Im Rahmen des nach § 10d EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 zu beurteilenden Rücktrags eines 1999 erzielten Verlustes in den Veranlagungszeitraum 1998 ist § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 nicht anzuwenden (entgegen R 115 Abs. 6 EStR 1999), hat der Bundesfinanzhof nunmehr entschieden.

Dabei ist Voraussetzung für einen Rücktrag von negativen Einkünften nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG, dass diese bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte tatsächlich nicht ausgeglichen werden.
Im Rahmen des Rücktrags eines 1999 erzielten Verlustes in das Streitjahr ist § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 nicht anzuwenden.
Nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 sind negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, bis zu einem Betrag von 2 Mio. DM vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen. Dieser Grundsatz wird durch Abs. 1 Sätze 2 und 3 der Vorschrift dahin eingeschränkt, dass die negativen Einkünfte zunächst von den positiven Einkünften derselben Einkunftsart abzuziehen sind, die „nach der Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG verbleiben“. Soweit in diesem Veranlagungszeitraum „durch einen Ausgleich nach § 2 Abs. 3 Satz 3″ oder einen Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 Satz 3 EStG die dort genannten Beträge nicht ausgeschöpft sind, mindern die nach § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 verbleibenden negativen Einkünfte die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten bis zu einem Betrag von 100.000 DM, darüber hinaus bis zur Hälfte des 100.000 DM übersteigenden Teils der Summe der positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten.
Die in § 10d Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 in Bezug genommene Regelung in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ist nach § 52 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. Eine abweichende, das Streitjahr erfassende Anwendungsregelung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen; der Bundesfinanzhof verweist auf sein Urteil vom 9. März 2011[1]. Eine Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 im Rahmen des nach § 10d EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 zu beurteilenden Rücktrags eines 1999 erzielten Verlustes in den Veranlagungszeitraum 1998 ist daher nicht möglich.
Zwar ist das Finanzgericht teilweise von anderen Grundsätzen ausgegangen, wenn es das Verlustausgleichspotential anhand der positiven Einkünfte des Veranlagungszeitraums 1998 im Rahmen einer Höchstbetragsberechnung nach § 10d Abs. 2 Satz 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ermittelt; die Revision ist gleichwohl als unbegründet zurückzuzuweisen.
Das Finanzamt vermag mit seiner Auffassung, der Rechtsstreit sei zur weiteren Ermittlung des Rücktragsvolumens an das Finanzgericht zurückzuverweisen, nicht durchzudringen. Nach der Regelung in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 stehen für einen –wahlweisen, vgl. Abs. 1 Satz 7 der Vorschrift– Verlustrücktrag in das Vorjahr solche negativen Einkünfte zur Verfügung, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte „nicht ausgeglichen werden“. Diese Formulierung in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 weist –anders als § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG (s. hierzu BFH, Urteil vom 29.06.2011 – IX R 38/10, Deutsches Steuerrecht 2011, 1517))– keinen materiell-rechtlichen Bezug zu den Verlusten des Verlustentstehungsjahres auf. Dies folgt nicht nur unmittelbar aus dem Wortlaut des Abs. 1 Satz 1, sondern auch aus der Gesamtstruktur der Norm, die in Abs. 4 Satz 2 den verbleibenden Verlustvortrag definiert und dabei in dem beschriebenen Sinne differenziert zwischen den nach Abs. 1 (im Wege des Verlustrücktrags tatsächlich) abgezogenen und den nach Abs. 2 (im Wege des Verlustvortrags materiell-rechtlich) abziehbaren Beträgen. Erforderlich für einen Verlustrücktrag ist danach, dass es an einem tatsächlichen Ausgleich der genannten negativen Einkünfte fehlt. Ändert sich der (tatsächliche) Ausgleich der negativen Einkünfte im Verlustentstehungsjahr, ist auch der Verlustrücktrag zu ändern (§ 10d Abs. 1 Satz 5 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002).
Vor diesem Hintergrund kommt im Streitjahr die Berücksichtigung eines nach den Grundsätzen des Bundesfinanzhof-Urteils[2] geänderten Ausgleichspotenzials aus dem Verlustentstehungsjahr 1999 nicht schon im Wege einer „Schattenrechnung“, sondern nur dann in Betracht, wenn für dieses Jahr ein geänderter Einkommensteuerbescheid ergeht, in dem die negativen Einkünfte des Klägers in größerem Maße als bisher –tatsächlich– ausgeglichen werden.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. August 2011 – IX R 53/05