Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 und § 119 Nr. 3 FGO verpflichtet das Gericht unter anderem, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen.

Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der tatsächlichen Würdigung oder der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen1.
103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat2.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und -gegebenenfalls- Beweisergebnissen zu äußern sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Finanzgericht sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom Finanzgericht erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird3.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17. August 2023 – V B 3/22
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.06.2008 – 2 BvR 2062/07, DVBl.2008, 1056; BFH, Beschluss vom 11.05.2011 – V B 113/10, BFH/NV 2011, 1523[↩]
- vgl. u.a. BFH, Beschlüsse vom 10.09.2014 – IX S 10/14, BFH/NV 2015, 47; vom 23.03.2016 – IX B 22/16, BFH/NV 2016, 1013[↩]
- z.B. BFH, Beschlüsse vom 23.02.2017 – IX B 2/17, BFH/NV 2017, 746, Rz 15; und vom 03.08.2020 – IX B 16/20, BFH/NV 2021, 27, Rz 13[↩]