Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments – gegenüber dem betreuten Ehegatten

Die Erklärung eines Ehegatten über den Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments kann dem Betreuer des anderen Ehegatten jedenfalls nicht aufgrund dessen Geschäftskreis „Postvollmacht“ wirksam zugestellt werden.

Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments – gegenüber dem betreuten Ehegatten

Nach der in der veröffentlichten Rechtsprechung einhellig und im Schrifttum ganz überwiegenden Auffassung ist ein Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments (§§ 2271 Absatz 1 Satz 1, 2296 BGB) auch gegenüber einem geschäfts- und testierunfähigen Ehepartner möglich1. Ob die gegen die ganz herrschenden Meinung angeführten Argumente in rechtlicher Hinsicht tragfähig sind und ob die Ehefrau des Erblassers bei Zugang des Widerrufs an den Betreuer geschäftsunfähig war, bedarf keiner abschließenden Entscheidung, weil der gegenüber dem Betreuer erklärte Widerruf aus den nachstehend näher ausgeführten Gründen nicht wirksam war.

Die Widerrufserklärung ist im hier vom Oberlandesgericht Karlsruhe entschiedenen Fall aber nicht wirksam zugegangen:

Eine unmittelbare Zustellung des Widerrufs an die Ehefrau ist nicht erfolgt. Die Urkundsakten weisen zwar aus, dass versucht worden ist, an diese im Reha-Zentrum in Wiesbaden zuzustellen. Der Zustellungsauftrag ist von der Gerichtsvollzieherin aber mit dem Bemerken zurückgegeben worden, dass eine Zustellung nicht erfolgt sei, weil die Empfängerin unter Betreuung stehe. Ob die Zustellung mit dieser Begründung – unabhängig von einer nicht festgestellten Geschäftsunfähigkeit der Ehefrau und dem Aufgabenkreis des Betreuers – verweigert werden durfte, hat der Bundesgerichtshof nicht zu entscheiden.

Die an den Betreuer vorgenommene Zustellung war nicht wirksam, weil die Entgegennahme von dessen Geschäftskreis und damit von dessen Empfangsvollmacht nicht gedeckt war.

Der Betreuer ist gesetzlicher Vertreter des Betroffenen nur insoweit, als sein Aufgabenkreis reicht2. Die Wirkungen des Widerrufs wären daher nur eingetreten, wenn die Entgegennahme von seinem Aufgabenkreis gedeckt war.

Nach in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend vertretener Auffassung ist der Betreuer für die Entgegennahme des Widerrufs eines gemeinschaftlichen Testaments zuständig, wenn ihm der Aufgabenkreis „Vermögensangelegenheiten“ übertragen ist3. Das war hier zu dem Zeitpunkt, als dem Beteiligten zu 4 als Betreuer die Widerrufserklärung übergeben worden ist, (noch) nicht der Fall. Es kommt daher nicht darauf an, ob die überwiegend vertretene Auffassung zutreffend ist oder die von der Gegenansicht vorgetragenen Einwendungen4 tragfähig sind.

Neben anderen – eindeutig nicht einschlägigen – Aufgabenkreisen war dem Betreuer zum Zeitpunkt der Entgegennahme des Widerrufs die „Postvollmacht einschließlich der Entgegennahme, des Öffnens und Anhaltens der Post“ übertragen. Dieser Aufgabenkreis deckte die Entgegennahme der Widerrufserklärung nicht ab.

