Gewinnverteilungsbeschluss – und seine Auslegung

Mit der Auslegung eines Gesellschafterbeschlusses, konkret mit der Frage, ob mit diesem in einer den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Weise über die Gewinnverteilung entschieden wurde, hatte sich aktuell der Bundesfinanzhof zu befassen:

Gewinnverteilungsbeschluss – und seine Auslegung

Konkret stand im Streit, ob eine im Jahr 2001 erfolgte Ergebnisausschüttung i.S. des § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG 1999 (vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung -StSenkG 2001/2002-1 -KStG a.F.-) auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss beruht. Anteilseigner der klagenden GmbH sind die Stadt M zu 99, 9926 % und der Kreis M zu 0, 0074 %. Die GmbH hält als geschäftsleitende Holding 100 % des Grundkapitals der Stadtwerke … AG (M AG), die als Energieversorgungsunternehmen Dienstleistungen und Produkte rund um die Bereiche Strom, Gas, Wasser und Fernwärme anbietet. Die GmbH ist darüber hinaus zu 94, 9 % an der M 1-AG beteiligt, die übrigen 5, 1 % werden von der Stadt M unmittelbar gehalten. Zwischen der GmbH und der M AG bzw. der GmbH und der M 1-AG bestehen jeweils Ergebnisabführungsverträge; diese Gesellschaften sind organschaftlich miteinander verbunden. Auf Ebene der GmbH werden Verkehrsverluste der M 1-AG mit Versorgungsgewinnen der M AG steuerlich verrechnet (sog. steuerlicher Querverbund).

Die Satzung (Gesellschaftsvertrag) der GmbH wurde seit 1972 mehrfach geändert. § 15 des Gesellschaftsvertrages in der für den Streitzeitraum gültigen Fassung vom 17.08.1998 ist überschrieben mit „Gewinn- und Verlustrechnung“. Nach Abs. 1 dieser Regelung „fließt“ ein sich nach Jahresabschluss ergebender Gewinn der Stadt M zu, ein sich ergebender Verlust wird jährlich von ihr abgedeckt. In Abs. 3 verpflichtet sich die Stadt M, „die Verluste der Holding jährlich abzudecken“. Die ursprüngliche -aus dem Jahr 1972 stammende- Fassung des § 15 war noch überschrieben mit „Gewinn- und Verlustverteilung“. Im März 2002 wurde die Regelung dahin geändert, dass sie nunmehr mit „Gewinnverwendung“ überschrieben war. Sie sah überdies vor, dass die Gesellschafterversammlung über die Verwendung des Jahresergebnisses (Summe aus Jahresüberschuss und Gewinnvortrag abzüglich Verlustvortrag) mit einfacher Mehrheit entscheidet. Der Jahresabschluss der GmbH zum 31.12.2000 wies als Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit einen Betrag von … DM und einen Jahresüberschuss von 0 DM aus (nach Abzug von … DM Ertragsteuern und einer beabsichtigten, handelsrechtlich als Betriebsausgabe zu behandelnden Position „Gewinnausschüttung/Verlustübernahme“ in Höhe von … DM aus einer Verbindlichkeit gegenüber der Stadt M). Dies wurde im Jahresabschluss 2000 dahingehend erläutert, dass die Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern aus der Gewinnausschüttung 2000 an die Stadt M resultieren. Außerdem wurde angemerkt, dass aufgrund des Gesellschaftsvertrages ein Gewinn der Stadt M zufließe und ein Verlust von ihr auszugleichen sei. Damit werde der Jahresüberschuss des Geschäftsjahres 2000 bereits als Gewinnausschüttung bzw. Verbindlichkeit gegenüber der Stadt M ausgewiesen.

