Die Anordnung der Erteilung einer Zustellungsvollmacht nach § 132 StPO für einen im Ausland wohnenden Angeklagten kann nicht „auf Vorrat“ erfolgen. Die Anordnung der Erteilung einer Zustellungsvollmacht nach § 132 StPO ist nur dann zulässig, wenn der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Anordnung dem direkten Zugriff der Strafverfolgungsbehörden unterliegt und damit die Anordnung unmittelbar vollstreckt werden kann. Die Anordnung nach § 132 StPO für den Fall des späteren Antreffens des Beschuldigten durch der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere durch die Polizei im Rahmen einer Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung, ist unzulässig.

Nach § 132 Abs. 1 StPO kann angeordnet werden, dass ein Beschuldigter, der einer Straftat dringend verdächtig ist und in Deutschland keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, zur Sicherstellung der Durchführung des Strafverfahrens eine Zustellungsvollmacht zu erteilen hat; befolgt der Beschuldigte die Anordnung nicht, so können gemäß § 132 Abs. 3 StPO Beförderungsmittel und andere Sachen, die der Beschuldigte mit sich führt und die ihm gehören, beschlagnahmt werden. Nach dem Wortlaut des § 132 StPO wäre der Anwendungsbereich dieser Maßnahme auch dann eröffnet, wenn der Aufenthalt des Beschuldigten unbekannt ist oder er sich (wieder) im Ausland befindet. Allerdings ist die Anordnungsbefugnis nach § 132 StPO einschränkend dahingehend auszulegen, dass der Beschuldigte den Strafverfolgungsbehörden gerade zur Verfügung stehen und der Vollzug der Anordnung unmittelbar möglich sein muss; eine Anordnung nach § 132 Abs. 1 StPO „auf Vorrat“ im Rahmen einer Ausschreibung des Beschuldigten zur Aufenthaltsermittlung ist unzulässig [1].
Zweck der Anordnungsbefugnis nach § 132 Abs. 1 StPO ist es, die für die Durchführung des Strafverfahrens notwendigen förmlichen Zustellungen an den Beschuldigten sowie dessen ordnungsgemäße Ladung zur Hauptverhandlung bewirken zu können. Dabei nimmt es der Gesetzgeber in Kauf, dass der Beschuldigte durch die Erteilung einer Zustellungsvollmacht gegebenenfalls ein erhöhtes Risiko trägt, Fristen zu versäumen oder vom bevorstehenden Termin zur Hauptverhandlung gar nicht oder zu spät zu erfahren. Dieses Risiko wird auch nicht durch die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeglichen. Denn die Wiedereinsetzung in den Vorstand unterliegt strengen förmlichen und inhaltlichen Voraussetzungen, wenngleich die Anforderungen gerade beim „ersten Zugang“ zum Amtsgericht nicht überspannt werden dürfen [2]. Denn den Beschuldigten trifft gleichsam eine Bringschuld; er muss den Wiedereinsetzungsantrag nämlich form- und fristgerecht stellen sowie darlegen und glaubhaft machen, dass er die Frist unverschuldet versäumt hat. Selbst wenn ihm dies gelingt, sind womöglich bereits auf Grundlage einer Zustellung über den Zustellungsbevollmächtigten angeordnete Zwangsmaßnahmen, insbesondere die Ungehorsamshaft nach § 230 Abs. 2 StPO bereits vollzogen. Im ungünstigsten Fall kann es sogar dazu kommen, dass der Beschuldigte im Wege des Strafbefehlsverfahrens oder bei Anwendung des § 232 StPO bereits rechtskräftig verurteilt ist und zur Vollstreckung der Strafe festgenommen wird, ohne dass er die Möglichkeit hatte, sich gegenüber dem Amtsgericht zur Sache zu äußern. Die strafgerichtliche Praxis des Amtsgerichts Kehl kennt zahlreiche Beispiele, in denen die Erteilung einer Zustellungsvollmacht derartige Folgen hatte, die bei Zustellung an den Beschuldigten selbst aller Voraussicht nach nicht eingetreten wären.
