Für den Erlass schulaufsichtlicher Verfügungen gegenüber den Trägern von staatlich anerkannten Schulen für Physiotherapie gibt es in Niedersachsen keine Rechtsgrundlage.

Jeder Verwaltungsakt, der in die Rechte des von ihm Betroffenen eingreift, bedarf einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Dieser Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes1 und ist nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch für die Verwaltung der Länder verbindlich. Ihm wird nur dann Rechnung getragen, wenn eine gesetzliche Regelung vorhanden ist, die den in Frage stehenden Sachverhalt des behördlichen Tätigwerdens nach allgemeinen Grundsätzen der Gesetzesauslegung erfasst und dabei inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verpflichtet danach auch den Landesgesetzgeber, in grundrechtsrelevanten Bereichen die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen, wobei es dem Gesetzgeber allerdings nicht von vornherein verwehrt ist, Generalklauseln zu verwenden und Spielräume zu eröffnen2. Dies gilt auch für die Grundrechtsrelevanz von Verwaltungsakten, welche in die von Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG erfasste Freiheit der Träger von Privatschulen, die gesetzlich vorgesehene Ausbildung der Schülerinnen und Schüler eigenverantwortlich zu organisieren, eingreifen.
Seitdem die ehemalige Bezirksregierung Hannover der unter dem Namen Schulen G. betriebenen Berufsfachschule für Physiotherapie mit dem Bescheid vom 12.09.1995 die Eigenschaft einer staatlich anerkannten Schule verliehen hat, ist sowohl im Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten als auch gegenüber den Schülerinnen und Schülern dieser Schule bestandskräftig geregelt, dass Schülerinnen und Schüler an dieser Schule nach § 9 Satz 2 des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie (Masseur- und Physiotherapeutengesetz – MPhG -)3 eine Ausbildung mit den in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Physiotherapeuten (PhysTh-APrV)4 vorgeschriebenen Inhalten erhalten, so dass ihnen nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“ oder „Physiotherapeut“ erteilt werden kann.
Eine gesetzliche Grundlage für den Erlass eines Verwaltungsakts, mit dem die Behörde der Schulträgerin untersagt, die bundesgesetzlich vorgesehene und inhaltlich vorgegebene Berufsausbildung in bestimmten Teilen durchzuführen, gibt es nicht. Demzufolge gibt es auch keine gesetzliche Regelung der Fragen, welche Behörde des Landes Niedersachsen für den Erlass eines solchen Verwaltungsakts zuständig wäre, welchen Inhalt dieser Verwaltungsakt haben dürfte und ob der zuständigen Behörde ein Ermessen für ihr Tätigwerden und die Auswahl und Umfang der behördlichen Maßnahme eingeräumt wäre.
Aus dem MPhG und der PhysTh-APrV lässt sich eine solche gesetzliche Grundlage nicht herleiten. Der Bundesgesetzgeber hat insoweit von seiner Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr.19 Grundgesetz (GG) keinen Gebrauch gemacht. Er beschränkt sich in § 14 Abs. 1 und 2 MPhG darauf zu bestimmen, welches Land für die gegenüber den Ausgebildeten bzw. den Schülerinnen und Schülern zu treffenden Entscheidungen nach § 2 Abs. 1 und § 7 Abs. 4 MPhG und nach § 6 Abs. 2 oder § 12 MPhG jeweils zuständig ist. Die Regelung der Zulassung der Physiotherapeutenschulen, der diesbezüglichen Behördenzuständigkeiten sowie der Eingriffsmöglichkeiten der staatlichen Aufsicht (Art. 7 Abs. 1 GG) ist gemäß Art. 72 Abs. 1 GG eine Aufgabe der Gesetzgebung der Länder, die Rechtsnormen nicht nur für die staatliche Anerkennung dieser Schulen, sondern auch für die Fachaufsicht für die Physiotherapeutenschulen schaffen muss5. Die Länder haben in eigener Zuständigkeit die nähere Ausgestaltung der schulischen Ausbildung zu anderen als ärztlichen Heilberufen als Substanz des ihnen obliegenden Ausbildungsrechts zu bestimmen und hierfür die notwendigen Rechtsgrundlagen zu schaffen6.