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Am 28.06.2001 fand eine ordentliche Gesellschafterversammlung der GmbH statt. In der Versammlungsniederschrift zum Tagesordnungspunkt „Vorlage und Feststellung des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2000“ heißt es im Anschluss an den Beschluss über die Feststellung des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2000: „Gemäß § 15 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages fließt der Gewinn der Stadt M zu. Somit wird der Bilanzgewinn nach Abwicklung der Gewinnabführung bzw. des Verlustausgleiches mit den Organgesellschaften in Höhe von … DM abzüglich der einzubehaltenden Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlages am 4.09.2001 ausgezahlt.“ Ebenfalls am 28.06.2001 wurde der Gesellschaftsvertrag u.a. hinsichtlich des Stammkapitals geändert. Ergänzend ist in der notariellen Urkunde zum Ergebnis der Gesellschafterversammlung entsprechend der Versammlungsniederschrift im Anschluss an die Feststellung des Jahresabschlusses Folgendes festgehalten: „Ein Gewinnverwendungsbeschluss war nicht zu fassen …, da gemäß § 15 der Satzung … ein sich nach dem Jahresabschluss ergebender Gewinn der Stadt M zufließt und ein sich ergebender Verlust jährlich von der Stadt M abgedeckt wird.“

Am 02.10.2001 ging u.a. die Kapitalertragsteueranmeldung für September 2001 auf ausgeschüttete Gewinnanteile für das Wirtschaftsjahr 2000 beim Finanzamt ein. Die Ausschüttung für 2000 wurde als ordentliche steuerpflichtige Ausschüttung für das Jahr 2000 i.S. des § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG a.F. behandelt. Das Finanzamt folgte den angegebenen Erklärungen. Wenige Wochen später reichte die GmbH eine geänderte Kapitalertragsteueranmeldung für September 2001 ein und beantragte eine Änderung des Körperschaftsteuerbescheides 2000 sowie des Feststellungsbescheides gemäß § 47 Abs. 1 KStG zum 31.12.2000. Zur Begründung führte die GmbH aus, man sei bei Erstellung der ursprünglichen Steuererklärungen davon ausgegangen, dass es sich um eine ordentliche Gewinnausschüttung handle, die auf einem entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss beruhe. Zwischenzeitlich sei man jedoch zu der Erkenntnis gelangt, dass es an dem erforderlichen Gesellschafterbeschluss für die Gewinnausschüttung 2000 fehle. Wegen des Fehlens eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses habe es sich nicht um eine ordentliche Gewinnausschüttung i.S. des § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG a.F. gehandelt, sondern um eine solche i.S. des § 27 Abs. 3 Satz 2 KStG a.F. Da sich für „andere Ausschüttungen“ i.S. des § 27 Abs. 3 Satz 2 KStG a.F. die Körperschaftsteuer für den Veranlagungszeitraum ändere, in welchem die Ausschüttung erfolge (hier: 2001), komme es für 2000 weder zu einer Körperschaftsteuerminderung noch zu einer Körperschaftsteuererhöhung. Aufgrund des Systemwechsels ab dem Jahr 2001 komme nicht das Anrechnungsverfahren, sondern das Halbeinkünfteverfahren zur Anwendung. Durch die Verfahrensänderung unterliege die Ausschüttung in 2001 schon der Definitiv-Besteuerung. Die festzusetzende Körperschaftsteuer entspreche der Tarifbelastung von 0 DM.

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Das Finanzamt gab den Anträgen mit Bescheiden vom 21.06.2002 zunächst statt. Im Anschluss an eine Betriebsprüfung wurden diese Bescheide jedoch geändert. Das Finanzamt behandelte die im September 2001 erfolgte Ausschüttung steuerlich wieder als ordentliche Gewinnausschüttung. Mit den Einsprüchen gegen die aufgrund der Prüfung erlassenen Änderungsbescheide wandte sich die GmbH erfolglos gegen die Qualifizierung der Gewinnausschüttung als eine solche i.S. des § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG a.F.

Das Finanzgericht Köln gab der daraufhin erhobenen Klage statt2. Das Finanzgericht war im Wege der Auslegung davon ausgegangen, dass im Streitfall kein Gewinnverwendungsbeschluss gefasst worden war. Die hiergegen gerichtete Revision des Finanzamtes wies der Bundesfinanzhof als unbegründet zurück:

