Der Arbeitgeber kann sich gem. § 242 BGB nicht auf die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB berufen, wenn er es zielgerichtet verhindert hat, dass eine für ihn kündigungsberechtigte Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangte, oder wenn sonst eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich die späte Kenntniserlangung einer kündigungsberechtigten Person als unredlich darstellt.

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall streiten Arbeitnehmer und Arbeitgeberin über die Wirksamkeit einer fristlosen und einer hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist erklärten Kündigung. Die Arbeitgeberin ist tätig u.a. in den Bereichen Verteidigung und Raumfahrt und war mehrfach Auftragnehmerin der Bundeswehr bzw. des Bundesministeriums der Verteidigung. Der Arbeitnehmer war bei ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit September 1996, zuletzt als Vertriebsleiter Defence, beschäftigt. Bei der Arbeitgeberin ist ein „Legal & Compliance Department“ gebildet. Leiter der Abteilung ist Herr Dr. R. Im Juli 2018 erhielt die Abteilung den Hinweis, dass Mitarbeitern des Unternehmens ein behördeninternes Dokument des Bundesministeriums der Verteidigung zu einem zukünftigen Beschaffungsvorhaben mit dem Geheimhaltungsgrad „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD)“ vorliege. Die Arbeitgeberin holte rechtlichen Rat über potenzielle Unternehmensrisiken ein und beauftragte im Oktober 2018 eine Rechtsanwaltskanzlei mit einer unternehmensinternen Untersuchung zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts. Am 27.06.2019 entschied das dafür gebildete Compliance-Team der Arbeitgeberin, die interne Untersuchung zu unterbrechen und – anders als ursprünglich geplant – die bisherigen Untersuchungsergebnisse in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung der Arbeitgeberin aufzubereiten, um diese in die Lage zu versetzen, über etwaige weitere, ua. auch arbeitsrechtliche, Maßnahmen zu entscheiden. Die Rechtsanwaltskanzlei stellte daraufhin die ihrer Auffassung nach ermittelten Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers sowie weiterer 88 Personen in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung der Arbeitgeberin zusammen. Der Bericht wurde am 16.09.2019 deren Geschäftsführer Dr. I übergeben. Auf Aufforderung der Arbeitgeberin nahm der Arbeitnehmer mit Schreiben vom 20.09.2019 zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung. Nach Anhörung des Betriebsrats, in der die Arbeitgeberin Ausführungen zu 38 sog. Findings über E-Mail-Verkehr unter Beteiligung des Arbeitnehmers machte, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 27.09.2019 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer Auslauffrist entsprechend der ordentlichen Kündigungsfrist. Das Kündigungsschreiben ging dem Arbeitnehmer am 28.09.2019 zu.
Der gegen die Kündigungen erhobenen Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht Ulm stattgegeben1, die Berufung der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zurückgewiesen2. Auf die Revision der Arbeitgeberin hat das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Kündigungsschutzklage an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen; das Landesarbeitsgericht hat die fristlose Kündigung der Arbeitgeberin vom 27.09.2019 zu Unrecht für rechtsunwirksam gehalten, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erklärt worden sei. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung aufgelöst worden ist, kann das Bundesarbeitsgericht nicht selbst entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache – auch hinsichtlich der Entscheidung über die hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist sowie den Weiterbeschäftigungsantrag – an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Aus dem Berufungsurteil ergibt sich schon nicht unzweifelhaft, dass der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 27.09.2019 mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes iSd. § 626 BGB geltend gemacht hat und dies ggf. rechtzeitig gem. § 4 Satz 1, § 6 KSchG erfolgt ist.
Nach dem vom Landesarbeitsgericht als wahr unterstellten Vorbringen der Arbeitgeberin ist die zweiwöchige Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt.
