Der MDK-Gutachter – und die Umsatzsteuer

Das Leistungsmerkmal „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden“ setzt voraus, dass die betreffenden Lieferungen bzw. Dienstleistungen jedenfalls für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze unerlässlich sind. Dienstleistungen, die die Erstellung von Gutachten zur Pflegebedürftigkeit betreffen, müssen nicht unmittelbar an die pflegebedürftigen Personen erbracht werden, um als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden angesehen werden zu können.

Der MDK-Gutachter – und die Umsatzsteuer

Die Anerkennung eines Gutachters als Einrichtung mit sozialem Charakter folgt nicht aus einer bloß mittelbaren Erstattung der Kosten für die Gutachtertätigkeit über den MDK, ohne dass dies auf einer expliziten Entscheidung der Pflegekasse beruht oder der Gutachter die Möglichkeit genutzt hätte, in Bezug auf diese Tätigkeit mit der Pflegekasse einen entsprechenden Vertrag zu schließen.

Dies entschied jetzt der Bundesfinanzhof in Umsetzung des auf einen entsprechenden Vorlagebeschlusses des Bundesfinanzhofs in dieser Sache 1 ergangenen „Finanzamt D“-Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union2 und unter teilweiser Aufgabe seiner bisherigen Rechtssprechung.

In diesem Urteil hat der Unionsgerichtshof zur Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MWStSystRL entschieden:

„Art. 132 Abs. 1 Buchst. g ist dahin auszulegen, dass

  • die durch einen unabhängigen Gutachter im Auftrag des Medizinischen Dienstes einer Pflegekasse erfolgende Erstellung von Gutachten zur Pflegebedürftigkeit, die von dieser Pflegekasse zur Ermittlung des Umfangs etwaiger Ansprüche ihrer Versicherten auf Leistungen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verwendet werden, eine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung darstellt, soweit sie für die sachgerechte Bewirkung der Umsätze in diesem Bereich unerlässlich ist;
  • diese Vorschrift dem nicht entgegensteht, dass diesem Gutachter die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter verwehrt wird, auch wenn er erstens seine in der Erstellung von Gutachten zur Pflegebedürftigkeit bestehenden Leistungen als Subunternehmer im Auftrag des genannten Medizinischen Dienstes erbringt, der als eine solche Einrichtung anerkannt worden ist, zweitens die Kosten der Erstellung dieser Gutachten indirekt und pauschal von der betreffenden Pflegekasse getragen werden und drittens der genannte Gutachter nach innerstaatlichem Recht die Möglichkeit hat, unmittelbar mit dieser Kasse einen Vertrag über die Erstellung der Gutachten zu schließen, um in den Genuss dieser Anerkennung zu gelangen, von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch gemacht hat.“

Diese Entscheidung des Unionsgerichtshofs führte nun im vorliegenden Fall zur Aufhebung der Vorentscheidung der Vorentscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts3 und insoweit zur Klageabweisung; das Niedersächsische Finanzgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass die gutachterlichen Leistungen der hier klagenden Gutachterin (hier: einer ausgebildeten Krankenschwester mit medizinischer Grundausbildung und akademischer Ausbildung im Bereich der Pflegewissenschaft sowie einer Weiterbildung in Qualitätsmanagement im Bereich der Pflege) nach nationalem Recht nicht von der Umsatzsteuer befreit sind. Allerdings hat es zu Unrecht entschieden, dass sich die Gutachterin auf die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung berufen könne:

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Wie das Niedersächsische Finanzgericht zutreffend erkannt hat, sind die gutachterlichen Leistungen der Gutachterin gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG steuerbar und nach nationalem Recht auch steuerpflichtig, da die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach § 4 UStG nicht erfüllt sind.

Es liegt keine steuerfreie Heilbehandlung nach § 4 Nr. 14 UStG vor. Denn die Gutachtertätigkeit des MDK und damit auch die der Gutachterin dienen ihrem Hauptzweck nach weder der Behandlung, Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit – sie dienen vielmehr als Grundlage für die Feststellung, in welcher Höhe dem Versicherten ein Anspruch auf Ersatz von Kosten nach dem Gesetz über die Pflegeversicherung zusteht.

