Die reine Autorenlesung vor Publikum ist weder eine Theatervorführung noch eine den Theatervorführungen vergleichbare Darbietung. Eine Autorenlesung vor Publikum kann jedoch theaterähnlich sein, so dass die Eintrittsberechtigungen hierfür dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen.

Die Entgelte für Autorenlesungen vor Publikum sind umsatzsteuerpflichtig. Die Voraussetzungen der im Streitfall allein in Betracht kommenden nationalen Steuerbefreiungsvorschriften in § 4 Nr.20 Buchst. a bzw. § 4 Nr.20 Buchst. b UStG sind nicht erfüllt, denn die Autorin verfügt nicht i.d.R. über eine nach § 4 Nr.20 Buchst. a Satz 2 UStG erforderliche Bescheinigung einer zuständigen Landesbehörde; sie ist auch kein Veranstalter i.S. von § 4 Nr.20 Buchst. b UStG. Eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. n MwStSystRL 2006/112/EG scheidet ebenfalls aus, weil die Klägerin keine anerkannte Einrichtung im Sinne dieser Bestimmung ist1.
Die von der Klägerin erbrachten Leistungen unterliegen im hier entschiedenen Fall jedoch nicht dem Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG, sondern gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG dem ermäßigten Steuersatz.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG ermäßigt sich die Steuer (von 19 %) auf 7 % für die Eintrittsberechtigung für Theater, Konzerte und Museen sowie die den Theatervorführungen und Konzerten vergleichbaren Darbietungen ausübender Künstler.
Unionsrechtliche Grundlage für § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG ist Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang – III Kategorie 7 und 9 der MwStSystRL2. Danach können die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen ermäßigten Steuersatz anwenden auf die Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen, Theater, Zirkus, Jahrmärkte, Vergnügungsparks, Konzerte, Museen, Tierparks, Kinos und Ausstellungen sowie ähnliche kulturelle Ereignisse und Einrichtungen (Nr. 7). Dasselbe gilt für Werke bzw. Darbietungen von Schriftstellern, Komponisten und ausübenden Künstlern sowie deren Urheberrechte (Nr. 9).
Zweck der Steuerermäßigung ist, zugunsten der Besucher entsprechender Veranstaltungen eine Preiserhöhung zu vermeiden3.
Seit der mit Wirkung vom 16.12 2004 erfolgten Änderung des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG durch Art. 5 Nr. 8 des Gesetzes zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 09.12 20044 kann offenbleiben, ob die Klägerin mit dem Abhalten der jeweiligen Lesung eine sonstige Leistung gegenüber einem Veranstalter oder eine sonstige Leistung als Veranstalterin gegenüber dem Publikum bewirkt hat5.
Der Bundesfinanzhof versteht unter Theatervorführungen i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG nicht nur Aufführungen von Theaterstücken, Opern und Operetten, sondern auch Darbietungen der Pantomime und Tanzkunst, der Kleinkunst und des Varietés sowie Puppenspiele und Eisrevuen6. Begünstigt sind auch „Mischformen“ von Sprech, Musik- und Tanzdarbietungen, so dass eine Unterhaltungsshow in Gestalt einer Kampfkunstshow (sog. „Budo-Gala“) ebenfalls eine Theatervorführung i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG sein kann7. Das gilt auch für eine Feuerwerksveranstaltung mit Vorführung kreativer Kombinationen von Farb- und Klangelementen8.
Allerdings kann die Steuervergünstigung nur in Anspruch genommen werden, wenn eine Vorführung zumindest entweder als „theaterähnlich“ oder als „konzertähnlich“ einzustufen ist9 und dies der Hauptbestandteil der Veranstaltung ist10.
„Theater“ bezeichnet alle Formen szenischer Darstellung sowie die künstlerische Kommunikation zwischen Darstellern und Zuschauern11. Hierzu zu zählen ist als eine Form der „Kleinkunst“ auch die „Rezitation“, unter der der künstlerische Vortrag verstanden wird12. Deren Ziel ist es, literarische Werke mit Hilfe von Sprache hörbar zu machen, wobei Interpretationstechniken wie Atemtechnik, Stimmtechnik sowie Sprechtechnik von Bedeutung sind; der Vortragende transportiert mit Hilfe der Stimme, Sprache, Körperhaltung und Bewegung Emotionen und Gedanken zum Zuhörer13. Diesem wird der Stoff in einer Form und auf einer Ebene näher gebracht, die eine Auseinandersetzung mit ihm erlaubt, zum Nachdenken anregt und unterhält14.
Ebenso, wie das bloße Abspielen eines Tonträgers kein Konzert ist15, stellt das reine Vorlesen eines Autors aus seinem Buch vor Publikum weder eine Theatervorführung noch eine den Theatervorführungen vergleichbare Darbietung eines ausübenden Künstlers i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG dar16. Auch eine Frage- oder Autogrammstunde ist keine begünstigte Veranstaltung.
