Kirchenaustritt – aber nur im melderechtlichen Sinne

Eine Erklärung, „im meldeamtlichen Sinne“ aus einer Kirche auszutreten, ist – auch gemessen am Maßstab des Grundrechts der Glaubensfreiheit (Art. 107 Abs. 1 und 2 der bayerischen Verfassung) – unwirksam.

Kirchenaustritt – aber nur im melderechtlichen Sinne

Nach Maßgabe des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, Religions- und weltanschauliche Gemeinschaften (Kirchensteuergesetz – KirchStG)1 sind Religionsgemeinschaften, denen die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen sind, zur Erhebung von Kirchensteuern mithilfe der staatlichen Steuerbehörden berechtigt. Der Austritt aus einer solchen Religionsgemeinschaft mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bedarf nach Art. 3 Abs. 4 Sätze 1 und 2 Halbsatz 1 KirchStG zur öffentlich-rechtlichen Wirkung der Erklärung bei dem Standesamt des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltsorts. Die Erklärung ist persönlich zur Niederschrift abzugeben oder in öffentlich beglaubigter Form einzureichen. In Ergänzung hierzu bestimmt die auf der Grundlage von Art. 26 KirchStG erlassene Verordnung zur Ausführung des Kirchensteuergesetzes (AVKirchStG)2 in § 2 Abs. 2 Satz 2, dass in der Erklärung die Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft, aus der der Erklärende austreten will, eindeutig bezeichnet sein muss. In ihrer bis zum 31.12 2014 geltenden Fassung hat sie zudem in Satz 3 geregelt, dass der Austritt nicht unter einer Bedingung, einer Einschränkung oder einem Vorbehalt erklärt werden darf. Dieses Verbot ist durch das am 1.01.2015 in Kraft getretene Änderungsgesetz vom 08.07.20133 – zur Klarstellung4 – in das Kirchensteuergesetz selbst aufgenommen worden (vgl. Art. 3 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 KirchStG).

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Das Verwaltungsgericht München5 hat in Anwendung dieser Vorschriften, deren Verfassungsmäßigkeit die Beschwerdeführerin nicht infrage stellt, die Erklärung vom 16.12 2009, sie trete „aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in B., Körperschaft des öffentlichen Rechts im meldeamtlichen Sinn aus“, als unwirksam angesehen. Es ist sinngemäß davon ausgegangen, dass der Zusatz „im meldeamtlichen Sinn“ als unzulässige Einschränkung im Sinn von § 2 Abs. 3 Satz 3 AVKirchStG a. F.6 anzusehen sei. Dabei hat das Verwaltungsgericht Art. 107 Abs. 1 und 2 BV ausreichend Rechnung getragen.

Das durch Art. 107 Abs. 1 und 2 BV verbürgte Grundrecht der Glaubensfreiheit7 schließt die Befugnis ein, das Bekenntnis zu wechseln oder aus einer Religionsgemeinschaft oder einer weltanschaulichen Gemeinschaft auszutreten8. Es gewährleistet, dass niemand entgegen seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung Steuerschuldner einer Kirche, Religionsgemeinschaft oder weltanschaulichen Gemeinschaft wird, der er nicht verbunden ist9. Dass die Erklärung des Austritts einer bestimmten Form bedarf, ist -wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt entschieden hat – nicht zu beanstanden10 und wird von der Beschwerdeführerin im Ansatz auch nicht in Zweifel gezogen.

