Arbeitsgerichtsverfahren – und der Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten

§ 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG schließt als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung von bis zum Schluss einer eventuellen ersten Instanz entstandenen Beitreibungskosten – unabhängig von seiner Anspruchsgrundlage – und damit auch einen Anspruch auf Erstattung außer- und vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten aus.

Arbeitsgerichtsverfahren – und der Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten

Der Ausschluss materiell-rechtlicher Kostenerstattungsansprüche nach § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG wirkt im Fall einer Inanspruchnahme der Arbeitsgerichte über die Instanzen fort.

Daher konnte es für das Bundesarbeitsgericht im hier entschiedenen Fall dahinstehen, ob ein Ersatzanspruch der klagenden Arbeitgeberin bereits daran scheitert, dass die Rechtsverfolgungskosten aus Sicht der Arbeitgeberin zur Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer Rechte nicht erforderlich und zweckmäßig waren. Hierfür könnte einiges sprechen.

Zwar zählen zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten auch die durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten. Allerdings hat der Schädiger nicht schlechterdings alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts ist in einfach gelagerten Fällen nur erforderlich, wenn der Geschädigte geschäftlich ungewandt ist oder die Schadensregulierung verzögert wird1.

Die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der konkreten Rechtsverfolgung stellen echte; vom Geschädigten darzulegende und zu beweisende Anspruchsvoraussetzungen dar und nicht lediglich im Rahmen des § 254 BGB bedeutsame, die Ersatzpflicht beschränkende und damit in die Darlegungs- und Beweislast des Schädigers fallende Umstände2.

Danach spricht viel dafür, dass die Arbeitgeberin schon deshalb keinen Anspruch auf Ersatz der durch das schädigende Verhalten des beklagten Arbeitnehmers verursachten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten hat, da es nicht erforderlich war, schon für die erstmalige Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Arbeitnehmer einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.

Bei dem konkreten Schadensfall handelt es sich um einen rechtlich und tatsächlich einfach gelagerten Fall, in dem die Haftung des Arbeitnehmers dem Grunde und der Höhe nach derart klar war, dass aus der Sicht der Arbeitgeberin kein Zweifel an der Ersatzpflicht des Arbeitnehmers bestehen konnte.

Der Arbeitnehmer hatte im vorliegenden Fall gegenüber der Arbeitgeberin am 2.11.2016 eine Zahlungsverpflichtung iHv. 38.216,00 € in einem förmlichen Schuldanerkenntnis anerkannt. Den durch das schädigende Verhalten des Arbeitnehmers verursachten weitergehenden Schaden iHv. 3.522,10 € hatte die Arbeitgeberin in der Zeit zwischen dem 2.11.2016 und 4.11.2016 erkennbar ohne jede Schwierigkeit ermittelt.

Die Arbeitgeberin hat keine Umstände vorgetragen, wonach sie aus besonderen Gründen, wie etwa wegen eines Mangels an geschäftlicher Gewandtheit oder Erfahrung, nicht in der Lage war, den so ermittelten Gesamtschaden gegenüber dem Arbeitnehmer selbst schriftlich geltend zu machen. Gegen einen Mangel an geschäftlicher Gewandtheit und Erfahrung spricht im Übrigen, dass die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer ein vorformuliertes Schuldanerkenntnis vorgelegt hatte. Dies zeigt sehr deutlich, dass die Arbeitgeberin sehr wohl wusste, wie sie sich in der entsprechenden Situation zur Wahrung ihrer Rechte zu verhalten hatte.

Der Arbeitnehmer hatte die Schadensregulierung auch nicht verzögert. Vielmehr hat die Arbeitgeberin ihren Prozessbevollmächtigten, unmittelbar nachdem der Arbeitnehmer die Schuld teilweise anerkannt und die Arbeitgeberin den weitergehenden Schaden ermittelt hatte, mit der außer- bzw. vorgerichtlichen Geltendmachung ihrer Forderung beauftragt.

Die Klage ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil einem etwaigen Ersatzanspruch der Arbeitgeberin – unabhängig von seiner Anspruchsgrundlage – die in § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG getroffene Regelung entgegensteht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts schließt § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung von bis zum Schluss einer eventuellen ersten Instanz entstandenen Beitreibungskosten und damit auch einen etwaigen Anspruch der Arbeitgeberin auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten aus3.

Gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG besteht in Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistands.

