Einkommensteuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten

Die gegen den Erblasser festgesetzte Einkommensteuer kann auch dann als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden, wenn der Erblasser noch zu seinen Lebzeiten gegen die Steuerfestsetzung Einspruch eingelegt hat und Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheids gewährt wurde.

Einkommensteuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten

Die Einkommensteuerschulden sind als Nachlassverbindlichkeiten steuermindernd zu berücksichtigen, auch soweit die Vollziehung ausgesetzt ist.

Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind vom Erwerb des Erben die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die gemäß § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs i.V.m. § 45 Abs. 1 AO auf den Erben übergegangen sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Dabei ist unerheblich, ob die Steuern beim Erbfall bereits festgesetzt waren oder nicht1.

Der Abzug als Nachlassverbindlichkeiten setzt nicht nur voraus, dass die Steuerschulden im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits entstanden waren oder -für die Einkommensteuer des Todesjahres- der Erblasser den Tatbestand, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft, bereits verwirklicht hatte2. Die Steuerschulden müssen darüber hinaus im Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dargestellt haben3.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Finanzbehörden entstandene Steuern in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festsetzen werden (§ 85 AO) und somit im Todeszeitpunkt die erforderliche wirtschaftliche Belastung mit der Steuerschuld gegeben ist4. Dies gilt erst recht für im Bewertungsstichtag bereits durch Steuerbescheid festgesetzte Steuern. Diese belasten den Erblasser ebenso wie den Erben als dessen Gesamtrechtsnachfolger. Insoweit gilt etwas anderes als in dem Fall, in dem die Steuer im Todeszeitpunkt noch nicht gegenüber dem Erblasser festgesetzt war und auch später nicht gegen die Erben festgesetzt wird5. Da das Finanzamt festgesetzte Steuern aufgrund des Steuerbescheids nach Maßgabe des Sechsten Teils der AO selbst vollstrecken kann, steht der Steuerbescheid einem vollstreckbaren (zivilrechtlichen) Schuldtitel gleich.

Die Einlegung eines Einspruchs durch den Erblasser zu dessen Lebzeiten führt nicht dazu, dass die wirtschaftliche Belastung durch die festgesetzte Steuer wegfällt. Will das für die Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt eine niedrigere als die festgesetzte Steuer als Nachlassverbindlichkeit ansetzen, bedarf es dafür besonderer Gründe, die den sicheren Schluss zulassen, dass das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt die Steuer materiell-rechtlich unzutreffend festgesetzt hat und der zugrunde liegende Bescheid im Einspruchsverfahren aufgehoben oder geändert wird. Der bloße Verweis darauf, dass der Steuerbescheid mit dem Einspruch angefochten wurde und daher die materiell-rechtlich zutreffende Höhe noch nicht genau feststeht, reicht dafür nicht aus.

Dasselbe gilt für die Gewährung der AdV. Diese bewirkt für den Zeitraum ihrer Wirksamkeit nur, dass das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt entgegen § 361 Abs. 1 Satz 1 AO und § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht aus dem angefochtenen Bescheid vollstrecken und die festgesetzte Steuer beitreiben kann. Der Steuerpflichtige bleibt gleichwohl in Höhe der festgesetzten Steuer belastet, er muss sie nur nicht während der Dauer der AdV entrichten. Beruht die AdV auf ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung (vgl. § 361 Abs. 2 Satz 2 AO, § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO), ändert das nichts an der wirtschaftlichen Belastung durch die festgesetzte Einkommensteuer. Die Gewährung der AdV begründet noch keinen sicheren Schluss, dass der Bescheid aufgehoben werden wird.

Der Verweis des Finanzamtes auf die Rechtsprechung zur ertragsteuerrechtlichen Berücksichtigung ungewisser Verbindlichkeiten6 führt zu keinem anderen Ergebnis. Dabei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für den Ansatz von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches trotz des unterschiedlichen Regelungsbereichs mit denen für den Ansatz von Nachlassverbindlichkeiten im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung überhaupt vergleichbar sind. Voraussetzung für die Bildung von Rückstellungen für ungewisse öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten ist eine hinreichende Konkretisierung durch Gesetz oder Verwaltungsakt7. Spätestens mit der Festsetzung einer Steuerschuld durch Steuerbescheid ist die durch sie begründete öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit hinreichend konkret und stellt ab diesem Zeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dar.

