Schmerzensgeld für einen gezogenen Zahn

Für eine medzinisch nicht indizierte und nicht von einer Einwilligung umfasste Extraktion von Zähnen besteht ein Anspruch auf Schmwerzensgeld.

Schmerzensgeld für einen gezogenen Zahn

In einem vom Landgericht Heidelberg entschiedenen Fall hat die Klägerin gegen die Beklagten als Gesamtschuldner aufgrund eines von diesen zu vertretenen Behandlungsfehlers einen Anspruch auf Schmerzensgeld und auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden. Die Beklagten haften allein für die nicht indizierte Extraktion des Zahnes 44. Im Übrigen erfolgte die Behandlung der Klägerin lege artis.

Im Arzthaftungsprozess trägt der Patient die Beweislast für den behaupteten Behandlungsfehler, also eine Abweichung der ärztlichen Behandlung vom medizinischen Standard1. Auch den Beweis für die ursächliche Verknüpfung zwischen Behandlungsfehler und dem behaupteten Schaden hat gem. § 286 ZPO der Patient zu führen. Diesen Beweis vermochte die Klägerin nur teilweise zu führen. Das Landgericht Heidelberg ist davon überzeugt, dass der Klägerin lediglich der Zahn 44 behandlungsfehlerhaft gezogen worden ist. Dies stellt einen (einfachen) Behandlungsfehler des Beklagten Arztes dar, welchen sich die Beklagte zurechnen lassen muss.

Der Sachverständige hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass bis auf die nicht indizierte Extraktion des Zahnes 44 keine Behandlungsfehler der Beklagten festgestellt werden könnten. Basierend auf den beigezogenen Behandlungsunterlagen der Klägerin die Zähne 44, 43, 42, 31, 16, 14, 11, 21, 26 und 28 durch den Beklagten Arzt gezogen worden seien. Zwar gebe es teilweise widersprüchliche Angaben über die präoperativ und postoperativ noch vorhandenen Zähne. In Anbetracht der Tatsache, dass die Klägerin im Juli 2008 ein im Bezug auf ihr Alter weit überdurchschnittlich geschädigtes Gebiss gehabt habe und massive Zahnlücken sowohl im Unterkiefer, als auch im Oberkiefer vorhanden gewesen seien, sei dies jedoch nachvollziehbar. Bei frühzeitigem Verlust von Zähnen könne es zu Wanderungen oder Kippungen von Nachbarzähnen kommen, so dass sich für den behandelnden Zahnarzt teilweise nur schwer bestimmen lasse, welcher Zahn wirklich noch vorhanden sei und welcher fehle bzw. ob es sich beim vorhandenen Zahn beispielweise um den Zahn 24 oder 25 handele.

Die Indikation zur Extraktion dieser Zähne ist bis auf den Zahn 44 medizinisch nachvollziehbar. Bei der Überprüfung der von den Beklagten intraoperativ gestellten Indikation zur Extraktion der Zähne müsse unbedingt die Zahnarztphobie der Klägerin, welche eine reguläre zahnärztliche Behandlung praktisch ausgeschlossen habe, mitberücksichtigt werden. Die Einschätzung der Erhaltungsfähigkeit von Zähnen müsse in solchen Fällen daher auch unter dem Gesichtspunkt gefällt werden, ob der Versuch der Zahnerhaltung eine angemessen Prognose habe und eine adäquate Nachsorge gewährleistet sei. Es könne durchaus sein, dass einzelne Zähne per se grundsätzlich erhaltungsfähig seien, jedoch unter den individuell bei einem Pateinten vorliegenden Bedingungen keine Indikation für den Erhalt gestellt werden könne. Bei Patienten mit Zahnarztphobien sei das Ziel jeder Sanierung unter Vollnarkose, dass möglichst keine Nachbehandlungen erforderlich seien, die eine erneute Narkose bedingen würden. Behandlungen, die eine unsichere Prognose hätten, seien daher bei solchen Patienten kontraindiziert, da eine Narkose, welche eigene Risiken und Belastungen für den Patienten bedeuten würden, nicht beliebig ausgedehnt oder zeitnah wiederholt werden könnte.