Wird eine Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit ist, sondern die Erstattung eines Gutachtens, das Voraussetzung einer Entscheidung ist, die Rechtswirkungen erzeugt, so liegt keine Heilbehandlung im Sinne des Unionsrechts4 und i.S. des § 4 Nr. 14 UStG vor5.

So liegt der Fall hier. Der Entscheidung der Pflegekasse über die Gewährung von Leistungen nach § 28 SGB XI geht ein Verwaltungsverfahren voraus. Ein unselbständiger Verfahrensschritt in diesem Verfahren ist die Begutachtung, ob eine Pflegebedürftigkeit vorliegt.

Nach dem Aufgabenkatalog der §§ 275 und 276 Abs. 6 SGB V sind die Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen verpflichtet, eine gutachterliche Stellungnahme des MDK einzuholen. Die Aufgaben des MDK im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung ergeben sich zusätzlich zu den Bestimmungen des SGB V aus den Vorschriften des SGB XI.

Insofern regelt § 18 SGB XI, wie der Gutachter -ein Mitarbeiter eines MDK oder (ab 30.10.2012) auch ein unabhängiger Gutachter- in das Verwaltungsverfahren zur Entscheidung über die Gewährung von Leistungen einzubeziehen ist. Ihm kommt die zentrale Aufgabe zu, den Pflegekassen den notwendigen medizinisch-pflegerischen Sachverstand zu verschaffen. Zu prüfen sind vor allem, ob eine Pflegebedürftigkeit vorliegt und welchem Pflegegrad diese zuzuordnen ist. Weiterhin kann z.B. der Zeitanteil der Pflegeversicherung bei der Pflege von Personen mit besonders hohem Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen festzustellen sein. Die Feststellung dieser Tatbestandsmerkmale erfolgt jedoch nicht durch den Gutachter, sondern durch die Pflegekasse, welche sich seiner sachkundigen Hilfe bedient und die Entscheidung über die Gewährung der beantragten Leistung unter Berücksichtigung der gutachterlichen Stellungnahme, aber möglicherweise auch anderer Beweismittel, trifft6.

Durch § 275 Abs. 5 SGB V wird schließlich klargestellt, dass die Ärzte des MDK nicht berechtigt sind, in die ärztliche Behandlung einzugreifen. Aufgabe des MDK ist somit die Begutachtung für Zwecke der Sozialversicherung, nicht die Therapie7.

Da es sich bei den Leistungen der Gutachterin auch nicht um Leistungen zur Betreuung oder Pflege von Personen handelt, ist § 4 Nr. 16 UStG nicht anwendbar.

Schließlich sind sowohl nach § 4 Nr. 15 UStG als auch nach § 4 Nr. 15a UStG nur die Umsätze der darin genannten Einrichtungen (z.B. der Sozialversicherungsträger bzw. des MDK) steuerfrei. Die Gutachterin entspricht dieser Vorgabe nicht.

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Denn der MDK ist jeweils die nach § 278 Abs. 2 SGB V in jedem Land von den Landesverbänden der Orts, Betriebs- und Innungskrankenkassen, landwirtschaftlichen Krankenkassen und der Verbände der Ersatzkassen errichtete und gemeinsam getragene Arbeitsgemeinschaft „Medizinischer Dienst der Krankenversicherung“. Die Pflegekassen, die gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 SGB XI bei der Krankenkasse errichtet werden, sind selbst nicht Mitglieder der MDK-Arbeitsgemeinschaften. Ebenso wenig ist die vom MDK beauftragte Gutachterin Teil des MDK.

Entgegen der Auffassung des Niedersächsischen Finanzgericht kann sich die Gutachterin nicht auf eine Steuerfreiheit ihrer Leistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen, auch wenn sie im Rahmen ihrer Gutachtertätigkeit eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen im Sinne dieser Vorschrift bewirkte.

