Urteil vom 25.01.2007 – 4 BV 04.3156, DÖV 2007, 345; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. A., § 8 Rz. 12[↩]
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