Die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt nach Satz 2 der Bestimmung mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Handelt es sich bei dem Arbeitgeber – wie hier – um eine juristische Person, ist grundsätzlich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter3. Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat4. Die Kenntnis anderer Personen ist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt selbst dann, wenn ihnen Vorgesetzten- oder Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind5. § 166 BGB findet weder direkte noch analoge Anwendung. Die Darlegungs- und Beweislast für die Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB trägt der Arbeitgeber, er muss die Umstände schildern, aus denen sich ergibt, wann und wodurch er von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat6.
Die Arbeitgeberin hat vorgetragen, ein für sie Kündigungsberechtigter habe frühestens am 16.09.2019 Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangt. An diesem Tag sei ihrem Geschäftsführer Dr. I der Zwischenbericht der mit der internen Untersuchung beauftragten Rechtsanwaltskanzlei übergeben worden. Es kann dahinstehen, ob die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erst zu laufen begann, nachdem der Arbeitnehmer zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung genommen hatte. Mit dem Zugang der Kündigung am 28.09.2019 waren selbst gerechnet ab dem 16.09.2019 noch nicht mehr als zwei Wochen vergangen. Unerheblich ist es gem. § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB für die Wahrung der Frist, ob der Leiter der Compliance-Abteilung bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hatte. Dieser war nicht zur Kündigung berechtigt.
Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen nicht die Annahme, die Arbeitgeberin könne sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht darauf berufen, die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt zu haben.
Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Treuwidriges Verhalten eines Vertragspartners kann dazu führen, dass ihm die Ausübung eines ihm zustehenden Rechts zu versagen ist, wenn er sich dieses Recht gerade durch das treuwidrige Verhalten verschafft hat. Lässt sich ein zielgerichtet treuwidriges Verhalten nicht feststellen, so muss durch eine Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls entschieden werden, ob und wieweit einem Beteiligten die Ausübung einer Rechtsposition nach Treu und Glauben verwehrt ist7. Danach kann sich ein Arbeitgeber nicht auf die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB berufen, wenn er selbst es zielgerichtet verhindert hat, dass eine für ihn kündigungsberechtigte Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangte, oder sonst eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich die spätere Kenntniserlangung einer kündigungsberechtigten Person als unredlich darstellt. Mit der vom Bundesarbeitsgericht vereinzelt verwandten Formulierung, der Arbeitgeber müsse sich ggf. die Kenntnis auch anderer Personen „nach Treu und Glauben zurechnen“ lassen8, ist keine Wissenszurechnung analog § 166 BGB angesprochen, sondern die Rechtsfolge, dass sich der Arbeitgeber unter den Voraussetzungen einer nach Treu und Glauben unzulässigen Rechtsausübung nicht darauf berufen kann, eine für ihn kündigungsberechtigte Person habe erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis erhalten.
Eine solche unzulässige Rechtsausübung setzt zumindest voraus, dass die Verspätung, mit der ein für den Arbeitgeber Kündigungsberechtigter Kenntnis erlangt, auf einer unsachgemäßen Organisation beruht9, die sich als Verstoß gegen Treu und Glauben iSv. § 242 BGB darstellt10. Da selbst grob fahrlässige Unkenntnis die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht in Gang setzt11, begründet aber nicht schon jede Unkenntnis aufgrund eines Organisationsverschuldens eine unzulässige Rechtsausübung. Der Kündigungsberechtigte muss vielmehr den Informationsfluss zielgerichtet verhindert oder zumindest in einer mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarenden Weise ein den Informationsfluss behinderndes sachwidriges und überflüssiges Organisationsrisiko geschaffen haben12. Ein solches liegt zB noch nicht allein darin, dass eine Aufsichtsperson nicht zugleich kündigungsberechtigt ist, sondern es müssen den Informationsfluss zwischen dem Dritten und dem Kündigungsberechtigten behindernde Organisationsmaßnahmen getroffen worden sein13. So führt beispielsweise eine Entscheidung des Arbeitgebers, seinen Betrieb durch eine Revision ständig überprüfen zu lassen, nicht etwa zu einer vorwerfbaren Verzögerung des Fristbeginns, sondern sie ist überhaupt erst die Voraussetzung dafür, dass die Kündigungsberechtigten von kündigungsrelevanten Sachverhalten Kenntnis erlangen14.