Diese Bestimmung ist – ebenso wie die ihr vorangegangene Regelung in § 61 Abs. 1 Satz 2 ArbGG 1953 – nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dahin auszulegen, dass sie nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch unabhängig von seiner Anspruchsgrundlage, und damit auch einen Anspruch auf Erstattung vor- bzw. außergerichtlicher Kosten ausschließt4. Das Bundesarbeitsgericht sieht keine Veranlassung, diese Rechtsprechung aufzugeben oder zu modifizieren. Insbesondere stehen einer Anwendung von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG auf vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten – anders als die Arbeitgeberin meint – weder ein anderslautender eindeutiger Gesetzeswortlaut, noch Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, oder die Gesetzessystematik sowie die Gesetzesgeschichte entgegen.

Bereits der Wortlaut von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, wonach „kein Anspruch der obsiegenden Partei …“ besteht, spricht für eine Auslegung von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG dahin, dass jeder Erstattungsanspruch – und nicht nur ein prozessualer – ausgeschlossen sein soll. § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG trifft insoweit eine pauschale Anordnung und differenziert nicht nach der Rechtsnatur der zugrunde liegenden Anspruchsgrundlage5.

Ein solches Verständnis von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG entspricht auch der Entstehungsgeschichte der Norm.

§ 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG wurde durch die Arbeitsgerichtsnovelle 1979 in das Gesetz eingefügt und hat den früheren § 61 Abs. 1 Satz 2 ArbGG 1953 ohne inhaltliche Änderungen übernommen. Diese Bestimmung wiederum entsprach wortgleich der im Arbeitsgerichtsgesetz 1926 getroffenen Regelung, die ihrerseits auf einen Beschluss des sozialpolitischen Ausschusses des Reichstags zurückging. Die von der Reichsregierung im damaligen Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagene Regelung, wonach der obsiegenden Partei die Versäumnis- und Vertretungskosten insoweit erstattet werden sollten, als dies der Billigkeit entspräche, ist nicht Gesetz geworden. § 61 Abs. 1 Satz 2 ArbGG 1926 wurde deshalb von Anfang an so verstanden, dass die der Partei erwachsenen außergerichtlichen Kosten fast niemals erstattet werden würden6.

Auch der Zweck von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG – sowie der seiner Vorgängerregelungen – gebietet einen Ausschluss der materiell-rechtlichen Kostenerstattung.

Der Zweck von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG – sowie seiner Vorgängerregelungen – besteht zunächst darin, das erstinstanzliche arbeitsgerichtliche Verfahren zum Schutz des in der Regel sozial schwächeren Arbeitnehmers möglichst zu verbilligen und damit das Kostenrisiko überschaubar zu halten. Arbeitnehmer sollen – wegen ihrer typischerweise bestehenden wirtschaftlichen Unterlegenheit – auch dann, wenn sie im Arbeitsgerichtsprozess unterliegen, nicht mit den in § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG genannten Kosten belastet werden. Hierdurch soll vermieden werden, dass sie in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten von einer gerichtlichen Verfolgung bestehender Ansprüche absehen. Allerdings gilt § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG aus Gründen der gebotenen Parität auch für den Arbeitgeber oder eine sonstige Partei, die vor dem Arbeitsgericht unterliegt. Danach soll keine Partei damit rechnen können und müssen, dass ihr im Fall des Obsiegens die Kosten der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sowie die Kosten für Zeitversäumnis erstattet oder dass ihr im umgekehrten Fall des Unterliegens die Kosten des Bevollmächtigten des Gegners sowie die Kosten der Zeitversäumnis des Gegners auferlegt werden7.

Der Schutz bedürftiger Parteien im Sinne des Prozesskostenhilferechts vor erheblichen Prozesskosten ist demgegenüber nicht Zweck der Norm, da auch die arme obsiegende Partei keinen Kostenerstattungsanspruch gegen die unterlegene, möglicherweise wirtschaftlich deutlich stärkere Partei hat. Der Gedanke der sozialen Billigkeit mag dem Entwurf des Arbeitsgerichtsgesetzes 1926 noch zugrunde gelegen haben, der eine Erstattungspflicht nach Billigkeit vorsah, dieser Entwurf ist später aber nicht Gesetz geworden8.

