Wenn ab einem bestimmten Zeitpunkt die in einem Erbbaurechtsbestellungsvertrag vereinbarte wertsichernde Klausel ihren Zweck nicht mehr erfüllt, hat im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelt zu werden, was nach Treu und Glauben die Vertragsparteien für diesen Fall vereinbart hätten; ist eine solche Auslegung nicht möglich, kommt die Erhöhung des Erbbauzinses wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht. Maßgebend sind in beiden Fällen nicht die seit Abschluss des Vertrags, sondern die seit der letzten aufgrund der Klausel vorgenommenen Erhöhung geänderten Verhältnisse1.

So die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in dem hier vorliegenden Fall. Der Beklagte ist Erbbauberechtigter an einem der Klägerin gehörenden Grundstück. Im April 2004 verlangte die Klägerin – gestützt auf eine sich aus den arithmetischen Mitteln der Steigerung der Lebenshaltungskosten sowie der Löhne und Gehälter ergebende Steigerungsrate von 875,9 % – einen jährlichen Erbbauzins von 963 €. Dem kam der Beklagte nicht nach, sondern zahlte weiterhin nur den ursprünglichen Betrag von 98,68 € pro Jahr. Der Betrag ergibt sich aus dem Erbbauzins, der schrittweise auf 10 % des angenommenen Grundstückswerts erhöht wurde.
Die darauf eingereichte Klage hat das Amtsgericht abgewiesen2. Das Landgericht hat ihr stattgegeben3. Nun will der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.
- Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist die Revision begründet. Ohne Erfolg rügt der Beklagte allerdings, das Berufungsgericht habe die Zeugin R. (Sachbearbeiterin der Klägerin) zu der Behauptung vernehmen müssen, sie habe dem Beklagten vor der Unterzeichnung des Schuld-übernahmevertrags versichert, dass eine weitere Erhöhung des Erbbauzinses über die bereits erreichte 10 %-Grenze nicht möglich sei. Unterstellt, die Behauptung trifft zu, fehlt ihr jedoch die Erheblichkeit. Der Beklagte meint, aufgrund der „Versicherung“ der Zeugin habe er darauf vertrauen dürfen, dass der Erbbauzins bis zum Vertragsende unverändert bleiben werde; deshalb sei die Klägerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) an der Geltendmachung eines Erhöhungsanspruchs gehindert. Diese Ansicht trifft nicht zu. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Sachbearbeiterin die Befugnis hatte, eine für die Klägerin rechtsverbindliche Erklärung abzugeben, auf deren Einhaltung der Beklagte hätte vertrauen können.
- Im Ergebnis zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass die Höhe des Erbbauzinses einer Anpassung unterliegt, die nach oben nicht durch die in Ziffer 3 des Erbbaurechtsbestellungsvertrags vereinbarte 10 %-Grenze beschränkt ist. Die Auslegung, der Vertrag ermögliche die Erhöhung des Erbbauzinses bis zu einer Grenze von 10 % des angenommenen Grundstückswerts, ist rechtlich nicht zu beanstanden und wird von beiden Parteien hingenommen. Rechtsfehlerhaft nimmt das Berufungsgericht jedoch an, die 10 %-Grenze sei als eine lediglich theoretische Grenze zur Vermeidung einer Genehmigung nach § 3 WährG aF und nicht als Risikobegrenzung für den Erbbaurechtserwerber vereinbart worden. Der Beklagte rügt zutreffend, dass dies keine Stütze in dem Parteivortrag und in den Feststellungen des Berufungsgerichts findet. Darauf kommt es indes im Ergebnis nicht an und ebenfalls nicht auf die von dem Beklagten in diesem Zusammenhang erhobene Rüge, dass – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht er, sondern die Klägerin habe darlegen und beweisen müssen, dass die 10 %-Grenze keine „echte“ Obergrenze habe sein sollen. Auch die weiteren Rügen, mit denen der Beklagte die Verneinung einer Obergrenze für das Erhöhungsverlangen angreift, bleiben erfolglos. Das gilt insbesondere für das Heranziehen der bis 1994 geltenden Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 1 ErbbauVO aF, wonach der Erbbauzins nach Zeit und Höhe für die ganze Erbbauzeit im Voraus bestimmt sein musste. Denn diese Forderung konnte wegen der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht im-mer eingehalten werden. Der gegenseitige Vertrag beruht auf der Überzeugung der Vertragsparteien von der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung und ist besonders bei langfristigen Verträgen Teil der objektiven Geschäfts-grundlage, die vorhanden sein und fortdauern muss, damit der Vertrag noch als eine sinnvolle Regelung bestehen kann4. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat deshalb auch bei Erbbaurechtsverträgen, die unter der Geltung der Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 1 ErbbauVO aF abgeschlossen worden waren, unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in der speziellen Ausgestaltung der Äquivalenzstörung korrigierend eingegriffen und eine Anpassung der Höhe des Erbbauzinses über die ursprünglich vereinbarte Höhe hinaus zugelassen5.
