Die Haftung als mittelbarer Störer darf nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, welche die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben. Der Mitverursachungsbeitrag allein reicht zur Begründung der Verantwortlichkeit nicht aus; vielmehr bedarf die Zurechnung der fremden Rechtsverletzung einer zusätzlichen Rechtfertigung. Diese besteht in der Regel in der Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfpflichten.
Die Verantwortung für die redaktionelle Gestaltung ihrer Veröffentlichungen obliegt grundsätzlich allein der Presse. Die Presse hat bei einer Veröffentlichung die Rechte der davon Betroffenen zu wahren, über die hierzu nötige Fachkunde zu verfügen und die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Selbst wenn eine Person (zutreffende) Informationen an die Presse gegeben hat, ist sie deshalb grundsätzlich nicht für die Gestaltung redaktioneller Beiträge verantwortlich, die auf dieser Grundlage erstellt werden1.
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nehmen die Betroffenen ihren Großvater als Quelle einer nach ihrer Auffassung ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzenden Berichterstattung in Anspruch. Sie verlangen von ihm, es zu unterlassen, ihre Identifikation im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Kindesmissbrauchs durch Einwilligung in die Veröffentlichung seines Bildnisses und seines Vor- und Nachnamens zu ermöglichen, wenn dies Ausdruck findet wie in der Berichterstattung. Der beklagte Informant ist der Großvater mütterlicherseits der im Jahr 2004 geborenen Betroffenen und des im Jahr 2007 geborenen Betroffenen. Beide hier klagenden Enkel befinden sich seit 2016 in intensiver therapeutischer Behandlung, unter anderem bei der Heilpraktikerin M. Die Enkelin war im Jahr 2016 zeitweise suizidal und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht. Der Enkel musste die Schule wechseln und hat große Probleme, sich zu konzentrieren. Im Jahr 2017 zeigte der Vater der Enkel den Großvatern wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs der Enkel an. Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde im Oktober 2018 mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Zeitraum der vorgeworfenen Taten wohnten die Familie der Enkel und der Großvater mit seiner Ehefrau unmittelbar nebeneinander in einem Dorf mit etwa 3.000 Einwohnern. Etwa 2016/2017 zogen die Enkel mit ihren Eltern in ein rund 6 km entferntes Dorf. Mit Bescheiden vom 29.06.2018 wurden die Enkel vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nach den Leitlinien für die Gewährung von Leistungen aus dem Fonds sexueller Missbrauch im familiären Bereich als Betroffene sexuellen Missbrauchs im familiären Bereich anerkannt. Ihnen wurde rückwirkend die Kostenübernahme für therapeutische Einzelsitzungen bei der Heilpraktikerin M. in Höhe von jeweils maximal 10.000 € bewilligt. In einem gerichtlichen Vergleich von August 2018 verpflichtete sich der Vater der Enkel gegenüber dem Großvatern, die Behauptung zu unterlassen, der Großvater habe die Enkel sexuell missbraucht. m Jahr 2020 führte der Großvater Gespräche mit einem Volontär einer Tochtergesellschaft der dem Rechtsstreit aufseiten des Großvaters beigetretenen Verlagsgruppe, der Recherchen für eine beabsichtigte Berichterstattung durchführte. Dabei informierte der Großvater den Volontär über die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe des Kindesmissbrauchs. Auf Frage des Volontärs erklärte sich der Großvater damit einverstanden, in einem etwaigen Zeitungsartikel über die Geschehnisse namentlich benannt zu werden. Er willigte auch in die Veröffentlichung eines Fotos von ihm ein. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht fest, ob und wie über die Geschehnisse berichtet werden würde. Dem Großvatern wurde auch nicht die Möglichkeit eingeräumt, den Artikel vor der Veröffentlichung zu prüfen.