Der Zweck von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG sowie seiner Vorgängerregelungen erfordert nicht nur den Ausschluss prozessualer, sondern auch materiell-rechtlicher Kostenerstattungsansprüche, auch soweit vor- und außergerichtliche Kosten in Rede stehen. Es wäre mit dem Anliegen des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten das Kostenrisiko überschaubar zu halten, unvereinbar, der Partei, die eine arbeitsrechtliche Streitigkeit ohne Inanspruchnahme der Arbeitsgerichte beendet, grundsätzlich einen Kostenerstattungsanspruch zuzubilligen, ihr aber in dem Fall, dass es zu einem arbeitsgerichtlichen Verfahren kommt, die entsprechende Erstattung zu versagen. Wie unter Rn. 27 ausgeführt, soll mit der in § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG getroffenen Regelung vermieden werden, dass Arbeitnehmer in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten wegen des Kostenrisikos von einer gerichtlichen Durchsetzung bestehender Ansprüche absehen. Zweck von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist es aber nicht, die Arbeitnehmer zu einer Inanspruchnahme arbeitsgerichtlichen Rechtsschutzes zu veranlassen. Ein solcher Effekt würde allerdings eintreten, wenn Arbeitnehmer im Fall einer außergerichtlichen vergleichsweisen Streitbeilegung, die häufig vorkommt, ggf. Kostenerstattungsansprüchen der Gegenseite ausgesetzt wären. Im Übrigen zeigt auch die Erfahrung, dass Vergleiche leichter zustande kommen, wenn die Frage der Erstattung der Anwaltskosten nicht erörtert werden muss9.

Der gesetzliche Ausschluss jedweder Kostenerstattung wegen Zeitversäumnis und wegen der Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten nach § 12a Abs. 1 ArbGG ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorgängerregelung des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG mit Beschluss vom 20.07.197110 ausdrücklich als sachlich gerechtfertigte, weil dem Schutz des Arbeitnehmers als dem sozial Schwachen dienende Bestimmung gebilligt. Insoweit hat es darauf hingewiesen, dass das soziale Argument seit dem Erlass des Gesetzes im Jahre 1953 zwar schwächer geworden sein möge, allerdings habe es für die Masse der Arbeitnehmer weiterhin seine Berechtigung. Dass sich die in § 61 Abs. 1 Satz 2 ArbGG 1953 getroffene Bestimmung unter Umständen auch zum Nachteil der Arbeitnehmer auswirken könne, sei nicht von Belang, da es nichts daran ändere, dass das Kostenrisiko durch § 61 Abs. 1 Satz 2 ArbGG 1953 überschaubarer werde, weil jede Partei von vornherein wisse, dass sie an außergerichtlichen Kosten immer und äußerstenfalls nur das zu tragen habe, was sie selbst aufwendet11. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt mit Beschluss vom 31.01.200812, wiederum unter Hinweis auf den durch § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG bewirkten Schutz des Arbeitnehmers als des typischerweise sozial schwächeren Prozessbeteiligten bestätigt13.

Entgegen einer in der Literatur vertretenen Rechtsauffassung14 gebietet auch der Umstand, dass vorprozessuale Anwaltskosten seit dem Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) am 1.07.2004 keine (potentiellen) Kosten des Rechtsstreits mehr sind, keine Veranlassung, die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG zu modifizieren oder gar aufzugeben. Durch diesen Umstand wird die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, das Kostenrisiko in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten überschaubar zu halten, nicht in Frage gestellt. Die Frage des Anfalls und der Höhe der einem Rechtsanwalt zustehenden Gebühren hat keinerlei Auswirkung auf die Frage, ob und von wem diese Gebühren zu erstatten sind15.

Aus der in § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB getroffenen Regelung kann die Arbeitgeberin – entgegen ihrer Rechtsauffassung – nichts zu ihren Gunsten ableiten. § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG schließt, wie der hier erkennende Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts mit Urteil vom 25.09.201816 entschieden und ausführlich begründet hat, als spezielle arbeitsrechtliche Regelung, soweit er einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung von bis zum Schluss einer eventuellen ersten Instanz entstandenen Beitreibungskosten ausschließt, auch einen Anspruch auf Pauschalen nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB aus. Dieser Rechtsprechung haben sich der Fünfte, der Neunte und der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts angeschlossen17.

