Auch durch Vorlage der Kopie oder durch elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises zur Identitätstäuschung kann ein Ausweispapier im Sinne von § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden [1].

Der Täter hat auch in einem solchen Fall zur Täuschung über seine Identität [2] ein für einen anderen ausgestelltes echtes Ausweispapier gebraucht, um einen Vertragspartner zu einem rechtserheblichen Verhalten zu veranlassen.
Der Begriff des Gebrauchens ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofs in § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB wie in § 267 Abs. 1 StGB auszulegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs macht von einer Urkunde Gebrauch, wer dem zu täuschenden Gegenüber die sinnliche Wahrnehmung der Urkunde ermöglicht [3]. Dies kann nicht nur durch Vorlage der Urkunde selbst, sondern auch dadurch geschehen, dass der Täter dem zu Täuschenden eine Fotokopie oder ein Lichtbild einer – in dieser Weise körperlich tatsächlich vorhandenen – Urkunde zugänglich macht, denn hierdurch wird die sinnliche Wahrnehmung der abgebildeten Urkunde selbst ermöglicht [4]. Auch durch Vorlage der Kopie oder durch elektronische Übersendung des Bildes eines echten Ausweises zur Identitätstäuschung kann deshalb ein Ausweispapier im Sinne von § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht werden.
Nach diesen Maßstäben erfüllen die Übersendung einer Lichtbilddatei und die Vorlage der Kopie eines echten Ausweises jeweils die Alternative des Gebrauchens. Die übrigen Voraussetzungen von § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB sind in diesen Fällen ebenfalls erfüllt.
An dieser Entscheidung ist der hier entscheidene 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auch nicht durch abweichende Rechtsprechung anderer Strafsenate gehindert.
Zwar hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Jahr 1964 entschieden, dass ein Gebrauchen im Sinne von § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB nur durch Vorlage des Originals erfolgen kann [5]. Auf die Anfrage des Bundesgerichtshofs nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG, ob er an dieser Auffassung festhält [6], hat der 4. Strafsenat entschieden, dass er unter Aufgabe abweichender Rechtsprechung der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs folgt [7]. Die übrigen mit der Anfrage befassten Strafsenate haben erklärt, dass eigene Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung nicht entgegensteht [8]. Von einer – das Verfahren weiter verzögernden – Befragung des zum 15.02.2020 neu eingerichteten 6. Strafsenats hat der Bundesgerichtshof abgesehen, weil dessen bislang noch übersichtliche Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung ersichtlich nicht entgegensteht.
Der 5. Strafsenat hält an seiner gemäß Beschluss vom 08.05.2019 [9] beabsichtigten Entscheidung ungeachtet der vom 02. Strafsenat (aaO) und im Schrifttum [10] erhobenen Einwände fest [11]. Hierfür sind folgende Gründe maßgebend:
Aus dem Wortlaut von § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB ergibt sich keine Einschränkung der Tathandlung auf besondere Formen des Gebrauchs eines Ausweispapiers. Wie bereits das Reichsgericht – und ihm folgend der Bundesgerichtshof – überzeugend herausgearbeitet hat, gebraucht eine Urkunde, wer deren sinnliche Wahrnehmung ermöglicht, also die Urkunde zur Kenntnis der zu täuschenden Person bringt [12]. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch kann dies auch vermittelt wie etwa durch Vorlage eines Abbildes geschehen, denn dass die Urkunde unmittelbar dem zu Täuschenden in die Hand gegeben werden muss, setzt der Begriff des Gebrauchens als solcher nicht voraus [13].
Eine vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichende Auslegung der Tathandlung lässt sich nicht lediglich am Tatobjekt festmachen [14]. Die Unterschiede hinsichtlich des Tatobjekts machen lediglich verständlich, weshalb von § 281 Abs. 1 StGB auch das Überlassen eines Ausweispapiers an einen anderen erfasst wird [15]. Schon das Gesetz macht damit deutlich, dass bereits der Zuordnung eines Ausweispapiers zum berechtigten Inhaber ein hoher Stellenwert zum Schutz des Rechtsverkehrs zukommt.