Am 27.12.2020 veröffentlichte die Tochtergesellschaft der Verlagsgruppe auf ihrem Onlineportal einen Artikel, der mit den Worten „Die Wunderheilerin, die Familien entzweit“ überschrieben ist. Der Artikel wird mit einem Bildnis des Großvaters und seiner Ehefrau eingeleitet, unter dem sich der den Vor- und Nachnamen des Großvaters enthaltende Artikeltext befindet. In diesem werden außer dem Namen des Großvaters auch die Orte jeweils vollständig angegeben, während die Enkel mit durch Sternchenhinweis kenntlich gemachten Pseudonymen „Felix“ und „Marie“ bezeichnet werden. Im Anschluss daran wird ein anderer Fall geschildert, in dem die Heilpraktikerin M. den sexuellen Missbrauch eines zweijährigen Jungen durch seinen Vater diagnostiziert habe. Der Verdacht habe sich nicht verifizieren lassen und das gegen den Vater eingeleitete Verfahren sei eingestellt worden. Sodann werden die beiden Fälle und die Rolle der Heilpraktikerin in beiden verglichen. Einen inhaltsgleichen Artikel unter dem abweichenden Titel „Im Fadenkreuz der Wunderheilerin“ veröffentlichte die Tochtergesellschaft der Verlagsgruppe am 31.12.2020 in ihrer Tageszeitung.
Das Landgericht Frankfurt am Main hat den Großvatern verurteilt, es zu unterlassen, durch Einwilligung in die Veröffentlichung seines Bildnisses und seines Vor- und Nachnamens die Identifikation der Enkel im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Kindesmissbrauchs zu ermöglichen, wenn dies Ausdruck findet wie in dem -im Urteil näher dargestellten- Artikel, die weitergehende Klage hat das Landgericht Frankfurt abgewiesen2. Auf die Berufung des Großvaters hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen3. Die hiergegen gerichtete Revision der Enkel hat der Bundesgerichtshof als unbegründet zurückgewiesen:
Den Enkeln steht der geltend gemachte, auf die Ermöglichung der Identifikation der Enkel in dem streitgegenständlichen Artikel gestützte Verletzungsunterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG nicht zu. Sie können vom Großvatern nicht verlangen, es zu unterlassen, durch eine Einwilligung in die Veröffentlichung seines Bildnisses und seines Vor- und Nachnamens die Identifikation der Enkel im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Kindesmissbrauchs zu ermöglichen, wenn dies Ausdruck findet wie in dem streitgegenständlichen Artikel. Zwar werden die Enkel durch diese Veröffentlichung in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Der Großvater ist für diese Rechtsverletzung aber nicht verantwortlich.
Die Darstellung der Geschehnisse in dem streitgegenständlichen Artikel verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Enkel.
Die Berichterstattung greift in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Enkel ein. Die Enkel sind unmittelbar in ihren Rechten betroffen und nicht bloß reflexartig tangiert.
Gegen rechtsverletzende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht kann nur der unmittelbar Verletzte, nicht auch derjenige vorgehen, der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar belastet wird, solange diese Auswirkungen nicht auch als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind. Insoweit kann für das Persönlichkeitsrecht unbeschadet seiner Ausbildung als ein erst durch Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall zu ermittelndes Schutzgut nichts anderes gelten als für die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter und absoluten Rechte4.
Durch eine Presseberichterstattung unmittelbar in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen kann aber nicht nur sein, wer im Mittelpunkt der Veröffentlichung steht oder auf wen sie zielt. Erscheint die Persönlichkeitssphäre des Dritten selbst als zum Thema des Berichts zugehörig, so ist sie auch dann berührt, wenn die Veröffentlichung auf eine andere Person zielt und diese Person im Mittelpunkt der Berichterstattung steht5.
So verhält es sich im Streitfall. Zwar zielt der Artikel in erster Linie auf eine Kritik an der als „Wunderheilerin“ bezeichneten Heilpraktikerin M. und der zuständigen Aufsichtsbehörde ab. Die Heilpraktikerin habe mit „höchst fragwürdigen“, „wissenschaftlich unhaltbaren Methoden“ in mehreren Fällen einen sexuellen Missbrauch von Kindern durch nahe Angehörige diagnostiziert, der nach der Bewertung der im Artikel im Einzelnen dargestellten Tatsachen durch den Verfasser „offenbar“ nie stattgefunden habe. Durch ihre „unwissenschaftliche Arbeit“ habe sie Familien entzweit und das Leben der zu Unrecht Beschuldigten zerstört. Anhand von zwei konkreten Fällen werden die gravierenden Auswirkungen der von M. getroffenen Missbrauchsdiagnosen – insbesondere – auf die zu Unrecht Bezichtigten näher dargestellt und die Frage aufgeworfen, warum das für die Aufsicht über Heilpraktiker zuständige örtliche Gesundheitsamt ihr nicht das Handwerk lege. In diesem Zusammenhang wird das Schicksal des – durch Angabe seines vollen Namens, seines Wohnortes und seines Berufs sowie durch Abdruck seines Bildes identifizierten – Großvatern in den Vordergrund gerückt. Der Artikel beleuchtet die „rasend schnell“ eingetretene gesellschaftliche Ausgrenzung, die der Großvater in seiner Dorfgemeinschaft erfahren habe, nachdem in der Praxis der Heilpraktikerin M. der Vorwurf aufgekommen und von seinem Schwiegersohn aufgegriffen worden sei, er habe seine beiden Enkel missbraucht.
