Umsatzsteuerfreiheit einer Privatklinik

Die Umsatzsteuerfreiheit von Privatkliniken nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. i.V.m.§ 67 Abs. 2 AO erforderte im Jahr 2006 keine Vorauskalkulation der Selbstkosten1. Die durch das Jahressteuergesetz 2007 mit Rückwirkung zum 01.01.2003 geänderte Fassung des § 67 Abs. 1 AO ist für das Jahr 2006 verfassungsrechtlich unbedenklich.

Umsatzsteuerfreiheit einer Privatklinik

Nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. waren steuerfrei „die mit dem Betrieb der Krankenhäuser … eng verbundenen Umsätze, wenn … bei Krankenhäusern im vorangegangenen Kalenderjahr die in § 67 Abs. 1 oder 2 der Abgabenordnung bezeichneten Voraussetzungen erfüllt …“ wurden.§ 67 AO in seiner durch das Jahressteuergesetz 2007 (JStG 2007)2 mit Rückwirkung auf den 01.01.2003 geänderten Fassung lautet:

„(1) Ein Krankenhaus, das in den Anwendungsbereich des Krankenhausentgeltgesetzes oder der Bundespflegesatzverordnung fällt, ist ein Zweckbetrieb, wenn mindestens 40 Prozent der jährlichen Belegungstage oder Berechnungstage auf Patienten entfallen, bei denen nur Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen (§ 7 des Krankenhausentgeltgesetzes, § 10 der Bundespflegesatzverordnung) berechnet werden.

Ein Krankenhaus, das nicht in den Anwendungsbereich des Krankenhausentgeltgesetzes oder der Bundespflegesatzverordnung fällt, ist ein Zweckbetrieb, wenn mindestens 40 vom Hundert der jährlichen Belegungstage oder Berechnungstage auf Patienten entfallen, bei denen für die Krankenhausleistungen kein höheres Entgelt als nach Absatz 1 berechnet wird.“

Unionsrechtliche Grundlage dieser -bereits vor Inkrafttreten der Richtlinie 77/388/EWG bestehenden- Umsatzsteuerbefreiung war im Streitjahr Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG. Danach befreien die Mitgliedstaaten „die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze“ von der Steuer. Handelt es sich bei dem Steuerpflichtigen, der diese Leistungen erbringt, nicht um eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, sind diese Umsätze nur steuerfrei, wenn sie „unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden“.

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Im vorliegenden Streitfall hat das erstinstanzlich hiermit befasste Finanzgericht Berlin-Brandenburg3 zwar zu Recht entschieden, dass -wovon auch die Beteiligten ausgehen- eine Steuerfreiheit der von der Krankenhausträgerin erbrachten Krankenhausleistungen nicht aus § 67 Abs. 1 AO folgt. Rechtsfehlerhaft hat das Finanzgericht aber eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. i.V.m. § 67 Abs. 2 AO wegen Fehlens einer Vergleichsberechnung der Pflegesätze auf Selbstkostenbasis im Wege der Vorauskalkulation verneint.

Zur Gleichstellung von Krankenhäusern, die nicht dem Krankenhausentgeltgesetz oder der Bundespflegesatzverordnung unterliegen, mit den nach § 67 Abs. 1 AO begünstigten Krankenhäusern war vor Einführung von Fallpauschalen entscheidend, dass das Krankenhaus auf Selbstkostenbasis abrechnet. Dies erforderte eine Vorauskalkulation der eigenen Selbstkosten4. Denn nur auf diese Weise waren die berechneten Entgelte eines privaten Krankenhauses mit den im Anwendungsbereich der Bundespflegesatzverordnung festzusetzenden Pflegesätzen vergleichbar5.

Durch Art. 2 des Gesetzes zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser vom 23.04.2002 -Fallpauschalengesetz-6 wurde das sog. DRG-Vergütungssystem eingeführt, wonach stationäre Leistungen in Fallpauschalen zu berechnen sind. Hierzu regelte § 17b Abs. 6 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz) i.d.F. des Fallpauschalengesetzes, dass dieses Vergütungssystem für alle Krankenhäuser verbindlich zum 01.01.2004 eingeführt wurde. Seitdem werden von der Bundespflegesatzverordnung nur noch Einrichtungen der Erwachsenen- sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie (psychiatrische Krankenhäuser und Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern) gemäß § 10 BPflV (bis 31.12.2012) bzw. gemäß § 7 BPflV (seit 01.01.2013) erfasst7.