Auf diese Rechtsprechung stützt sich das Berufungsgericht jedoch, worauf der Beklagte zutreffend hinweist, zu Unrecht. Denn sie ist zu solchen Erbbaurechtsverträgen ergangen, in denen keine Anpassungsklauseln vereinbart worden waren. Hier ist das Berufungsgericht jedoch – revisionsrechtlich nicht zu beanstanden – davon ausgegangen, dass eine Anpassungsklausel vereinbart worden ist. Da diese, wie es weiter rechtsfehlerfrei und unangegriffen festgestellt hat, auch der Wertsicherung dienen, die Klägerin also gegen das Risiko eines Kaufkraftschwundes in geeigneter Form absichern sollte, diesen Zweck jedoch seit der letzten Anpassung nicht mehr erfüllen kann, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen6. Diese hat Vorrang vor einer Anwendung der Regelungen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage7.
Die ergänzende Vertragsauslegung ist – entgegen der von der Klägerin in dem Revisionsverfahren vertretenen Ansicht – nicht deshalb entbehrlich, weil die Klägerin die Höhe des Erbbauzinses nach billigem Ermessen bestimmen kann (vgl. § 315 BGB). Ein solches Bestimmungsrecht steht ihr nach dem Wortlaut der Ziffern 3 und 4 des Erbbaurechtsbestellungsvertrags nicht zu, soweit es um eine die 10 %-Grenze übersteigende Erbbauzinshöhe geht. Das Bestimmungsrecht verstieße im Übrigen gegen die Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 1 ErbbauVO aF.
- Die ergänzende Auslegung muss das Berufungsgericht nachholen. Dabei ist darauf abzustellen, was die Parteien des Erbbaurechtsbestellungsvertrags bei Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten; zunächst ist an die in dem Vertrag vereinbarten Regelungen und Wertungen anzuknüpfen8. Somit ist von den Regelungen in Ziffern 3 und 4 des Vertrags auszugehen, welche (auch) der Wertsicherung dienen sollten. Deshalb kann die Auslegung – insbesondere unter Berücksichtigung des Vortrags des Beklagten in der Klageerwiderung bzw. in der Berufungserwiderung, dass die Anpassungsmöglichkeit der Berücksichtigung einer Steigerung der Lebenshaltungskosten bzw. der wirtschaftlichen Entwicklung dienen sollte – ergeben, dass eine Anhebung des Erbbauzinses nach Maßgabe der Entwicklung der Lebenshaltungskosten dem entspricht, was die Parteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Ungeeignetheit der nach oben begrenzten Anpassungsklausel bewusst gewesen wäre, und wenn sie dabei die Gebote von Treu und Glauben beachtet hätten; denn die Preisindizes für die Lebens-haltungskosten sind ein unmittelbarer Spiegel der Preisentwicklung, eine hieran orientierte Anpassung bewirkt daher einen von den Parteien gewollten Ausgleich des Kaufkraftschwunds9. Eine Berücksichtigung auch der Entwicklung der Einkommen läge dagegen nicht mehr im Rahmen des von den Parteien verfolgten Ziels, sondern führte dazu, auch die Änderung des Lebensstandards in die Höhe des Erbbauzinses einfließen zu lassen; das hätte nichts mit der Schließung der Vertragslücke zu tun10.
Da die Vertragsparteien die Klägerin gegen die Risiken eines Kaufkraftschwunds in geeigneter Form absichern wollten und zu diesem Zweck eine nach § 3 WährG aF genehmigungsfreie Anpassungsklausel vereinbart haben, kann es ihrem hypothetischen Willen entsprechen, die vorstehend beschriebene Anpassungsmöglichkeit in der Weise zu verwirklichen, dass jede Partei die Neufestsetzung der Höhe des Erbbauzinses – nach Ablauf einer mindestens dreijährigen Frist (§ 9a Abs. 1 Satz 5 ErbbauRG) – verlangen kann, wenn die Lebenshaltungskosten seit der jeweils vorausgegangenen Festsetzung um mehr als einen bestimmten Prozentsatz gestiegen oder gefallen sind11. Deshalb und weil die vereinbarte Anpassungsklausel ab dem 1. Oktober 1983 ihren Zweck nicht mehr erfüllt, ist der Anstieg der Lebenshaltungskosten seit diesem Zeitpunkt maßgeblich; für die Zeit davor bleiben die in Ziffern 3 und 4 vereinbarten Regelungen verbindlich12.