Zudem kommt ein missbräuchliches Berufen auf den späteren Zeitpunkt der Kenntnisnahme eines Kündigungsberechtigten nur in Betracht, wenn die nicht kündigungsberechtigte Person, die bereits früher Kenntnis erlangt hat, eine so herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehat, dass sie tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass der Kündigungsberechtigte allein aufgrund dieses Kenntnisstands und ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abschließend treffen kann. Beide Voraussetzungen (ähnlich selbständige Stellung und treuwidriger Organisationsmangel in Bezug auf die Kenntniserlangung) müssen kumulativ vorliegen15 und vom Gericht positiv festgestellt werden16. Sie unterliegen den allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln, sind also als rechtsvernichtender Einwand primär vom Arbeitnehmer zu behaupten und im Bestreitensfall zu beweisen, wobei ggf. wegen dessen größerer Sachnähe eine sekundäre Darlegungslast des Arbeitgebers greift17.
Das Landesarbeitsgericht hat keine eine unzulässige Rechtsausübung der Arbeitgeberin begründenden Umstände festgestellt. Schon seine Annahme, der Leiter des Legal & Compliance Department Dr. R habe vor dem 14.09.2019 Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen gehabt, wird nicht von den Feststellungen des Berufungsgerichts getragen. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, es sei davon auszugehen, dass Herr Dr. R vor dem 14.09.2019 Kenntnis von den sog. Findings gehabt habe, da er regelmäßig auf dem Stand der Ermittlungen gehalten worden sei. Es ist indes zum einen schon nicht festgestellt, dass und wann Herrn Dr. R die sog. Findings mitgeteilt wurden bzw. dass und wann er eine entsprechende Aufstellung erhielt. Der Begriff „Findings“ wird in den tatbestandlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erstmals für eine Auflistung in der Betriebsratsanhörung vom 23.09.2019 verwendet.
Zum anderen hätte Herr Dr. R selbst nach Kenntnisnahme von den „Findings“ noch nicht notwendig auch bereits Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen iSv. § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB gehabt. Ihm wären damit zwar möglicherweise die – rückblickend vollständigen – objektiv für Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers sprechenden Tatsachen bekannt gewesen. Maßgeblich für einen Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist aber erst die Kenntnis von sämtlichen Tatsachen, die eine Entscheidung dahin erlauben, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zugemutet werden kann oder nicht18.
Zu den in diesem Sinne maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände19. Es muss alles in Erfahrung gebracht sein, was als notwendige Grundlage für die Entscheidung über den Fortbestand oder die Auflösung des Dienstverhältnisses anzusehen ist20. Dazu zählen insbesondere auch diejenigen Umstände, die das Gewicht einer Pflichtverletzung im Geflecht von weiteren an einem Fehlverhalten beteiligten Arbeitnehmern betreffen21. Ein Fehlverhalten wiegt etwa, wenn sich ein Arbeitnehmer aufgrund der Einflussnahme von Vorgesetzten genötigt sah, an Pflichtverletzungen mitzuwirken, weniger schwer als wenn er selbst Initiator des Geschehens oder dessen aktiv fördernder Part war. Hat ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit in dieselben oder vergleichbare Pflichtverletzungen involvierten Mitarbeitern gehandelt, gehört es deshalb regelmäßig zur notwendigen Grundlage für eine Entscheidung des Arbeitgebers über den Fortbestand oder die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, die Mitwirkungsanteile der betroffenen Mitarbeiter und ihre Rolle im Verhältnis zueinander zu kennen. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Arbeitgeber eine Compliance-Untersuchung stets erst entsprechend einem von ihm selbst vorgegebenen Erkenntnisinteresse zu Ende führen könnte, bevor die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begönne. So dienen etwa Ermittlungen, mit denen jenseits der Identifikation und Gewichtung bereits begangener Pflichtverstöße unternehmensbezogene (Präventions-)Ziele verfolgt werden, grundsätzlich nicht mehr der Aufklärung der für die Entscheidung über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses relevanten Tatsachen22.