Der Sachverständige konnte die Indikation zur Extraktion der Zähne 14, 11, 21, 26, 43, 42 und 31 nicht als fehlerhaft bewerten.
Er führte weiter aus, dass somit lediglich die Extraktion des Zahnes 44 für ihn nicht nachvollziehbar sei. Weder lasse sich aus den präoperativen Röntgenbildern noch aus dem intraoperativ von der konservierend tätigen Kollegin geschilderten Einschätzung Gründe für die Indikation nachvollziehen. Auch der Beklagte Arzt war mangels ausreichender Erinnerung nicht mehr in der Lage, die Umstände, die nach seiner damaligen Einschätzung die Extraktion des Zahnes 44 rechtfertigten, näher darzulegen. Da somit keine Gründe erkennbar seien, die eine Extraktion des Zahnes 44 indizierten, müsse diese als behandlungsfehlerhaft angesehen werden. Die Extraktionen selbst seien aber alle samt lege artis und ohne Komplikationen durchgeführt worden.

Der Klägerin steht aufgrund des festgestellten Behandlungsfehlers ein Schmerzensgeld gem. § 253 BGB zu, da sie aufgrund der behandlungsfehlerhaften Extraktion einen erhaltungsfähigen Zahn dauerhaft verloren hat. Die Höhe des Schmerzensgeldes hat die Klägerin ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellt. Für dessen Bemessung sind unter Berücksichtigung der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion insbesondere Art und Dauer der erlittenen Schäden von Bedeutung. Bei der Beurteilung hat sich das Gericht einerseits davon leiten lassen, dass die Klägerin durch den Behandlungsfehler dauerhaft ihren Zahn 44 verloren hat. Andererseits war dieser nicht „kerngesund“, sondern wie das restliche Gebiss der Klägerin bereits für ihr Alter weit überdurchschnittlich vorgeschädigt. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint es notwendig, aber auch ausreichend, der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,00 Euro zuzusprechen. Für eventuelle später neu auftretende Beeinträchtigungen ist ein immaterieller Vorbehalt im Feststellungsantrag enthalten. Dieser Anspruch ist gem. §§ 286, 288 Abs. 1 BGB seit Ablauf der mit außergerichtlichem Schriftsatz vom 03.02.2009 gesetzten Zahlungsfrist ab 01.03.2009 zu verzinsen.

Darüber hinaus war dem Feststellungsantrag bezüglich des Zahnes 44 stattzugeben. Ein Rechtsschutzinteresse besteht. Aufgrund der nicht gerechtfertigten Extraktion des Zahnes 44 können weitere Schäden nicht ausgeschlossen werden.

Für diesen Schmerzensgeldanspruch haften die Beklagten als Gesamtschuldner. Der beklage Arzt haftet als (fehlerhaft) behandelnder Arzt aus Delikt nach § 823 Abs. 1 BGB. Dieser Behandlungsfehler wird der Beklagten nach § 278 BGB zugerechnet, da der Arzt als ihr Erfüllungsgehilfe bei der Behandlung der Klägerin tätig wurde.

Die Klägerin hat schließlich Anspruch auf Erstattung eines Teils ihrer außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gem. §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB. In einer schwierigen Arzthaftungssache ist es dem Patienten nicht zumutbar, außergerichtlich ohne Einschaltung eines Anwaltes mit dem behandelnden Arzt und dessen Haftpflichtversicherung zu korrespondieren. Insoweit sind die außergerichtlichen Anwaltskosten zu ersetzen, allerdings nur aus einem Streitwert, der auch der erfolgreichen Klage entspricht. Dieser beläuft sich unter Berücksichtigung des zuerkannten Schmerzensgeldbetrages und eines Teils des Feststellungsantrages auf insgesamt 2.000,00 Euro. Unter Berücksichtigung einer 1,3-fachen Gebühr gem. §§ 13, 14, Nr. 2300 VV RVG und der Unkostenpauschale von 20 Euro gem. Nr. 7002 VV RVG sowie 19 % Mehrwertsteuer ergibt dies einen Betrag von 229,55 Euro. Der darüber hinaus geforderte Betrag ist nicht erstattungsfähig. Dieser Anspruch ist gem. §§ 291, 288 BGB seit dem 09.12.2009 zu verzinsen.

Landgericht Heidelberg, Urteil vom 16.Februar 2011 – 4 O 133/09

  1. vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., Rn. B 200 m.w.N.; BGH VersR 1999, 716[]