Die Tariffähigkeit als Spitzenorganisation

Zusammenschlüsse von Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern können nach § 2 Abs. 2 TVG Parteien eines Tarifvertrags sein, wenn sie im Namen der ihnen angeschlossenen Verbände Tarifverträge abschließen und eine entsprechende Vollmacht haben.

Die Tariffähigkeit als Spitzenorganisation

Solche Verbindungen werden vom Gesetz nach dem in § 2 Abs. 2 TVG enthaltenen Klammerzusatz als Spitzenorganisationen bezeichnet.

Wird eine Spitzenorganisation nach § 2 Abs. 2 TVG bevollmächtigt, handelt sie als Stellvertreterin für den von ihr vertretenen Verband oder für die von ihr vertretene Mehrheit von Verbänden. Nicht die Spitzenorganisation, sondern die von ihr vertretene Tarifvertragspartei iSd. § 2 Abs. 1 TVG wird Partei des von der Spitzenorganisation abgeschlossenen Tarifvertrags.

Eine Spitzenorganisation kann auch selbst Partei eines Tarifvertrags sein, wenn der Abschluss von Tarifverträgen zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehört (§ 2 Abs. 3 TVG). Die Abschlussbefugnis muss nicht ausdrücklich in der Satzung der Spitzenorganisation aufgeführt werden; es genügt, wenn sich diese Aufgabe durch Auslegung der Satzung ermitteln lässt. Die einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Mitglieder der in der Spitzenorganisation zusammengefassten Verbände sind dann an die von ihr im eigenen Namen abgeschlossenen Tarifverträge gebunden.

Eine Spitzenorganisation ist weder nach § 2 Abs. 2 TVG noch nach § 2 Abs. 3 TVG originär tariffähig. Diese Vorschriften bestimmen lediglich, unter welchen zusätzlichen zu den in § 2 Abs. 1 TVG genannten Voraussetzungen ein solcher Verband Partei eines Tarifvertrags sein kann. Ihre Tariffähigkeit leitet eine Spitzenorganisation ausschließlich von ihren Mitgliedern ab. Dies folgt für die in Vollmacht handelnde Spitzenorganisation aus § 2 Abs. 2 TVG. Nichts anderes gilt bei einem Zusammenschluss von Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern nach § 2 Abs. 3 TVG. Die Spitzenorganisation kann zwar selbst Partei eines Tarifvertrags sein, sie wird dabei aber ausschließlich für ihre Mitgliedsverbände tätig. Diese können der Spitzenorganisation deren Tariffähigkeit daher nur im Rahmen ihrer eigenen Tariffähigkeit vermitteln1.

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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Tariffähigkeit des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e.V. (HDB) als Spitzenorganisation iSv. § 2 Abs. 3 TVG nicht zweifelhaft. Zweifel an der Tariffähigkeit seiner Mitgliedsverbände sind weder vorgetragen noch erkennbar. Allerdings hat der HDB nach § 2 Nr. 2 Abs. 4 Satz 1 seiner Satzung idF vom 24.05.2012 (nur) das Recht, Tarifverträge abzuschließen, soweit es sich um überregionale Rahmenregelungen handelt. Lohntarifverhandlungen führt er hingegen nach § 2 Nr. 2 Abs. 4 Satz 2 der Satzung in Vollmacht der Landesverbände, soweit diese erteilt wird. Darin liegt keine – ggf. unzulässige – Beschränkung der Tariffähigkeit oder Tarifwilligkeit der Arbeitgeberverbände der Bauindustrie2.

Die Gegenansicht stützt sich auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP3. Die Arbeitgeberverbände der Bauindustrie sind im Unterschied zu dieser Arbeitnehmervereinigung ungeteilt tarifwillig. Allenfalls handelt es sich um eine satzungsgemäße Beschränkung der Tarifzuständigkeit der Vereinigung, indem die Tarifzuständigkeit räumlich-gegenständlich zwischen Spitzenverband und Mitgliedsverbänden aufgeteilt wird4. Deshalb kann dahinstehen, inwieweit die in der Rechtsprechung an die Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation auf Arbeitnehmerseite gestellten Anforderungen auf eine Spitzenorganisation auf Arbeitgeberseite übertragen werden können5.

