Der Bundesgerichtshof hat in einem jetzt veröffentlichten Beschluss näher zum Zusammenwirken von Finanzbehörden und Staatsanwaltschaften im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren Stellung genommen.

Anlass hierzu war für den BGH der folgende Fall:
Am 27. August 1999 leitete die Steuerfahndungsstelle das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wegen Verdachts der Umsatz-, Gewerbe- und Ein-kommensteuerhinterziehung für die Veranlagungszeiträume 1994 bis 1998 ein. Die Bekanntgabe an den Angeklagten erfolgte am 14. Januar 2000. Am 15. Februar 2002 stellte die Steuerfahndung den Prüfbericht fertig. Mit Schreiben vom 9. Juli 2002 wurde die Sache der Bußgeld- und Strafsachenstelle für die Finanzämter des Saarlands zugeleitet. Nach Steuerneuberechnungen und sonstigen (weitgehend vom Angeklagten bzw. seiner Verteidigung veranlassten) Verfahrensvorgängen wurden die Akten am 18. März 2004 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken zum Zwecke der Anklageerhebung vorgelegt, die am 6. Mai 2004 – erstmals – Anklage zum Landgericht Saarbrücken erhob.
Bis zum 18. März 2004 „war die Staatsanwaltschaft in die Ermittlungen nicht eingebunden“ und – soweit ersichtlich – über die Existenz des Ermittlungsverfahrens auch nicht informiert. Im Bericht der Steuerfahndung vom 15. Februar 2002 findet sich vielmehr folgende Bemerkung (unter Punkt 23):
„Bemühungen des Prüfers, den Fall im Ermittlungsverfahren wegen seiner Bedeutung und Größenordnung an die Staatsanwaltschaft (Haftbefehl) ab-zugeben, sind bisher gescheitert.“
Eine Praxis, wie sie im vorliegenden Fall zu Tage tritt, entspricht, so der BGH in seinem aktuellen Beschluss, – unabhängig davon, ob ein Haftbefehlsantrag geboten erscheint – nicht der Intention der gesetzlichen Regelungen über das Zusammenwirken zwischen Finanzbehörden und Staatsanwaltschaften im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
Zwar hat die Finanzbehörde bei Verdacht einer Steuerstraftat (und Begleitdelikten gemäß § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO) im Grundsatz eine eigenständige Ermittlungskompetenz1. Zudem bestimmt § 400 AO: „Bieten die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so beantragt die Finanzbehörde beim Richter den Erlass eines Strafbefehls, wenn die Strafsache zur Behandlung im Strafbefehlsverfahren geeignet erscheint; ist dies nicht der Fall, so legt die Finanzbehörde die Akten der Staats-anwaltschaft vor.“ Hieraus könnte geschlossen werden, dass die Finanzbehörde in allen Fällen die Sache bis zur Anklagereife (bzw. Einstellungsreife) ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft selbständig ausermittelt.
Dies wäre nach Auffassung des BGH jedoch mit der in § 386 Abs. 4 AO geregelten Rollenverteilung zwischen Finanzbehörde und Staatsanwaltschaft nicht vereinbar. Danach hat nicht nur die Finanzbehörde das Recht, eine Strafsache jederzeit an die Staatsanwaltschaft abzugeben (§ 386 Abs. 4 Satz 1 AO). Vor allem kann die Staatsanwaltschaft die Steuerstrafsache jederzeit von sich aus an sich ziehen (Evokationsrecht der Staatsanwaltschaft gemäß § 386 Abs. 4 Satz 2 AO). Dies bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft zwar in den steuerstrafrechtlichen Verfahren, die von den Finanzbehörden gemäß § 386 Abs. 2 AO autonom betrieben werden, abweichend von § 152 Abs. 1 GVG den ermittelnden Steuerfahndungsbeamten keine Weisungen erteilen kann. Die Staatsanwaltschaft bleibt aber auch in diesen Fällen (entsprechend dem den §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO i.V.m. § 385 Abs. 1 AO zu entnehmenden Grundsatz) insoweit „Herrin des Verfahrens“, als sie – wenn z.B. bei Kontroversen über die Gestaltung eines bei der Finanzbehörde geführten Verfahrens kein Einvernehmen erzielt werden kann – dieses zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen jederzeit gemäß § 386 Abs. 4 Satz 2 AO übernehmen kann2. Die Steuerfahndungsbeamten haben dann den Anordnungen der Staatsanwaltschaft als deren Ermittlungsgehilfen Folge zu leisten (§ 152 Abs. 1 GVG).
Mit dieser Stellung der Staatsanwaltschaft in allen steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren korrespondiert eine Unterrichtungspflicht der Finanzbehörden gegenüber der Staatsanwaltschaft3. Allerdings besteht keine gesetzliche Pflicht, wonach die Finanzbehörden sämtliche von ihr eingeleiteten Ermittlungsverfahren dorthin mitzuteilen haben. Dies wäre auch nicht sinnvoll. Damit die Staatsanwaltschaft ihr Recht und ihre Pflicht zur Prüfung einer Evokation auch in jedem Einzelfall und in jedem Stadium des Verfahrens sachgerecht ausüben kann, muss sie aber in den „in Betracht kommenden Fällen“ frühzeitig eingebunden sein. Die Finanzbehörden haben daher die Staatsanwaltschaft über alle bei der Steuerfahndung anhängigen Ermittlungsverfahren, bei denen eine Evokation nicht fern liegt, frühzeitig zu unterrichten, etwa bei regelmäßig stattfindenden Kontaktgesprächen.
Die Übernahme durch die Staatsanwaltschaft kann wegen der Bedeutung einer auch kleineren Sache – wegen einer besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit etwa – im Raum stehen, jedenfalls dann, wenn Zweifel bestehen oder während des Gangs der Ermittlungen entstehen, ob die Sache zur Erledigung im Strafbefehlsverfahren geeignet ist, insbesondere wenn – oder sobald – wegen der Größenordnung oder der Bedeutung des Falls eine Anklage beim Landgericht zu erwarten ist. Die frühzeitige Einbeziehung der Staatsanwaltschaft ist gerade auch dann angezeigt, wenn sich die Beweislage zu Beginn als schwierig darstellt.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 90/09
- § 386 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 399 Abs. 1 AO; vgl. auch Erb in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 160 Rdn. 11[↩]
- vgl. OLG Stuttgart wistra 1991, 190; Randt in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Aufl. § 386 AO Rdn. 4; Muhler in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. § 15 Rdn. 14[↩]
- vgl. Randt aaO Rdn. 47[↩]