Nach dem Urteil „Finanzamt D“ des Unionsgerichtshof8 setzt das Leistungsmerkmal „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden“ in Anbetracht der Regelung des Art. 134 Buchst. a MwStSystRL voraus, dass die betreffenden Lieferungen von Gegenständen bzw. Dienstleistungen jedenfalls für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze unerlässlich sein müssen.

Diesem Erfordernis werden die von der Gutachterin erbrachten gutachterlichen Leistungen gerecht. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien9 ist für eine ganzheitliche Beurteilung der Pflegesituation, insbesondere der Behinderung und des Hilfsbedarfs, die Beteiligung von Pflegefachkräften und anderer geeigneter Fachkräfte (z.B. Heil- und Sozialpädagogen, Sozialarbeiter, Psychologen), die entweder beim MDK angestellt oder von ihm im Einzelfall beauftragt werden, unverzichtbar. Ferner sieht Abschn. B 1 der Richtlinien des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit (Begutachtungsrichtlinien -BRi- i.d.F. vom 08.06.2009) die Beteiligung von externen Kräften bei der Erstellung von Gutachten des MDK zur Bewältigung von Antragsspitzen und zu speziellen gutachterlichen Fragestellungen vor10.

Soweit der Bundesfinanzhof mit seinem Vorlagebeschluss für den Streitfall unionsrechtliche Zweifel am Vorliegen eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundener Umsätze äußerte, weil die Gutachterin ihre Leistungen nicht an den jeweiligen Hilfsbedürftigen, sondern an den MDK erbracht hat, hat der EuGH mit Urteil „Finanzamt D“11 darauf geantwortet, dass weder der Wortlaut des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL noch sein Zweck Anhaltspunkte dafür geben, dass von dieser Steuerbefreiung solche Dienstleistungen ausgeschlossen wären, die -ohne unmittelbar an die genannten Personen erbracht zu werden- für die Umsätze im Bereich der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unerlässlich sind.

Die Mehrwertsteuerbefreiung von Dienstleistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL hängt nicht davon ab, an wen diese erbracht werden, sofern sie einen für die Durchführung der Maßnahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unerlässlichen Schritt darstellen und ihre Belastung mit der Mehrwertsteuer daher zwangsläufig dazu führen würde, die Kosten der genannten Umsätze zu erhöhen12. Deshalb müssen Dienstleistungen, die die Erstellung von Gutachten zur Pflegebedürftigkeit betreffen, nicht unbedingt unmittelbar an die pflegebedürftigen Personen erbracht werden, um als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden angesehen werden zu können13. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass die betreffenden Dienstleistungen von der Gutachterin als Subunternehmerin an einen anderen Steuerpflichtigen, den MDK, erbracht wurden, der sie benötigte, um seine eigenen steuerbefreiten Leistungen für die betreffende Pflegekasse zu erbringen14.

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Danach steht die Tatsache, dass die Gutachterin ihre gutachterlichen Leistungen nicht gegenüber den begutachteten Personen, sondern gegenüber dem MDK erbracht hat, der Annahme eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundener Leistungen nicht entgegen. Soweit sich demgegenüber aus dem BFH-Urteil vom 01.12.201015 etwas anderes ergibt, hält der Bundesfinanzhof hieran nicht mehr fest.

Auf die weiteren vom Bundesfinanzhof formulierten Zweifel am Vorliegen eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundener Leistungen16 hat der EuGH mit seinem Urteil „Finanzamt D“17 schließlich geantwortet, aus seinem Urteil „Unterpertinger“18 folge nicht, dass „die Erstellung von Gutachten zur Pflegebedürftigkeit einer Person, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, für die Umsätze der betreffenden Kasse im Bereich der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit nicht unerlässlich und nicht eng damit verbunden wäre“.

Die Gutachterin ist jedoch nicht von der Bundesrepublik Deutschland als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt.