Rechtsgrundlagen für die nach Art. 7 Abs. 1 GG als Institution vorgesehene staatliche Schulaufsicht über Physiotherapeutenschulen und deren Inhalt sind in Niedersachsen nicht geschaffen worden. Dementsprechend existieren auch keine Verwaltungsvorschriften, welche die Art und den Inhalt des Tätigwerdens einer staatlichen Aufsicht im Zusammenhang mit der staatlichen Anerkennung von Physiotherapieschulen und den Gebrauch diesbezüglicher Entscheidungsspielräume lenken könnten. Das Niedersächsische Kultusministerium und die anderen beteiligten obersten Landesbehörden haben in dem gemeinsamen Runderlass „Zuständige Behörden für andere als ärztliche Hilfsberufe„7 nur festgelegt, dass die Niedersächsische Landesschulbehörde zuständige Behörde für die in § 14 MPhG genannten Gegenstände der gegenüber den Ausgebildeten bzw. Auszubildenden zu treffenden Erlaubnis, Verkürzungs- und Anrechnungsentscheidungen und für die Anwendung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Physiotherapeuten ist. In dem Erlass des Niedersächsischen Kultusministeriums „Mindestanforderungen an Schulen für andere als ärztliche Heilberufe„8 beschränkt sich die oberste Landesbehörde darauf, für die Ausbildung von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten bestimmte verwaltungsintern bindende Mindeststandards der Anforderungen an Leitungskräfte, an die räumliche und sächliche Ausstattung der Schulen und die Ausgestaltung der Ausbildung vorzuschreiben. Eine Verwaltungsvorschrift, welche die zuständige Behörde übergangsweise bis zur Schaffung der gesetzlichen Grundlagen ermächtigen könnte, die rechtlichen Verhältnisse einer staatlich anerkannten Schule für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten hoheitlich zu gestalten, existiert hingegen nicht. Aus diesem Grund kann die sich an eine entsprechende Verwaltungsvorschrift anknüpfende Frage, ob der regelungslose Zustand im Land Niedersachsen in Anbetracht des bereits verstrichenen Zeitraums von 20 Jahren seit Erlass des MPhG für eine (weitere) Übergangszeit noch hingenommen werden könnte, offen bleiben.
Auf die im Niedersächsischen Schulgesetz (NSchG) verankerten Regelungen über die von den Schulbehörden wahrgenommene staatliche Schulaufsicht (§§ 120, 167 NSchG) kann als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe der Behörde in die Berechtigung der Schulträgerin zur Durchführung der Ausbildung von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten nicht zurückgegriffen werden. Sie sind, soweit das NSchG in seinem Elften Teil bestimmte Anforderungen an die Schulleitungen und den Unterricht an Schulen in freier Trägerschaft stellt, auf die Rechtsverhältnisse von Schulen im Sinne von § 9 Satz 2 MPhG weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden. Bezüglich der staatlich anerkannten Physiotherapeutenschule Schulen G. in F. besteht zwar die Besonderheit, dass das Rechtsverhältnis zwischen der Schulträgerin und dem Land Niedersachsen durch das den Beteiligten bekannte Urteil des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 28.11.20019 insoweit rechtskräftig geklärt ist, als es sich bei beiden Schulen um Ersatzschulen im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG handelt, für die das Land Niedersachsen rechtswidrig nicht den Zugang zu einem Genehmigungsverfahren nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG, 4 Abs. 3 Nds. Verfassung (NV) eröffnet hat. Daraus allein ergibt sich aber noch nicht die Möglichkeit einer