Der hier Achte Senat hat es in der Entscheidung vom 25.09.201818 noch dahinstehen lassen, ob die in § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB bestimmte Pauschale auch der Pauschalierung externer Beitreibungskosten dient oder ob § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB im Hinblick auf die Vorgaben der Richtlinie 2011/7/EU unionsrechtskonform dahin auszulegen ist, dass er einen Anspruch auf Zahlung der Pauschale nur für interne Beitreibungskosten vorsieht, und welche Konsequenzen sich daraus ggf. für die in § 288 Abs. 5 Satz 3 BGB vorgesehene Anrechnung der Pauschale auf externe Beitreibungskosten ergeben.

Inzwischen hat der Gerichtshof der Europäischen Union diese Fragen durch zwei Entscheidungen dahin geklärt, dass nach der Richtlinie 2011/7/EU mit dem Betrag von 40, 00 Euro nicht nur die internen, sondern auch die externen Beitreibungskosten pauschaliert werden sollen19. Insoweit spricht der Gerichtshof der Europäischen Union zum einen von einem angemessenen Ersatz für „Beitreibungskosten jedweder Art“20. Zudem führt er aus, dass der von der Richtlinie geforderte wirksame Schutz des Gläubigers gegen Zahlungsverzug bedeute, dem Gläubiger einen möglichst umfassenden Ersatz der ihm entstandenen Beitreibungskosten zu bieten, so dass von solchem Zahlungsverzug abgeschreckt wird21. Insbesondere ergebe sich aus den – nicht verbindlichen – Erwägungsgründen 19 und 20 der Richtlinie 2011/7/EU nicht, dass nur die internen Beitreibungskosten durch den Pauschalbetrag von 40, 00 Euro ersetzt werden könnten und die übrigen Beitreibungskosten einen eigenständigen Schadensersatzanspruch begründeten22.

Aus den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11.04.201923; und vom 13.09.201824 folgt nicht nur, dass § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB keiner unionsrechtskonformen einschränkenden Auslegung dahin bedarf, dass er einen Anspruch auf Zahlung der Pauschale nur für interne Beitreibungskosten vorsieht; die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union verdeutlichen zudem, dass die Pauschale nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB auch und zentral der Kompensation eines Verzugsschadens dient25, und dass sie keinen Strafschadensersatz beinhaltet26.

Eine andere Bewertung ist auch nicht deshalb geboten, weil das vorliegende Verfahren nicht mit dem Abschluss der ersten Instanz geendet hat. Vielmehr besteht der Ausschluss nach § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG für die von ihm erfassten Kosten fort, auch wenn der Rechtsstreit über mehrere Instanzen geführt wird. Zwar werden gerichtliche und außergerichtliche Kosten für jede Instanz getrennt berechnet27. Allerdings schließt § 12a Abs. 1 ArbGG als spezielle arbeitsrechtliche Regelung einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung von bis zum Schluss einer „eventuellen“ ersten Instanz entstandenen Beitreibungskosten, und damit – wie unter Rn. 29 ausgeführt – auch dann aus, wenn die Streitigkeit ohne Inanspruchnahme der Arbeitsgerichte beendet wird. Zudem soll nach der in § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG getroffenen Regelung – wie unter Rn. 27 ausgeführt – keine Partei damit rechnen können und müssen, dass ihr im Fall des Obsiegens die Kosten der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sowie die Kosten für Zeitversäumnis erstattet oder dass ihr im umgekehrten Fall des Unterliegens die Kosten des Bevollmächtigten des Gegners sowie die Kosten der Zeitversäumnis des Gegners auferlegt werden. Damit wirkt der Ausschluss materiell-rechtlicher Kostenerstattungsansprüche nach § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG im Fall einer Inanspruchnahme der Arbeitsgerichte über die Instanzen fort.

Entgegen der Rechtsauffassung der Arbeitgeberin ist § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG im vorliegenden Verfahren nicht deshalb unanwendbar, weil ihr (etwaiger) Schadensersatzanspruch (auch) aus einer unerlaubten Handlung des Arbeitnehmers folgt. Eine teleologische Reduktion von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist im vorliegenden Verfahren nicht geboten.

Eine teleologische Reduktion von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG käme nur dann in Betracht, wenn sich eine planwidrige Regelungslücke feststellen ließe. Dies würde voraussetzen, dass § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, gemessen an seiner zugrunde liegenden Regelungsabsicht, sich in dem Sinne als unvollständig erweisen würde, dass er einen erforderlichen Ausnahmetatbestand nicht aufweist28. Seine Anwendung müsste demnach zu zweckwidrigen Ergebnissen führen29.

Danach sind im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht erfüllt.