Soweit sich die in der Literatur erhobenen Einwände ganz grundsätzlich gegen eine auch mittelbare Formen der Wahrnehmungsverschaffung erfassende Auslegung des Begriffs „gebrauchen“ in § 267 Abs. 1 StGB richten und aus diesem Grund eine Änderung der Rechtsprechung zu § 281 Abs. 1 StGB abgelehnt wird [16], vermag der Bundesgerichtshof dem angesichts des abweichenden Ansatzes der Rechtsprechung schon im Ausgangspunkt nicht zu folgen.
Nach der Gesetzessystematik und dem Willen des Gesetzgebers ist der Begriff „gebraucht“ in § 281 Abs. 1 Satz 1 StGB wie in § 267 Abs. 1 StGB auszulegen.
Die gleichlautende Verwendung desselben Begriffs in zwei Strafnormen im selben Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs spricht dafür, dass der Begriff in beiden Tatbeständen gleich ausgelegt werden muss [17]. Zudem führt es – wie der 4. Strafsenat im Einzelnen dargelegt hat (aaO) – zu schwer verständlichen Wertungswidersprüchen, wenn die Tathandlung des Gebrauchens in § 267 Abs. 1 und § 281 Abs. 1 StGB bezogen auf Kopien echter oder verfälschter Ausweise bzw. Ausweisersatzpapiere unterschiedlich ausgelegt wird. Eine solche mit dem Wortlaut und der Gesetzessystematik in Einklang stehende Auslegung entspricht auch dem Willen des historischen Gesetzgebers [18].
Diese Auslegung wird auch dem Sinn und Zweck von § 281 StGB gerecht. Dieser dient dem Schutz des Rechtsverkehrs durch Identitätsschutz. Wer ein für einen anderen ausgestelltes echtes Ausweispapier (oder ein diesem gleichgestelltes Papier) im Rechtsverkehr zur Täuschung über seine Identität nutzt, macht sich die besondere Beweiswirkung des Identitätspapiers zunutze. Dies geschieht nicht nur bei Vorlage des Originals [19], sondern auch bei der vom Rechtsverkehr heutzutage weitgehend akzeptierten Nutzung (digitaler) Kopien. Der Rechtsverkehr vertraut besonders darauf, dass nur derjenige zum Identitätsnachweis ein amtliches (oder gleichgestelltes) Ausweispapier nutzt, der berechtigter Inhaber ist (vgl. auch § 281 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB). Dieses besondere – von § 267 StGB abweichende – Vertrauen wird ebenfalls beeinträchtigt, wenn der Täter als angeblich berechtigter Inhaber das Ausweispapier eines anderen durch Übersendung oder Vorlage einer elektronischen Bilddatei oder einer Kopie nutzt und in dieser Weise über seine Identität in einer Weise täuscht, die aufgrund der veränderten technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen [20] der Vorlage des Originals nach der Auffassung des Rechtsverkehrs weithin gleichsteht.
Heute ist – auch im Verkehr mit Behörden – ganz weitgehend die elektronische Kommunikation üblich, bei der verbreitet digitale Kopien von Urkunden verwendet werden [21]. Dies betrifft gerade auch die Verwendung von Ausweispapieren, an deren Übermittlung zur Identitätsprüfung der Rechtsverkehr ein besonderes Interesse hat. Schon das Reichsgericht hat darauf hingewiesen, dass die Art und Weise, in der ein Gegenstand sinnlich wahrnehmbar gemacht werden kann, von den Hilfsmitteln abhängt, die nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik zur Verfügung stehen [22]. Die Gefahr des Missbrauchs von Urkunden im Rechtsverkehr durch bildgebende Medien besteht im Zeitalter der Digitalisierung mehr denn je [23].
Angesichts der veränderten Rahmenbedingungen sieht der Bundesgerichtshof die Erwägung, den Schutz des § 281 StGB verdiene angesichts seiner besonderen Beweiswirkung nur das im Original vorgelegte Ausweispapier, als weitgehend überholt an. Da seine Auslegung mit dem Wortlaut, der Systematik, dem Schutzzweck der Norm und dem Willen des historischen Gesetzgebers übereinstimmt, besteht für den Bundesgerichtshof kein Anlass, von der gebotenen Vereinheitlichung bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „gebrauchen“ im Rahmen der Urkundendelikte abzusehen und die Klärung dieser Frage etwa dem Gesetzgeber zu überlassen [19].