Der – eventuelle – vertragliche Anpassungsanspruch ist in der Höhe nach § 9a Abs. 1 ErbbauRG beschränkt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird ein zutreffendes Bild der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse nur gezeichnet, wenn neben den Lebenshaltungskosten auch die Einkom-mensverhältnisse berücksichtigt werden; als Bemessungsgrundlagen dienen die Entwicklung der Lebenshaltungskosten bzw. der Verbraucherpreise und – mit gleicher Gewichtung – die Entwicklung der Bruttoverdienste der Arbeiter in der Industrie sowie die Bruttoverdiente der Angestellten in Industrie und Handel13.
- Erst wenn sich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die Möglichkeit der Anpassung des Erbbauzinses nicht feststellen lässt, kommt die von dem Berufungsgericht bejahte Anpassung nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht. Diese hat der Bundesgerichtshof zwar bisher nur bei Verträgen ohne wertsichernde Klausel bejaht14. Sie ist aber auch dann möglich, wenn eine vereinbarte Wertsicherungsklausel ihren Zweck nicht mehr erfüllt. Denn ab diesem Zeitpunkt besteht kein Unterschied zu einem von Anfang an ohne Wertsicherungsklausel abgeschlossenen Erbbaurechtsbestellungsvertrag, soweit es um Äquivalenzstörungen geht. Für die davor liegende Zeit seit Vertragsschluss gilt jedoch die vereinbarte Klausel. Daraus folgt, dass – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – darauf abzustellen ist, ob durch die Entwicklung der Lebenshaltungskosten seit dem 1. Oktober 1983 die Grenze des für die Klägerin Tragbaren überschritten worden ist. Das ist indes nicht der Fall. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Erbbaurechtsausgeber einen schuldrechtlichen Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nur dann, wenn die Lebenshaltungskosten seit dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt um mehr als 150 % gestiegen sind15. Daran fehlt es nach der von dem Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellung des Amtsgerichts. Danach sind die Lebenshaltungskosten zwischen 1983 und 2009 nur um 59,7 % gestiegen. Ein weiterer Anstieg in der Folgezeit ist nach dem Klageantrag, mit welchem der erhöhte Erbbauzins bis Juli 2008 verlangt wird, nicht zu berücksichtigen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. November 2011 – V ZR 31/11
- Fortführung von BGH, Urteil vom 03.07.1981 – V ZR 100/80, BGHZ 81, 135 und Urteil vom 18.09.1992 – V ZR 116/91, BGHZ 119, 220[↩]
- AG Lübeck, Urteil vom 01.04.2010 – 28 C 8/09[↩]
- LG Lübeck, Urteil vom 22.12.2010 – 14 S 155/10[↩]
- Staudinger/Rapp, BGB 2009, § 9 ErbbauRG Rn. 21[↩]
- siehe nur BGH, Urteil vom 18.09.1992 – V ZR 116/91, BGHZ 119, 220, 222 ff.; Urteil vom 23.03.1980 – V ZR 20/78, BGHZ 77, 194, 197 ff.[↩]
- vgl. Urteil vom 08.11.1972 – VIII ZR 123/71, WM 1972, 1442; Urteil vom 21.12.1984 – V ZR 52/84, WM 1985, 417, 418; Urteil vom 03.02.1984 – V ZR 191/82, WM 1984, 406, 407; Urteil vom 03.07.1981 – V ZR 100/80, BGHZ 81, 135, 141[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2005 – XI ZR 395/04, BGHZ 164, 286, 292[↩]
- BGH, Urteil vom 31.10.2008 – V ZR 71/08, NJW 2009, 679[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 21.12.1984 – V ZR 52/84, WM 1985, 414, 418; Urteil vom 03.02.1984 – V ZR 191/82, WM 1984, 406, 407[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 03.02.1984 – V ZR 191/82, aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 03.07.1981- V ZR 100/80, BGHZ 81, 135, 141 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 31.10.2008 – V ZR 71/08, NJW 2009, 679, 680[↩]
- siehe nur BGH, Urteil vom 03.10.2008 – V ZR 71/08, NJW 2009, 679, 681[↩]
- siehe nur Urteil vom 18.09.1992 – V ZR 116/91, BGHZ 119, 220, 222 f.[↩]
- siehe nur Urteil vom 18.09.1992 – V ZR 116/91, BGHZ 119, 220, 222 mit umfangreichen Nachweisen[↩]