Die Auslegung von Willenserklärungen und von Verträgen ist grundsätzlich Gegenstand der im Revisionsverfahren bindenden tatsächlichen Feststellung i.S. von § 118 Abs. 2 FGO. Der Bundesfinanzhof ann die Auslegung einer Willenserklärung oder eines Vertrages durch das Finanzgericht deshalb nur darauf überprüfen, ob das Finanzgericht die anerkannten Auslegungsregeln (§§ 133 und 157 BGB) beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat3. Entspricht die Auslegung des Finanzgerichts den gesetzlichen Auslegungsregeln sowie den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen, ist sie für den Bundesfinanzhof bindend, auch wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich ist. Eine Ausnahme von der Bindungswirkung mit der Folge einer eigenen Auslegungsbefugnis des Revisionsgerichts macht die höchstrichterliche Finanzrechtsprechung im Anschluss an die höchstrichterliche Zivilrechtsprechung bei der Auslegung von Vereinbarungen mit korporationsrechtlichem Charakter4.

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Einen solchen korporationsrechtlichen Charakter hat der Bundesfinanzhof Gesellschafterbeschlüssen bisher nicht beigemessen. Vielmehr hat er eine Bindung (§ 118 Abs. 2 FGO) an die vom Finanzgericht vorgenommene Auslegung des Gesellschafterbeschlusses bejaht5. Allerdings deutet die Zivilrechtsprechung zur Auslegung von Gesellschafterbeschlüssen in die Richtung einer eigenen Auslegungsbefugnis des Revisionsgerichts6.

Es kann dahinstehen, ob der Bundesfinanzhof hinsichtlich der allein im Streit stehenden Auslegungsfrage auf der Grundlage des § 118 Abs. 2 FGO an das vom Finanzgericht gefundene Auslegungsergebnis gebunden ist oder ihm nach dem vorstehend Gesagten eine eigene Auslegungsbefugnis zusteht. Denn selbst wenn zugunsten des Finanzamtes von einer eigenen Auslegungsbefugnis des Bundesfinanzhofs auszugehen wäre, müsste der Revision der Erfolg versagt bleiben.

Nach den -weitgehend dispositiven- gesellschaftsrechtlichen Vorgaben des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der im Streitjahr geltenden Fassung (GmbHG) hat der Geschäftsführer einer GmbH den Jahresabschluss aufzustellen und die Gesellschafter haben sodann durch Beschluss den Jahresabschluss festzustellen. Der Beschluss über die Feststellung des Jahresabschlusses ist die Grundlage für den -gesonderten- Beschluss über die Gewinnverwendung (vgl. § 29 Abs. 2 GmbHG)7. Für die Auslegung von Gesellschafterbeschlüssen gelten die allgemeinen Regeln, sodass die §§ 133, 157 BGB grundsätzlich entsprechend herangezogen werden können8.

Das Finanzgericht ist in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass im Streitfall weder in der Gesellschafterversammlung vom 28.06.2001 noch sonst ein Beschluss über die Gewinnverwendung ergangen ist und deshalb in rechtlicher Hinsicht die am 04.09.2001 erfolgte Gewinnausschüttung der GmbH an die Stadt M nicht auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss beruhte. Dies hatte nach der Auffassung der Vorinstanz zur weiteren Folge, dass die streitige Ausschüttung nicht dem Anrechnungsverfahren unterlag, sondern dem ab 2001 geltenden Halbeinkünfteverfahren (vgl. § 34 Abs. 10a KStG i.d.F. des StSenkG 2001/2002).

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Zu diesem Ergebnis gelangte das Finanzgericht im Wege der Auslegung des in der Gesellschafterversammlung der GmbH am 28.06.2001 gefassten Beschlusses. Danach ist an diesem Tage allein ein Beschluss über die Feststellung des Jahresabschlusses gefasst worden und nicht auch ein weiterer Beschluss über die Gewinnverwendung. Seine Auslegung des Beschlusses stützte das Finanzgericht vor allem auf den seines Erachtens klaren Wortlaut des Protokolls der Gesellschafterversammlung, welches ausdrücklich nur einen Beschluss über die Feststellung des Jahresergebnisses enthalte. Des Weiteren zog das Finanzgericht eine Urkunde eines Notars heran, der zum Ergebnis der Gesellschafterversammlung entsprechend der Versammlungsniederschrift festgehalten hatte, dass ein Gewinnverwendungsbeschluss nicht zu fassen gewesen sei, da nach der Satzung ein sich ergebender Gewinn der Stadt M zufließe. Zudem hat das Finanzgericht noch weitere Begleitumstände der Beschlussfassung herangezogen, um sein Auslegungsergebnis zu begründen.