Sind die Voraussetzungen für den Ansatz von Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG erfüllt, hat die Finanzbehörde diese bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer zu berücksichtigen. Die Möglichkeit, den Bescheid nach § 165 AO vorläufig zu erlassen, steht dem nicht entgegen, sondern ist eine u.U. notwendige Begleitregelung. Bei der Entscheidung darüber handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde8. Dagegen besteht bei der Entscheidung über den Abzug von Nachlassverbindlichkeiten im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung kein Ermessen. Liegen die Voraussetzungen für den Abzug im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung vor und ist lediglich ungewiss, ob diese auch nach weiterer Prüfung rechtlich Bestand haben werden, sind die Nachlassverbindlichkeiten bei der Steuerfestsetzung abzuziehen. Die Nachlassverbindlichkeiten in einem solchen Fall trotz Vorliegens der Voraussetzungen (vorläufig) nicht anzuerkennen, würde § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG zuwiderlaufen. Insoweit gilt etwas anderes als z.B. beim Vorläufigkeitsvermerk in Liebhabereifällen, bei dem es ermessensfehlerfrei sein kann, die Steuer zunächst ohne Berücksichtigung von Verlusten festzusetzen9.

Nach diesen Grundsätzen sind die gegen den Erblasser festgesetzten Einkommensteuern 1996 und 1999, auch soweit die Bescheide von der Vollziehung ausgesetzt sind, als Nachlassverbindlichkeiten steuermindernd zu berücksichtigen.

Der bloße Hinweis auf die anhängigen Rechtsbehelfsverfahren und die gewährte AdV reicht für sich allein nicht aus, die gegen den Erblasser festgesetzten Steuern im Erbschaftsteuerbescheid nicht anzusetzen. Das lange andauernde finanzgerichtliche Verfahren bezüglich der Einkommensteuer zeigt zudem, dass die materiellen Rechtsfragen im Streitfall kompliziert und umstritten sind. Das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt hat offensichtlich die Festsetzung der Einkommensteuer trotz der umfassend gewährten AdV noch nicht geändert oder zurückgenommen.

Die im Hinblick auf die endgültige Festsetzung der Einkommensteuer vorläufige Festsetzung der Erbschaftsteuer steht der Anerkennung der Verbindlichkeiten nicht entgegen. Vielmehr ermöglicht die Vorläufigkeit dem Finanzamt, die Festsetzung der Erbschaftsteuer nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO entsprechend zu ändern, wenn die Einkommensteuerfestsetzung ganz oder teilweise aufgehoben wird.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. November 2018 – II R 34/15

  1. vgl. BFH, Urteil vom 04.07.2012 – II R 15/11, BFHE 238, 233, BStBl II 2012, 790, Rz 13 ff.[]
  2. vgl. BFH, Urteile in BFHE 238, 233, BStBl II 2012, 790, Rz 13; und vom 28.10.2015 – II R 46/13, BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477, Rz 12[]
  3. vgl. BFH, Urteil in BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477, Rz 12, m.w.N.[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477, Rz 14[]
  5. vgl. BFH, Urteil in BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477, Rz 18[]
  6. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 25.01.2017 – I R 70/15, BFHE 257, 66, BStBl II 2017, 780, zu Rückstellungen für Entsorgungsverpflichtungen[]
  7. vgl. BFH, Urteil in BFHE 257, 66, BStBl II 2017, 780, Rz 21[]
  8. vgl. BFH, Urteil vom 17.12 2014 – I R 32/13, BFHE 248, 110, BStBl II 2015, 575; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 165 AO Rz 25[]
  9. vgl. BFH, Urteil vom 27.11.2008 – IV R 17/06, HFR 2009, 771[]

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