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Aus dieser Änderung des Vergütungssystems folgt, dass das Fehlen einer Vorauskalkulation nach Selbstkostengrundsätzen der Steuerfreiheit der Krankenhausleistungen nicht mehr entgegensteht. Denn nach der Änderung des Vergütungssystems auf die Abrechnung nach Fallpauschalen waren von den Vergleichs-Krankenhäusern des § 67 Abs. 1 AO weder Pflegesätze zu ermitteln noch konnte ein Vergleich mit diesen Krankenhäusern anhand solcher aufgrund einer Vorauskalkulation der Selbstkosten ermittelten Pflegesätze erfolgen. Vielmehr sind seitdem die Fallpauschalen mit denen eines Krankenhauses im Anwendungsbereich des Krankenhausentgeltgesetzes zu vergleichen8. Daher erfordert die mit § 67 Abs. 2 AO bezweckte Gleichstellung der Krankenhäuser mit denen i.S. des § 67 Abs. 1 AO auch im Streitfall keinen Vergleich von vorauskalkulierten Selbstkosten mehr, sondern an ihre Stelle tritt ein Vergleich auf Basis der Fallpauschalen.

Die auf den 01.01.2003 bezogene rückwirkende Änderung des § 67 Abs. 1 AO ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofs jedenfalls für das hier vorliegende Streitjahr 2006 nicht verfassungswidrig.

Die rechtsstaatlichen Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ziehen solchen Hoheitsakten enge Grenzen, die belastend in verfassungsmäßig verbürgte Rechtsstellungen eingreifen9. Demgemäß ist die Verfassungsmäßigkeit eines rückwirkenden Gesetzes nur dann fraglich, wenn es sich um ein den Bürger belastendes Gesetz handelt10. Im Übrigen geht das BVerfG sogar von einer Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen aus, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen und diese erwarten mussten11.

Im Streitfall ergibt sich danach aus einem Vergleich der zunächst geltenden mit der rückwirkenden Regelung des § 67 Abs. 1 AO, dass die Rückwirkung für die Krankenhausträgerin keine belastende Wirkung hatte. Denn die rückwirkende Änderung eröffnete der Krankenhausträgerin -ebenso wie den unter § 67 Abs. 1 AO fallenden Krankenhäusern- erst (wieder) die Möglichkeit der Umsatzsteuerfreiheit ihrer Umsätze nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. Es handelte sich lediglich um eine letztlich nur redaktionell wirkende Änderung der Gesetzesfassung, die die steuerrechtliche Definition des Zweckbetriebes Krankenhaus in § 67 AO an die Entwicklung im Krankenhausrecht anpasste12. Darüber hinaus musste mit einer rückwirkenden Änderung des § 67 AO gerechnet werden.

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§ 67 Abs. 1 AO a.F. knüpfte das Vorliegen eines in den Anwendungsbereich der Bundespflegesatzverordnung fallenden Krankenhauses als Zweckbetrieb daran, dass mindestens 40 % der jährlichen Pflegetage auf Patienten entfielen, bei denen nur Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen (§§ 11, 13 und 26 BPflV) berechnet wurden.

Seit 2004 wurden die stationären Leistungen der Krankenhäuser allerdings grundsätzlich in Fallpauschalen nach dem Krankenhausentgeltgesetz berechnet. Von der Bundespflegesatzverordnung, auf die § 67 Abs. 1 AO a.F. verwies, waren nur noch Leistungen von psychiatrischen Krankenhäusern sowie Einrichtungen für Psychosomatik und Psychotherapie erfasst.

Die bezweckte steuerrechtliche Privilegierung stationärer Leistungen von (allgemeinen) Krankenhäusern lief aufgrund des fehlenden Verweises auf das Krankenhausentgeltgesetz in § 67 AO a.F. somit weitgehend leer13. § 67 AO a.F. bot demnach keine Grundlage mehr für die Steuerbegünstigung von Krankenhäusern14. Dies betraf auch die Umsätze der Krankenhausträgerin aus dem Betrieb ihres Krankenhauses. Da es im Streitjahr -von Einrichtungen der Erwachsenen- sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie abgesehen- keine Krankenhäuser gab, die nach der Bundespflegesatzverordnung abrechneten, fehlte es bereits an Vergleichskrankenhäusern als Maßstab für die Berechnung der 40 %-Sozialquote. Für die von der Krankenhausträgerin beanspruchte Steuerfreiheit nach § 67 Abs. 2 AO a.F. gab es daher keine Rechtsgrundlage.

Zur Behebung des legislativen Versäumnisses, dass die nach der Normstruktur des § 67 AO erforderliche Anpassung des Zweckbetriebsbegriffs an die krankenhausrechtliche Rechtsentwicklung nicht rechtzeitig vorgenommen wurde, kam es durch Art. 11 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. bb JStG 2007 in Art. 97 § 1c EGAO zur Einfügung eines zusätzlichen Absatzes 3, wonach die Änderung des § 67 AO bereits „ab dem 1.01.2003 anzuwenden“ war.

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Seit dieser Änderung verweist § 67 Abs. 1 AO für das Vorliegen eines Zweckbetriebs darauf, dass mindestens 40 % der jährlichen Belegungstage oder Berechnungstage auf Patienten entfallen, bei denen nur Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen (§ 7 KHEntgG, § 10 BPflV) berechnet werden. Damit wurde der Anwendungsbereich des § 67 Abs. 1 AO wieder für allgemeine Krankenhäuser eröffnet, die seit 2004 nach Fallpauschalen abrechnen. Dies hat zur Folge, dass nunmehr auch zugunsten der Krankenhausträgerin eine Rechtsgrundlage dafür vorhanden ist, auf der Grundlage eines Vergleichs von Fallpauschalen die Steuerfreiheit ihrer Umsätze zu erlangen.

