Für Kinder i.S. des § 63 EStG hat nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG Anspruch auf Kindergeld, wer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 3 EStG „als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt“ wird.

Nach § 1 Abs. 3 EStG werden auf Antrag auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG haben. Dies gilt nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr zu mindestens 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG nicht übersteigen. Voraussetzung ist weiter u.a., dass die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird.
Bei Anwendung des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG liegt eine Behandlung „nach § 1 Abs. 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig“ nur für die Kalendermonate vor, in denen der Kindergeldberechtigte Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt, die nach § 1 Abs. 3 EStG der Einkommensteuer unterliegen1.
Mit dem Tatbestandsmerkmal „als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt“ i.S. von § 1 Abs. 3 EStG stellt die Vorschrift steuersystematisch auf die „Behandlung“ bei der Einkommensteuerfestsetzung ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Einkommensteuer nach § 2 Abs. 7 Satz 1 EStG eine Jahressteuer ist und ihre Grundlagen bei der Steuerfestsetzung gemäß § 2 Abs. 7 Satz 2 EStG jeweils für das Kalenderjahr zu ermitteln sind.
Aus § 2 Abs. 7 EStG folgt jedoch nicht, dass sich die Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig jeweils auf ein Kalenderjahr bezieht. Endet z.B. die am Jahresanfang bestehende unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG während eines Kalenderjahres –nach Wegzug aus dem Inland und damit nach der Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland–, erfolgt eine „Behandlung“ als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig für den nachfolgenden Zeitraum bis zum Ende des Kalenderjahres nur nach § 1 Abs. 3 EStG. Die Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 EStG beschränkt sich dann auf den Zeitraum, für den die Steuerpflicht nach dieser Vorschrift besteht2.
Dass sich die Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i.S. von § 1 Abs. 3 EStG wie im Fall des Wegzugs auf einen Teil eines Kalenderjahres beschränkt, zeigt, dass eine Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nur für die Zeiträume eines Kalenderjahres vorliegt, in denen der Steuerpflichtige die nach § 1 Abs. 3 EStG steuerpflichtigen Einkünfte bezieht. Dies steht auch im Einklang mit dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 EStG, wonach die Behandlung von Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nur erfolgt, „soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG haben“. Dabei handelt es sich somit nicht nur um eine gegenständliche Definition im Hinblick auf die Bestimmung des sachlichen Umfangs der Einkünfte, sondern auch um eine zeitliche Einschränkung auf den Zeitraum der Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig3.
Für diese Auslegung sprechen zudem Sinn und Zweck des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Danach sollen natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt haben und auf Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden, kindergeldrechtlich den natürlichen Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland gleichgestellt werden. Wer ohne inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt als nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt Steuerpflichtiger keine Einkünfte im Inland (als anspruchsbegründendes Merkmal nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. § 1 Abs. 3 EStG) erzielt, kann kindergeldrechtlich nicht besser gestellt werden als der Steuerpflichtige, der durch seinen Wegzug ins Ausland seinen inländischen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (als anspruchsbegründendes Merkmal nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG) aufgibt und mit Beendigung des Monats des Wegzugs seinen Anspruch auf Kindergeld verliert. Gleiches gilt für den Zeitraum vor Begründung seines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts3.
Die gegenteilige Auffassung kann sich auch nicht auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung stützen, wonach ein Kind nur berücksichtigt werden darf, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 € „im Kalenderjahr“ hat (sog. Jahresgrenzbetrag). Auch hier ist eine Monatsbetrachtung erforderlich, wenn die kindbezogenen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld nicht ganzjährig vorliegen (§ 32 Abs. 4 Sätze 7 und 8 EStG). Denn nach Satz 7 dieser Regelung ermäßigt sich der Betrag nach Satz 2 oder 3 (der Jahresgrenzbetrag von 7.680 €) für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 oder 2 an keinem Tag vorliegen. Nach Satz 8 bleiben Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf diese Kalendermonate entfallen, außer Ansatz3.
Diese Auslegung steht –entgegen den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung– nicht im Widerspruch zum Schumacker-Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union4.
Danach befinden sich bei der Besteuerung des Einkommens Gebietsansässige und Gebietsfremde grundsätzlich nicht in einer vergleichbaren Lage. Daher ist der Wohnsitzstaat für die Berücksichtigung der persönlichen und familiären Umstände verantwortlich5. Ausnahmsweise muss jedoch der Tätigkeitsstaat die persönliche und familiäre Lage berücksichtigen, wenn der Gebietsfremde sein Welteinkommen ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Tätigkeitsstaat erzielt, weil andernfalls seiner persönlichen Lage und seinem Familienstand weder im Wohnsitzstaat noch im Beschäftigungsstaat Rechnung getragen würden6.
§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG trägt den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen des Art. 39 EGV Rechnung und bezweckt, Steuerpflichtigen mit steuerbaren und steuerpflichtigen inländischen Einkünften i.S. des § 49 EStG unter den in § 1 Abs. 3 EStG genannten Voraussetzungen im Rahmen der Besteuerung der inländischen Einkünfte die Berücksichtigung der personen- und familienbezogenen Steuerentlastungen zu ermöglichen. Entsprechend wird bei der Veranlagung zur Einkommensteuer unabhängig davon, ob die unbeschränkte Steuerpflicht auf § 1 Abs. 1 EStG beruht oder ob der Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wird, für jedes zu berücksichtigende Kind nach § 32 Abs. 6 EStG unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen ein Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum sowie ein Freibetrag für den Betreuungs‑, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf vom Einkommen abgezogen. Diese Regelungen genügen den Vorgaben des EuGH, Urteils „Schumacker“ in Slg. 1995, I‑2257.