analogen Anwendung der Regelungen des NSchG auf die staatliche Schulaufsicht über diese Schule. Denn der Landesgesetzgeber hat in § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 NSchG ausdrücklich festgelegt, dass das NSchG auf die Schulen für andere als ärztliche Heilberufe keine Anwendung findet. Mit der abschließenden Aufzählung der in § 1 Abs. 5 Satz 2 NSchG namentlich genannten Rückausnahmen ist das Gesetz in diesem Punkt auch nicht lückenhaft, denn der Landesgesetzgeber hat sich bei der Einführung der Regelung des § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 NSchG durch das Gesetz zur Verbesserung von Bildungsqualität und zur Sicherung von Schulstandorten10 bewusst dafür entschieden, die vorhandenen Schulen für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten nicht in den Geltungsbereich des NSchG einzubeziehen. Er hat die bis zum Erlass jenes Gesetzes geltende Verordnungsermächtigung zur Einbeziehung dieser Schulen in den Geltungsbereich des NSchG aufgehoben, um zu verhindern, dass sich Schulträger „in den Geltungsbereich des NSchG einklagen und damit erhebliche Finanzhilfeansprüche auslösen„11. Demzufolge lässt sich eine Genehmigungspflicht der verkürzten der Physiotherapeutenausbildung abweichend von der Rechtsauffassung der Behörde nicht aus dem Genehmigungserfordernis von Ersatzschulen (Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG) herleiten.
Unterstellt, es ließe sich die von der Behörde ersichtlich in Ausschöpfung eines angenommenen Ermessensspielraums getroffene Untersagungsverfügung auf eine rechtliche Grundlage stützen, wäre sie dennoch rechtswidrig, denn die Entscheidung der Behörde stützt sich auf eine unzutreffende Grundlage. Entscheidend für das behördliche Einschreiten der Behörde ist ihre Auffassung, dass die staatliche Anerkennung der Schulen G. nicht zur Durchführung der nach § 12 Abs. 1 MPhG vorgesehenen verkürzten Ausbildung berechtige, dass die Behörde vielmehr für die Durchführung der diesbezüglichen Lehrgänge bei der Schulbehörde eine gesonderte Genehmigung beantragen müssen.
Beides trifft nicht zu. Eine gesetzliche Regelung, die dem Träger einer staatlich anerkannten Physiotherapieschule aufgibt, eine behördliche Genehmigung für die Durchführung von Lehrgängen für Schülerinnen und Schüler, deren Ausbildung durch Bescheid der Behörde nach § 12 Abs. 1 bis 3 MPhG verkürzt worden ist, einzuholen, existiert nicht. Eine solche Regelung stünde auch im Widerspruch zum Wesen und Inhalt der staatlichen Anerkennung. Wie bereits oben ausgeführt ist mit der am 12.09.1995 verliehenen Eigenschaft der Schulen G. als staatlich anerkannte Schule im Sinne von § 9 Satz 2 MPhG ein Rechtsstatus begründet worden, der Voraussetzung dafür ist, dass die von der Schulträgerin an dieser Schule ausgebildeten und erfolgreich geprüften Personen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“ und „Physiotherapeut“ haben.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die der Schulträgerin verliehene staatliche Anerkennung auch das Recht zur Ausbildung von Personen, für die die Behörde die Verkürzung der Ausbildungszeit gemäß § 12 Abs. 1 MPhG genehmigt hat, umfasst. Der objektive Erklärungswert des Ausspruchs über die Verleihung der staatlichen Anerkennung im Bescheid der ehemaligen Bezirksregierung Hannover vom 12.09.1995 enthält keine inhaltliche Einschränkung der Ausbildung von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Sie lässt sich insbesondere