Die Vermehrung von Knorpelzellen zur Reimplantation beim Patienten ist als Heilbehandlung umsatzsteuerfrei. Die Umsätze aus dem Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation zu therapeutischen Zwecken sind damit von der Umsatzsteuer befreit sind, wenn diese Tätigkeiten von Ärzten oder im Rahmen eines arztähnlichen Berufs ausgeübt werden.

Im jetzt vom Bundesfinanzhof entschiedenen Urteilsfall hatte ein deutsches Biotechnologie-Unternehmen von Ärzten oder Kliniken übersandtes Knorpelmaterial in seinem Labor so bearbeitet, dass die Gelenkknorpelzellen herausgelöst und nach spezieller Aufbereitung durch Züchtung vermehrt werden konnten. Die gezüchteten Zellen wurden dem behandelnden Arzt oder der Klinik zur Reimplantation beim Patienten zurückgesandt. Soweit diese Leistungen an Empfänger in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erbracht wurden, unterwarf das Unternehmen die Umsätze nicht der Umsatzsteuer, weil es sie für im Inland nicht steuerbar hielt.
Der Bundesfinanzhof folgte dieser Auffassung nicht, hielt es aber für möglich, dass die Umsätze der Klägerin gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG steuerfrei seien. Nach dieser Vorschrift sind u.a. Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit steuerfrei. Auf ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs1 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union, dass es sich bei Leistungen, wie sie die Klägerin ausgeführt habe, um Heilbehandlungen handele.
Nicht geklärt ist bislang aber, welche berufliche Qualifikation die Mitarbeiter der Klägerin haben, die die Zellvermehrungen durchgeführt haben. Steuerfrei gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG können diese Laborleistungen nur sein, wenn sie von Ärzten oder im Rahmen der Ausübung eines arztähnlichen Berufs erbracht werden.
Der Bundesfinanzhof wies deshalb die Sache an das Finanzgericht zurück, damit dieses Feststellungen zu der beruflichen Qualifikation der Mitarbeiter der Klägerin trifft und sodann entscheidet, ob die Steuerbefreiung zu gewähren ist.
Die Umsätze aus dem Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation zu therapeutischen Zwecken sind nach § 4 Nr. 14 UStG steuerbefreit, wenn diese Tätigkeiten von Ärzten oder im Rahmen eines arztähnlichen Berufs ausgeübt werden.
Der Bundesfinanzhof betont zunächst, dass auch hinsichtlich der exportierten Zellkulturen das Unternehmen ihre streitigen Leistungen im Inland erbracht hat. Bei den Heilbehandlungen handelt es sich um sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 i.V.m. Abs. 1 UStG). Der Ort dieser sonstigen Leistungen liegt gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG mangels einer abweichenden Vorschrift im Inland, da das Unternehmen ihr Unternehmen im Inland betreibt.
Nach § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG wird eine sonstige Leistung an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt, soweit nicht abweichende Vorschriften anzuwenden sind.
Gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG gilt unter bestimmten Voraussetzungen u.a. bei „Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen“ ein anderer Ort als Leistungsort.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit seinem zum Streitfall ergangenen Urteil entschieden, dass es sich bei Leistungen, wie sie das Unternehmen ausgeführt hat, um Heilbehandlungen i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG handelt2.
Damit ist die von § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG abweichende Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG nicht anwendbar. Denn die Annahme einer Heilbehandlung schließt aus, dass es sich um „Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen“ handelt3.
Aus den Schlussanträgen der Generalanwältin vom 29.07.2010 in dem den Streitfall betreffenden EuGH-Verfahren ergibt sich nichts Anderes. Die Generalanwältin hat nicht die Ansicht vertreten, die Leistungen seien dann als „Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen“ zu beurteilen, wenn eine Steuerbefreiung nach den nationalen Befreiungsvorschriften versagt werden sollte. Vielmehr hat sie zum Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals ausdrücklich nur vorsorglich für den Fall Stellung genommen, dass der Gerichtshof der Europäischen Union das Vorliegen einer Heilbehandlung verneinen sollte.
Die vom Europäischen Gerichtshof festgestellte Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin kann nur zu einer Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG führen, wenn die Laborleistungen des Unternehmens von Ärzten oder im Rahmen der Ausübung eines arztähnlichen Berufs erbracht worden sind.
Soweit das Finanzamt § 4 Nr. 14 UStG im Streitfall wegen eines fehlenden Vertrauensverhältnisses zwischen des Unternehmens und den Patienten für nicht anwendbar hält, vermag der Bundesfinanzhof dem nicht zu folgen.
Denn ein Vertrauensverhältnis zum Patienten ist nicht ausnahmslos Voraussetzung für die Steuerbefreiung einer Tätigkeit im Rahmen einer Heilbehandlung. Vielmehr übt nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 29. Januar 19984 auch eine medizinischtechnische Assistentin für Funktionsdiagnostik eine den in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG genannten Heilhilfsberufen ähnliche Tätigkeit aus mit der Folge, dass die entsprechenden Umsätze steuerfrei sind.
Danach ist wie der Bundesfinanzhof bereits in seinem Vorlagebeschluss5 für den Fall, dass der EuGH eine Heilbehandlung annehmen sollte, ausgeführt hat- die Steuerbefreiung bei einer entsprechenden beruflichen Qualifikation der Mitarbeiter des Unternehmens zu gewähren.
Auch der Gerichtshof der Europäischen Union geht davon aus, dass Laborleistungen im Rahmen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG, auf dem § 4 Nr. 14 UStG beruht, steuerbefreit sein können. Dies belegt sein Hinweis im vorliegenden Verfahren, dass die Annahme, die von des Unternehmens ausgeführten Tätigkeiten seien eine Heilbehandlung, im Einklang mit dem Zweck des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG stehe, die Kosten ärztlicher Heilbehandlung zu senken6.
Im Streitfall hat das Finanzgericht von seiner Rechtsauffassung ausgehend zu Recht- noch keine tatsächlichen Feststellungen zu der beruflichen Qualifikation der Mitarbeiter des Unternehmens getroffen. Es wird dies im zweiten Rechtsgang nachzuholen und unter Berücksichtigung der Grundsätze des BFH-Urteils in BFHE 185, 287, BStBl II 1998, 453 zu entscheiden haben, ob danach die Steuerbefreiung zu gewähren ist.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 29. Juni 2011 – XI R 52/07
- BFH, Beschluss vom 01.04.2009 – XI R 52/07[↩]
- EuGH, UR 2011, 215, HFR 2011, 121[↩]
- vgl. dazu EuGH, Urteil vom 06.03.1997 C167/95 Maatschap M.J.M. Linthorst, K.G.P. Pouwels en J. Scheren, Slg.1997, I1195, UR 1997, 217, Rz 17[↩]
- BFH, Urteil vom 29.01.1998 – V R 3/96, BFHE 185, 287, BStBl II 1998, 453[↩]
- BFHE 225, 236, BStBl II 2009, 563[↩]
- Rz 27 des Urteils in UR 2011, 215, HFR 2011, 121[↩]