Sofortvollzug der nachträglichen Befristung einer Aufenthaltserlaubnis

Die Anordnung des Sofortvollzugs der nachträglichen Befristung einer Aufenthaltserlaubnis erfordert ein über das Interesse am Erlass des Verwaltungsakts hinausgehendes besonderes öffentliches Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts des Betreffenden vor Eintritt der Unanfechtbarkeit.

Sofortvollzug der nachträglichen Befristung einer Aufenthaltserlaubnis

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Ist die sofortige Vollziehung von der Behörde den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügend angeordnet worden, so setzt die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das vorrangig öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus1.

Im Rahmen dieser Abwägung ist zu berücksichtigen, dass dem öffentlichen Vollzugsinteresse überhaupt nur dann Vorrang eingeräumt werden kann, wenn der angefochtene Verwaltungsakt voraussichtlich auch im Hauptsacheverfahren Bestand haben, mithin sich als rechtmäßig erweisen wird.

Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass für die Anordnung des Sofortvollzugs der nachträglichen Befristung einer Aufenthaltserlaubnis, die als schwerwiegende Maßnahme nicht selten tief in das Schicksal des Betroffenen eingreift und deren Gewicht durch die Anordnung des Sofortvollzugs noch zusätzlich verschärft wird, ein über das Interesse am Erlass des Verwaltungsakts hinausgehendes besonderes öffentliches Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts des Betreffenden vor Eintritt der Unanfechtbarkeit erforderlich ist2.

Ein solches besonderes öffentliches Interesse ergibt sich nicht aus dem allgemeinen öffentlichen Interesse an der Einhaltung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 84 Abs. 1 AufenthG zu erkennen gegeben, im Falle des § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Regelfall keinen das Abwarten des Hauptsacheverfahrens entgegenstehenden unverzüglichen Handlungsbedarf zu sehen, es vielmehr beim Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO bleiben sollte, wonach der Klage aufschiebende Wirkung zukommt. Die infolgedessen bestehende aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen auf § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gestützten Bescheid und die hieran anknüpfende Möglichkeit während des Rechtsmittelverfahrens im Bundesgebiet zu bleiben, ist Folge des gesetzlichen, durch Art.19 Abs. 4 GG garantierten Rechtsschutzsystems3.

Ein besonderes öffentliches Interesse an einer sofortigen Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers ergibt sich auch nicht mit Blick auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Der Antragsteller ist im vorliegenden Fall zwar im Bundesgebiet strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er wurde wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Erschleichen eines Aufenthaltstitels zu einer Geldstrafe von 110 Tagessätzen und wegen vorsätzlichen Fahrens trotz Fahrverbots zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Das Amtsgericht verhängte gegen ihn wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Aus diesen Verurteilungen allein kann aber nicht auf die konkrete Gefahr erneuter strafrechtlicher Verfehlungen des Antragstellers gerade in der Zeit bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides geschlossen werden.

Ein besonderes öffentliches Interesse an einer sofortigen Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers ergibt sich schließlich nicht mit Blick auf eine mögliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Hier ist schon nicht ersichtlich, dass der Antragsteller derzeit Sozialleistungen bezieht. Nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Antragstellers befindet er sich in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Das Jobcenter des Antragsgegners teilte mit, dass der Antragsteller keine Leistungen nach dem SGB II bezieht. Der Antragsgegner selbst weist auch nur darauf hin, dass der Antragsteller „möglicherweise dem Sozialstaat zur Last fallen“ wird.

Hat damit der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage Erfolg, soweit sie sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis in Nrn. 1 und 4 des Bescheides des Antragsgegners vom 25.11.2013 richtet, ist auch die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Nr. 3 dieses Bescheides verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen. Die wiederhergestellte aufschiebende Wirkung der Klage erfasst nach § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch die rechtsgestaltende nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis, so dass aus dieser rechtliche Folgerungen nicht gezogen werden dürfen4. Dem Antragsgegner ist es daher derzeit verwehrt, sich auf die allein durch die nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG entstandene gesetzliche Ausreisepflicht zu berufen und dem Antragsteller die Abschiebung anzudrohen.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. März 2014 – 8 ME 24/14

  1. vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 16.03.2004 – 8 ME 164/03, NJW 2004, 1750 m.w.N.[]
  2. vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.01.1996 – 2 BvR 2718/9520; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.04.2013 – 11 S 581/13 18; OVG Bremen, Beschluss vom 23.04.2010 – 1 B 44/10 12; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.05.2009 – 18 B 421/09 8 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 6.06.2008 – 19 CS 08.1233 4 f.; Hessischer VGH, Beschluss vom 30.07.2007 – 9 TG 1360/07 3 f.[]
  3. vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.05.2009, a.a.O., Rn. 15[]
  4. vgl. zum Inhalt der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO: BVerwG, Urteil vom 6.07.1973 – BVerwG IV C 79.69, Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 23; Finkelnburg/Dombert/Külp-mann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl., Rn. 630 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung[]