Übertragung stiller Reserven auf einen anderen Betrieb – und das Besteuerungsverfahren

Für den Bundesfinanzhof ist zweifelhaft, ob aus § 6b EStG eine Befugnis zu gestuften Verwaltungsverfahren bei rechtsträgerübergreifender Übertragung stiller Reserven abgeleitet werden kann. In dem Besteuerungsverfahren für den reinvestierenden Betrieb ist nicht mit Bindungswirkung für das Besteuerungsverfahren des veräußernden Betriebs zu entscheiden, ob dort die Veräußerung eines Wirtschaftsguts erst nach dem 31.12.2001 erfolgt und deshalb die gesellschafterbezogene Betrachtung des § 6b EStG anzuwenden ist.

Übertragung stiller Reserven auf einen anderen Betrieb – und das Besteuerungsverfahren

Eine Anfechtungsklage kann nur dann erfolgreich sein und zur Aufhebung oder Änderung eines angefochtenen Verwaltungsakts führen, wenn dieser nicht nur rechtswidrig ist, sondern der Mitunternehmer dadurch auch in seinen Rechten verletzt ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Fehlt es an der Verletzung eines subjektiven Rechts, ist die Klage als unbegründet abzuweisen. Es kann dann offenbleiben, ob der angefochtene Verwaltungsakt objektiv rechtswidrig ist. Ebenso kann dann offenbleiben, ob er nichtig ist. Die im hier vom Bundesfinanzhof streitgegenständliche geänderte Feststellung des Ergänzungsbilanzgewinns verletzt den klagenden Mitunternehmer jedoch nicht in seinen Rechten.

In dem angegriffenen Gewinnfeststellungsbescheid der S-KG wurde der Ergänzungsbilanzgewinn des Mitunternehmers niedriger festgestellt und damit zu seinen Gunsten geändert. Eine Rechtsverletzung des Mitunternehmers kann danach nur vorliegen, wenn dem Gewinnfeststellungsbescheid für die S-KG hinsichtlich der Frage, ob der Gewinn aus der im Einzelunternehmen gebildeten Reinvestitionsrücklage von Anschaffungskosten des Mitunternehmers für den Erwerb anteiliger Wirtschaftsgüter der S-KG abgezogen werden kann, Bindungswirkung für die Besteuerung der Einkünfte des Mitunternehmers aus dem veräußernden Betrieb zukommt, und wenn von dieser Bindungswirkung auch die Frage erfasst wird, ob im Streitfall die gesellschafterbezogene oder die betriebsbezogene Fassung des § 6b EStG anzuwenden ist. Das setzt voraus, dass es sich bei dem angegriffenen Gewinnfeststellungsbescheid insoweit um einen Grundlagenbescheid handelt oder ihm sonst insoweit eine materielle Bindungswirkung zukommt. Das ist jedoch -entgegen der Auffassung des Mitunternehmers- nicht der Fall.

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Ein Grundlagenbescheid liegt nach der Definition in § 171 Abs. 10 Satz 1 AO vor, wenn für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid, ein Steuermessbescheid oder ein anderer Verwaltungsakt bindend ist. Nach § 179 Abs. 1 AO werden Besteuerungsgrundlagen nur dann durch Feststellungsbescheid gesondert festgestellt, wenn dies in der Abgabenordnung oder sonst in den Steuergesetzen bestimmt ist.

Das aus dem Rechtsstaatsgebot (Art.20 Abs. 3 GG) folgende Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verlangt für die Vornahme solcher abgestufter (mehrstufiger) Steuerverwaltungsverfahren eine gesetzgeberische Verfahrensentscheidung. Die unverzichtbare Rechtsgrundlage kann nicht durch allgemeine Zweckmäßigkeitserwägungen oder vergleichbare sinnvolle Überlegungen ersetzt werden1. Darüber hinaus gebietet es die in Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgte Garantie eines effektiven Rechtsschutzes, dass die Gerichte angefochtene Verwaltungsakte grundsätzlich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachprüfen. Verfahrensstufungen mit bindenden Vorentscheidungen, die durch den Angriff gegen die Endentscheidung nicht mehr oder nur noch eingeschränkt einer gerichtlichen Prüfung zugeführt werden können, sind nur zulässig, wenn die Bindung einer Behörde an vorangehende Feststellungen oder Entscheidungen einer anderen Behörde hinreichend klar aus einer gesetzlichen Bestimmung folgt, wenn gegen die mit Bindungswirkung ausgestattete Teil- oder Vorentscheidung ihrerseits effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht und wenn die Aufspaltung des Rechtsschutzes mit einer etwaigen Anfechtungslast gegenüber der Vorentscheidung für den Bürger klar erkennbar und nicht mit unzumutbaren Risiken und Lasten verbunden ist2.

