Ausreichende Belüftung eines Haftraumes

Ein Verstoß gegen den Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle liegt vor, wenn die Erkenntnisse der richterlichen Inaugenscheinnahme des Haftraums im November im angegriffenen Beschluss ohne hinreichende Begründung auf die Frage der ausreichenden Frischluftversorgung im Hochsommer übertragen werden.

Ausreichende Belüftung eines Haftraumes

In dem der hier entschiedenen Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Fall verbüßte der inhaftierte Beschwerdefürer eine Strafhaft in Baden-Württemberg. Er ist in der Justizvollzugsanstalt Offenburg untergebracht. Die Zelle des Beschwerdeführers verfügt über ein Fenster, das nur teilweise zu öffnen ist. Vor dem Bereich, der sich öffnen lässt und der etwa ein Drittel der Gesamtfläche des Fensters ausmacht, ist ein sogenanntes Lochblech montiert. Die anderen zwei Drittel des Fensters sind fest verglast und vergittert. Am 3.07.2015 beantragte der Beschwerdeführer bei der Justizvollzugsanstalt, das Lochblech vor dem Fenster seines Haftraums zu entfernen. Selbst bei Nacht stehe heiße Luft in seiner Zelle, weil diese wegen der Lochbleche nicht zirkulieren könne. Diesen Antrag lehnte die Justizvollzugsanstalt am 10.07.2015 ab. Nach den Vorgaben des Justizministeriums Baden-Württemberg sei vor dem zu öffnenden Fensterteil ein Lochblech anzubringen, das Öffnungen vorsehe, die so klein seien, dass durch sie keine Gegenstände hereingezogen oder herausgebracht werden könnten (sogenanntes „Pendeln“). Ein Lüften der Zelle sei auch mit der Vorrichtung möglich.

Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung verwarf das Landgericht Offenburg1, das Oberlandesgericht Karslruhe verwarf die daraufhin eingelegte Rechtsbeschwerde2. Das Bundesverfassungsgericht hob nun den ablehnenden Beschluss des Landgerichts Offenburg auf und verwies die Sache zurück an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts:

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG durch den Beschluss des Landgerichts rügt, zur Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde war stattzugeben, da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen vom Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93b Satz 1 in Verbindung mit § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

Der Beschwerdeführer hat sie nach Erschöpfung des Rechtswegs in einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechenden Weise hinreichend begründet. Zwar verweist er in seiner Verfassungsbeschwerde weitgehend auf die im fachgerichtlichen Verfahren erhobene Rechtsbeschwerde. Dies trägt den Begründungsanforderungen vorliegend aber ausreichend Rechnung, weil der Beschwerdeführer die Rechtsbeschwerde unter Bezugnahme auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung und unter Darlegung der fehlenden Vereinbarkeit des landgerichtlichen Beschlusses mit seinen Grundrechten begründet hat.

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Der Beschwerdeführer ist durch die Entscheidung des Landgerichts in seinem Grundrecht aus Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt, weil das Landgericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausreichend geprüft hat.

Abs. 4 GG verleiht dem Einzelnen, der behauptet, durch einen Akt öffentlicher Gewalt verletzt zu sein, einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle, das heißt auf eine umfassende Prüfung des Verfahrensgegenstandes3. Die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen kann die Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten Interessen nur gewährleisten, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht4.

Diesen grundrechtlichen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle liegt vor, da die Erkenntnisse der richterlichen Inaugenscheinnahme des Haftraums im November im angegriffenen Beschluss ohne hinreichende Begründung auf die Frage der ausreichenden Frischluftversorgung im Hochsommer übertragen worden sind. Zudem hat das Landgericht nicht hinreichend dargelegt, nach welchen Kriterien es eine ausreichende Frischluftversorgung beurteilt hat.