Wie bereits ausgeführt, besteht der Zweck von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG zunächst darin, das erstinstanzliche arbeitsgerichtliche Verfahren zum Schutz der in der Regel sozial schwächeren Arbeitnehmer möglichst zu verbilligen und damit das Kostenrisiko überschaubar zu halten. Hierdurch soll vermieden werden, dass diese in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten von einer gerichtlichen Verfolgung bestehender Ansprüche absehen. Jedoch ist es – wie unter Rn. 29 ausgeführt – nicht Zweck von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, die Arbeitnehmer zu einer Inanspruchnahme arbeitsgerichtlichen Rechtsschutzes zu veranlassen. Da ein solcher Effekt aber eintreten würde, wenn Arbeitnehmer im Fall einer außergerichtlichen vergleichsweisen Streitbeilegung, die häufig vorkommt, ggf. Kostenerstattungsansprüchen der Gegenseite ausgesetzt wären, erfordert der Normzweck der „Verbilligung“ des Verfahrens vor den Gerichten für Arbeitssachen nicht nur den Ausschluss prozessrechtlicher, sondern auch den Ausschluss materiell-rechtlicher Ansprüche auf Erstattung von bis zum Schluss einer eventuellen ersten Instanz entstandenen Beitreibungskosten, und dies unabhängig von ihrer Anspruchsgrundlage. Andernfalls würden die auszugleichenden Kosten nicht wirksam gesenkt30. Damit können Schadensersatzansprüche nicht bereits deswegen aus § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG ausgenommen werden, weil sie auf § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB gestützt werden31. Aus Gründen der gebotenen Parität gilt § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG allerdings auch für den Arbeitgeber oder eine sonstige Partei, die vor dem Arbeitsgericht unterliegt. Danach soll keine Partei damit rechnen können und müssen, dass ihr im Fall des Obsiegens die Kosten der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sowie die Kosten für Zeitversäumnis erstattet oder dass ihr im umgekehrten Fall des Unterliegens die Kosten des Bevollmächtigten des Gegners sowie die Kosten der Zeitversäumnis des Gegners auferlegt werden.

Danach liegen im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht vor. Seine Anwendung führt nicht zu zweckwidrigen Ergebnissen29, insbesondere hat der Arbeitnehmer die Regelung des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG in keiner Weise bewusst missbraucht, um der Arbeitgeberin konkreten Schaden zuzufügen32.

Es kann dahinstehen, ob eine teleologische Reduktion von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG dann in Betracht zu ziehen wäre, wenn die eine Partei die andere mit einem von vornherein offensichtlich aussichtslosen arbeitsgerichtlichen Verfahren überzieht; vorliegend war es nicht der Arbeitnehmer, der das arbeitsgerichtliche Verfahren in Gang gesetzt hat, sondern die Arbeitgeberin, die den Arbeitnehmer auf Ersatz des Schadens in Anspruch genommen hat, der dieser aufgrund einer unerlaubten Handlung des Arbeitnehmers entstanden war. Der Arbeitnehmer hat diesen Rechtsstreit auch nicht missbräuchlich verursacht, um der Arbeitgeberin die Kosten ihres Prozessbevollmächtigten aufzubürden. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer den ganz überwiegenden Teil der Klageforderung bereits anerkannt hatte, dass der anerkannte Betrag nach den im Schuldanerkenntnis getroffenen Vereinbarungen fällig war und er diesen Betrag nicht an die Arbeitgeberin gezahlt hat, ändert daran nichts.

Aus dem Urteil des Vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16.05.199033 kann die Arbeitgeberin im Hinblick auf eine ggf. gebotene teleologische Reduktion des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG nichts Abweichendes ableiten.

Während der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinen Entscheidungen vom 23.09.196034; vom 30.04.196835; und vom 18.12 197236 die Auffassung vertreten hatte, dass der Anspruch des Pfändungsgläubigers auf Schadensersatz nach § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht die Kosten für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten umfasse, weil insoweit die in der Vorgängerregelung des § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, nämlich in § 61 Abs. 1 Satz 2 ArbGG 1953 getroffene Regelung über den Ausschluss der Kostenerstattung vorrangig sei, hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts mit Urteil vom 16.05.199037 diese Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben und das Konkurrenzverhältnis zwischen § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG und § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO neu dahin bestimmt, dass § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO die gegenüber § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG vorrangige Regelung sei. Eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung auf Ansprüche aus § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO hat der Vierte Senat nicht für geboten erachtet38. Nach dieser Rechtsprechung scheidet eine unmittelbare Anwendung von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG auf Ansprüche aus § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO von vornherein aus, so dass sich die Frage einer eventuell gebotenen teleologischen Reduktion von § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht stellt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. November 2019 – 8 AZR 293/18

