Ein sich aus dem Unionsrecht entsprechend dem EuGH, Urteil Reemtsma1 ergebender Direktanspruch setzt voraus, dass der Rechnungsaussteller eine Leistung an den Rechnungsempfänger erbracht hat, für die er Umsatzsteuer in der Rechnung zu Unrecht ausgewiesen hat.

Hat ein nach seiner Unternehmenstätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigter Rechnungsempfänger eine gesetzlich nicht geschuldete, aber gleichwohl in einer -ansonsten ordnungsgemäßen- Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer gezahlt, kann er im Rahmen eines sog. Direktanspruchs entsprechend dem EuGH, Urteil Reemtsma2 eine „Rückzahlung“ von der Finanzverwaltung verlangen, wenn eine Rückforderung vom Rechnungsaussteller insbesondere im Hinblick auf dessen Zahlungsunfähigkeit übermäßig erschwert ist. Hierüber ist im Billigkeitsverfahren nach § 163 AO zu entscheiden3.
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG berechtigt nur die in einer Rechnung ausgewiesene Steuer zum Vorsteuerabzug, die für die in Rechnung gestellte Leistung auch gesetzlich geschuldet wird. Folge dieser dem Unionsrecht nach dem EuGH-Urteil Genius Holding4 entsprechende Rechtslage ist, dass der Leistungsempfänger eine gezahlte und nur in Rechnung gestellte, nicht aber gesetzlich für die in Rechnung gestellte Leistung geschuldete Umsatzsteuer vom Rechnungsaussteller zurückzufordern hat.
Auf dieser Grundlage hat der EuGH in seinem Urteil Reemtsma5 entschieden, dass die Grundsätze der Neutralität, der Effektivität und der Nichtdiskriminierung von nationalen Rechtsvorschriften, nach denen nur der Dienstleistungserbringer einen Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht als Mehrwertsteuer gezahlten Beträgen gegen die Steuerbehörden hat und der Dienstleistungsempfänger eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung der nicht geschuldeten Leistung gegen diesen Dienstleistungserbringer erheben kann, nicht entgegenstehen.
Für den Fall, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert wird, müssen die Mitgliedstaaten allerdings nach dem EuGH, Urteil Reemtsma2 Mittel vorsehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen. Dabei wird die Erstattung der Mehrwertsteuer insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers unmöglich oder übermäßig erschwert. Es kann dann geboten sein, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richtet.
Wie das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zutreffend entschieden hat6, setzt der Direktanspruch voraus, dass der Rechnungsaussteller die in der Rechnung als steuerpflichtig abgerechnete Leistung auch erbracht hat.
Denn der EuGH stellt bei seiner Rechtsprechung auf eine Rechnungserteilung mit Steuerausweis durch einen „Dienstleistungserbringer“7, durch einen „Veräußerer/Dienstleistungserbringer“8, durch einen „Verkäufer eines Gegenstands“9 oder durch einen „Lieferer“10 ab.
Damit genügt der bloße Steuerausweis in einer Rechnung für die Entstehung des Direktanspruchs nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der Rechnungsaussteller auch eine Leistung erbracht hat, für die mangels Steuerbarkeit oder aufgrund einer Steuerfreiheit oder Steuersatzermäßigung die in der Rechnung ausgewiesene Steuer nicht gesetzlich entstanden ist.
Hieran fehlt es im Streitfall, wie sich aus dem zum Festsetzungsverfahren ergangenen Finanzgericht, Urteil vom 17.02.2011 – 7 K 7402/07 ergibt. Das Billigkeitsverfahren dient nicht dazu, diese bei der materiell-rechtlichen Prüfung der Steuerfestsetzung getroffene Entscheidung zu korrigieren.
Daran ändert eine weitergehende Geltung des Neutralitätsgrundsatzes für z.B. nur in Rechnung gestellte, tatsächlich aber nicht erbrachte Leistungen, wie sie die Rechnungsempfängerin aus den Urteilen des EuGH „EN.SA“11 und „Kuršu zeme“12 ableitet, nichts: Denn im Hinblick auf die vom Unionsgerichtshof für den Direktanspruch ausdrücklich gewählte Begriffsbildung ergibt sich hieraus kein erweiterter Anwendungsbereich.
Auch die weiteren Einwendungen greifen nicht durch. Es kommt insbesondere nicht darauf an, aus welchem Grund es an einer Leistung durch die Rechnungsausstellerin fehlt. Auch eine als mit Rechnungserteilung als steuerpflichtig behandelte Geschäftsveräußerung (§ 1 Abs. 1a UStG) kann im Übrigen zu einem Direktanspruch führen, da hier eine Leistung durch den Rechnungsaussteller vorliegt. Unerheblich ist, ob ein kollusives Verhalten gegeben war. Über Fragen des Vorsteuerabzugs ist hier nicht zu entscheiden. Auf den möglichen Umfang eines Direktanspruchs kommt es nicht an.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. August 2019 – V R 50/16
- EuGH, Urteil vom 15.03.2007 – C-35/05, EU:C:2007:167[↩]
- EU:C:2007:167[↩][↩]
- BFH, Urteil vom 30.06.2015 – VII R 30/14, BFHE 250, 34, unter II. 2.b bb[↩]
- EuGH, Urteil Genius Holding vom 13.12.1989 – C-342/87, EU:C:1989:635, Rz 13[↩]
- EU:C:2007:167, Rz 41 f.[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.08.2016 – 7 K 7246/14[↩]
- EuGH, Urteile Reemtsma, EU:C:2007:167, Rz 41, und Danfoss und Sauer-Danfoss vom 20.10.2011 – C-94/10, EU:C:2011:674, Rz 26[↩]
- EuGH, Urteil Banca Antoniana Popolare Veneta vom 15.12.2011 – C-427/10, EU:C:2011:844, Rz 23[↩]
- EuGH, Urteil Farkas vom 26.04.2017 – C-564/15, EU:C:2017:302, Rz 51[↩]
- EuGH, Urteil Kollroß vom 31.05.2018 – C-660/16, EU:C:2018:372, Rz 66[↩]
- EuGH, Urteil EN.SA vom 08.05.2019 – C-712/17, EU:C:2019:374[↩]
- EuGH, Urteil Kuršu zeme vom 10.07.2019 – C-273/18, EU:C:2019:588[↩]