Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in Bezug auf das Unternehmen Coppens das Urteil des Gerichts der Europäischen Union über das Kartell auf dem belgischen Markt für internationale Umzüge aufgehoben, gleichzeitig aber diesem Unternehmen aufgrund seiner Beteiligung an einer Vereinbarung über die Vorlage fiktiver Kostenvoranschläge eine Geldbuße von 35 000 € auferlegt.

Mit Entscheidung vom 11. März 20081 verhängte die EU-Kommission in einem Verfahren nach Artikel 81 EG und Artikel 53 EWR-Abkommen gegen zehn Unternehmen wegen ihrer Teilnahme an einem Kartell auf dem belgischen Markt für internationale Umzugsdienste während unterschiedlicher Zeiträume zwischen Oktober 1984 und September 2003 Geldbußen in Höhe von insgesamt 32,76 Mio. €. Das Kartell hatte Preise unmittelbar und mittelbar festgesetzt, den Markt aufgeteilt und Verfahren zur Einreichung von Angeboten manipuliert, insbesondere dadurch, dass Kunden fiktive Kostenvoranschläge unterbreitet wurden, und durch ein System der Entschädigung zwischen den Teilnehmern für abgelehnte Angebote. In diesem Kontext wurde gegen Coppens eine Geldbuße in Höhe von 104 000 € verhängt.
Fünf Gesellschaften, darunter Coppens, und einige ihrer Muttergesellschaften beantragten vor dem Gericht der Europäischen Union die Nichtigerklärung der Entscheidung oder die Ermäßigung ihrer Geldbuße. Während das Gericht mit seinen Urteilen vom 16. Juni 2011 die Entscheidung der Kommission über dieses Kartell im Wesentlichen bestätigte, erklärte das Gericht der Europäischen Union sie im Fall von Coppens für nichtig und hob deren Geldbuße auf2. Das Gericht stellte nämlich fest, dass es der Kommission nicht gelungen sei, diesem Unternehmen über seine Beteiligung an der Vereinbarung über die fiktiven Kostenvoranschläge hinaus eine Teilnahme am beanstandeten Kartell nachzuweisen.
Die Kommission hat gegen das Urteil des Gerichts beim Gerichtshof der Europäischen Union ein Rechtsmittel eingelegt. Beim Gerichtshof der Europäischen Union kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen ein Urteil oder einen Beschluss des Gerichts der Europäischen Union eingelegt werden. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Europäische Gerichtshof die Entscheidung des Europäischen Gerichts auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof der Europäischen Union den Rechtsstreit selbst entscheiden. Andernfalls verweist er die Rechtssache an das Gericht des Europäischen Union zurück, das an die Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gebunden ist.
In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof der Europäischen Union zunächst darauf hin, dass dem Gericht der Europäischen Union die Tatsache allein, dass es eine gegen die Entscheidung der Kommission erhobene Nichtigkeitsklage teilweise für begründet hält, nicht erlaubt, diese Entscheidung ohne Weiteres insgesamt für nichtig zu erklären. Stellt das Gericht fest, dass die Kommission zwar zu Unrecht von der Beteiligung eines Unternehmens an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung ausgegangen ist, zugleich aber seine Verantwortlichkeit für bestimmte wettbewerbswidrige Verhaltensweisen tatsächlich nachgewiesen hat, so hat es die Entscheidung unter bestimmten Voraussetzungen teilweise für nichtig zu erklären.
Ein Unternehmen, das sich nicht an dem gesamten wettbewerbswidrigen Verhalten, das die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung bildet, beteiligt oder davon gewusst hat, ist nämlich gleichwohl für sein eigenes rechtswidriges Verhalten zur Verantwortung zu ziehen sowie für das rechtswidrige Verhalten, von dem es wusste und das den gleichen wettbewerbswidrigen Zielen diente, wenn dieses andere Verhalten ihm von der Kommission hinreichend klar vorgeworfen wurde.
Im vorliegenden Fall hätte das Gericht der Europäischen Union, weil die Kommission in ihrer Entscheidung mehrere voneinander trennbare wettbewerbswidrige Verhaltensweisen festgestellt hatte, diese Entscheidung teilweise für nichtig erklären müssen. Eine solche teilweise Nichtigerklärung hätte nämlich den Wesensgehalt der Entscheidung, die die Feststellung eines oder mehrerer Bestandteile eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln zum Gegenstand hat, nicht verändert.
Der Gerichtshof der Europäischen Union weist ferner darauf hin, dass das Gericht selbst es nicht ausgeschlossen hatte, dass Coppens durch die Vorlage fiktiver Kostenvoranschläge am Kartell teilgenommen hatte. Diese Teilnahme kann an sich einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union darstellen, selbst wenn das Unternehmen nicht zur Erreichung sämtlicher von den anderen Kartellbeteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitrug.
Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet daher, dass das Gericht der Europäischen Union in seinem Urteil einen Rechtsfehler begangen hat, als es die streitige Entscheidung ungeachtet der Verantwortlichkeit des Unternehmens für die von ihm begangene Zuwiderhandlung vollständig für nichtig erklärt hat. Der Gerichtshof der Europäischen Union hebt dieses Urteil daher auf.
Sodann beschließt der Gerichtshof der Europäischen Union, den Rechtsstreit selbst endgültig zu entscheiden. Er führt hierzu aus, dass die Zuwiderhandlung, für die Coppens von der Kommission zur Verantwortung gezogen wurde, aus zwei Vereinbarungen bestand: einer Vereinbarung über fiktive Kostenvoranschläge, nach der die Wettbewerber des Unternehmens, das den Auftrag erhalten sollte, dem Kunden einen höheren als den von diesem Unternehmen verlangten Preis anbieten sollten, und eine Vereinbarung über die Provisionen zur Entschädigung der Wettbewerber, die freiwillig auf die Abgabe konkurrenzfähiger Angebote verzichtet hatten.
In diesem Zusammenhang bestätigt der Gerichtshof der Europäischen Union, dass Coppens an der Vereinbarung über fiktive Kostenvoranschläge beteiligt war und dass ihre Beteiligung ein gegen das Wettbewerbsrecht der Union verstoßendes wettbewerbswidriges Verhalten darstellte. Dagegen hat die Kommission, wie vom Gericht bereits festgestellt wurde, nicht nachgewiesen, dass Coppens von der Vereinbarung über die Provisionen wusste, die von den anderen am Kartell beteiligten Unternehmen durchgeführt wurde. Infolgedessen gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass Coppens für die letztgenannte Vereinbarung nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, und erklärt die Entscheidung der Kommission teilweise für nichtig.
Schließlich nimmt der Gerichtshof eine Herabsetzung der gegen Coppens festgesetzten Geldbuße auf 35 000 € vor.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 6. Dezember 2012 – C-441/11 P [Kommission / Verhuizingen Coppens NV]