Der bei der Urteilsverkündung übersehene Klageantrag

Wird bei der Verkündung eines Urteils in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, versehentlich ein von einer Partei geltend gemachter Haupt- oder Nebenanspruch übergangen, kann dieser Mangel nicht durch eine Protokollberichtigung nach § 164 ZPO, sondern nur im Wege einer Urteilsergänzung gemäß § 321 ZPO behoben werden.

Der bei der Urteilsverkündung übersehene Klageantrag

Im Hinblick auf diesen Anspruch ist die Verurteilung des Beklagten, wie sie im abgeänderten Protokoll und im mit Gründen versehenen und an die Parteien zugestellten Urteil zum Ausdruck kommt, verfahrensfehlerhaft erfolgt. Es fehlt insoweit an einer wirksamen Verkündung im Sinne der §§ 310, 311 ZPO. Das Verfahren ist in diesem Umfang noch nicht abgeschlossen, weil das Gericht über diesen Antrag der Klägerin bislang nicht entschieden hat.

Ein Urteil wird erst durch seine förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiellrechtlichen Wirkungen existent. Vorher liegt nur ein allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugender Entscheidungsentwurf vor1. Die Verlautbarung eines Urteils erfolgt grundsätzlich öffentlich im Anschluss an die mündliche Verhandlung oder in einem hierfür anberaumten Termin durch das Verlesen der Urteilsformel (§ 310 Abs. 1 Satz 1, § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehen Verkündungsmängel dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann. Sind die Mindestanforderungen gewahrt, hindern selbst Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse das Entstehen eines wirksamen Urteils grundsätzlich nicht2.

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Zu den Mindestanforderungen gehört, dass die Verlautbarung von dem Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden3. Darüber hinaus setzt eine wirksame Verkündung voraus, dass die Verlautbarung eindeutig und mit hinreichender Bestimmtheit erfolgt ist. Etwaige Berichtigungen oder Ergänzungen einer einmal verlautbarten Urteilsformel müssen nach dem jeweils dafür vorgesehenen Verfahren vorgenommen werden.

Nach diesen Grundsätzen kann im vorliegenden Fall keine wirksame Verlautbarung in Bezug auf den Zahlungsausspruch angenommen werden, weil das Berufungsgericht die Verfahrensvorschriften über die Urteilsergänzung gemäß § 321 ZPO nicht gewahrt hat.

Die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Abmahnkosten ist nicht, wie dies gemäß § 310 Abs. 1 Satz 1, § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG vorgeschrieben ist, öffentlich im Anschluss an die mündliche Verhandlung durch das Verlesen der Urteilsformel verkündet worden.

Die erforderliche Verlautbarung ist auch nicht durch Zustellung der vom Berufungsgericht nachträglich abgeänderten Fassung des Urteilstenors wirksam erfolgt, weil diese Abänderung ihrerseits verfahrensfehlerhaft war.

Die vom Berufungsgericht im Wege einer Protokollberichtigung vorgenommene Ergänzung des am Schluss der Sitzung vom 29.03.2012 verlesenen Urteilstenors war unwirksam, weil sie nicht nach dem dafür vorgesehenen Verfahren gemäß § 321 ZPO vorgenommen wurde.

Nach § 164 Abs. 1 ZPO können nur Unrichtigkeiten des Protokolls jederzeit berichtigt werden. Das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 29.03.2012 war jedoch nicht unrichtig. Wie sich der Verfügung des Vorsitzenden des Berufungssenats vom 16.04.2012 entnehmen lässt, ist „aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen versäumt worden, bei der Abfassung des Tenors den Zahlungsanspruch zu berücksichtigen“. Damit ist die Fassung des Urteilstenors gemäß dem ursprünglichen Sitzungsprotokoll vom 29.03.2012 also ohne Ausspruch über den geltend gemachten Zahlungsantrag richtig. Eine dem tatsächlich verkündeten Inhalt widersprechende Berichtigung des Urteilstenors kommt nach § 164 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht. Zweck des Protokolls ist es, die in § 160 ZPO genannten Förmlichkeiten im Hinblick auf Inhalt und Gang der mündlichen Verhandlung darunter auch die Verkündung eines Urteils (§ 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO) zu beurkunden. Insofern genießt das Protokoll gemäß § 165 ZPO öffentlichen Glauben. Auch bei Beachtung der Ordnungsvorschriften über die Protokollberichtigung (§ 164 Abs. 3 ZPO) hätte danach keine wirksame Ergänzung des am Schluss der Sitzung vom 29.03.2012 verkündeten Urteilstenors im Wege einer Protokollberichtigung vorgenommen werden können.