  1. vgl. BGH 9.04.2019 – VI ZR 89/18, Rn. 26 mwN; 16.07.2015 – IX ZR 197/14, Rn. 55 mwN[]
  2. BGH 9.04.2019 – VI ZR 89/18, Rn. 26 mwN[]
  3. vgl. zuletzt ausführlich BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 23 ff., BAGE 163, 309[]
  4. vgl. etwa BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 25 mwN, BAGE 163, 309[]
  5. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 26 mwN, BAGE 163, 309[]
  6. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 28 mwN, BAGE 163, 309[]
  7. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 30 mwN, BAGE 163, 309[]
  8. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 31 mwN, BAGE 163, 309[]
  9. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 32 mwN, BAGE 163, 309[]
  10. BAG 20.07.1971 – 1 BvR 231/69 – BVerfGE 31, 306[]
  11. BVerfG 20.07.1971 – 1 BvR 231/69, zu II 2 c der Gründe, aaO[]
  12. BVerfG 31.01.2008 – 1 BvR 1806/02, Rn. 58[]
  13. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 34, BAGE 163, 309[]
  14. vgl. Ostermeier NJW 2008, 551, 554; Witschen/Röleke NJW 2017, 1702, 1704[]
  15. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 35 mwN, BAGE 163, 309[]
  16. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, BAGE 163, 309[]
  17. BAG 12.12 2018 – 5 AZR 588/17, Rn. 46 f.; 23.07.2019 – 9 AZN 252/19, Rn. 26; 19.12 2018 – 10 AZR 231/18, Rn. 75, BAGE 165, 1; 30.01.2019 – 10 AZR 596/17, Rn. 40[]
  18. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 49, BAGE 163, 309[]
  19. EuGH 11.04.2019 – C-131/18 – [Gambietz]; 13.09.2018 – C-287/17 – [?eská pojiš?ovna][]
  20. EuGH 11.04.2019 – C-131/18 – [Gambietz] Rn. 17, 18[]
  21. EuGH 11.04.2019 – C-131/18 – [Gambietz] Rn. 21; 13.09.2018 – C-287/17 – [?eská pojiš?ovna] Rn. 26[]
  22. EuGH 11.04.2019 – C-131/18 – [Gambietz] Rn. 26, 27[]
  23. EuGH 11.04.2019 – C-131/18 – [Gambietz][]
  24. EuGH 13.09.2018 – C-287/17 – [?eská pojiš?ovna][]
  25. vgl. BT-Drs. 18/1309 S.19[]
  26. BAG 25.09.2018 – 8 AZR 26/18, Rn. 44 ff., BAGE 163, 309[]
  27. vgl. GK-ArbGG/Schleusener Stand November 2019 § 12a Rn. 66[]
  28. vgl. BGH 14.08.2019 – IV ZR 279/17, Rn. 10; 30.09.2014 – XI ZR 168/13, Rn. 13, BGHZ 202, 302; 18.07.2014 – V ZR 291/13, Rn. 14[]
  29. vgl. BAG 30.04.1992 – 8 AZR 288/91, zu III 5 der Gründe, BAGE 70, 191[][]
  30. vgl. BAG 30.04.1992 – 8 AZR 288/91, zu III 4 der Gründe, BAGE 70, 191[]
  31. vgl. BAG 30.04.1992 – 8 AZR 288/91, zu III 5 der Gründe, aaO[]
  32. vgl. BAG 30.04.1992 – 8 AZR 288/91 – aaO[]
  33. BAG 16.05.1990- 4 AZR 56/90, BAGE 65, 139[]
  34. BAG 23.09.1960 – 5 AZR 258/59, BAGE 10, 39[]
  35. BAG 30.04.1968 – 5 AZR 190/67, BAGE 21, 1[]
  36. BAG 18.12 1972 – 5 AZR 248/72, BAGE 24, 486[]
  37. BAG 16.05.1990 – 4 AZR 56/90, BAGE 65, 139[]
  38. BAG 16.05.1990 – 4 AZR 56/90 – aaO[]