Mit dem Begriff „Postvollmacht“ wird kein eigenständiger Aufgabenkreis beschrieben. Die in § 1896 Absatz 4 BGB eigenständig geregelte Vollmacht trägt vielmehr dem Postgeheimnis (Artikel 10 Absatz 1 GG) Rechnung und führt dazu, dass der Betreuer Briefsendungen an den Betroffenen nur dann eigenständig öffnen darf, wenn ihm die Postvollmacht ausdrücklich vom Gericht übertragen worden ist. Das führt nicht zu einer Erweiterung seiner Aufgaben, sondern soll ihm – im Sinne einer Annexkompetenz – die sachgerechte Erledigung der übertragenen Aufgaben ermöglichen. Der gegenteiligen Auffassung des Nachlassgerichts vermag sich der Bundesgerichtshof nicht anzuschließen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob dessen Prämisse zutreffend ist, dass die als Annex verstandene Postvollmacht stets angeordnet werden müsste. Zwar kann der Betreuer seine Aufgaben regelmäßig nicht erfüllen, ohne die an den Betroffenen gerichtete Post zu kennen, etwa die vom Nachlassgericht beispielhaft genannten Kontoauszüge. Einer gerichtlich angeordneten Postvollmacht bedarf es aber nicht, wenn entweder der – insoweit einwilligungsfähige – Betroffene die Öffnung selbst gestattet oder nach den Verhältnissen im Einzelfall gewährleistet ist, dass er die Post selbst öffnet und an den Betreuer weitergibt.

Die „Postvollmacht“ ist in dem Betreuungsbeschluss durch die Worte „einschließlich der Entgegennahme, des Öffnens und Anhaltens der Post“ näher umschrieben. Das stellt aber – wie die Verwendung des Wortes „einschließlich“ zeigt – nur eine Erläuterung des Begriffs der „Postvollmacht“ dar; die Formulierung kann vor diesem Hintergrund nicht so verstanden werden, dass der Betreuer berechtigt sein sollte, Willenserklärungen aller Art mit Wirkung gegen den Betroffenen entgegenzunehmen. Die dem Schutz des Betroffenen und der Rechtssicherheit dienende Begrenzung der Aufgabenkreise des Betreuers würde ihre Wirksamkeit erheblich einbüßen, wenn die zum Grundrechtsschutz erforderliche ausdrückliche Übertragung der Postvollmacht dazu führen würde, dass der Betreuer schriftliche Erklärungen für den Betroffenen in allen Lebensbereichen entgegennehmen könnte. Dies hätte auch die nicht verständliche Folge, dass der Betreuer zwar schriftliche Erklärungen wirksam entgegennehmen könnte, aber nicht solche, die bei gleichem Inhalt ihm gegenüber persönlich oder fernmündlich abgegeben werden; Folge einer solchen Beurteilung wäre zudem, dass die Vollmacht für die Entgegennahme und die Abgabe von Erklärungen voneinander abweichen würde; auf den Betreuer würde die ihm – an sich nach der Entscheidung des Betreuungsgerichts nicht zukommende – Beurteilung übertragen, ob die entgegen genommenen Erklärungen Anlass geben, eine Erweiterung des Aufgabenkreises anzuregen.

Der Auffassung, der Rechtsverkehr müsse sich darauf verlassen können, dass einem Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Entgegennahme von Post“ alles für den Betroffenen Bestimmte zugestellt werden könne, vermag das Oberlandesgericht Karlsruhe nicht zu folgen. Teilnehmer des Rechtsverkehrs können dem Umstand, dass die „Postvollmacht“ unter anderem durch den Zusatz „Entgegennahme von Post“ erläutert wird, nicht entnehmen, dass sie dem Betreuer jegliche für den Betroffenen bestimmte Sendungen zustellen können. Ihnen ist es vielmehr zumutbar, den Aufgabenkreis des Betreuers zu prüfen und notfalls auf dessen Erweiterung hinzuwirken, ggf. auch ausdrücklich für einzelne Geschäfte, wenn es der allgemeinen Übertragung der Vermögenssorge nicht bedarf.

Eine andere Beurteilung ist für den Testamentswiderruf nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Betreuer ihn von vornherein nur entgegennehmen kann und für den Betroffenen weder anderweitig testieren noch als Reaktion für ihn lebzeitige Geschenke machen kann, die über Gelegenheitsgeschenke hinausgehen. Die Entgegennahme des Widerrufs könnte nämlich für einen mit der Vermögenssorge beauftragten Betreuer Anlass geben, den – möglicherweise noch testierfähigen – Betroffenen über die Auswirkungen aufzuklären und eigene Handlungsoptionen aufzuzeigen.