Die Tarifzuständigkeit richtet sich nach dem in der Satzung der Vereinigung autonom festgelegten Organisationsbereich. Er muss hinreichend bestimmt sein. Die den Tarifvertragsparteien nach § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG zukommende Normsetzungsbefugnis verlangt nach einer ausreichenden Transparenz der Zuständigkeitsgrenzen. Diese müssen für die handelnden Organe der Vereinigung selbst, für den sozialen Gegenspieler und für Dritte zuverlässig zu ermitteln sein, weil sie die Grenze wirksamen Handelns der Vereinigung bilden6.

Diese Voraussetzungen erfüllt der HDB mit § 2 Nr. 2 Abs. 4 seiner Satzung. Nach dieser Bestimmung hat er das Recht, Tarifverträge abzuschließen, soweit es sich um überregionale Rahmenregelungen handelt. Hierin liegt eine räumlich-gegenständliche Beschränkung, die bestimmbar ist. In räumlicher Hinsicht muss es sich um Tarifverträge handeln, die „überregional“ sind, deren Geltungsbereich also über das Gebiet eines Landesverbands hinausgeht. Der Begriff der Rahmenregelung stellt eine gegenständliche Beschränkung dar. Für sich genommen wäre aus dem Wortlaut des § 2 Nr. 2 Abs. 4 Satz 1 der Satzung zwar nicht ohne Weiteres erkennbar, was unter solchen Rahmenregelungen zu verstehen ist. Aus der Systematik der Satzungsbestimmungen und der Regelung in § 2 Nr. 2 Abs. 4 Satz 2 der Satzung ergibt sich aber ein klares Bild: Danach bleiben „Lohntarifverhandlungen“ den Landesverbänden vorbehalten, soweit diese nicht den Spitzenverband bevollmächtigen. An diesem Begriffspaar wird deutlich, dass unter Rahmenregelungen nach dem Verständnis der Satzung alle überregionalen Tarifverträge zu verstehen sind, die nicht den Lohntarifverhandlungen iSv. § 2 Nr. 2 Abs. 4 Satz 2 der Satzung zuzuordnen sind.

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Bei den durch die streitgegenständlichen AVE für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen handelt es sich um solche überregionalen Rahmenregelungen, für deren Abschluss der HDB satzungsgemäß zuständig war. Dies gilt für den BRTV, den VTV, den TZA Bau und den BBTV. Zwar wird im BBTV auch die Höhe der Ausbildungsvergütung geregelt. Im Hinblick auf das bundeseinheitliche System der überbetrieblichen Ausbildung, das entsprechende Umlageverfahren mit einheitlichen Beitragssätzen und den Umstand, dass auch sonstige Ausbildungsbedingungen, wie beispielsweise die Urlaubsdauer, im BBTV geregelt sind, kann der BBTV aber nicht als „Lohntarifvertrag“ iSv. § 2 Nr. 2 Abs. 4 Satz 2 der Satzung eingeordnet werden.

Auch an der Tariffähigkeit des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes e. V. bestehen für den das Bundesarbeitsgericht keine vernünftigen Zweifel.

Dessen Tariffähigkeit ist allerdings nicht bereits rechtskräftig festgestellt. Die Entscheidung des BAG vom 06.05.20037 ist nicht in einem Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97 ArbGG ergangen und hat deshalb keine Bindungswirkung über den entschiedenen Rechtsstreit hinaus.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 der Satzung vom 06.11.2014 ist der ZDB ermächtigt, für die ihm angeschlossenen Mitglieder zentrale Tarifverhandlungen zu führen und Tarifverträge mit den Gewerkschaften abzuschließen. Damit ist er vollumfänglich tarifwillig8. Der Abschluss von Tarifverträgen führt damit grundsätzlich zur Tarifbindung seiner Mitglieder. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 der Satzung ist der ZDB dagegen nicht berechtigt, Entgelttarifverhandlungen für Mitglieder zu führen, die vor Aufnahme der Verhandlungen schriftlich angezeigt haben, dass Verhandlungen nicht für ihr Verbandsgebiet geführt werden sollen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden sagt diese Satzungsbestimmung über eine Tarifunwilligkeit von Mitgliedsverbänden nichts aus und stellt die Tariffähigkeit des ZDB nicht infrage. Vielmehr stellt sich im Fall der Abgabe einer solchen Erklärung durch einen Mitgliedsverband nur die Frage, ob – ähnlich wie bei einer OT-Mitgliedschaft – die Tarifgebundenheit von dessen Mitgliedern entfällt9.