Aufgrund dieser schwerwiegenden Folgen für den Beschuldigten ist die Anordnung der Erteilung einer Zustellungsvollmacht nach § 132 StPO nur unteren besonderen Voraussetzungen vorgesehen. So bedarf es nicht nur eines einfachen, sondern dringenden Tatverdachts, und der ständige Aufenthalt des Beschuldigten darf nicht im Inland sein. Darüber hinaus kommt ein Vorgehen nach § 132 StPO nur dann in Betracht, wenn als Hauptstrafe lediglich eine Geldstrafe zu erwarten ist [3]. Ob sich daneben noch Einschränkungen aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht ergeben, insbesondere der Niederlassungsfreiheit, bedarf hier keiner Entscheidung, weil es sich beim Angeklagten A um einen armenischen Staatsbürger handelt.
Die Voraussetzungen, die die Anordnung der Erteilung einer Zustellungsvollmacht nach § 132 StPO rechtfertigen, müssen auch noch zum Zeitpunkt des Vollzugs dieser Anordnung vorliegen.
Unproblematisch ist dies der Fall, wenn sich der von dieser Maßnahme Betroffene Beschuldigte gerade „in den Händen“ der Strafverfolgungsbehörden befindet, also Anordnung und Vollzug der Maßnahme zeitlich zusammentreffen.
Ist der Aufenthalt des Beschuldigten jedoch nicht bekannt und nicht abzusehen, wann die Anordnung vollzogen werden kann, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit prognostiziert werden, ob die Voraussetzungen der Anordnung auch noch gegeben sein werden, wenn der Beschuldigte, womöglich erst Jahre später, angetroffen wird.
Zwar ist es eher unwahrscheinlich, dass sich die Verdachtslage über die Zeit zu Gunsten des Beschuldigten ändert, zumal in diesem Fall die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 132 StPO neu geprüft und gegebenenfalls die Anordnung unverzüglich aufgehoben werden kann. Anders verhält es sich jedoch mit der Voraussetzung, dass der Beschuldigte im Geltungsbereich der StPO keinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat. Verlegt der Beschuldigte seinen Wohnsitz oder Aufenthalt nach Deutschland, erhalten die zuständigen Strafverfolgungsbehörden davon regelmäßig zunächst keine Kenntnis. Gegebenenfalls wird dies erst bekannt, wenn die Anordnung zur Erhebung einer Zustellungsvollmacht nach § 132 StPO vollzogen wurde. Dass diese nicht nur eine fernliegende Hypothese ist, zeigt aktuell ein Fall, der ebenfalls beim Amtsgericht Kehl anhängig ist. Dort wurde ein rumänischer Staatsbürger durch das Amtsgericht im Dezember 2014 zur Ermittlung des Aufenthalts ausgeschrieben, verbunden mit der Bitte, bei Antreffen eine Zustellungsvollmacht zu erheben. Aufgrund dieser Ausschreibung wurde dieser rumänische Staatsbürger im Januar 2015 angetroffen und festgestellt, dass er mittlerweile einen festen Wohnsitz in Deutschland hat.
Wegen der weitreichenden Folgen einer Zustellungsvollmacht für den Beschuldigten ist die Anordnung nach § 132 StPO deshalb abzulehnen, wenn nicht sichergestellt ist, dass ihre Voraussetzungen auch noch zum Zeitpunkt des Vollzuges vorliegen. Dabei ist der Zeitpunkt des Vollzugs dieser Anordnung nicht bereits die Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung, sondern erst der Momente, in dem der Beschuldigte aufgrund der Ausschreibung angetroffen und angehalten wird. Dies verkennt Müllenbach [4], der eine Anordnung nach § 132 StPO bei unbekanntem Aufenthalt des Beschuldigten für zulässig hält.
Eine Anordnung nach § 132 StPO ohne unmittelbaren Zugriff auf den Beschuldigten wird zudem regelmäßig nur ohne dessen Anhörung erfolgen können, die aber nach § 33 Abs. 1 StPO erforderlich ist.