Gleichzeitig gehört aber auch die Persönlichkeitssphäre der Enkel selbst zum Thema der Berichterstattung. Die Enkel werden in dem Artikel als vermeintliche Opfer eines sexuellen Missbrauchs dargestellt. Sie sind die im Artikel erwähnten Enkel des Großvaters, die von diesem nach Auffassung seines Schwiegersohns missbraucht worden sind und deren Gesundheitszustand, Verhaltensweisen und Behandlung durch die Heilpraktikerin in dem Artikel näher beschrieben werden. Trotz der Änderung ihrer Vornamen durch die Redaktion und ihres vom Namen des Großvaters abweichenden Nachnamens sind sie für potentielle Leser identifizierbar. Die Identifizierbarkeit ist bereits dann gegeben, wenn eine nicht namentlich genannte Person zumindest für einen Teil des Leser- oder Adressatenkreises aufgrund der gemachten Angaben hinreichend erkennbar wird.
Dabei genügt es, wenn sich die Identität des Betroffenen für einen Teil der Leser erst im Zusammenspiel mit deren sonstigen, also gerade nicht allein aus der Berichterstattung selbst abgeleiteten Kenntnissen ergibt oder mühelos ermitteln lässt6. Aufgrund der im Artikel mitgeteilten Umstände (vollständiger Name und Bild des Großvaters, Verwandtschaftsverhältnis, ehemals unmittelbare Nachbarschaft in einem Dorf, Alter der Enkelin) können zumindest die zum erweiterten sozialen Umfeld gehörenden Personen die Enkel identifizieren.
Die identifizierende Darstellung in dem Artikel berührt die Enkel in mehrfacher Hinsicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Die Erörterung der Frage, ob die Enkel sexuell missbraucht wurden, betrifft sie in ihrer Intimsphäre. Gleiches gilt für die Mitteilung, dass eine entsprechende Verdachtsdiagnose im Rahmen ihrer therapeutischen Behandlung gestellt worden ist. Diese Umstände sind nach ihrem Inhalt von höchstpersönlicher Natur und dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensumstände der (vermeintlichen) Missbrauchsopfer zuzuordnen7.
Die Mitteilung der als behandlungsbedürftig bewerteten Befindlichkeiten und Verhaltensweisen der Enkel, die Anlass für die Inanspruchnahme der Behandlung waren, und die Offenbarung des Umstands, dass sich die Enkel aus diesen Gründen in die Behandlung der Heilpraktikerin M. begaben, berühren die Enkel in ihrer Privatsphäre. Denn Angaben über den (psychischen) Gesundheitszustand eines Menschen sind ebenso wie Informationen darüber, dass und weshalb er sich ärztlich oder therapeutisch behandeln lässt, wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als „privat“ einzustufen8.
Betroffen ist darüber hinaus das Recht der im Zeitpunkt der Berichterstattung 13- und 16-jährigen Enkel auf ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ungestörte kindgemäße Entwicklung9. Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich erst zu eigenverantwortlichen Personen entwickeln müssen. Ihre Persönlichkeitsentfaltung kann dadurch, dass persönliche Angelegenheiten zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht werden, wesentlich empfindlicher gestört werden als die von Erwachsenen10. Der konkrete Umfang des Rechts des Kindes auf ungestörte kindgemäße Entwicklung ist vom Schutzzweck her unter Berücksichtigung der Entwicklungsphasen des Kindes zu bestimmen9.
Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Enkel ist rechtswidrig. Das Interesse der Enkel am Schutz ihrer Persönlichkeit überwiegt das Recht der den Artikel veröffentlichenden Verlagsgesellschaft auf Meinungsfreiheit und das von ihr verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit.
Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss grundsätzlich erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt11.
Im Streitfall sind das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse der Enkel am Schutz ihres Persönlichkeitsrechts mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht des den Artikel veröffentlichenden Zeitungsverlags auf Meinungsfreiheit und dem von ihm verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen.
Diese Abwägung fällt zugunsten der Enkel aus.
Dabei kann offenbleiben, ob sich die Enkel deshalb nicht auf den öffentlichkeitsabgewandten Schutz ihrer Intim- und ggf. auch ihrer Privatsphäre berufen dürfen, weil ihr Vater – wie der Großvater behauptet – den Vorwurf, die Enkel seien vom Großvatern sexuell missbraucht worden, im gesamten regionalen Umfeld bekannt gemacht habe12. Keiner Entscheidung bedarf auch die Frage, ob sich die minderjährigen Enkel ein derartiges Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen müssten13.
Denn auch wenn man das Recht der Enkel auf Achtung ihrer Intim- und Privatsphäre nicht mit in die Abwägung einstellt, gebührt ihren verbleibenden Schutzinteressen der Vorrang. Die streitgegenständliche Berichterstattung verletzt das Recht der Enkel auf ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ungestörte kindgemäße Entwicklung.
Der durch die identifizierende Berichterstattung bewirkte Eingriff ist erheblich. Die Darstellung der die Enkel betreffenden Geschehnisse ist geeignet, deren Entwicklung zur und ihre Entfaltung als Persönlichkeit nachhaltig zu behindern. Im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels befanden sich die Enkel in einer besonders schutzwürdigen Phase ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Sie waren zu diesem Zeitpunkt 13 und 16 Jahre alt und kurz vor oder in der Pubertät.
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Frankfurt waren sie in den Jahren zuvor – unabhängig von der Frage, ob sie missbraucht worden sind oder nicht – mit massiv belastenden Ereignissen konfrontiert worden und befanden sich in vulnerablem Gesundheitszustand. Beide Enkel befanden sich seit 2016 in intensiver therapeutischer Behandlung. Die Enkelin war im Jahr 2016 zeitweise suizidal und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht. Der Enkel musste die Schule wechseln und hatte große Probleme, sich zu konzentrieren. Bei beiden Enkeln war im Rahmen der therapeutischen Behandlung der Verdacht aufgekommen, sexuell missbraucht worden zu sein. Sie wurden als Opfer in einem – im Jahr 2017 eingeleiteten und im Oktober 2018 eingestellten – Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs durch ihren Großvater geführt; und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als Betroffene sexuellen Missbrauchs im familiären Bereich anerkannt. Sie mussten ihre vertraute Umgebung verlassen und in ein 6 km entferntes Dorf ziehen.
Der streitgegenständliche Artikel, in dem die Missbrauchsvorwürfe kritisch beleuchtet und konkrete Verhaltensweisen und Befindlichkeiten der Enkel geschildert werden, die zu der entsprechenden Verdachtsdiagnose durch die Heilpraktikerin M. geführt haben, konfrontiert die Enkel erneut mit den sie belastenden Ereignissen. Er ruft die Geschehnisse konkret in Erinnerung und ist deshalb geeignet, die psychische Verarbeitung des Geschehenen durch die Enkel zu behindern und etwaige traumatische Erfahrungen zu reaktualisieren. Zugleich begründet er die berechtigte Befürchtung der Enkel, dass die Berichterstattung die Diskussion um ihre Opfereigenschaft in ihrem sozialen Umfeld erneut anregen könnte und sie auf die sie belastenden Geschehnisse angesprochen werden könnten. Diese Befürchtung genügt, um eine Beeinträchtigung des Rechts der Enkel auf ungestörte kindgemäße Entwicklung zu bejahen. Denn der Feststellung konkreter Beeinträchtigungen für die Persönlichkeitsentfaltung des Minderjährigen oder zu einer Gefährdung seines Wohls bedarf es für die Annahme einer Beeinträchtigung des Rechts auf kindgemäße Entwicklung nicht14. Diese Beeinträchtigung ist auch unabhängig davon gegeben, ob der Vater der Enkel die Missbrauchsvorwürfe zuvor in der Dorfgemeinschaft umfassend bekannt gemacht hatte.