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Es bestehen nach den Satzungen einzelner Mitgliedsverbände des ZDB auch keine Zweifel an deren Tarifwilligkeit – Deutscher Holz- und Bautenschutzverband e. V., Landesverband Bayerischer Bauinnungen – oder an deren Berechtigung, Mitglied des ZDB zu werden – Norddeutscher Baugewerbeverband e. V. -.

Aus der Satzung des Deutschen Holz- und Bautenschutzverbands e. V. vom 27.09.2014 lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass der Verband tarifwillig ist.

Für die Auslegung einer Satzung kommt es auf den objektivierten Willen des Satzungsgebers an. Wegen der normähnlichen Wirkung der Satzung körperschaftlich strukturierter Vereinigungen gelten die Grundsätze der Gesetzesauslegung. Danach sind maßgeblich zunächst der Wortlaut und der durch ihn vermittelte Wortsinn, ferner der Gesamtzusammenhang, der Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der Satzung. Umstände außerhalb der Satzung, die sich in ihr nicht niederschlagen, sind nicht berücksichtigungsfähig. Das gebietet die Rechtssicherheit. Unerheblich sind auch der tatsächliche Abschluss von Tarifverträgen oder die Praxis der Aufnahme von Mitgliedern als solche. Durch ein bloßes Tätigwerden außerhalb des satzungsgemäßen Organisationsbereichs kann der Organisationsbereich nicht erweitert und eine nach der Satzung fehlende Tarifzuständigkeit nicht begründet werden. Im Zweifel ist die Auslegung vorzuziehen, die zu einem gesetzeskonformen und praktikablen Satzungsverständnis führt10.

Nach Nr. 2.1 der Satzung hat sich der Verband umfassend die Interessenvertretung seiner Mitglieder unter anderem in berufsbezogenen wirtschafts- und sozialpolitischen Themenfeldern als Aufgabe und Ziel gesetzt. In Ziff. 2.01.2 der Satzung wird darüber hinaus ausdrücklich die Vertretung der „wirtschaftspolitischen Interessen“ genannt. Im Hinblick auf die aus der Satzung erkennbare Struktur der ordentlichen Mitglieder (vgl. insbesondere Nr. 3.1.1 und 3.1.3 der Satzung) gehört zu dieser Interessenvertretung typischerweise die Regelung von Arbeitsbedingungen der bei diesen Mitgliedern beschäftigten Arbeitnehmer. Dementsprechend sieht Nr. 2.02.1 der Satzung auch die Möglichkeit der Mitgliedschaft in anderen Organisationen vor. Konkrete Umstände, die gegen ein solches Verständnis der Satzung sprechen könnten, haben die Antragsteller nicht vorgetragen. Sie sind auch nicht ersichtlich.

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Auch der Landesverband Bayerischer Bauinnungen (LBB) ist tarifwillig. Zwar ist nach § 3 Abs. 5 Satz 1 der Satzung vom 24.05.2014 der (eigene) Abschluss von Tarifverträgen ausgeschlossen. § 3 Abs. 5 Satz 2 der Satzung bestimmt aber gleichzeitig, dass Tarifverträge „einheitlich“ von der Dachorganisation des bayerischen Baugewerbes, dem Verband baugewerblicher Unternehmer Bayerns e. V. (VbUB), abgeschlossen werden. Nach dem satzungsmäßigen Verständnis des LBB sieht er seine Mitglieder damit durch Tarifabschlüsse des VbUB als gebunden an. Dementsprechend verfügt er über einen Landesausschuss für Tarif- und Sozialpolitik (§ 18 Abs. 2 der Satzung). Der VbUB wiederum ist nach dem unwidersprochenen Vortrag des ZDB ebenfalls bei diesem Mitglied. Die Satzung des VbUB vom 04.05.2013 ist hinsichtlich der Tarifwilligkeit eindeutig (§ 2 Nr. 2) und sieht die Möglichkeit der Mitgliedschaft in anderen Organisationen vor (§ 2 Nr. 5). Die enge Verflechtung zwischen LBB und VbUB, die über eine identische Zuständigkeit in örtlicher und fachlicher Hinsicht verfügen, wird auch an § 2 Nr. 3 der Satzung des VbUB deutlich: Dort werden Regelungen über die Unterstützung bei Arbeitskämpfen getroffen. Der Umstand, dass nach § 3 II. Nr. 3 der Satzung des VbUB auch Betriebe Mitglieder werden können, die nicht Mitglieder der Innung und damit des LBB sind, führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach den Satzungsbestimmungen ist jedenfalls davon auszugehen, dass alle Mitglieder des LBB auch Mitglied im VbUB sind. Damit ist sichergestellt, dass für das Tarifgebiet Bayern in vollem Umfang Tarifwilligkeit besteht, die dem ZDB durch die Mitgliedschaft beider Organisationen in ihm übertragen wurde. Mehr könnte auch der LBB nicht vermitteln, wenn er die entsprechenden Tarifverträge selbst abschlösse.