Die Ausgestaltung des Verfahrens, wonach der Austritt nicht unter einer Bedingung, einer Einschränkung oder einem Vorbehalt erklärt werden darf (§ 2 Abs. 3 Satz 3 AVKirchStG a. F., Art. 3 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 KirchStG n. F.), dient der Vermeidung von Rechtsunsicherheit und ist verfassungsrechtlich ebenfalls unbedenklich11. Sie wahrt sowohl das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in eigenen Angelegenheiten (Art. 142 Abs. 3 BV) als auch die negative Religionsfreiheit der Austrittswilligen. Durch Art. 3 Abs. 4 Satz 1 KirchStG wird einerseits sichergestellt, dass die in einem staatlichen Verfahren abgegebene Erklärung mit „öffentlich-rechtlicher Wirkung“, also nur für den staatlichen Bereich erfolgt und nicht in den inneren Bereich der Kirche oder sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft des öffentlichen Rechts eingreift. Denn der Staat kann die Folgen des Austritts nur mit Wirkung für den staatlichen Bereich regeln. Ob nach innerkirchlichem Recht zwischen Wirkungen im staatlichen Bereich und im innerkirchlichen Bereich getrennt werden kann, entzieht sich der Regelung durch staatliches Recht und der Beurteilung durch staatliche Organe. Welche Konsequenzen die Kirche für ihren Rechtsbereich aus einer Austrittserklärung zieht, muss ihr überlassen bleiben12. Austrittswillige Mitglieder einer Religionsgemeinschaft sehen sich andererseits einer hinreichend bestimmten Regelung gegenüber, die ihnen nichts Unzumutbares abverlangt. Der Austritt aus der Religionsgemeinschaft soll die Mitgliedschaft beseitigen, deren freiwillige Fortdauer Voraussetzung ist, um weiterhin öffentlich-rechtliche Folgen, wie insbesondere die Kirchensteuerpflicht, an die Mitgliedschaft zu knüpfen. Es besteht kein schützenswertes Interesse an einer Modifizierung der Austrittserklärung, weil sich bereits aus Art. 3 Abs. 4 Satz 1 KirchStG ergibt, dass der formalisierte Kirchenaustritt nur mit Wirkung für den staatlichen Bereich erfolgt. Austrittswillige werden nicht zu einer Erklärung genötigt, die mit ihrer Glaubensfreiheit unvereinbar ist, wenn sie vorbehaltlos den Austritt aus ihrer Religionsgemeinschaft erklären müssen, auch wenn sie nur die staatlichen Wirkungen der Mitgliedschaft beenden wollen13.

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Ausgehend von diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den Zusatz „im meldeamtlichen Sinn“ als eine durch das Gesetz ausgeschlossene Modifizierung der Austrittserklärung angesehen hat. Denn er geht über die von § 2 Abs. 2 Satz 2 AVKirchStG geforderte Bezeichnung der Kirche, aus der die Beschwerdeführerin austreten will, hinaus und zielt darauf ab, lediglich die staatlichen Wirkungen der Mitgliedschaft beenden, gleichzeitig aber in der Glaubensgemeinschaft verbleiben zu wollen. Der Austrittswillige muss aber zur Vermeidung von Missverständnissen im Interesse der Rechtssicherheit hinnehmen, dass er seine Vorstellungen über die angestrebten innergemeinschaftlichen Wirkungen seines Austritts nicht zum Inhalt seiner Erklärung und der ihm hierüber zu erteilenden Bescheinigung machen kann14.

Bayerischer Verfassungsgerichtshof – Entscheidung vom 11. April 2016 – – Vf. 68 -VI -14

  1. in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.11.1994, GVBl S. 1026, BayRS 2220F/K, das zuletzt durch Gesetz vom 17.12 2014, GVBl. S. 547, geändert worden ist[]
  2. vom 15.03.1967, BayRS 22201-K, die zuletzt durch Verordnung vom 03.02.2015, GVBl S.20, geändert worden ist[]
  3. GVBl S. 427[]
  4. vgl. LT-Drs. 16/16011 S. 7[]
  5. VG München, Urteil vom 19.12.2013 – M 22 K 12.5556[]
  6. seit 1.01.2015: Art. 3 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 KirchStG[]
  7. vgl. VerfGH vom 15.01.2007 VerfGHE 60, 1/8[]
  8. VerfGH vom 08.05.2008 VerfGHE 61, 125/128[]
  9. VerfGHE 53, 167/172[]
  10. VerfGH vom 12.03.1968 VerfGHE 21, 38/48 f.; VerfGHE 61, 125/128 f.[]
  11. vgl. BVerfG vom 02.07.2008 DVBl 2008, 1184 Rn. 42[]
  12. VerfGHE 53, 167/174[]
  13. vgl. BVerwG vom 26.09.2012 BVerwGE 144, 171 Rn. 30 ff.[]
  14. vgl. BVerwGE 144, 171 Rn. 32[]
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