Demgegenüber wiegen das Recht des den Artikel veröffentlichenden Zeitungsverlags auf Meinungsfreiheit und das von ihm verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit weniger schwer. Zwar hat der Artikel einen hohen Informationswert. Es besteht auch ein erhebliches und berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an einer kritischen Befassung mit den beruflichen Leistungen einer Heilpraktikerin, die mit jedenfalls unüblichen, medizinisch nicht anerkannten Methoden den sexuellen Missbrauch von Kindern durch nahe Angehörige diagnostiziert. Ein berechtigtes Informationsinteresse ist auch in Bezug auf die Auswirkungen einer derartigen Diagnose auf die Betroffenen – so auch auf den (ehemals) Beschuldigten – gegeben. Dieses Interesse erstreckt sich aber nicht auf die Identität der vermeintlichen Missbrauchsopfer15. Dies wird durch die Schilderung des weiteren vermeintlichen Missbrauchsfalls im zweiten Teil des Artikels, in der die Betroffenen effektiv anonymisiert worden sind, anschaulich verdeutlicht.
Der Großvater ist für diese Rechtsverletzung aber nicht verantwortlich.
Er ist nicht Störer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB analog.
Der Großvater haftet nicht als unmittelbarer Störer (in der Diktion des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs: „Täter“)16. Denn er hat die Verletzung der Rechte der Enkel nicht unmittelbar herbeigeführt. Er hat den streitgegenständlichen Artikel weder verfasst noch veröffentlicht. Dementsprechend leiten die Enkel die Verantwortlichkeit des Großvaters für die durch die streitgegenständliche Veröffentlichung bewirkte Rechtsverletzung daraus ab, dass der Großvater durch Einwilligung in die Veröffentlichung seines Bildnisses und seines Vor- und Nachnamens die Identifikation der Enkel ermöglicht hat.
Der Großvater ist aber auch nicht als mittelbarer Störer zu qualifizieren.
Grundsätzlich ist als mittelbarer Störer verantwortlich, wer, ohne unmittelbarer Störer zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechtsguts beiträgt. Dabei kann als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte17.
Die Haftung als mittelbarer Störer darf aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, welche die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben18. Der Mitverursachungsbeitrag allein reicht zur Begründung der Verantwortlichkeit nicht aus; vielmehr bedarf die Zurechnung der fremden Rechtsverletzung einer zusätzlichen Rechtfertigung19. Diese besteht in der Regel in der Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfpflichten. Die Beurteilung, ob und inwieweit dem als mittelbarer Störer in Anspruch Genommenen eine Prüfung zuzumuten war, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, wobei die Funktion und Aufgabenstellung des in Anspruch Genommenen und die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat, zu berücksichtigen sind20. Letztlich geht es dabei um den Zuschnitt von Verantwortungsbereichen21. Soweit dem BGH-Urteil vom 09.12.200322 insoweit etwas anderes zu entnehmen sein sollte, wird daran nicht festgehalten.
Nach diesen Grundsätzen ist der Großvater nicht als mittelbarer Störer zu qualifizieren. Wie das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. zutreffend angenommen hat, hat er keine zumutbaren Verhaltenspflichten verletzt. Er war weder verpflichtet, von einer Einwilligung in die Veröffentlichung seines Namens und seines Lichtbildes im Zusammenhang mit einem vom Volontär des Zeitungsverlags noch zu verfassenden Artikel abzusehen, noch war er gehalten, die Erteilung seiner Einwilligung von der Zusage abhängig zu machen, dass ihm der anschließend verfasste Artikel vor der Veröffentlichung zur Überprüfung vorgelegt wird.
Die Verantwortung für die redaktionelle Gestaltung ihrer Veröffentlichungen obliegt grundsätzlich allein der Presse23. Die Presse hat bei einer Veröffentlichung die Rechte der davon Betroffenen zu wahren, über die hierzu nötige Fachkunde zu verfügen und die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen24. Selbst wenn eine Person (zutreffende) Informationen an die Presse gegeben hat, ist sie deshalb grundsätzlich nicht für die Gestaltung redaktioneller Beiträge verantwortlich, die auf dieser Grundlage erstellt werden25. Eine andere Betrachtungsweise würde die Arbeits- und Verantwortungsstrukturen der Pressearbeit und vorangehender Recherchen nicht in ausreichender Weise berücksichtigen26. Zur Pressefreiheit gehört grundsätzlich die Eigenverantwortlichkeit für die inhaltliche Gestaltung von Pressebeiträgen, die Art und Weise der Verwertung ihr zuteil gewordener Informationen und die hierbei zu beachtenden Grenzen27. Dem entspricht, als deren Kehrseite, dass für die Sicherstellung der Einhaltung dieser Grenzen die jeweils für die Veröffentlichung verantwortlichen Redakteure und die sie beauftragenden Verlage auch selbst haftbar sind, grundsätzlich aber nicht die nur im Vorfeld der Berichterstattung tätigen Akteure28.