Zwar wird in der Kommentarliteratur – ohne nähere Begründung – vertreten, dass bei einer Maßnahme nach § 133 StPO auf die Anhörung des Beschuldigten nach § 33 Abs. 4 StPO verzichtet werden könne [5].
Diese Ansicht ist aber abzulehnen, weil nicht erkennbar ist, weshalb durch die vorherige Anhörung des Beschuldigten der Zweck der Anordnung nach § 132 StPO ähnlich wie bei den in § 33 Abs. 4 StPO ausdrücklich genannten Maßnahmen der Untersuchungshaft und Beschlagnahme gefährdet wäre. Es liegt fern anzunehmen, dass ein Beschuldigter, der von einer Anordnung auf Erteilung einer Zustellungsvollmacht nach § 132 StPO weiß, bei einer Einreise nach Deutschland nur deshalb keine werthaltigen Gegenstände mit sich führen wird, um eine Beschlagnahme dieser Gegenstände zu verhindern, zumal das Entdeckungsrisiko ohnehin minimal ist, weil bei Einreisen nach Deutschland aus einem Schengenstaat regelmäßig keine und schon gar nicht systematische Grenzkontrollen stattfinden.
Darüber hinaus kann dem Beschuldigten auch nicht im Nachhinein effektiv rechtliches Gehör gewährt werden. Im Falle eines Verzichts auf die Anhörung kann diese zwar regelmäßig im Rechtsmittelzug nachgeholt werden. Allerdings wird über ein etwaiges Rechtsmittel des Beschuldigten regelmäßig erst entschieden werden können, wenn die Anordnung nach § 132 StPO bereits vollzogen ist, was im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen der Erteilung einer Zustellungsvollmacht aber nicht hingenommen werden kann. Darüber hinaus zeigt die strafgerichtliche Praxis, dass die Beschuldigten regelmäßig nicht die Rechtmäßigkeit der Erteilung der Zustellungsvollmacht überprüfen lassen; dem Amtsgericht ist trotz langjähriger Praxis mit mehreren hundert Verfahren, in denen Zustellungsvollmachten erteilt wurden, kein einziger Fall bekannt, in dem sich ein Beschuldigter gegen eine solche Anordnung beschwert hätte. Auch dies verkennt Müllenbach [4], wenn er die vorherige Anhörung des Beschuldigten nach § 33 Abs. 1 StPO für entbehrlich hält.
Schließlich ist eine richterliche Anordnung nach § 132 StPO „auf Vorrat“ auch nicht deshalb erforderlich, weil bei Antreffen des Beschuldigten aufgrund einer Ausschreibung regelmäßig Gefahr im Verzug im Sinne des § 132 Abs. 2 StPO vorliegen und deshalb eine richterliche Entscheidung entbehrlich wäre, was zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes des Beschuldigten führen würde. Insoweit unterscheidet sich die Situation regelmäßig nicht wesentlich von der, in der der Beschuldigte dem unmittelbaren Zugriff der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere der Polizei, unterliegt. Auch in diesem Fall wird regelmäßig Gefahr im Verzug bestehen, weil der Beschuldigte allein wegen einer Maßnahme nach § 132 StPO nicht festgehalten werden kann, um Entscheidung durch den Richter abzuwarten [6].
Amtsgericht Kehl, Beschluss vom 3. März 2015 – 3 Cs 206 Js 13333/14
- so auch grundsätzlich Landgericht Hamburg NStZ 2006, 719; HilgerLöwe-Rosenberg, StPO, § 132, Rn. 1 Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Auflage 2014, § 132, Rn. 1; a.A. Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, § 132 StPO, Rn. 1; Müllenbach, Die Zulässigkeit einer Anordnung nach § 132 StPO gegen den ausgereisten Beschuldigten, NStZ 2001 S. 637[↩]
- vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 44, Rn. 11 m.w.N.[↩]
- Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, § 132 StPO, Rn. 4; HilgerLöwe-Rosenberg, a.a.O., Rn. 6[↩]
- Müllenbach, a.a.O.[↩][↩]
- Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, a.a.O., § 33, Rn. 12; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 33, Rn. 15[↩]
- vgl. HilgerLöwe-Rosenberg, a.a.O., Rn. 9[↩]