Der -in Bezug auf die Gutachterin einzig in Betracht kommende- Begriff der Einrichtung mit sozialem Charakter i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ist zwar grundsätzlich weit genug, um auch natürliche Personen und private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen19.

Allerdings sollen durch Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL, wie sich aus der Überschrift von Titel IX. Kap. 2 der MwStSystRL ergibt (vormals Art. 13 Teil A der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern -Richtlinie 77/388/EWG- bzw. dessen Überschrift), „bestimmte“ dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer befreit werden. Durch diese Vorschrift werden nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer befreit, sondern nur diejenigen, die in ihr einzeln aufgeführt und sehr genau beschrieben sind20. Folglich kann nicht jede Person, die eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit ausübt, als eine vom Mitgliedstaat anerkannte Einrichtung angesehen werden; sonst würden die in Art. 132 MwStSystRL (vormals Art. 13 Teil A der Richtlinie 77/388/EWG) enthaltenen personellen Voraussetzungen der einzelnen Steuerbefreiungen durch die Rechtsprechung beseitigt21.

132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL (vormals Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG) legt weder die Voraussetzungen noch die Modalitäten einer Anerkennung des sozialen Charakters von anderen Einrichtungen als solchen des öffentlichen Rechts fest. Vielmehr ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen diesen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann, wobei die Mitgliedstaaten über ein Ermessen verfügen22. Dabei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen23. Zu diesen gehören

  • das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann,
  • das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse,
  • die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und
  • die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit24.
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Diese für die Anerkennung maßgeblichen Kriterien müssen nicht kumulativ vorliegen25.

Bezogen auf die Gutachterin hat der EuGH mit Urteil „Finanzamt D“26 zur Frage der Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter ausgeführt:

Im vorliegenden Fall hat die Revisionsbeklagte des Ausgangsverfahrens ihre Dienstleistungen zwar als Subunternehmerin des MDK erbracht, der nach deutschem Recht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt ist, doch ist sie selbst nicht in diese Anerkennung einbezogen worden. Nach den Erläuterungen, die insbesondere das Finanzamt und die deutsche Regierung vorgebracht haben, können unabhängige Gutachter zwar unter den in § 4 Nr. 16 Buchst. k (ab dem 1.07.2013: Buchst. l) UStG genannten Voraussetzungen als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt werden, wenn sie unmittelbar mit der Pflegekasse einen Vertrag über die Erbringung der betreffenden Leistungen schließen, wobei der unmittelbare Abschluss eines solchen Vertrags es der Pflegekasse ermögliche, die fachliche Qualifikation der Gutachter selbst zu prüfen und somit die Qualität der erbrachten Dienstleistungen zu gewährleisten. Indessen wird in diesen Erläuterungen weiter ausgeführt, die Revisionsbeklagte des Ausgangsverfahrens habe keinen solchen Vertrag abgeschlossen, so dass sie sich nicht auf eine derartige Anerkennung nach deutschem Recht berufen könne.

Erstens genügt der Umstand, dass das Tätigwerden unabhängiger Gutachter bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit der Versicherten einer Pflegekasse in Abschnitt B 1 der in Rn. 11 des vorliegenden Urteils angeführten Richtlinien vorgesehen ist, als solcher nicht, um den sozialen Charakter der betreffenden Gutachter festzustellen, da das Bestehen spezifischer Vorschriften über die von diesen Gutachtern erbrachten Dienstleistungen nur ein Gesichtspunkt unter anderen ist, die bei der Prüfung des sozialen Charakters zu berücksichtigen sind27. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als aus diesen Richtlinien hervorzugehen scheint, dass die Möglichkeit, unabhängige Gutachter heranzuziehen, nur ‚ausnahmsweise‘ besteht, insbesondere zur Bewältigung von ‚Antragsspitzen‘.

