Die erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers

Der Betriebshof ist keine erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers, wenn er dort lediglich die Ansage der Tourenleitung abhört, das Tourenbuch, Fahrzeugpapiere und -schlüssel abholt sowie die Fahrzeugbeleuchtung kontrolliert.

Die erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers

Wird der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit), ist gemäß § 9 Abs. 4a Sätze 1 und 2 EStG zur Abgeltung der ihm tatsächlich entstandenen, beruflich veranlassten Mehraufwendungen eine Verpflegungspauschale nach Maßgabe des Satzes 3 anzusetzen.

Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Der durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.02.20131 neu eingeführte und in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG definierte Begriff der „ersten Tätigkeitsstätte“ tritt an die Stelle des bisherigen unbestimmten Rechtsbegriffs der „regelmäßigen Arbeitsstätte“2.

Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für das Auffinden der ersten Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an3.

Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Nur dann kann die „erste Tätigkeitsstätte“ als Anknüpfungspunkt für den Ansatz von Wegekosten nach Maßgabe der Entfernungspauschale und als Abgrenzungsmerkmal gegenüber einer auswärtigen beruflichen Tätigkeit dienen. Dies folgt nach Auffassung des Bundesfinanzhofs insbesondere aus § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG, der zumindest für den Regelfall davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer an diesem Ort auch tätig werden soll. Darüber hinaus ist das Erfordernis einer arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich geschuldeten Betätigung an diesem Ort nicht zuletzt dem Wortsinn des Tatbestandsmerkmals „erste Tätigkeitsstätte“ geschuldet. Denn ein Ort, an dem der Steuerpflichtige nicht tätig wird (oder für den Regelfall nicht tätig werden soll), kann nicht als Tätigkeitsstätte angesehen werden. Schließlich zwingt auch das objektive Nettoprinzip, den Begriff der ersten Tätigkeitsstätte dahingehend auszulegen. Denn anderenfalls bestimmt sich die Steuerlast nicht -gleichheitsrechtlich geboten- nach der individuellen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, sondern nach dem Belieben seines Arbeitgebers4.

Nach diesen Maßstäben ist erstinstanzlich das Finanzgericht Berlin-Brandenburg5 zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Müllwerker dem Betriebshof und damit einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers im Streitjahr dauerhaft zugeordnet war. Gleichwohl kann die Entscheidung des Finanzgericht keinen Bestand haben. Denn der Bundesfinanzhof kann aufgrund der Feststellungen der Vorinstanz nicht beurteilen, ob der Müllwerker auf dem Betriebshof in der Y-straße in dem erforderlichen Umfang tätig geworden ist, um den Betriebshof als erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG einzuordnen. Das Finanzgericht hat insoweit lediglich festgestellt, dass er sich dort umkleidete, sich die Ansage der Einsatzleitung anhörte, das Tourenbuch, die Fahrzeugpapiere und die Fahrzeugschlüssel abholte und danach mit seinen Kollegen die Blinker sowie die Beleuchtung des Müllfahrzeugs kontrollierte. Diese geringfügigen Tätigkeiten allein reichen nicht aus, um den Betriebshof als erste Tätigkeitsstätte anzusehen. Allerdings hat der Müllwerker angegeben, für die vorbereitenden Tätigkeiten auf dem Betriebshof 45 Minuten (von 05:30 Uhr bis 06:15 Uhr) aufgewandt zu haben. Dieser Zeitaufwand erschließt sich dem Bundesfinanzhof aufgrund der Geringfügigkeit der vorgenannten Tätigkeiten nicht, zumal vorgetragen wurde, die Fahrzeugprüfung dauere nur wenige Minuten. Das Finanzgericht hat bislang auch keine Feststellungen dazu getroffen, welche Tätigkeiten der Müllwerker nach Rückkehr zum Betriebshof ausgeübt hat, wo er nach seinen Angaben weitere 30 Minuten verbracht hat.

Der Rechtsstreit wurde daher vom Bundesfinanzhof an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang hat das Finanzgericht belastbar festzustellen, welche Tätigkeiten der Müllwerker in den von ihm angegebenen Zeiträumen auf dem Betriebshof tatsächlich ausgeführt hat und ob er diese arbeitsrechtlich schuldete, sowie zu prüfen, ob sie zum Berufsbild des Müllwerkers gehören.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. September 2021 – VI R 25/19

  1. BGBl I 2013, 285[]
  2. BFH, Urteil vom 04.04.2019 – VI R 27/17, BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536 – ausführlich zu den entsprechenden Voraussetzungen in Rz 13 ff.[]
  3. BFH, Urteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 18[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 19[]
  5. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vo 23.05.2019 – 4 K 4259/17[]

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