Nach diesen Grundsätzen trafen den Großvatern im Zusammenhang mit der Erteilung seiner Einwilligung in die Veröffentlichung seines Namens und seines Lichtbildes keine Verhaltenspflichten, deren Verletzung seine Verantwortlichkeit als mittelbarer Störer begründen könnte. Umstände, die es rechtfertigen könnten, ausnahmsweise eine Mitverantwortung des Großvaters für die die Enkel identifizierende rechtswidrige Berichterstattung zu bejahen, sind weder festgestellt noch zeigt die Revision übergangenen Sachvortrag dazu auf. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Oberlandesgerichts Frankfurt hatte der Großvater auf die konkrete inhaltliche Gestaltung der Berichterstattung keinen Einfluss. Im Zeitpunkt der Gespräche des Großvaters mit dem Volontär des den Artikel veröffentlichenden Zeitungsverlags stand nicht einmal fest, ob, und wenn ja, wie über die Geschehnisse berichtet werden würde. Durch die Einwilligung hatte der Großvater lediglich über seine Rechte verfügt. Er hatte auf den Bildnisschutz29 und den Schutz davor verzichtet, in einer ihn identifizierenden Berichterstattung als Person dargestellt zu werden, die im Verdacht stand, sich wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern strafbar gemacht zu haben30. Er durfte darauf vertrauen, dass der für den Artikel verantwortliche Journalist von seiner Einwilligung nur unter Achtung der Persönlichkeitsrechte der Enkel Gebrauch machen würde.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Dezember 2024 – VI ZR 311/23
- Weiterführung von BGH, Urteil vom 07.12.2010 – VI ZR 30/09, BGHZ 187, 354[↩]
- LG Frankfurt a.M., Urteil vom 17.02.2022 – 2-03 O 107/21[↩]
- OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 07.09.2023 – 16 U 34/22[↩]
- BGH, Urteil vom 06.12.2005 – VI ZR 265/04, BGHZ 165, 203, 211 21 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 06.12.2005 – VI ZR 265/04, BGHZ 165, 203, 212 f. 24; vom 05.12.2023 – VI ZR 1214/20, AfP 2024, 55 Rn. 14[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 15.09.2015 – VI ZR 175/14, BGHZ 206, 347 Rn. 28; vom 05.12.2023 – VI ZR 1214/20, AfP 2024, 55 Rn. 15[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 18.05.2021 – VI ZR 441/19, BGHZ 230, 71 Rn. 43; vom 25.10.2011 – VI ZR 332/09, AfP 2012, 47 Rn. 11; BVerfGE 80, 367, 374; BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 25 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 17.10.2023 – VI ZR 192/22, AfP 2024, 139 Rn. 49; vom 14.03.2023 – VI ZR 338/21, AfP 2023, 241 Rn. 13; vom 29.11.2016 – VI ZR 382/15, VersR 2017, 365 Rn. 25 f.; BVerfGE 32, 373, 379 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 15.09.2015 – VI ZR 175/14, BGHZ 206, 347 Rn. 18; BVerfG, AfP 2003, 537 6[↩][↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 15.09.2015 – VI ZR 175/14, BGHZ 206, 347 Rn. 18; vom 29.04.2014 – VI ZR 137/13, AfP 2014, 325 Rn. 9; vom 05.11.2013 – VI ZR 304/12, BGHZ 198, 346 Rn. 17; BVerfGE 101, 361, 385; 119, 1, 24; 120, 180, 199[↩]