Wird das Existenzminimum eines Kindes einschließlich des Bedarfs für Betreuung, Erziehung und Ausbildung nicht durch § 32 Abs. 6 EStG freigestellt, wird dies durch das Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG bewirkt. Soweit das Kindergeld dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG) und hat eine sozialrechtliche Funktion8.
Auch soweit das Kindergeld eine sozialrechtliche Funktion hat, besteht keine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung, Kindergeld auch für Monate zu gewähren, in denen der Kläger keine inländischen Einkünfte i.S. des § 49 EStG hatte9.
Eine dementsprechende Verpflichtung ergibt sich insbesondere nicht aus der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern10 (im Folgenden: VO Nr. 1408/71), sowie den Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und das Diskriminierungsverbot (Art. 39 und 42 EG; jetzt Art. 45 und 48 AEUV).
Nach Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 unterliegt ein Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Dies ist grundsätzlich der Mitgliedstaat, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, auch wenn er im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt (Art. 13 Abs. 2 Buchst. a VO Nr. 1408/71). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt. Dann sind die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates maßgeblich, in dessen Gebiet er wohnt (Art. 14 Nr. 2 Buchst. b Buchst. i VO Nr. 1408/71). Diese Regelung verstößt nicht gegen EU-Primärrecht, und zwar auch dann nicht, wenn die Regelungen des Wohnsitzstaates für den Arbeitnehmer ungünstiger sind als diejenigen des Mitgliedstaates, in dem z.T. die Tätigkeit ausgeübt wird11. Im Streitfall sind daher –jedenfalls für die Zeit, in der der Kläger in Deutschland nicht gearbeitet hat– die polnischen Regelungen über Familienleistungen einschlägig.
Im Übrigen liegt eine Schlechterstellung von gebietsfremden Ausländern gegenüber gebietsansässigen Inländern durch die Beschränkung der Gewährung von Kindergeld auf den Zeitraum des Bezugs inländischer Einkünfte i.S. von § 49 EStG nicht vor. In diesem Zusammenhang ist die gesetzgeberische Grundentscheidung zu berücksichtigen, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Kindergeldgewährung nach § 66 Abs. 2 EStG monatsweise zu prüfen sind. Dementsprechend besteht in den Fällen der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG der Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kalendermonate, in denen der Anspruchsberechtigte im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat12. Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG tritt für Zwecke der Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG an die Stelle des nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG erforderlichen Anknüpfungspunkts des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts. Der Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ist demnach gleichfalls eine monatsbezogene Prüfung zugrunde zu legen, deren Anknüpfungspunkt die Einkünfte i.S. des § 49 EStG darstellen. Dies bedeutet, dass für In- und Ausländer das Monatsprinzip anzuwenden ist.
Eine unzulässige Diskriminierung liegt auch nicht deshalb vor, weil der im Inland Ansässige Kindergeld unabhängig von jeglicher Einkunftserzielung erhält, während der nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG Kindergeldberechtigte nur für diejenigen Monate Kindergeld beziehen kann, in denen inländische Einkünfte vorliegen. Eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung, die Kindergeldberechtigung bei Ansässigkeit im Inland von der Erzielung von Einkünften abhängig zu machen, besteht nicht. Der Anknüpfungspunkt für die Kindergeldberechtigung wird hier durch den inländischen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt vermittelt. Anknüpfungspunkt für die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG sind inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG. Gewährte man für diejenigen Monate, in denen der Kindergeldberechtigte keine inländischen Einkünfte erzielt, Kindergeld, fehlte es an jeglichem Anknüpfungspunkt für eine Kindergeldberechtigung.
Schließlich liegt auch keine Ungleichbehandlung gegenüber Grenzpendlern vor. Grenzpendler haben im Inland regelmäßig weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt, so dass eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausscheidet. Liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG vor, kommt eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG in Betracht, soweit inländische Einkünfte erzielt werden. Dies bedeutet, dass auch der Grenzpendler nur ganzjährig Kindergeld erhält, wenn sich die grenzüberschreitende Tätigkeit auf das gesamte Kalenderjahr erstreckt.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 18. April 2013 – VI R 70/11
- gl.A. BFH, Urteil vom 24.10.2012 – V R 43/11, BFHE 239, 327[↩]
- Lehner/Waldhoff, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 1 Rz D 212[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 239, 327[↩][↩][↩]
- EuGH, Urteil vom 14.02.1995 – C‑279/93, Schumacker, Slg. 1995, I‑225[↩]
- EuGH, Urteil in Slg. 1995, I‑225, Rz 32 bis 35[↩]
- EuGH, Urteil in Slg. 1995, I‑225, Rz 37 bis 38[↩]
- EuGH, Urteil vom 14.09.1999 – C‑391/97, Gschwind, Slg. I‑1999, 5451, BStBl II 1999, 841; BFH, Urteil vom 15.05.2002 – I R 40/01, BFHE 199, 224, BStBl II 2002, 660[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 11.01.2005 – 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164; BFH, Urteil vom 22.11.2007 – III R 60/99, BFHE 220, 39, BStBl II 2009, 910[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 12.06.2012 – C‑611/10 und 612/10, DStRE 2012, 999, Rz 45[↩]
- in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 02.12.1996 (ABl.EG 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, diese wiederum geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.04.2005 (ABl.EU 2005, L 117, S. 1).[↩]
- EuGH, Urteil in DStRE 2012, 999, Rz 43 und 44[↩]
- BFH, Urteil vom 20.11.2008 – III R 53/05, BFH/NV 2009, 564[↩]