nicht dem Zitat des § 9 MPhG im Entscheidungsausspruch des Bescheides entnehmen. Dieses Zitat stellt ersichtlich darauf ab, dass einer Schule nach § 9 Satz 2 MPhG die Eigenschaft einer staatlich anerkannten Schule verliehen worden sein muss, wenn die erfolgreiche Ausbildung an dieser Schule zur Erteilung der Erlaubnis des Führens der Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“ oder „Physiotherapeut“ führen soll. Eine nur teilweise oder abschnittsweise Verleihung der Eigenschaft einer staatlich anerkannten Physiotherapeutenschule ist im MPhG nicht vorgesehen. Vielmehr bezieht sich die gegenüber den Schülerinnen und Schülern zu treffenden Verkürzungsentscheidungen der Behörde nach dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 1 MPhG auf „die Ausbildung nach § 9 Satz 1“. Die als „Maßgaben“ bezeichneten Einschränkungen und Nebenbestimmungen des Anerkennungsbescheides vom 12.09.1995 geben ebenfalls nichts für eine inhaltliche Einschränkung der staatlichen Anerkennung der Schulen G. her. Das gilt auch, soweit in dem Anerkennungsbescheid bestimmt worden ist, dass die mit dem Anerkennungsantrag der 15.03.1995 vorgelegten Unterlagen Gegenstand der staatlichen Anerkennung ist. Der hierzu von der Schulträgerin vorgelegte Lehrplan bezog sich zwar unter Bezugnahme auf Anlage 1 zur PhysTh-APrV (nur) auf die dreijährige Physiotherapeutenausbildung. Allerdings enthielten die vorgelegten und nachgereichten Antragsunterlagen der Schulträgerin keine Erklärung der Schulträgerin, dass sie die Verleihung der Eigenschaft einer staatlichen Anerkennung ausschließlich und vorbehaltlos für die Durchführung der dreijährigen Ausbildung beantragte.
Zwar ist aus dem Verfahren 6 A 6162/13 bekannt, dass die Behörde die staatliche Anerkennung vom 12.09.1995 mit einem Bescheid vom 22.07.2013 geändert und dabei unter anderem angeordnet hatte, dass die Lehrgänge nach § 1 Abs.1 PhysTh-APrV und dem Stoffverteilungsplan der Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 PhysTh-APrV durchzuführen seien, ferner dass der theoretische und praktische Unterricht getrennt nach Lehrgängen durchgeführt werden müsse und Ausnahmen (nur) nach der Zustimmung der Schulbehörde möglich seien. Der Bescheid vom 22.07.2013 ist aber in jenem Verfahren von der Schulträgerin angefochten und mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28.05.2014 – 6 A 6162/13 – aufgehoben worden, weil es in Niedersachsen auch für die nachträgliche Änderung staatlicher Anerkennungen von Schulen nach § 9 Satz 2 MPhG an einer gesetzlichen Grundlage fehlt.
Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 28. Mai 2014 – 6 A 8169/13
- BVerfG, Beschl. vom 09.05.1972, BVerfGE 33, 125 ff., 163 = DÖV 1972 S. 748[↩]
- vgl. BVerfG, Urt. vom 24.05.2006 – 2 BvR 669/04 –, BVerfGE 116, 24 ff. = NVwZ 2006 S. 807 ff.[↩]
- vom 26.05.1994, BGBl. I S. 1084, zuletzt geändert durch Artikel 45 des Gesetzes vom 06.12.2011, BGBl. I S. 2515[↩]
- vom 06.12.1994, BGBl. I S. 3786; zuletzt geändert durch Art. 13 der Verordnung vom 02.08.2013, BGBl. I S. 3005[↩]
- VG Hannover, Urt. vom 28.05.2014 – 6 A 6162/13[↩]
- vgl. BVerfG, Urt. vom 24.10.2002, BVerfGE 106, S. 62, 131 = NJW 2003, S. 41, 49[↩]
- vom 23.11.2004, Nds. MBl. S. 866[↩]
- vom 13.04.2010, Nds. MBI. S. 553[↩]
- Nds. OVG, Urteil vom 28.11.2001 – 13 L 2847/00[↩]
- vom 02.07.2003, Nds. GVBl. S. 244[↩]
- vgl. Nds. Landtag, Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und FDP vom 10.03.2003, LT-Drs. 15/30 S. 15[↩]