- st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 05.12.2023 – VI ZR 1214/20, AfP 2024, 55 Rn.19 mwN[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteile vom 18.05.2021 – VI ZR 441/19, BGHZ 230, 71 Rn. 43; vom 25.10.2011 – VI ZR 332/09, AfP 2012, 47 Rn. 12[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 14.12.2021 – VI ZR 403/19, VersR 2022, 449 Rn. 16 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 15.09.2015 – VI ZR 175/14, BGHZ 206, 347 Rn. 24; BVerfGK 8, 173, 176; BVerfG, AfP 2003, 537[↩]
- vgl. auch BGH, Urteil vom 06.06.2023 – VI ZR 309/22, AfP 2023, 422 Rn. 32[↩]
- zu den unterschiedlichen Begrifflichkeiten des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs einerseits und des I. Zivilsenats andererseits vgl. BGH, Urteile vom 04.04.2017 – VI ZR 123/16, NJW 2017, 2029 Rn. 18; vom 01.03.2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 Rn. 16; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 28.07.2015 – VI ZR 340/14, BGHZ 206, 289 Rn. 34 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 07.12.2010 – VI ZR 30/09, BGHZ 187, 354 Rn. 12; vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 Rn. 22; vom 09.08.2022 – VI ZR 1244/20, K&R 2022, 752 Rn. 26; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 17.09.2009 – Xa ZR 2/08, BGHZ 182, 245 Rn. 36 f. – MP3-Player-Import; vom 15.10.1998 – I ZR 120/96, NJW 1999, 1960 24 ff. – Möbelklassiker; vom 12.05.2010 – I ZR 121/08, CR 2010, 458, Rn.19 – Sommer unseres Lebens; vom 17.12.2010 – V ZR 44/10, NJW 2011, 753 Rn. 12 ff.; vom 14.11.2014 – V ZR 118/13, NJW 2015, 2027 Rn. 14; vom 19.12.2014 – V ZR 324/13, GRUR 2015, 578 Rn. 12[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 07.12.2010 – VI ZR 30/09, BGHZ 187, 354 Rn. 12; vom 25.10.2011 – VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 Rn. 22; vom 09.08.2022 – VI ZR 1244/20, K&R 2022, 752 Rn. 26; BGH, Urteile vom 15.10.1998 – I ZR 120/96, GRUR 1999, 418 24 – Möbelklassiker; vom 09.02.2006 – I ZR 124/03, WM 2006, 1694 Rn. 32 – Rechtsanwalts-Ranglisten; vom 05.02.2015 – I ZR 240/12, GRUR 2015, 485 Rn. 49 f. – Kinderhochstühle im Internet III[↩]
- BGH, Urteil vom 14.11.2014 – V ZR 118/13, NJW 2015, 2027 Rn. 13[↩]
- BGH, Urteil vom 09.12.2003 – VI ZR 373/02, AfP 2004, 119 37 ff.[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 10.03.1994 – I ZR 51/92, AfP 1994, 141 28 – Beipackzettel; vom 18.10.1995 – I ZR 227/93, AfP 1996, 64 Rn. 21 f. – Produktinformation III; BVerfG, AfP 2019, 512 Rn. 17; AfP 2020, 392 Rn. 18[↩]
- BVerfG, AfP 2020, 392 Rn. 18[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2010 – VI ZR 30/09, BGHZ 187, 354 Rn. 12; BGH, Urteile vom 10.03.1994 – I ZR 51/92, AfP 1994, 141 28 – Beipackzettel; vom 18.10.1995 – I ZR 227/93, AfP 1996, 64 Rn. 21 f. – Produktinformation III; BVerfG, AfP 2019, 512 Rn. 17; BVerfG, AfP 2020, 392 Rn. 18[↩]
- vgl. BVerfG, AfP 2020, 392 Rn. 18[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 125, 144; BVerfG, AfP 2019, 512 Rn. 17[↩]
- vgl. BVerfG, AfP 2019, 512 Rn. 17; BGH, Urteil vom 07.12.2010 – VI ZR 30/09, BGHZ 187, 354 Rn. 12[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 06.06.2023 – VI ZR 309/22, AfP 2023, 422 Rn. 12[↩]
- vgl. zum diesbezüglichen Schutz: BGH, Urteile vom 16.02.2016 – VI ZR 367/15, K&R 2016, 336 Rn. 16, 32 mwN; vom 20.06.2023 – VI ZR 262/21, AfP 2023, 417 Rn. 18[↩]
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