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Die erforderliche Ergänzung des Urteils hätte vielmehr im Wege einer Urteilsergänzung gemäß § 321 ZPO erfolgen müssen. Auf den fristgerechten Antrag der Klägerin im Schriftsatz vom 01.04.2012 hätte das Berufungsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumen, über den übergangenen Zahlungsantrag verhandeln und diesen bescheiden müssen (§ 321 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Mit der Ladung zum Verhandlungstermin hätte dem Beklagten der den Antrag enthaltende Schriftsatz der Klägerin vom 01.04.2012 zugestellt werden müssen (§ 321 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

Der Mangel der Verkündung einer Entscheidung über den Zahlungsantrag ist nicht durch Zustellung des verfahrensfehlerhaft abgeänderten Urteilstenors in der mit Gründen versehenen Fassung des Urteils geheilt worden.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist zwar anerkannt, dass es mit dem Wesen der Verkündung nicht unvereinbar ist, wenn ein Urteil statt durch Verkündung in öffentlicher Sitzung durch Zustellung verkündet wird, weil darin lediglich ein auf die Wahl der Verlautbarung beschränkter Verfahrensfehler liegt4. Im vorliegenden Fall hat sich das Berufungsgericht jedoch für eine bestimmte Form der Verkündung entschieden und die Urteilsformel in öffentlicher Sitzung verlesen. In dieser Verfahrenssituation konnte es die Verlautbarung eines versehentlich übergangenen Ausspruchs nicht durch Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils nachholen. Mit dem Wesen der Verkündung ist es unvereinbar, die einmal verlautbarte Urteilsformel durch Zustellung einer unwirksam berichtigten Fassung des Urteilstenors zu ergänzen, weil auf diese Weise zwei einander widersprechende Urteilsformeln in Umlauf gesetzt werden. Eine Urteilsergänzung kann allein im Verfahren gemäß § 321 ZPO erfolgen.

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Der Verfahrensfehler ist auch nicht nach § 295 ZPO geheilt worden. Der Beklagte hat einer bloßen Protokollberichtigung ausdrücklich widersprochen und damit nicht auf die Einhaltung der Vorschrift des § 321 ZPO verzichtet.

Die Verurteilung beruht auf der Verletzung von Verfahrensvorschriften (§§ 321, 563 Abs. 1 ZPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei Beachtung der Regelungen über die Urteilsergänzung gemäß § 321 ZPO nach wiedereröffneter mündlicher Verhandlung in Bezug auf den übergangenen Zahlungsantrag nicht zum Nachteil des Beklagten erkannt hätte.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. September 2013 – I ZR 133/12

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 14.06.1954 GSZ 3/54, BGHZ 14, 39, 44; Urteil vom 12.03.2004 – V ZR 37/03, NJW 2004, 2019, 2020; Beschluss vom 08.02.2012 XII ZB 165/11, NJW 2012, 1591 Rn. 11[]
  2. vgl. BGH, NJW 2004, 2019, 2020; NJW 2012, 1591 Rn. 13 mwN[]
  3. BGH, NJW 2004, 2019, 2020; NJW 2012, 1519 Rn. 13 mwN[]
  4. vgl. BGH, NJW 2004, 2019, 2020[]