Ließe man die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter allein daraus folgen, dass der betreffende Steuerpflichtige von einem anderen, bereits als solche Einrichtung anerkannten Steuerpflichtigen beauftragt wurde, liefe dies im Übrigen im Ergebnis darauf hinaus, Letzteren zur Ausübung des dem Mitgliedstaat eingeräumten Ermessens zu ermächtigen, und schüfe das Risiko, wie die deutsche Regierung im Wesentlichen ausgeführt hat, eine Umgehung der im nationalen Recht aufgestellten Anerkennungskriterien zu ermöglichen.

Zweitens stellt die Tatsache, dass die Kosten der betreffenden Leistungen zu einem großen Teil von einer Einrichtung der sozialen Sicherheit wie der Pflegekasse getragen werden, zwar einen Gesichtspunkt dar, der bei der Prüfung, ob der betreffende Steuerpflichtige eine Einrichtung mit sozialem Charakter ist, zu berücksichtigen ist, doch ist dieser Gesichtspunkt weniger bedeutend, wenn die Übernahme dieser Kosten durch die Pflegekasse wie im vorliegenden Fall nur indirekt über den MDK erfolgt, ohne auf einer expliziten Entscheidung der Kasse zu beruhen oder aus einem zwischen ihr und dem betreffenden Steuerpflichtigen geschlossenen Vertrag über die Erbringung der betreffenden Leistungen hervorzugehen. Insoweit kann es nicht ausreichen, dass ein Vertragsschluss lediglich möglich ist, ohne dass diese Möglichkeit genutzt worden wäre.

Soweit der BFH in seiner bisherigen Rechtsprechung28 demgegenüber entschieden hat, dass es für die Anerkennung bereits ausreiche, dass die Kosten mittelbar (durchgeleitet) von Einrichtungen der sozialen Sicherheit getragen werden, auch wenn -wie beim Subunternehmer- keine direkten vertraglichen Beziehungen zum öffentlichen Träger bestehen, kann daran nicht mehr festgehalten werden. Diese Auffassung ist nach Ergehen des EuGH-Urteils „Finanzamt D“26 überholt, jedenfalls soweit die mittelbare Kostenübernahme nicht auf einer expliziten Entscheidung einer Einrichtung der sozialen Sicherheit beruht.

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Die Gutachterin ist bei Anwendung der genannten -auch einzelner oder mehrerer- Kriterien nicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt.

Eine entsprechende Anerkennung folgt im Streitfall insbesondere nicht aus der Übernahme der Kosten durch Einrichtungen der sozialen Sicherheit. Die Kosten für die Gutachtertätigkeit der Gutachterin wurden nur mittelbar über den MDK erstattet, ohne dass dies auf einer expliziten Entscheidung der Pflegekasse beruhte oder sie, die Gutachterin, die Möglichkeit genutzt hätte, in Bezug auf diese Tätigkeit mit der Pflegekasse einen entsprechenden Vertrag zu schließen. Ebenso genügt es nicht, wenn das Tätigwerden unabhängiger Gutachter in Abschn. B 1 der BRi vorgesehen ist.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 24. Februar 2021 – XI R 30/20

