Hausnotrufsystem – und seine Umsatzsteuerfreiheit

Die für die Umsatzsteuerfreiheit von Betreuungsleistungen erforderliche Kostentragung durch die Pflegekasse kann sich beim Betrieb eines Hausnotrufsystems aus der Zuerkennung einer Pflegestufe ergeben.

Hausnotrufsystem – und seine Umsatzsteuerfreiheit

Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 16 UStG die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen. Nach Buchst. k musste es sich zudem um Einrichtungen, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind, handeln.

Diese Vorschrift beruht unionsrechtlich auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Danach befreien die Mitgliedstaaten die „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“.

Ob Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle i.S. von § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet wurden, entscheidet sich nach Maßgabe sozialversicherungsrechtlicher Regelungen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass diese Vorschrift dem leistenden Unternehmer die Anwendung der Steuerfreiheit ermöglichen will und daher unter praktikablen Bedingungen anwendbar sein muss. Dies gilt umso mehr, als die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit gerade in den Fällen ermöglicht werden soll, in denen es an unmittelbaren Vertragsbeziehungen zu z.B. Sozialversicherungsträgern, wie nach § 4 Nr. 16 Buchst. b ff. UStG vorausgesetzt, fehlt.

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Daher ist § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG insbesondere dann anzuwenden, wenn der Unternehmer die Erstattung der Kosten, die seinen Leistungsempfängern aufgrund seiner Leistung entstanden sind, durch Sozialversicherungsträger konkret nachweisen kann.

Entgegen dem Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg1 kann die in § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG vorgesehene Vergütungsbedingung aber auch in anderer Weise nachgewiesen werden. Steht z.B. fest, dass die Empfänger der durch den Unternehmer erbrachten Leistungen aufgrund der Zuerkennung einer Pflegestufe nach § 15 SGB XI zum Leistungsbezug nach §§ 36 ff. SGB XI berechtigt sind, kann für diese Leistungsempfänger eine Kostentragung durch die Pflegekassen als Sozialversicherungsträger unterstellt werden, zumal für § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG keine ausschließliche Vergütung durch den Sozialversicherungsträger erforderlich ist.

Bei dem hier betriebenen Hausnotrufsystem handelte es sich um eine Leistung, die von einem Sozialversicherungsträger vergütet werden kann. Denn nach § 40 Abs. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln. Dies bezieht sich auch auf technische Hilfsmittel, zu denen auch Hausnotrufanlagen gehören2. Zu den Anspruchsberechtigten gehören Pflegebedürftige der Pflegestufe – I3.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Hausnotrufsystem für den jeweiligen Pflegebedürftigen im jeweiligen Einzelfall konkret notwendig ist. Bei Zuerkennung einer der Pflegestufen des § 15 SGB XI ist dies zumindest für Zwecke der Umsatzsteuerfreiheit allgemein im Interesse eines handhabbaren Gesetzesvollzugs zu unterstellen. Dabei berücksichtigt der Bundesfinanzhof auch, dass die Hausnotrufbetreiberin den Betrieb der Seniorenresidenz bereits 2007 aufgenommen hatte und sie nach der bis einschließlich 2008 bestehenden Rechtslage berechtigt war, ihre Leistungen beim Betrieb des Hausnotrufs als steuerfreie Umsätze aus dem Betrieb eines Altenwohnheims anzusehen, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, so dass es erst ab dem Streitjahr 2009 für die Steuerfreiheit auf eine entsprechend § 15 SGB XI nachgewiesene Pflegebedürftigkeit ankommt. Der Hausnotrufbetreiberin war es bei dieser Sachlage nicht möglich, den Nachweis einer Kostentragung durch die Pflegekassen in anderer Weise z.B. durch Nachfragen bereits beim Vertragsschluss zu führen4.

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Es sind daher nunmehr im zweiten Rechtsgang durch das Finanzgericht weitere Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob entsprechend dem Vortrag der Hausnotrufbetreiberin die Leistungen des Hausnotrufs im Streitjahr 2009 zu 61 % und im Streitjahr 2010 zu 46 % an Personen mit Pflegestufe 1 bis 3 erbracht worden sind.

Vorsorglich weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass er bereits zu der früher bestehenden Rechtslage ausdrücklich entschieden hat, dass es sich bei einem Hausnotrufdienst um eine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter5 und damit auch um eine Einrichtung zur Betreuung hilfsbedürftiger Personen handeln kann. Hieran ist auch für die in den Streitjahren bestehende Rechtslage festzuhalten, da sonst für die Betreiber derartiger Dienste nach der seit 2009 geltenden Neuregelung keine Steuerfreiheit mehr bestünde. Dem entspricht es, dass die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass § 4 Nr. 16 UStG nur eine allgemeine Definition der Betreuungs- und Pflegeleistungen enthält und sich die steuerfreien Leistungen aus den weiteren Definitionen dieser Vorschrift ergeben (Abschn. 4.16.1 Abs. 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses). Diese sind somit letztlich auch für den Einrichtungsbegriff maßgeblich.

Nach diesen Grundsätzen ist auch über die durch die Betreuungspauschale vergüteten Leistungen zu entscheiden. Auch hier kommt es somit darauf an, ob diese Kosten für die Pflegekasse übernehmbar waren und mindestens 40 % der Empfänger dieser Leistung zum Kreis der Pflegebedürftigen nach § 15 SGB XI gehörten. Gegebenenfalls können Hausnotruf und allgemeine Pflegeleistung aufgrund einer Personenidentität von Leistenden und Leistungsempfänger für Zwecke des § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG als einheitliche Leistung angesehen werden. Für eine lediglich aus § 71 SGB XI abgeleitete Steuerfreiheit besteht demgegenüber nach der ab 2009 geltenden Neuregelung in § 4 Nr. 16 UStG keine Grundlage.

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Auf die Frage nach einer etwaigen Unionsrechtswidrigkeit kommt es im Streitfall erst an, wenn auch im zweiten Rechtsgang festgestellt würde, dass die Leistungen trotz der hohen Zahl von Bewohnern mit Pflegestufe nicht steuerfrei sind.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 3. August 2017 – V R 52/16

  1. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.06.2016 – 7 K 7107/13[]
  2. Reimer, in Hauck/Noftz, SGB, 03/15, § 40 SGB XI, Rz 10; Behrend, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl.2017, § 40 SGB XI, Rz 41[]
  3. vgl. z.B. SG Aachen, Urteil vom 09.08.2016 – S 20 SO 28/16, ZFSH/SGB, Sozialrecht in Deutschland und Europa 2016, 693[]
  4. vgl. zu Nachweispflichten allgemein z.B. BFH, Urteil vom 21.09.2016 – V R 50/15, BFHE 255, 216, unter II. 3.a bb[]
  5. BFH, Urteil vom 01.12 2010 – XI R 46/08, BFHE 232, 232, unter II. 2.b bb[]