Auch beim Ausweis von Rückstellungen, für deren Entstehen im wirtschaftlichen Sinne der laufende Betrieb ursächlich ist (sog. Ansammlungsrückstellung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d EStG 2002), ist das Stichtagsprinzip zu beachten. Wird deshalb das einer Beseitigungspflicht für Bauten auf fremdem Grund und Boden zugrunde liegende Rechtsverhältnis (hier: Miet- und Pachtvertrag) über das zunächst festgelegte Vertragsende hinaus ‑sei es durch Änderung des bisherigen Vertrags, sei es durch Begründung eines neuen Rechtsverhältnisses- (wirtschaftlich) fortgesetzt, ist dieser verlängerte Nutzungszeitraum auch dem Rückstellungausweis zugrunde zu legen.

Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind Rückstellungen u.a. für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Die Vorschrift, die als Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auch bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer sowie des Gewerbesteuermessbetrags zu beachten ist (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 und § 7 Satz 1 GewStG 2002), erfasst auch sog. echte Ansammlungsrückstellungen, deren Kennzeichen darin besteht, dass der Rückstellungsbildung am Bilanzstichtag rechtlich bereits begründete Verbindlichkeiten zugrunde liegen, deren Entstehen aber bei wirtschaftlicher Betrachtung auch auf zukünftige Wirtschaftsjahre entfällt. Während im handelsrechtlichen Schrifttum hierzu teilweise die Auffassung vertreten wird, dass es zulässig sei, die Verbindlichkeit im Zeitpunkt des sie auslösenden Ereignisses in voller Höhe auszuweisen 1, hat der BFH bereits bezüglich der Rechtslage bis einschließlich 1998 entschieden, dass der Rückstellungsaufwand ‑ausgehend von den Preisverhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtags (Stichtagsprinzip)- den Wirtschaftsjahren bis zur Erfüllung der Verbindlichkeit zuzuordnen ist und damit auch den Gewinn der Folgeperioden (anteilig) belastet 2.
Hiervon unberührt blieb indes, dass diese ratierliche Rückstellungsbildung auf der allgemeinen Bewertungsvorschrift des § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB a.F. fußte, nach der Rückstellungen mit ihrem nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Betrag, d.h. mit ihrem voraussichtlichen Erfüllungsbetrag zu bewerten sind 3. Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 4 hat der Gesetzgeber für Zwecke des steuerbilanziellen Ausweises in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 1997 n.F./2002 spezialgesetzlich verfügt, dass Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen mit den Einzelkosten und den angemessenen Teilen der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG 2002) 5 und Rückstellungen für Verpflichtungen, für deren Entstehen im wirtschaftlichen Sinne der laufende Betrieb ursächlich ist, zeitanteilig in gleichen Raten anzusammeln sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d Satz 1 EStG 2002). Beide Regeln verdrängen zwar einen höheren handelsrechtlichen Wertansatz mit der Folge, dass ein für das Handelsrecht vertretener Sofortausweis der zukünftigen Abbruchverpflichtung steuerrechtlich nicht nachvollzogen werden könnte (§ 5 Abs. 6 EStG 2002; BFH, Urteil in BFHE 239, 315, BStBl II 2013, 676); andererseits lassen die vorgenannten Bestimmungen, soweit sie keine ausdrückliche Anordnung treffen, die Bewertung der Rückstellung nach den GoB unberührt 6. Letzteres gilt insbesondere für das Stichtagsprinzip, nach dem die Bilanz die Verhältnisse des Bilanzstichtags abzubilden hat (§ 242 Abs. 1 HGB) 7.