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Juli 2020 – 5 StR 146/19
- Aufgabe von BGHSt 20, 17[↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteile vom 05.04.1961 – 2 StR 71/61, BGHSt 16, 33, 34; vom 15.11.1968 – 4 StR 190/68, bei Dallinger, MDR 1969, 360; vom 03.11.1981 – 5 StR 435/81[↩]
- vgl. nur BGH, Urteile vom 20.03.1951 – 2 StR 38/51, BGHSt 1, 117, 120; vom 11.12.1951 – 1 StR 567/51, BGHSt 2, 50, 52; vom 21.12.1988 – 2 StR 613/88, BGHSt 36, 64, 65; vgl. bereits RGSt 41, 144, 146 f.; 66, 298, 312 f.[↩]
- st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 30.11.1953 – 1 StR 318/53, BGHSt 5, 291, 292; vom 11.05.1971 – 1 StR 387/70, BGHSt 24, 140, 142; vom 23.09.2015 – 2 StR 434/14, NJW 2016, 884, 886; Beschluss vom 02.05.2001 – 2 StR 149/01, BGHR StGB § 267 Abs. 1 Gebrauchmachen 4; vgl. bereits RGSt 69, 228[↩]
- BGH, Urteil vom 04.09.1964 – 4 StR 324/64, BGHSt 20, 17[↩]
- vgl. Beschluss vom 08.05.2019 – 5 StR 146/19[↩]
- Beschluss vom 04.12.2019 – 4 ARs 14/19[↩]
- 1. Strafsenat, Beschluss vom 03.09.2019 – 1 ARs 13/19, 2. Strafsenat, Beschluss vom 13.05.2020 – 2 ARs 228/19, 3. Strafsenat, Beschluss vom 02.10.2019 – 3 ARs 14/19[↩]
- BGH, Beschluss vom 08.05.2019 – 5 StR 146/19[↩]
- vgl. Erb, JR 2020, 450; Dehne-Niemann, HRRS 2019, 405, 407[↩]
- im Sinne der bisherigen Rechtsprechung auch die h.L., vgl. LK-StGB/Zieschang, 12. Aufl., § 281 Rn. 9; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 30. Aufl., § 281 Rn. 5; MünchKomm-StGB/Erb, 3. Aufl., § 281 Rn. 8; NK-StGB/Puppe/Schumann, 5. Aufl., § 281 Rn. 7; SSW-StGB/Wittig, 4. Aufl., § 281 Rn. 6; Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl., § 281 Rn. 3; Matt/Renzikowski/Maier, StGB, 2. Aufl., § 281 Rn. 5; AnwK-StGB/Krell, 3. Aufl., § 281 Rn. 5; Hecker GA 1997, 525, 535 f.; Preuß, JA 2013, 433, 436; aA Putzke/Prechtl, ZJS 2019, 522, 524; BeckOK StGB/Weidemann, 46. Ed., § 281 Rn.06.2[↩]
- RGSt 41, 144, 146 f.; 66, 298, 312 f.; BGH, Urteile vom 20.03.1951 – 2 StR 38/51, BGHSt 1, 117, 120; vom 11.12.1951 – 1 StR 567/51, BGHSt 2, 50, 52; vom 21.12.1988 – 2 StR 613/88, BGHSt 36, 64, 65[↩]
- vgl. RGSt 69, 228, 230 f.; BGH, Urteile vom 30.11.1953 – 1 StR 318/53, BGHSt 5, 291, 292; vom 11.05.1971 – 1 StR 387/70, BGHSt 24, 140, 142[↩]
- vgl. demgegenüber 2. Strafsenat, Beschluss vom 13.05.2020 – 2 ARs 228/19[↩]
- vgl. 2. Strafsenat, aaO[↩]
- vgl. nur Erb, JR 2020, 450[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 04.12.2019 – 4 ARs 14/19[↩]
- vgl. dazu näher BGH, Beschluss vom 08.05.2019 – 5 StR 146/19[↩]
- so aber der 2. Strafsenat: BGH, Beschluss vom 13.05.2020 – 2 ARs 228/19[↩][↩]
- vgl. dazu BGH, Beschluss vom 08.05.2019 – 5 StR 146/19[↩]
- vgl. nur BGH, Beschluss vom 19.06.2018 – 4 StR 484/17, NStZ-RR 2018, 308[↩]
- RGSt 69, 228, 230[↩]
- BGH, Beschluss vom 04.12.2019 – 4 ARs 14/19[↩]
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