  1. BFH, Beschluss vom 10.04.2019 – XI R 11/17, BFHE 264, 478, BStBl II 2019, 683[]
  2. EuGH, Urteil vom 08.10.2020 – C-657/19, EU:C:2020:811[]
  3. Nds. FG, Urteil vom 09.06.2016 – 11 K 15/16[]
  4. EuGH, Urteile Unterpertinger vom 20.11.2003 – C-212/01, EU:C:2003:625, Rz 42 ff.; D’Ambrumenil und Dispute Resolution Services vom 20.11.2003 – C-307/01, EU:C:2003:627, Rz 61[]
  5. BFH, Beschluss vom 31.07.2007 – V B 98/06, BFHE 217, 94, BStBl II 2008, 35, unter II. 2.b, Rz 15; BFH, Urteil vom 08.10.2008 – V R 32/07, BFHE 222, 184, BStBl II 2009, 429, unter II. 1.a, Rz 11, m.w.N.[]
  6. vgl. Roller in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, § 18 Rz 11, 14[]
  7. vgl. BFH, Urteile vom 28.06.2000 – V R 72/99, BFHE 191, 463, BStBl II 2000, 554, unter II. 1.e, Rz 14 ff.; in BFHE 222, 184, BStBl II 2009, 429, unter II. 1.b, Rz 12; Tehler in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 15a Rz 41[]
  8. EuGH, EU:C:2020:811, Rz 31[]
  9. vgl. BT-Drs. 12/5952, 36[]
  10. vgl. BFH, Vorlagebeschluss in BFHE 264, 478, BStBl II 2019, 683, Rz 47[]
  11. EuGH, EU:C:2020:811, Rz 34[]
  12. EuGH, Urteil Finanzamt D, EU:C:2020:811, Rz 36[]
  13. EuGH, Urteil „Finanzamt D“, EU:C:2020:811, Rz 37[]
  14. EuGH, Urteil „Finanzamt D“, EU:C:2020:811, Rz 38 f.[]
  15. BFH, Urteil vom 01.12.2010 – XI R 46/08, BFHE 232, 232[]
  16. BFH, Vorlagebeschluss in BFHE 264, 478, BStBl II 2019, 683, Rz 52[]
  17. EuGH, EU:C:2020:811, Rz 40 f.[]
  18. EuGH, EU:C:2003:625[]
  19. vgl. dazu EuGH, Urteile Gregg vom 07.09.1999 – C-216/97, EU:C:1999:390, Rz 21; Kingscrest Associates und Montecello vom 26.05.2005 – C-498/03, EU:C:2005:322, Rz 35, 40; MDDP vom 28.11.2013 – C-319/12, EU:C:2013:778, Rz 28, 31; BFH, Urteile vom 29.03.2017 – XI R 6/16, BFHE 257, 471, Rz 28; vom 13.06.2018 – XI R 20/16, BFHE 262, 220, Rz 53, m.w.N.[]
  20. vgl. EuGH, Urteile Kommission/Deutschland vom 20.06.2002 – C-287/00, EU:C:2002:388, Rz 45; Horizon College vom 14.06.2007 – C-434/05, EU:C:2007:343, Rz 14; Canterbury Hockey Club und Canterbury Ladies Hockey Club vom 16.10.2008 – C-253/07, EU:C:2008:571, Rz 18; Mesto Žamberk vom 21.02.2013 – C-18/12, EU:C:2013:95, Rz 18; VDP Dental Laboratory u.a. vom 26.02.2015 – C-144/13, – C-154/13 und – C-160/13, EU:C:2015:116, Rz 45[]
  21. vgl. BFH, Urteil vom 07.12.2016 – XI R 5/15, BFHE 256, 550, Rz 30[]
  22. vgl. EuGH, Urteile Kügler vom 10.09.2002 – C-141/00, EU:C:2002:473, Rz 54; Zimmermann vom 15.11.2012 – C-174/11, EU:C:2012:716, Rz 26; Les Jardins de Jouvence vom 21.01.2016 – C-335/14, EU:C:2016:36, Rz 32; Finanzamt D, EU:C:2020:811, Rz 43[]
  23. vgl. BFH, Urteil in BFHE 256, 550, Rz 29[]
  24. vgl. EuGH, Urteil Finanzamt D, EU:C:2020:811, Rz 44, m.w.N.[]
  25. vgl. BFH, Urteile vom 25.04.2013 – V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 28; vom 06.04.2016 – V R 55/14, BFHE 253, 466, Rz 37; in BFHE 256, 550, Rz 33[]
  26. EuGH, EU:C:2020:811[][]
  27. vgl. entsprechend EuGH, Urteil vom 21.01.2016, „Les Jardins de Jouvence“, – C-335/14, EU:C:2016:36, Rn. 39[]
  28. insbesondere BFH, Urteile vom 18.08.2015 – V R 13/14, BFHE 251, 282, Rz 21;, in BFHE 253, 466, Rz 36; in BFHE 256, 550, Rz 35; und in BFHE 262, 220, Rz 60[]
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Personalgestellungs- und Beratungsleistungen einer Spielbank

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