Der Revisionsbegründung des Finanzamtes ist nicht zu entnehmen, welcher revisionsrechtlich überprüfbare Auslegungsfehler dem Finanzgericht unterlaufen sein soll. Tatsachen, aus denen sich ein Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze ergeben könnten, werden nicht genannt. Dass anerkannte Auslegungsregeln missachtet worden seien, wird ebenfalls nicht dargelegt.

Im Übrigen kommt der Bundesfinanzhof aus den vom Finanzgericht genannten Gründen zum identischen Auslegungsergebnis.

Das Finanzamt beachtet bei seiner Kritik nicht hinreichend, dass das Bestehen eines Gebots zur Beschlussfassung über die Gewinnverwendung9 nicht bedeutet, dass die Steuerpflichtigen das Gebot auch befolgt haben. Vorliegend waren die Gesellschafter -aus welchen Gründen auch immer, was auch einen Rechtsirrtum einschließen kann- der Meinung, einen Gewinnverwendungsbeschluss nicht fassen zu müssen, und haben es deswegen offenkundig bewusst auch nicht getan. Darauf deutet insbesondere der in der notariellen Urkunde vom 28.06.2001 enthaltene Satz hin, wonach ein Gewinnverwendungsbeschluss nicht zu fassen gewesen sei.

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Aus diesem Grunde scheidet auch die Annahme eines konkludent gefassten Gewinnverwendungsbeschlusses aus10. Denn konkludente Willenserklärungen setzen regelmäßig das Bewusstsein des Handelnden voraus, dass eine Willenserklärung wenigstens möglicherweise erforderlich ist. Im Streitfall bestehen aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Gesellschafter ein solches Bewusstsein hatten.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 1. Juni 2022 – I R 31/19

  1. vom 23.10.2000, BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428[]
  2. FG Köln, Urteil vom 11.04.2019 – 10 K 2842/17, EFG 2020, 474[]
  3. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteil vom 03.03.2004 – X R 12/02, BFHE 205, 451, BStBl II 2004, 722[]
  4. BFH, Urteile vom 28.11.2007 – I R 94/06, BFHE 220, 51, m.w.N.; vom 21.01.2016 – I R 22/14, BFHE 253, 82, BStBl II 2017, 336; BFH, Urteil vom 03.09.2009 – IV R 38/07, BFHE 226, 283, BStBl II 2010, 60, alle betreffend Gewinnabführungsvertrag oder Gesellschaftsvertrag[]
  5. z.B. BFH, Urteil vom 16.05.2007 – I R 84/06, BFH/NV 2007, 1925, Rz 12; BFH, Beschluss vom 11.02.2003 – I B 63/02, BFH/NV 2003, 1062; BFH, Beschluss vom 27.08.2009 – IV B 67/08, BFH/NV 2010, 37, zur Gewinnverteilungsabrede bei einer Personengesellschaft[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 06.03.2018 – II ZR 1/17, NJW-RR 2018, 665, zu Publikumspersonengesellschaften[]
  7. zum Vorstehenden s. z.B. Verse in Scholz, GmbHG, 12. Aufl., § 29 Rz 12 ff.[]
  8. BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – II ZR 76/16, juris; BFH, Beschluss vom 06.03.2007 – I B 37/06, juris; Karsten Schmidt/Bochmann in Scholz, a.a.O., § 45 Rz 22 ff.[]
  9. vgl. BFH, Urteil vom 14.05.1969 – I R 10/67, BFHE 95, 534, BStBl II 1969, 503; vgl. BGH, Urteil vom 14.09.1998 – II ZR 172/97, BGHZ 139, 299 zur „Notwendigkeit“ des Gewinnverwendungsbeschlusses für das Entstehen des Gewinnauszahlungsanspruchs selbst bei einem von Satzung oder Gesetz vorgeschriebenen Vollausschüttungsgebot[]
  10. dazu z.B. BFH, Urteil in BFH/NV 2007, 1925[]
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