Ausgehend von diesen Grundsätzen unterliegt die Autorenlesung im hier entschiedenen Fall gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG dem ermäßigten Steuersatz:
Nach den getroffenen Feststellungen hat die Klägerin ihr literarisches Werk auf andere Weise, nämlich in Form von Lesungen, dargeboten. Bei ihren Lesungen veränderte sie häufig ihre Stimme zum Ausdruck besonderer Situationen oder zur Darstellung handelnder Personen und unterstrich dies mit Mimik, Körperhaltung und Bewegung, wodurch sie beim Publikum Emotionen hervorrief. Sie unterbrach das eigentliche Lesen des Buches immer wieder für Erläuterungen, die mehr oder weniger Bezug zum Buch hatten. Stellenweise geriet die Lesung völlig in den Hintergrund; mit Zwischenbemerkungen und Erzählen von Geschichten außerhalb des Buches erreichte ihre Darbietung teilweise auch kabarettistische Züge.
Soweit das Finanzamt geltend macht, aufgrund des autobiografischen Inhalts des Werkes fehle es an dem für eine Theatervorführung prägenden Merkmal des Rollenwechsels bzw. Rollenspiels, ist dieses Vorbringen bereits nicht schlüssig, zumal das Buch, aus dem die Klägerin vorgelesen hat, auch als Theaterstück aufgeführt worden ist.
Schließlich geht der Einwand des Finanzamt, die Theatervorführung müsse den eigentlichen Zweck der Veranstaltung ausmachen17, ins Leere. Das Finanzgericht hat weder festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), dass die Klägerin neben ihren Darbietungen bei den Lesungen weitere selbständige Leistungen erbracht hätte, noch dass die Vermarktung ihres Werkes das prägende Element der Veranstaltungen gewesen sei.
Ein bloßes Vermarktungsinteresse der Klägerin bzw. des Verlags spricht nicht gegen das Vorliegen einer theaterähnlichen Veranstaltung.
Das Ergebnis entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.
Die Aufzählung in Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang – III Kategorie 7 und 9 der MwStSystRL ergibt, dass die Richtlinie den EU-Mitgliedstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum einräumt18.
Zwar sind Bestimmungen, die Ausnahmen von einem allgemeinen Grundsatz darstellen, eng auszulegen, was auch für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gilt19. Die Beurteilung des Finanzgericht im Streitfall, wonach die von der Klägerin gezeigten Darbietungen in den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG fallen, steht aber im Einklang mit dem Wortlaut und dem Zweck der genannten Richtlinienbestimmungen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 25. Februar 2015 – XI R 35/12
- vgl. dazu z.B. BFH, Urteil vom 18.02.2010 – V R 28/08, BFHE 228, 474, BStBl II 2010, 876, Rz 25[↩]
- BT-Drs. 15/3677, S. 41[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 26.04.1995 – XI R 20/94, BFHE 177, 548, BStBl II 1995, 519; vom 09.10.2003 – V R 86/01, BFH/NV 2004, 984[↩]
- BGBl I 2004, 3310[↩]
- vgl. dazu EuGH, Urteil vom 23.10.2003 – C-109/02, Kommission/Deutschland, Slg. 2003, I-12691, Rz 28; Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 12 Rz 250[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 177, 548, BStBl II 1995, 519; in BFH/NV 2004, 984, unter II. 1.a; vom 19.10.2011 – XI R 40/09, BFH/NV 2012, 798, Rz 33; vom 10.01.2013 – V R 31/10, BFHE 240, 380, BStBl II 2013, 352, Rz 42; s.a. Abschn. 12.05. Abs. 2 Satz 5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses -UStAE-[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFH/NV 2004, 984, unter II. 1.a und c, m.w.N.; in BFHE 240, 380, BStBl II 2013, 352, Rz 42[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 30.04.2014 – XI R 34/12, BFHE 245, 409, BStBl II 2015, 166[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 18.08.2005 – V R 50/04, BFHE 211, 557, BStBl II 2006, 101, unter II. 3.a; in BFHE 245, 409, BStBl II 2015, 166, Rz 23[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 177, 548, BStBl II 1995, 519; in BFHE 240, 380, BStBl II 2013, 352, Rz 43[↩]
- Brockhaus, Enzyklopädie, 21. Aufl.[↩]
- Brockhaus, Enzyklopädie, a.a.O.[↩]
- vgl. FG Hamburg, Urteil vom 28.05.2009 – 1 K 53/08, EFG 2009, 1878, rkr.[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.07.2008 – 9 B 80/07, HFR 2009, 313, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2009, 25, Rz 7[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 211, 557, BStBl II 2006, 101, unter II. 3.b[↩]
- vgl. Abschn. 12.07. Abs. 8 Satz 2 UStAE zu § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile in BFHE 177, 548, BStBl II 1995, 519, und in BFHE 240, 380, BStBl II 2013, 352[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 2004, 984, unter II. 2.[↩]
- vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 18.01.2001 – C-83/99, Kommission/Spanien, Slg. 2001, I-445, UR 2001, 210, Rz 19[↩]