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Der Norddeutsche Baugewerbeverband e. V. ist nach seiner Satzung vom 27.05.2013 tarifwillig (§ 2 Nr. 2 Buchst. g). Das wird von den Rechtsbeschwerdeführern nicht bestritten. Entgegen ihrer Auffassung bestehen auch keine Zweifel an der satzungsmäßigen Berechtigung dieses Verbands, Mitglied des ZDB zu werden. Zweck des Vereins ist ua., „durch Abschluss von Gesamtvereinbarungen an der Herbeiführung und Erhaltung eines gerechten sozialen Ausgleichs mitzuwirken“ (§ 2 Nr. 2 Buchst. g der Satzung). Daran wird deutlich, dass sich der Wille zum Abschluss von Tarifverträgen nicht auf Tarifverträge rein regionaler Art beschränkt. Dementsprechend hat der Verein gemäß § 2 Nr. 2 Buchst. a der Satzung die Interessen seiner Mitglieder gegenüber „… allen fachlichen und wirtschaftlichen Organisationen zu vertreten“. Aus dem Zusammenspiel beider Bestimmungen ist klar erkennbar, dass der Norddeutsche Baugewerbeverband e. V. Mitglied eines Spitzenverbands werden kann, um solche Gesamtvereinbarungen herbeizuführen, wenn die zuständigen Organe dies als geeigneten Weg zur Interessenvertretung ansehen. Satzungsbestimmungen, die einem solchen Verständnis entgegenstünden, bestehen nicht. Deshalb kann dahinstehen, ob die Möglichkeit der Mitgliedschaft in Spitzenorganisationen bereits in der Satzung geregelt sein muss11. Zugleich kann offenbleiben, welche Rechtsfolgen aufträten, wenn eine solche Bestimmung fehlte.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21. März 2018 – 10 ABR 62/16

  1. BAG 14.12 2010 – 1 ABR 19/10, Rn. 69 ff., BAGE 136, 302[]
  2. vgl. für eine Arbeitnehmervereinigung BAG 5.10.2010 – 1 ABR 88/09, Rn. 24, BAGE 136, 1[]
  3. BAG 14.12 2010 – 1 ABR 19/10, Rn. 81 ff., BAGE 136, 302[]
  4. vgl. dazu Schaub ArbR-HdB/Treber 17. Aufl. § 197 Rn. 6[]
  5. abl. zB ErfK/Franzen 18. Aufl. § 2 TVG Rn. 29[]
  6. BAG 17.04.2012 – 1 ABR 5/11, Rn. 54, BAGE 141, 110; 10.02.2009 – 1 ABR 36/08, Rn. 27, 38, BAGE 129, 322[]
  7. BAG 6.05.2003 – 1 AZR 241/02, zu B I 2 der Gründe, BAGE 106, 124[]
  8. vgl. zu einem solchen Verständnis auch BAG 6.05.2003 – 1 AZR 241/02, zu B I 2 der Gründe, BAGE 106, 124[]
  9. vgl. zur OT-Mitgliedschaft zB BAG 21.01.2015 – 4 AZR 797/13, Rn. 17 ff., 59, BAGE 150, 304; zur Abgrenzung von Tarifzuständigkeit und Tarifgebundenheit grundlegend BAG 18.07.2006 – 1 ABR 36/05, Rn. 43 ff., BAGE 119, 103[]
  10. BAG 11.06.2013 – 1 ABR 32/12, Rn. 31, BAGE 145, 211[]
  11. in diesem Sinn Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 2 Rn. 401, die aber die satzungsgemäße Möglichkeit des Eintritts in andere Verbände ausreichen lassen[]
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