Die dem Schuldner in einem Strafverfahren auferlegten Gerichtskosten sind keine Verbindlichkeiten aus unerlaubter Handlung im Sinne von § 302 Nr. 1 InsO.

Nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens können die Insolvenzgläubiger ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner grundsätzlich unbeschränkt geltend machen (§ 201 Abs. 1 InsO). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt für solche Forderungen, die von der Restschuldbefreiung erfasst werden (§ 201 Abs. 3 InsO). Ist der Schuldner eine natürliche Person, so wird er nach Maßgabe der §§ 287 bis 303 InsO von den im Insolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit (§ 286 InsO). Mit dem Institut der Restschuldbefreiung soll dem Schuldner ein Weg eröffnet werden, auf dem er sich nach dem Insolvenzverfahren von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreien kann. Auf diese Weise soll ihm ein wirtschaftlicher Neubeginn ermöglicht werden1.
Von der Möglichkeit der Restschuldbefreiung ausgenommen sind gemäß § 302 InsO drei Gruppen von Verbindlichkeiten, deren Erfüllung nach dem Willen des Gesetzgebers nicht infrage gestellt werden soll2. Dazu zählen u.a. die Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Sofern der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet hat, ist eine Restschuldbefreiung insoweit ausgeschlossen. Die vom Gesetz angeordnete Nachhaftung aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen ist wegen deren besonderen Unrechtsgehalts gerechtfertigt. Die Regelung, zu deren Schutzzweck unterschiedliche Auffassungen vertreten werden, beruht letztlich auf Billigkeitsgesichtspunkten. Das Gesetz hält es für unbillig, dass ein Schuldner von Verbindlichkeiten gegenüber einem Gläubiger befreit wird, den er vorsätzlich geschädigt hat3.
Die in dem jetzt vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall angemeldeten Gerichtskosten werden von der Regelung in § 302 Nr. 1 InsO nicht erfasst. Gegenstand der Forderungen sind Ansprüche auf Zahlung der Gerichtskosten aus Strafverfahren. Für den Ausschluss der Restschuldbefreiung genügt es nicht, dass diese Kosten durch ein vorsätzliches Verhalten des Klägers veranlasst worden sind. Der Tatbestand des § 302 Nr. 1 InsO setzt vielmehr voraus, dass die Verbindlichkeit auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht. Das bedeutet, dass der Schuldner den Tatbestand einer unerlaubten Handlung etwa im Sinne der §§ 823 ff. BGB verwirklicht haben muss4. Zu den von § 302 Nr. 1 InsO erfassten Verbindlichkeiten zählen die aus einer solchen Tat folgenden Ersatzansprüche5. Um einen solchen Ersatzanspruch handelt es sich bei den angemeldeten Gerichtskosten nicht.
Der Begriff der Verbindlichkeit aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen findet sich auch in § 393 BGB und § 850f Abs. 2 ZPO. Vor allem letztere Vorschrift enthält mit ihrer vollstreckungsrechtlichen Privilegierung eine dem § 302 Nr. 1 InsO entsprechende Regelung6. Inwieweit Gerichtskosten und außergerichtliche Kosten zu den Verbindlichkeiten aus unerlaubter Handlung zählen, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. Übereinstimmung besteht darin, dass die Kosten einer privatrechtlichen Rechtsverfolgung zu diesen Verbindlichkeiten gehören können. So ist anerkannt, dass Anwaltskosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung als Folgeschäden zu erstatten sein können, wenn die Einschaltung eines Rechtsanwalts erforderlich war. Ob dies auch für die Kosten gilt, die bei der gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung entstanden sind, ist dagegen streitig. Teilweise wird dies bejaht7, teilweise aber auch verneint, weil es sich dabei um einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch handele8. Uneinigkeit besteht auch darüber, ob die Kosten, die dem Gläubiger durch die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts im Strafverfahren gegen den Schädiger entstanden sind, zu den Verbindlichkeiten aus unerlaubter Handlung zählen können9.
Die dem Schuldner in einem Strafverfahren auferlegten Gerichtskosten zählen jedenfalls nicht zu den Verbindlichkeiten aus unerlaubter Handlung im Sinne von § 302 Nr. 1 InsO10. Die Verfahrenskosten sind Gebühren und Auslagen der Staatskasse (§ 464a Abs. 1 StPO). Sie sind nicht Sanktion für begangenes Unrecht, sondern öffentliche Abgaben, die nach dem Veranlassungsprinzip auferlegt werden. Die Höhe der Auslagen hängt weder von der Schwere des Unrechts oder der Schuld noch von der Art und Höhe der Strafe ab, sondern allein von dem Aufwand des Strafverfahrens. Aus § 467 Abs. 2 Satz 1 und § 465 Abs. 1 Satz 2 StPO ergibt sich, dass die Kosten dem Angeklagten auch bei Freispruch auferlegt werden kön-nen oder wenn das Gericht von Strafe absieht. § 465 Abs. 2 StPO sieht vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten auch im Falle der Verurteilung des Angeklagten der Staatskasse auferlegt werden können. Derartige öffentliche Abgaben sind keine Verbindlichkeiten aus unerlaubter Handlung im Sinne von § 302 Nr. 1 InsO.