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Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs bestehen erhebliche Zweifel daran, ob aus § 6b EStG eine solche Befugnis zu gestuften Verwaltungsverfahren abgeleitet werden kann. Zwar kann der Norm entnommen werden, dass das Bilanzierungswahlrecht für die Bildung und Auflösung einer § 6b EStG-Rücklage immer durch entsprechenden Bilanzansatz im veräußernden Betrieb auszuüben ist, auch wenn die stillen Reserven aus der Rücklage auf Wirtschaftsgüter eines anderen Betriebs des Steuerpflichtigen übertragen werden sollen3. Ebenso kann der Norm entnommen werden, dass der reinvestierende Betrieb darüber entscheidet, ob und in welchem Umfang er bei Ansatz seiner Wirtschaftsgüter stille Reserven aus einer im veräußernden Betrieb gebildeten Reinvestitionsrücklage zum Abzug bringt. Einem Abzug kann danach etwa entgegenstehen, dass die Beteiligungsverhältnisse des Übertragenden an dem veräußernden Betrieb nicht denen am reinvestierenden Betrieb entsprechen und deshalb eine (vollständige) Übertragung nicht zulassen4.

Aus dem notwendigen Zusammenspiel bilanzsteuerrechtlicher Entscheidungen verschiedener Betriebsinhaber ergibt sich indes noch keine Grundlage dafür, dass das für den jeweiligen Betrieb zuständige Finanzamt das Vorliegen der Voraussetzungen für diese Fragen allein und mit Bindungswirkung für das jeweils andere Finanzamt prüft. Lediglich vorhandene Sachnähe und Zweckmäßigkeit genügen nach den vorgenannten Maßstäben hierfür nicht.

Letztlich kann im Streitfall jedoch offenbleiben, ob und ggf. in welchem Verhältnis im Rahmen des § 6b EStG von einem gestuften Verwaltungsverfahren ausgegangen werden kann. Eine Rechtsverletzung des Mitunternehmers für das vorliegende Verfahren liegt in jedem Fall nicht vor.

Ist kein gestuftes Verfahren anzuwenden, sind die Voraussetzungen des § 6b EStG für einen Abzug des in eine Rücklage im Einzelunternehmen des Mitunternehmers eingestellten Gewinns von den Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts der S-KG (auch) von dem für das Besteuerungsverfahren der S-KG zuständigen Finanzamt eigenständig zu prüfen. Dementsprechend hätte auch das Finanzgericht im Streitfall das Vorliegen der Voraussetzungen in vollem Umfang zu prüfen. Der Ausgang dieses die S-KG betreffenden Verfahrens hätte allerdings keine Bindungswirkung für das Besteuerungsverfahren des veräußernden Betriebs, hier also für die Veranlagung des Mitunternehmers zur Einkommensteuer. Der Mitunternehmer könnte daher im vorliegenden Verfahren nur eine Verschlechterung seiner Rechtsposition erreichen, ohne dass dies zu einer Verbesserung seiner Rechtsstellung im Besteuerungsverfahren seines Einzelunternehmens führen könnte. Eine Rechtsverletzung des Mitunternehmers durch die Feststellung eines seiner Ansicht nach zu niedrigen Ergänzungsbilanzgewinns im Gewinnfeststellungsbescheid der S-KG wäre also ausgeschlossen.

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Träfe die Ansicht des Finanzamtes und des BMF zu und wäre -mit Bindungswirkung für die Besteuerung des reinvestierenden Betriebs- alleine im Besteuerungsverfahren für den veräußernden Betrieb über die Übertragbarkeit der stillen Reserven zu entscheiden, so könnte der Mitunternehmer im Klageverfahren gegen den Gewinnfeststellungsbescheid der S-KG mangels Bindungswirkung dieses Bescheids für die Besteuerung seines Einzelunternehmens ebenfalls keine Verbesserung seiner Rechte erreichen. Allein die Feststellung eines seiner Ansicht nach zu niedrigen Ergänzungsbilanzgewinns verletzte ihn nicht in seinen Rechten.

Aber auch nach der von dem Mitunternehmer angenommenen Rechtslage kann er vorliegend keine Verbesserung seiner Rechtsposition erreichen.

Der Mitunternehmer behauptet selbst nicht, dass im Gewinnfeststellungsverfahren der S-KG als dem reinvestierenden Betrieb mit bindender Wirkung auch über die Zulässigkeit der Bildung einer Reinvestitionsrücklage in seinem Einzelunternehmen als dem veräußernden Betrieb zu entscheiden sei. Er sieht in dem Gewinnfeststellungsbescheid für den reinvestierenden Betrieb lediglich insoweit einen Grundlagenbescheid für das Besteuerungsverfahren des veräußernden Betriebs, als im Besteuerungsverfahren für den reinvestierenden Betrieb mit bindender Wirkung „über den Umfang der Übertragungsmöglichkeit“ entschieden werde, und beruft sich insoweit auf das BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 599 und auf den BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 22. Dabei schließt seiner Ansicht nach die Frage, ob im Einzelfall die gesellschafterbezogene Fassung oder die betriebsbezogene Fassung des § 6b EStG zur Anwendung kommt, auch den Umfang der Übertragungsmöglichkeit mit ein, denn von der Beantwortung der Frage hänge ab, ob überhaupt eine rechtsträgerübergreifende Übertragung möglich sei.