Die Zustellung an den Betreuer ist auch nicht durch die spätere Anordnung des Geschäftskreises der Vermögenssorge wirksam geworden. Das etwaige Fehlen einer gesetzlichen Vertretungsmacht des Betreuers zum Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung wird nicht geheilt, wenn die Vertretungsmacht nachträglich durch Erweiterung des Aufgabenkreises erweitert wird. Der Akt der Entgegennahme des Schriftstücks war abgeschlossen, als dieses in den Machtbereich des Betreuers gelangt ist. War die Entgegennahme von der Vertretungsmacht nicht gedeckt, kann sie nicht allein dadurch wirksam werden, dass die Vertretungsmacht nachträglich erweitert wird; vielmehr müsste der Willen, das Schriftstück im Rahmen der erweiterten Vertretungsmacht nunmehr (nochmals) entgegen zu nehmen, in irgendeiner Weise nach außen treten; etwa durch die Erteilung einer Empfangsquittung. Anhaltspunkte dafür, dass dies vor Erlöschen der Vertretungsmacht durch Tod der betreuten Ehefrau geschehen wäre, bietet der vorliegende Sachverhalt nicht.

Ein wirksamer Zugang bei Erweiterung der Betreuung wäre aber auch dann nicht anzunehmen, wenn man grundsätzlich von einer Heilbarkeit ausgehen würde. Der Bundesgerichtshof hat bislang offen gelassen, ob im Grundsatz der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zu folgen ist, dass § 130 Absatz 2 BGB auch auf den Zugang von Erklärungen nach §§ 2271, 2296 BGB anzuwenden ist5. Er hat jedenfalls betont, dass zum Schutz des Erklärungsempfängers eine Anwendung dann nicht mehr möglich ist, wenn sich die Erklärung beim Tod des Erklärenden nicht auf dem Weg zum Erklärungsempfänger befunden hat, weil in diesem Zeitpunkt niemand an eine Zustellung der Erklärung dachte. Eine dem vergleichbare Situation liegt hier vor. Die Beteiligten sind ersichtlich davon ausgegangen, dass der Zugang der Erklärung an den Betreuer sofort wirksam war, weil der diesem übertragene Aufgabenkreis ausreichte.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 9. Juni 2015 – 11 Wx 12/15

  1. OLG Nürnberg BeckRS 2013, 10868; OLG Hamm BeckRS 2014, 00943; Zimmer ZEV 2007, 159, 160; Helms DNotZ 2003, 104, 105; Reimann/Bengel/J. Mayer, Testament und Erbvertrag, 5. Auflage, § 2271, Rn. 17; BeckOK BGB/Litzenburger, § 2271, Rn. 14a; jurisPK-BGB/Reymann, 7. Auflage, § 2271, Rn. 22; vorausgesetzt in Staudinger/Kanzleiter, BGB [2014], § 2271, Rn. 14 und in MünchKomm- BGB/Musielak, 6. Auflage, § 2271, Rn. 8 sowie Jauernig/Stürner, BGB, 15. Auflage, § 2271, Rn. 2; a. A. Klessinger in Damrau/Tanck, Praxiskommentar Erbrecht, 3. Auflage, § 2271, Rn. 11; mit betreuungsrechtlicher Argumentation: Damrau/Bittler ZErb 2004, 77[]
  2. vgl. etwa MünchKomm-BGB/Schwab, 6. Auflage, § 1902, Rn. 2; BeckOK BGB/Müller, Edition 34, § 1902, Rn. 3[]
  3. LG Hamburg DNotI-Report 2000, 86; Staudinger/Rainer Kanzleiter [2014], BGB, § 2271, Rn. 14; MünchKomm-BGB/Musielak, BGB, § 2271, Rn. 14; Reimann/Bengel/Mayer, Testament und Erbvertrag, 5. Auflage, § 2271, Rn. 17; Zimmer ZEV 2007, 159, 161 unter 4.01.1.[]
  4. Damrau/Bittler ZErb 2004, 80[]
  5. BGHZ 48, 374[]