Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen ist im Verhältnis zu den ohne sie nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein Rechtsetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung, der seine eigenständige Grundlage in Art. 9 Abs. 3 GG findet und nicht an Art. 80 Abs. 1 GG zu messen ist1.
Weder die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrags noch deren Ablehnung sind Verwaltungsakte2. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist wegen ihres abstrakt-generellen Charakters gerade das Gegenteil eines Verwaltungsakts, nämlich eine Rechtsnorm3. Verwaltung ist hingegen die Tätigkeit des Staats außerhalb von Rechtsetzung und Rechtsprechung4.
Für den Normerlass ist das Verwaltungsverfahrensgesetz, insbesondere der in § 24 VwVfG geregelte Untersuchungsgrundsatz, nicht unmittelbar anwendbar. Das Verwaltungsverfahrensgesetz gilt nach § 1 Abs. 1 VwVfG für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit von Behörden. Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes ist nach § 9 VwVfG die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsakts oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist. Der Erlass einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung stellt Rechtsetzung und keine Verwaltungstätigkeit dar.
Für eine analoge Anwendung von § 24 VwVfG besteht kein Anlass. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts5 ist geklärt, dass es bei der richterlichen Kontrolle untergesetzlicher Normen, soweit keine anderweitigen Rechtsvorschriften bestehen, nur auf das Ergebnis des Rechtsetzungsverfahrens, also auf die erlassene Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung, nicht aber auf die die Rechtsnorm tragenden Motive dessen ankommt, der an ihrem Erlass mitgewirkt hat. Soweit der Normgeber zur Regelung einer Frage befugt ist, ist seine Entscheidungsfreiheit eine Ausprägung des auch mit Rechtsetzungsakten der Exekutive typischerweise verbundenen normativen Ermessens. Die Rechtsprechung hat zu respektieren, dass der parlamentarische Gesetzgeber im Rahmen der Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen oder Satzungen eigene Gestaltungsfreiräume an den untergesetzlichen Normgeber weiterleitet und ihm damit vorbehaltlich gesetzlicher Beschränkungen die Bewertungsspielräume eröffnet, die sonst dem parlamentarischen Gesetzgeber selbst zustehen. Eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung des Abwägungsvorgangs setzt daher bei untergesetzlichen Normen eine besonders ausgestaltete Bindung des Normgebers an gesetzlich formulierte Abwägungsdirektiven voraus, wie sie etwa im Bauplanungsrecht vorgegeben sind. Sind solche nicht vorhanden, kann die Rechtswidrigkeit der Norm mit Mängeln im Abwägungsvorgang nicht begründet werden. Entscheidend ist dann allein, ob das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens den anzulegenden rechtlichen Maßstäben entspricht6. Diese Ansicht wird auch von der verwaltungsrechtlichen Literatur geteilt7. Die Frage lautet nicht, ob der Normgeber konsistent argumentiert hat, sondern ob das in der Norm zum Ausdruck kommende Ergebnis rechtlich bestehen kann, nicht, wie die Norm begründet ist, sondern ob sie begründbar ist8. Für das Normenkontrollverfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG vor den Gerichten für Arbeitssachen zur Überprüfung der Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung als untergesetzlicher Norm eigener Art gilt nichts anderes9.
Für eine Verfassungswidrigkeit von § 11 TVG und der darauf beruhenden TVG-DVO gibt es keine Anhaltspunkte. Insbesondere mangelt es § 11 Nr. 2 TVG nicht an der erforderlichen Bestimmtheit iSv. Art. 80 Abs. 1 GG. Die TVG-DVO dient nur der Ergänzung und Präzisierung des Tarifvertragsgesetzes, insbesondere dessen § 5. Die materiellen Voraussetzungen der Allgemeinverbindlichkeitserklärung sind vom Gesetzgeber unmittelbar in § 5 TVG geregelt. Für die in der TVG-DVO angesprochenen Fragen stellt § 11 TVG auch mit Blick auf das Bestimmtheitserfordernis des Art. 80 Abs. 1 GG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar. Die Grundrechtsrelevanz der TVG-DVO ist vergleichsweise gering, weil sie nur Vorschriften für den praktischen Ablauf des Allgemeinverbindlichkeitserklärung-Verfahrens enthält. Die etwaige Berührung der Grundrechte von Außenseitern ergibt sich dagegen unmittelbar aus der Regelung in § 5 TVG.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21. September 2016 – 10 ABR 33/15
- BVerfG 24.05.1977 – 2 BvL 11/74, zu B II 1 b und B II 2 c der Gründe, BVerfGE 44, 322; 15.07.1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79, zu B I der Gründe, BVerfGE 55, 7; BAG 29.09.2010 – 10 AZR 523/09, Rn. 15[↩]
- BVerwG 6.06.1958 – VII CB 187.57 – BVerwGE 7, 82; 1.08.1958 – VII A 35.57 – BVerwGE 7, 188[↩]
- vgl. BVerwG 3.11.1988 – 7 C 115.86, zu 3 a der Gründe, BVerwGE 80, 355[↩]
- vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Schmitz VwVfG 8. Aufl. § 1 Rn. 165; Jellinek Verwaltungsrecht 3. Aufl. § 1 Abs. I S. 6[↩]
- vgl. BVerwG 10.01.2007 – 6 BN 3.06, Rn. 4 mwN[↩]
- BVerwG 3.05.1995 – 1 B 222.93, zu 1 der Gründe; 30.04.2003 – 6 C 6.02, zu II 1 c ff der Gründe, BVerwGE 118, 128; 26.04.2006 – 6 C 19.05, Rn. 16, BVerwGE 125, 384[↩]
- vgl. Kopp/Schenke VwGO 22. Aufl. § 47 Rn. 117 f., der auf die bei untergesetzlichen Normen oft gegebene besondere politische Komponente verweist, die sich nicht nach den Grundsätzen strenger Rationalität vollziehe; Sodan/Ziekow VwGO 4. Aufl. § 47 Rn. 353; Eyermann/Schmidt VwGO § 47 Rn. 92[↩]
- vgl. Bonner Kommentar zum Grundgesetz Stand Juni 2016 Nierhaus Art. 80 Abs. 1 Rn. 355[↩]
- vgl. Sittard Voraussetzungen und Wirkungen der Tarifnormerstreckung nach § 5 TVG und dem AEntG S. 168; Wonneberger Die Funktionen der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen S. 126 ff. zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Tarifautonomiestärkungsgesetzes[↩]