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Dem kann sich der Bundesfinanzhof nicht anschließen. Ob die Veräußerung des Grundbesitzes im Einzelunternehmen des Mitunternehmers bis zum 31.12.2001 oder erst danach erfolgte, wovon die anzuwendende Fassung des § 6b EStG abhängt, entscheidet sich allein auf Grundlage von Vorgängen im Bereich seines Einzelunternehmens und damit des veräußernden Betriebs. Es geht um die Frage, in welchem Jahr der Gewinn aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts durch den veräußernden Betrieb entsteht und deshalb ggf. nach § 6b Abs. 3 EStG auch gesellschafterbezogen übertragen werden kann. Diese Frage betrifft allein den veräußernden Betrieb und ist abschließend von dem für dessen Besteuerung zuständigen Finanzamt zu entscheiden. Es geht nicht um die Frage, ob in dem Umfang, in dem der Übertragende im reinvestierenden Betrieb einen Abzug vornehmen will, dort überhaupt auf ihn entfallende Anschaffungs- oder Herstellungskosten vorliegen. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von den Sachverhalten, die den von dem Mitunternehmer zitierten Entscheidungen in BFH/NV 1991, 599 und in BFH/NV 2006, 22 zugrunde lagen, und in denen dem Bescheid für den reinvestierenden Betrieb in gewissem Umfang Grundlagenfunktion für die Besteuerung des veräußernden Betriebs zugesprochen wurde.

Dahinstehen kann daher, ob an dieser Rechtsprechung angesichts der oben genannten Zweifel überhaupt festgehalten werden könnte. Denn selbst wenn danach dem Bescheid für den reinvestierenden Betrieb hinsichtlich des „Umfangs der Übertragungsmöglichkeit“ Bindungswirkung für das Besteuerungsverfahren des veräußernden Betriebs zukommen sollte, wäre jedenfalls die streitentscheidende Frage, ob die Veräußerung des Grundbesitzes des Mitunternehmers in seinem Einzelunternehmen bis zum 31.12.2001 oder erst danach erfolgt ist, nicht im Besteuerungsverfahren der S-KG als dem reinvestierenden Betrieb zu entscheiden. Dementsprechend wäre der Mitunternehmer auch in diesem Fall durch die seiner Ansicht nach zu niedrige Feststellung eines Ergänzungsbilanzgewinns nicht in seinen Rechten verletzt.

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Entgegen der Ansicht des Mitunternehmers kann der Grundsatz von Treu und Glauben an dem Entscheidungsergebnis nichts ändern. Ohne Erfolg beruft sich der Mitunternehmer insoweit auf das BFH-Urteil vom 19.01.19895. Danach kann einem Finanzamt die Anpassung eines Folgebescheids an den Grundlagenbescheid nach Treu und Glauben versagt sein, wenn das Finanzamt durch sein Verhalten im Folgebescheidsverfahren den Steuerpflichtigen davon abgehalten hat, den Grundlagenbescheid anzufechten. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass sich das Finanzamt in dieser Weise treuwidrig dem Mitunternehmer gegenüber verhalten und ihn von einer Anfechtungsklage gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamtes S abgehalten hat.

Der Mitunternehmer verweist auch ohne Erfolg darauf, er habe darauf vertraut, dass das Finanzgericht die Klage für zulässig erachte, da das Finanzgericht im Rahmen der Entscheidung über die (als unbegründet abgelehnte) AdV noch von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen sei. Aus der geänderten Rechtsansicht des Finanzgericht im angegriffenen Urteil gegenüber seiner Entscheidung im vorangegangenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann kein dem Finanzamt zurechenbarer Verstoß gegen Treu und Glauben abgeleitet werden. Im Übrigen könnte aus einem Vertrauen im Hinblick auf die Zulässigkeit der Klage kein dahingehendes Vertrauen abgeleitet werden, dass der Rechtsauffassung des Mitunternehmers in der Sache zu folgen sei.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Dezember 2021 – IV R 7/19

  1. BFH, Beschluss vom 11.04.2005 – GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679, unter C.04.a [Rz 37], m.w.N.; BFH, Urteil vom 20.06.2017 – X R 26/15, BFHE 259, 251, BStBl II 2018, 58, Rz 24 f.[]
  2. BVerfG, Beschluss vom 31.05.2011 – 1 BvR 857/07, BVerfGE 129, 1, Rz 68, 102; zum Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für die Annahme eines Grundlagenbescheids zuletzt auch BFH, Urteil vom 08.09.2020 – X R 2/19, BFHE 271, 105, Rz 27[]
  3. z.B. BFH, Urteil in BFHE 240, 73, BStBl II 2013, 313, Rz 34 ff.[]
  4. zu solchen Konstellationen aus Sicht der Besteuerung des veräußernden Betriebs z.B. BFH, Urteile vom 12.07.1990 – IV R 44/89, BFH/NV 1991, 599, und in BFHE 263, 44, BStBl II 2019, 313; BFH, Beschluss in BFH/NV 2006, 22[]
  5. BFH, Urteil vom 19.01.1989 – IV R 2/87, BFHE 155, 491, BStBl II 1989, 393, unter 4.c [Rz 22][]
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