Der Bundesfinanzhof konnte im vorliegenden Fall allerdings nicht selbst entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 AO vorliegen, da das Finanzgericht weder Feststellungen zur Höhe der von der Krankenhausträgerin abgerechneten Entgelte (Fallpauschalen) getroffen noch diese mit den im Anwendungsbereich des Krankenhausentgeltgesetzes für allgemeine Krankenhausleistungen abrechenbaren Entgelten nach § 7 KHEntgG verglichen hat. Das Finanzgericht wird diese Feststellungen und Vergleiche im zweiten Rechtsgang nachzuholen und in diesem Zusammenhang auch zu prüfen haben, ob mindestens 40 % der jährlichen Belegungstage oder Berechnungstage auf Patienten entfielen, bei denen die abgerechneten Entgelte nicht höher waren. Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzhof erörtert, kann hierfür auch von Bedeutung sein, ob vergleichbare Bedingungen im Hinblick auf die Finanzierung von Investitionskosten vorliegen.

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Nach dem Wortlaut des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. ist für den Vergleich zwar auf das Vorjahr (hier: 2005) abzustellen. Aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit dieser Regelung ergibt sich eine Steuerbefreiung jedoch unter Berücksichtigung des Unionsrechts auch dann, wenn die Voraussetzungen im Streitjahr 2006 erfüllt sind15.

Sollte das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang zum Ergebnis kommen, dass die Krankenhausträgerin die Einhaltung der Quote von 40 % nicht nachgewiesen hat, wird es auch zu prüfen haben, ob eine (ggf. partielle) Steuerfreiheit der Krankenhausleistungen unter direkter Berufung auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG in Betracht kommt. Im Anschluss an das EuGH-Urteil Zimmermann16 geht der Bundesfinanzhof zwar von einer Vereinbarkeit der 40 %-Quote mit Unionsrecht aus17, Zweifel an dieser Auffassung könnten sich jedoch aus dem EuGH-Urteil Idealmed III18 ergeben19. In diesem Zusammenhang wird das Finanzgericht auch das EuGH-Urteil I (Exonération de TVA des prestations hospitalières)20 sowie die BFH-Urteile vom 23.10.201421, in BFHE 249, 38022 und in BFHE 263, 543 zu berücksichtigen haben.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. November 2022 – V R 23/20

  1. Anschluss an BFH, Urteil vom 23.01.2019 – XI R 15/16, BFHE 263, 543[]
  2. vom 13.12.2006, BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28[]
  3. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.11.2018 – 5 K 5227/16[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 231, 298, BStBl II 2011, 296, Rz 30, unter Hinweis auf das BFH, Urteil in BFHE 204, 80, BStBl II 2004, 363, unter 1.c der Entscheidungsgründe[]
  5. BFH, Urteil in BFHE 263, 543, Rz 60[]
  6. BGBl I 2002, 1412[]
  7. vgl. hierzu Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 67 AO Rz 6 f.[]
  8. BFH, Urteil in BFHE 263, 543, Rz 61[]
  9. vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 10.04.1984 – 2 BvL 19/82, BVerfGE 67, 1, unter B.III. 1.; und vom 08.04.2004 – 2 BvR 1811/03 , BVerfGK 3, 147, unter III. 1.c aa[]
  10. BVerfG, Beschluss vom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1, Rz 63[]
  11. BVerfG, Beschluss in BVerfGE 135, 1, Rz 65[]
  12. zutreffend FG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.04.2011 – 3 K 526/08, EFG 2011, 1824, Rz 29[]
  13. Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 67 AO Rz 6[]
  14. BT-Drs. 16/2712, S. 79 zu Nr. 7 (§ 67) []
  15. BFH, Urteil in BFHE 263, 543, Rz 70[]
  16. EuGH, Urteil Zimmermann, EU:C:2012:716[]
  17. BFH, Urteile in BFHE 249, 369, BStBl II 216, 788, sowie in BFHE 249, 380, BStBl II 2016, 793[]
  18. EuGH, Urteil Idealmed III vom 05.03.2020 – C-211/18, EU:C:2020:168[]
  19. Lippross, NWB 2021, 404 ff.; Stahlschmidt, Der Steuerberater 2021, 214 ff.; Klenk, HFR 2020, 490, 493; Wüst in Wäger, UStG, 2. Aufl., § 4 Nr. 14 Rz 222; Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG Rz 51[]
  20. EuGH Urteil „I (Exonération de TVA des prestations hospitalières)“ vom 07.04.2022 – C-228/20, EU:C:2022:275, Rz 60 ff.[]
  21. BFH, Urteile vom 23.10.2014 – V R 20/14, BFHE 248, 376, BStBl II 2016, 785[]
  22. BStBl II 2016, 793[]
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