Wenn ein beigeordneter Rechtsanwalt den Angeklagten gegen die Adhäsionsklagen mehrerer Geschädigter in einem Strafverfahren vertritt, sind für die Vergütung des Rechtsanwalts die Gegenstandswerte der Adhäsionsklagen zusammenzurechnen, weil die Adhäsionsverfahren eine gebührenrechtliche Angelegenheit im Sinne von § 22 Abs. 1 RVG bilden.
Nach § 22 Abs. 1 RVG werden in derselben Angelegenheit die Werte mehrerer Gegenstände zusammengerechnet. In der Rechtsprechung ist bei Adhäsionsklagen mit mehr als zwei Parteien umstritten, unter welchen Voraussetzungen von einer gebührenrechtlichen Angelegenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 RVG auszugehen ist, wenn ein Rechtsanwalt mit mehreren Klagen befasst ist. Die Oberlandesgerichte Düsseldorf1 und Brandenburg2 nehmen regelmäßig dann eine Angelegenheit an, wenn die Klagen in einem gerichtlichen Verfahren verhandelt und entschieden werden. Das Kammergericht Berlin3 geht jedenfalls dann von mehreren Angelegenheiten aus, wenn den Adhäsionsklagen mehrere Taten des Angeklagten im materiell-rechtlichen Sinn der §§ 52 ff. StGB zugrunde liegen.
Das Oberlandesgericht Stutgart folgt der Auffassung der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Brandenburg. Nach § 403 StPO kann der Verletzte oder sein Erbe im sog. Adhäsionsverfahren gegen den Beschuldigten einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch, der zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gehört, im Strafverfahren geltend machen. Die Entscheidung über die strafrechtlichen und bürgerlich-rechtlichen Folgen einer Straftat in einem Verfahren dient der Durchsetzung der berechtigten Interessen des Opfers der Straftat und der Prozessökonomie4. Gleichwohl ist für solche bürgerlich-rechtlichen Ansprüche nach §§ 23, 71 GVG regelmäßig die Zuständigkeit der Zivilgerichte gegeben. Zur Vermeidung von Bewertungswidersprüchen stellt das Oberlandesgericht deshalb auf die im Zivilrecht gefundene Lösung für die vorliegende Frage ab. Danach kommt es auf den strafrechtlichen Tatbegriff, der im Zivilrecht keine Bedeutung hat, nicht an.
In der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur5 entspricht es herrschender Meinung, dass im Falle subjektiver wie objektiver Klagehäufung in einem gerichtlichen Verfahren eine Angelegenheit vorliegt, wenn ein Rechtsanwalt mehrere Klagen vertritt oder auf der Beklagtenseite abwehrt. Dabei wird die einheitliche Angelegenheit im Sinne von § 22 Abs. 1 i.V.m. §§ 15ff. RVG in der Weise umschrieben, dass sie gegeben ist, wenn ein einheitlicher Auftrag des Rechtsanwalts vorliegt, seine Tätigkeit sich im gleichen Rahmen hält und zwischen den einzelnen Handlungen des Rechtsanwalts ein innerer Zusammenhang besteht6. Diese Voraussetzungen werden im Fall subjektiver und objektiver Klagehäufung, die in §§ 15ff. RVG keine ausdrückliche gesetzliche Regelung gefunden hat, zu Recht als gegeben angesehen7. Wären die drei Adhäsionsklagen in der vorliegenden Sache als bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten geführt worden, so hätte ein Fall subjektiver Klagehäufung vorgelegen, weil mehrere Personen als Kläger auftraten. Zugleich wäre ein Fall der objektiven Klagehäufung gegeben gewesen, weil mehrere Klageansprüche (Zahlung, Feststellungsklage und Rentenanspruch) verfolgt wurden. Beides hätte für den Beschwerdeführer nicht zum Vorliegen mehrerer gebührenrechtlicher Angelegenheiten geführt. Für das Adhäsionsverfahren gilt deshalb des Gleiche. Dafür spricht im vorliegenden Fall im Übrigen auch der Gesichtspunkt, dass alle drei Adhäsionsklagen in materiell-rechtlicher Hinsicht von der Beteiligung des vom Beschwerdeführer vertretenen Adhäsionsbeklagten an der vorgeworfenen Tat abhingen. Wesentliche Tätigkeiten des Beschwerdeführers wie etwa die von der Verteidigung vorgetragene Einlassung des Angeklagten zur Sache am 157. Verhandlungstag wirkten sich damit unmittelbar und zugleich in allen drei Adhäsionsverfahren aus.
Die Annahme einer Angelegenheit hat für den beigeordneten Rechtsanwalt zur Folge, dass sich nach § 49 a. F. RVG die Gebühr für Gegenstandswerte über 30.000 EUR nicht mehr über den Betrag von 391 Euro hinaus erhöht, obwohl sich der Betrag, mit dem der Rechtsanwalt im Falle nicht ordnungsgemäßer Tätigkeit haftet, weiter erhöhen kann und auch ein Mehraufwand denkbar ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts8 ist die getroffene Regelung trotz dieser Folgen jedenfalls dann verfassungsgemäß, wenn der Rechtsanwalt seine Bereitschaft zur Übernahme des Mandats als beigeordneter Rechtsanwalt erklärt hat. Das war hier der Fall.
Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 2 Ws 74/14
- OLG Düsseldorf, AGS 2014, 176ff.[↩]
- OLG Brandenburg, AGS 2009, 325 f.[↩]
- KG, AGS 2009, 484[↩]
- Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, vor § 403, Rn. 8[↩]
- OLG Bamberg, JurBüro 1978, 696; OLG Hamburg JurBüro 1979, 533 jeweils zum früheren, gleichlautenden § 7 Abs. 2 BRAGO; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage, VV Nr. 3100 RVG, Rn. 33; Bischof in Bischof u.a., RVG, 6. Auflage, § 22, Rn.19; Enders in Hartung/Schons/Enders, RVG, 2. Auflage, § 15, Rn. 7, 15, 26 f.; dagegen auf den Einzelfall abstellend Schneider in AnwaltKommentar RVG, 7. Auflage, § 15, Rn. 35[↩]
- vgl. Mayer in Gerold/Schmidt, a.a.O., § 15, Rn. 6ff.[↩]
- Müller-Rabe, a.a.O., VV Nr. 3100 RVG, Rn. 33; Mayer, a.a.O., § 15, Rn. 5[↩]
- BVerfG, NJW 2008, 1063[↩]