Das Stichtagsprinzip ist auch im Rahmen der Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d (Satz 1) EStG 2002, die nach § 52 Abs. 16 Satz 12 EStG 2002 für vor dem 1.01.1999 gebildete Rückstellungen anzuwenden ist, zu beachten. Dieser Bilanzierungsgrundsatz gilt nicht nur für den Rückstellungsausweis dem Grunde nach mit der Folge, dass die bisherige Passivierung aufzulösen ist, wenn nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag die Gründe für ihre Bildung (und demgemäß auch für ihre Beibehaltung) entfallen sind 8. Vielmehr ist (u.a.) mit Rücksicht auf die Höhe der Rückstellung der Bilanzausweis jährlich an die Verhältnisse des Bilanzstichtags anzupassen und ggf. der bisherige Ansatz zu korrigieren 9.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich unmittelbar, dass für die Frage, ob der laufende Betrieb (und damit auch zukünftige Wirtschaftsjahre) für die Entstehung einer Beseitigungsverpflichtung (hier: Abbruch von baulichen Anlagen) i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d (Satz 1) EStG 2002 im wirtschaftlichen Sinne ursächlich ist, nicht auf bereits abgelaufene Wirtschaftsjahre und den diesen zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, sondern auf die Verhältnisse des Bilanzstichtags abzustellen ist. Da die Regelung nicht das einzelne Vertragsverhältnis, sondern die wirtschaftliche Entstehung der Verpflichtung als maßgeblich erachtet, ist es ausgeschlossen, den vollständigen Rückstellungsausweis (allein) auf den Umstand zu stützen, dass in der Vergangenheit ein Nutzungsrechtsverhältnis abgelaufen ist, nach dem der Nutzungsberechtigte (Mieter oder Pächter) zur Beseitigung der baulichen Anlagen verpflichtet war. Vielmehr ist, wenn das Nutzungsverhältnis ‑sei es durch Verlängerung des bisherigen Vertrags, sei es durch Begründung eines neuen Rechtsverhältnisses- (wirtschaftlich) fortgesetzt und damit zugleich der Zeitpunkt der Erfüllung der Abbruchverpflichtung hinausgeschoben wird, der in diesem verlängerten Nutzungszeitraum unterhaltene laufende Betrieb des Nutzenden im wirtschaftlichen Sinne für das Entstehen der Abbruchverpflichtung ursächlich. Eine Durchbrechung dieser Regelungszusammenhänge und damit eine Abkehr vom Stichtagsprinzip hätte ‑woran es vorliegend nicht nur mit Rücksicht auf die Abzinsung einer solchen Verpflichtung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG 2002, sondern auch im Hinblick auf die Bestimmung des Ansammlungszeitraums nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d (Satz 1) EStG 2002 erkennbar fehlt- einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft 10.
Die hiergegen im Schrifttum erhobenen Einwände rechtfertigen nach Ansicht des Bundesfinanzhofs keine andere Beurteilung.
Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass § 249 Abs. 3 Satz 2 HGB a.F. (heute: § 249 Abs. 2 Satz 2 HGB), nach der Rückstellungen nur aufzulösen sind, soweit der Grund hierfür entfallen ist 11, kann offenbleiben, ob die Vorschrift nur den Rückstellungsausweis dem Grunde nach regelt 12. Die Vorschrift schließt – im Einklang mit der vorstehend dargelegten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – auch dann, wenn man sie auf die Höhe der Rückstellung bezieht (vgl. "soweit"), eine Anpassung bereits gebildeter Rückstellungen entsprechend den geänderten Verhältnissen an den folgenden Bilanzstichtagen nicht aus 13. Demgemäß ist auch nicht ersichtlich, weshalb sie eine Anpassung der Ansammlungsrückstellung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d EStG 2002 sperren sollte.
Nichts anderes gilt, soweit darauf hingewiesen wird, der (Teil-)Auflösung bereits gebildeter Rückstellungen stehe das Vorsichtsprinzip entgegen 14. Zwar ist dieser in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB verankerte Grundsatz auch bei der Bewertung von Verbindlichkeiten zu beachten. Der Einwand verkennt jedoch, dass die Bewertungsregeln des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 2002 das Vorsichtsprinzip spezialgesetzlich durchbrechen und nach der Rechtsprechung des BFH in dem Gesetzesziel, die Bildung stiller Reserven zum Zwecke einer Angleichung der für alle Steuerpflichtigen geltenden Besteuerungsmaßstäbe zu beschränken, ein sachlich rechtfertigender Grund für die generelle Abzinsung von Rückstellungen zu sehen ist 15. Demgemäß kann für die Anpassung der Ansammlungsrückstellung nichts anderes gelten. Abgesehen davon, dass die Ansammlungsanweisung des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d (Satz 1) EStG 2002 auf die Rechtsprechung des BFH zurückgeht, liegt ihr sondergesetzlich der ansonsten im Rahmen der Rückstellungsbewertung nicht tragfähige Gedanke zugrunde, dass die künftigen Aufwendungen (hier: Abbruchaufwand) nur in dem Umfang rückstellungsfähig sind, in dem sie die bis zum Bilanzstichtag angefallenen Umsätze fördern 16. Hiervon ausgehend entspricht es aber dem Zweck des Gesetzes und dem diesem zugrunde liegenden dynamischen Bilanzverständnis bei der Bewertung der Ansammlungsrückstellung ‑im Einklang mit dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d (Satz 1) EStG 2002 und dessen systematischer Einbindung in das Stichtagsprinzip 17- von dem am Bilanzstichtag maßgeblichen Erfüllungszeitpunkt (hier: 30.06.2018 gemäß § 3 Abs. 1 des Mietvertrags) auszugehen und demgemäß die gegenüber dem zuvor bestehenden Rechtsverhältnis (hier: Pachtvertrag) verlängerte Nutzungszeit der (abzubrechenden) Bauten in den Verteilungszeitraum der Rückstellung mit der Folge einzubeziehen, dass der (voraussichtlich anfallende) Abbruchaufwand auch den in diesem verlängerten Zeitraum getätigten Umsätzen (bzw. erwirtschafteten Erträgen) zugeordnet wird 18.