Das Landgericht hat die Zelle des Beschwerdeführers am 6.11.2015 in Augenschein genommen und festgestellt, dass Frischluft in diese hineinströme. Im angegriffenen Beschluss heißt es, dass die Gefangenen weiterhin lüften könnten und aufgrund der Lochgitter lediglich die Ventilation eingeschränkt sei. Eine Luftzufuhr, die sich in den verfassungsgemäßen Grenzen der menschlichen Behandlung bewege, sei ermöglicht. Der Vortrag des Beschwerdeführers im Hinblick auf die fehlende Frischluftversorgung bezieht sich jedoch auf die konkreten Haftbedingungen in den Sommermonaten. Er hat im fachgerichtlichen Verfahren vorgetragen, dass bei hochsommerlichen Temperaturen aufgrund des vor seinem Zellenfenster montierten Lochblechs keinerlei Frischluft in seine Zelle gelange beziehungsweise ein Luftaustausch nicht stattfinde. Zieht das Landgericht aus einer Inaugenscheinnahme unter völlig anderen klimatischen Bedingungen Rückschlüsse, so muss es deren Übertragbarkeit jedenfalls begründen. Aus der Stellungnahme des Ministeriums der Justiz und für Europa vom 04.05.2017 geht zwar hervor, dass die Normvorgaben und der Luftaustausch für alle Jahreszeiten gleich seien und der Luftbedarf vielmehr von der Anzahl der Personen in einem Raum und der jeweils ausgeübten Tätigkeit abhänge. Das Fachgericht hat in dem angegriffenen Beschluss allerdings deutlich gemacht, dass die Übertragung der durch die richterliche Inaugenscheinnahme am 6.11.2015 gewonnenen Erkenntnisse auf die Situation im Haftraum im Hochsommer zweifelhaft sein dürfte. So konstatiert es, dass es während der Spitzentemperaturen im Hochsommer – wie vom Beschwerdeführer behauptet – zu einem Stillstand der Luftzirkulation kommen könne. Der ausbleibende Luftaustausch sei jedoch wetter- und witterungsbedingt und stehe mit den Lochblechen in keinem Zusammenhang. Das Landgericht lässt aber offen, ob der fehlende Luftaustausch dazu führt, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers – unabhängig von der Montage des Lochbleches – während dieser Hitzeperioden nicht mehr den verfassungsmäßigen Vorgaben entspricht. Ebenfalls unklar bleibt, auf welcher Grundlage es die Feststellungen zum Stillstand der Luftzirkulation im Hochsommer und dessen Ursächlichkeit für den ausbleibenden Luftaustausch getroffen hat.

Es fehlt ferner an einer Darlegung der Kriterien, anhand derer das Landgericht die ausreichende Frischluftversorgung beurteilt hat. Die Annahme, dass das Öffnen der Kommunikationsluke der Haftraumtür im Hochsommer eine ausreichende Frischluftzufuhr ermögliche, wird weder begründet noch belegt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der angegriffene Beschluss keine ausreichenden Feststellungen zur Beschaffenheit der Lochbleche (Material des Lochbleches, Durchmesser der Löcher, Abstand derselben zueinander, Abstand des montierten Bleches zum Fensterrahmen) enthält.

Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht bei Beachtung der sich aus Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen an die Aufklärung des Sachverhalts zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre5. Das Landgericht wird sich erneut mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine ausreichende Frischluftzufuhr und Luftzirkulation in der Zelle des Beschwerdeführers im Hochsommer gewährleistet ist. Dabei wird insbesondere das vom Ministerium der Justiz und für Europa des Landes Baden-Württemberg in seiner Stellungnahme vom 04.05.2017 genannte Gutachten über die Luftmengenberechnung zu berücksichtigen sein.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 16. August 2017 – 2 BvR 336/16

  1. LG Offenburg, Beschluss vomm 09.11.2015 – 7 StVK 468/15[]
  2. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.01.2016 – 2 Ws 567/15[]
  3. vgl. BVerfGE 101, 106, 122 f.; 103, 142, 156; 129, 1, 20; BVerfG, Beschluss vom 23.01.2017 – 2 BvR 2584/12 18[]
  4. vgl. BVerfGE 101, 275, 294 f.; BVerfGK 9, 390, 395; 9, 460, 463; 13, 472, 476; 13, 487, 493; 17, 429, 430 f.; 19, 157, 164; 20, 107, 112; BVerfG, Beschluss vom 23.01.2017 – 2 BvR 2584/12 18[]
  5. zur Pflicht der Justizvollzugsanstalt zur kostenfreien Stellung von Ventilatoren bei hoher Hitzebelastung in einem Haftraum, vor dessen Fenster ein Lochblech montiert ist, vgl. etwa OLG Stuttgart, Beschluss vom 07.07.2015 – 4 Ws 38/15 (V) 18 ff.[]