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber ausdrücklich zwar Geldstrafen und die diesen in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO gleichgestellten Verbindlichkeiten von der Restschuldbefreiung ausgenommen hat (§ 302 Nr. 2 InsO), diese Regelung aber nicht auf die Verfahrenskosten erstreckt hat. Diese zählen auch nicht zu den in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO genannten Verbindlichkeiten. Dazu gehören neben Geldbußen, Ordnungsgeldern und Zwangsgeldern zwar auch Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten, jedoch sind damit solche Nebenfolgen wie z.B. der Verfall des Wertersatzes gemäß § 73a StGB11, die Einziehung des Wertersatzes (§ 74c StGB, § 25 OWiG) oder die Abführung des Mehrerlöses gemäß § 8 WiStG gemeint12. Wenn der Gesetzgeber auch die dem Angeklagten auferlegten Verfahrenskosten von der Restschuldbefreiung hätte ausnehmen wollen, hätte es nahegelegen, dies im Zusammenhang mit der in § 302 Nr. 2 i.V.m. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO für Strafverfahren getroffenen Regelung – dann auch für den Fall der Verurteilung zu Freiheitsstrafe – ausdrücklich anzuordnen. Der Umstand, dass er von einer solchen Regelung abgesehen hat, belegt, dass der Gesetzgeber die Verfahrenskosten aus Strafverfahren insolvenzrechtlich nicht den in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO genannten Sanktionen gleichstellen wollte.
Eine erweiternde Auslegung von § 302 InsO auf andere, möglicherweise schutzwürdige Forderungen verbietet sich. Die in dieser Vorschrift genannten Ausnahmen von der Restschuldbefreiung stellen eine abschließende Regelung dar13. Jede weitere Durchbrechung der vollständigen Schuldbefreiung würde nicht nur den wirtschaftlichen Neubeginn des Schuldners gefährden, sondern auch die Befriedigungsaussichten der Neugläubiger nachhaltig beeinträchtigen14. Deshalb ist eine Ausdehnung des Ausschlusses der Restschuldbefreiung auf Verfahrenskosten aus Strafverfahren allein aus Billigkeitserwägungen mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung und der gesetzgeberischen Wertung nicht vereinbar.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. November 2010 – VI ZR 17/10
- vgl. MünchKommInsO/Stephan, 2. Aufl., § 286 Rn. 5 ff.[↩]
- vgl. BT-Drs. 12/2443, S. 194[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 21.06.2007 – IX ZR 29/06, VersR 2007, 1571 Rn. 9 f. m.w.N.[↩]
- MünchKommInsO/Stephan, aaO, § 302 Rn. 7; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 2. Aufl., § 302 Rn. 4; Kreft/Landfermann, InsO, 5. Aufl., § 302 Rn. 8; Veser, ZInsO 2005, 1316, 1317[↩]
- vgl. Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 302 Rn. 2a[↩]
- Kiesbye in: Leonhardt/ Smid/Zeuner, InsO, 3. Aufl., § 302 Rn. 2; FK-InsO/Ahrens, InsO, 5. Aufl., § 302 Rn. 4; vgl. auch BGH, Urteil vom 21.06.2007 – IX ZR 29/06, VersR 2007, 1571 Rn. 23[↩]
- LG Köln, NZI 2005, 406; AG Cloppenburg, Rbeistand 2005, 114; Uhlenbruck/Vallender, aaO; Hess, Insolvenzrecht, 2007, § 302 InsO Rn. 4; Kiesbye, aaO Rn. 7; Kreft/Landfermann, aaO, Rn. 11; MünchKommZPO/ Smid, 3. Aufl., § 850f Rn. 14; Pape, InVo 2007, 303, 308 f.[↩]
- KG, MDR 2009, 414; MünchKommInsO/Stephan, aaO, § 302 Rn. 8; FK-InsO/Ahrens, aaO, § 302 Rn. 9; Ahrens in Kothe/Ahrens/Grote, Verfahrenskostenstundung, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren, 4. Aufl., § 302 InsO Rn. 9; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl. Rn. 1191[↩]
- bejahend: MünchKommZPO/Smid, aaO; Kiesbye, aaO; verneinend: LG Hannover, Rpfleger 1982, 232; MünchKommInsO/Stephan, aaO, Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Streck, § 302 InsO Rn. 7; Kolbe, Deliktische Forderungen und Restschuldbefreiung, Diss. 2008, S. 43[↩]
- vgl. Jaeger/Henckel, InsO, 2004, § 38 Rn. 155; a.A.: LG Dresden, Urteil vom 18.03.2010[↩]
- vgl. OLG Karlsruhe, ZIP 2009, 1774, 1775[↩]
- Uhlenbruck/Hirte, aaO, § 39 Rn. 23; Münch-KommInsO/Ehricke, aaO, § 39 Rn. 19[↩]
- Lang in Braun, InsO, 4. Aufl., § 302 Rn. 4; Wenzel in Kübler/ Prütting/Bork, InsO, Stand Januar 2008, § 302 Rn. 1[↩]
- MünchKommInsO/Stephan, aaO, § 302 Rn. 3; Kiesbye, aaO, Rn. 6; Uhlenbruck/Vallender, aaO, § 302 Rn. 2c; vgl. auch BFH, NJW 2008, 3807 f.[↩]