Soweit zugunsten der Beibehaltung der in den Vorjahren gebildeten Rückstellungen schließlich geltend gemacht wird, dass auch aufwandswirksame Abschreibungen nicht deshalb rückgängig zu machen sind, weil das Wirtschaftsgut über die ursprünglich vorgesehene Nutzungsdauer hinaus genutzt wird 14, ist dem nicht weiter nachzugehen. Die Erwägung lässt bereits im Ausgangspunkt unberücksichtigt, dass Abschreibungen, soweit § 7 EStG 2002 hierfür nicht feste (typisierende) Prozentsätze vorsieht, nicht auf die vorgesehene, sondern auf die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts vorzunehmen sind (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG 2002). Auch ist nicht erkennbar, aus welchem Grund eine fehlerhafte Schätzung dieses Zeitraums 19 auf die durch eine geänderte Nutzungsvereinbarung nach dem Stichtagsprinzip ausgelöste Anpassung des Ansammlungszeitraums nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d (Satz 1) EStG 2002 einwirken sollte.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. Juli 2014 – I R 46/12
- Schubert in Beck Bil-Komm., 9. Aufl., § 253 Rz 164, m.w.N.; nicht eindeutig Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), Stellungnahme zur Rechnungslegung IDW RS HFinanzamt 34, IDW Fachnachrichten 2013, 53, 55, Rz 18[↩]
- BFH, Urteil vom 19.02.1975 – I R 28/73, BFHE 115, 218, BStBl II 1975, 480; BFH, Urteil vom 28.03.2000 – VIII R 13/99, BFHE 191, 517, BStBl II 2000, 612[↩]
- BFH, Urteil vom 30.11.2005 – I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl II 2007, 251, m.w.N.; siehe nunmehr auch § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB n.F. sowie hierzu BFH, Urteil vom 11.10.2012 – I R 66/11, BFHE 239, 315, BStBl II 2013, 676, jeweils m.w.N.[↩]
- BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304[↩]
- dazu BFH, Urteil in BFHE 239, 315, BStBl II 2013, 676[↩]
- Werndl in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 6 Rz Da 2[↩]
- Blümich/Krumm, § 5 EStG Rz 277; Schmidt/Kulosa, EStG, 33. Aufl., § 6 Rz 9; Crezelius in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 5 Rz 38[↩]
- BFH, Urteil vom 12.04.1989 – I R 41/85, BFHE 156, 481, BStBl II 1989, 612[↩]
- BFH, Urteile vom 12.12 2013 – X R 25/11, BFHE 244, 309, BStBl II 2014, 517; vom 07.10.1982 – IV R 39/80, BFHE 137, 25, BStBl II 1983, 104; BFH, Urteil in BFHE 156, 481, BStBl II 1989, 612[↩]
- gl.A. Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 6 Rz 477; Oser, Betriebs-Berater ‑BB- 2013, 114; Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 21.09.2011 9 K 1033/06, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2013, 193, s. zu Sonderregelungen auch R 31c Abs. 13 der Einkommensteuer-Richtlinien ‑EStR 2003-; a.A. Joisten, Finanz-Rundschau ‑FR- 2013, 455; Schubert in Beck Bil-Komm., a.a.O., § 253 Rz 165, m.w.N.; vermittelnd IDW Fachnachrichten 2013, 53, 56, Rz 20: neben der Auflösung kommt auch die Verteilung des ausstehenden Aufwands auf zukünftige Wirtschaftsjahre in Betracht[↩]
- vgl. auch R 31c Abs. 13 EStR 2003; heute: R 5.7 Abs. 13 EStR 2012[↩]
- so IDW Fachnachrichten 2013, 53, 55 f., Rz 8 und 20[↩]
- Schubert in Beck Bil-Komm., a.a.O., § 249 Rz 23; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., HGB § 253 Rz 180[↩]
- Joisten, FR 2013, 455[↩][↩]
- BFH, Urteil in BFHE 233, 524, BStBl II 2012, 98[↩]
- Werndl in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 6 Rz Da 30[↩]
- auch insoweit a.A. Joisten, FR 2013, 455[↩]
- Oser, BB 2013, 114[↩]
- zur Berichtigung siehe Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7 Rz 104 a.E.[↩]