Das Landesarbeitsgericht hat bislang nicht festgestellt, dass Herrn Dr. R bereits vor dem 14.09.2019 vollständig die Umstände bekannt waren, die eine Gewichtung der dem Arbeitnehmer vorgeworfenen Pflichtverletzungen im Gesamtkomplex der beteiligten Mitarbeiter ermöglicht hätten.
Ebenso wenig hat das Berufungsgericht Umstände festgestellt, die es als treuwidrig erscheinen ließen, dass die Geschäftsführung der Arbeitgeberin nicht vor dem 16.09.2019 Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangte.
Das Landesarbeitsgericht hat nicht angenommen, die Arbeitgeberin habe zielgerichtet verhindert, dass eine für sie kündigungsberechtigte Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erhielt.
Ebenso wenig erlauben die bislang festgestellten Tatsachen die Annahme, die Arbeitgeberin habe die Kenntniserlangung einer für sie kündigungsberechtigten Person vor dem 16.09.2019 sonst treuwidrig behindert.
Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, es liege ein relevantes Organisationsverschulden darin, dass sich der Geschäftsführer Dr. I nicht regelmäßig über den Stand der Ermittlungen habe in Kenntnis setzen lassen, vermöchte nicht schon jegliches Organisationsverschulden für sich genommen eine unzulässige Rechtsausübung zu begründen. Umstände, aus denen sich überhaupt eine Behinderung des Informationsflusses von der Compliance-Abteilung bzw. von deren Leiter, Herrn Dr. R, an die Geschäftsführung schließen ließe, sind indes nicht festgestellt. Es spricht vielmehr gegen eine treuwidrige Behinderung, dass die interne Untersuchung auf Initiative des Compliance-Teams unterbrochen wurde, um die bislang gefundenen Untersuchungsergebnisse in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung der Arbeitgeberin aufzubereiten und diese so ua. in die Lage zu versetzen, über etwaige arbeitsrechtliche Maßnahmen zu entscheiden.
Soweit das Landesarbeitsgericht darauf abgestellt hat, Herr Dr. I habe nicht ausreichend sichergestellt und überwacht, dass er informiert werde, sobald die beauftragten Ermittlungen hinreichend vollständig und zuverlässig Pflichtverstöße von Arbeitnehmern von der Qualität eines wichtigen Grundes erkennen ließen, fehlt es auch insoweit an der Feststellung von Umständen, die ein der Arbeitgeberin zuzurechnendes treuwidriges Verhalten ergäben. Das Berufungsgericht hat nicht in Zweifel gezogen, dass eine Aufbereitung der bis zum 27.06.2019 gewonnenen Erkenntnisse in einem Zwischenbericht sachgerecht war. Es hat lediglich beanstandet, dieser hätte auf die Personen, die in den „Findings“ neben dem Arbeitnehmer genannt seien, beschränkt werden müssen. Die hiervon abweichende Entscheidung des Compliance-Teams, einen Zwischenbericht zu sämtlichen 89 in den Fokus der Ermittlungen geratenen Mitarbeiter zu erstellen, rechtfertigt indes nicht die Annahme, der Informationsfluss sei von Seiten der Arbeitgeberin treuwidrig behindert worden. Sofern die Erstellung des Zwischenberichts durch die Rechtsanwaltskanzlei mehr Zeit als erforderlich in Anspruch genommen haben sollte, vermöchte selbst dies ohne Hinzutreten von besonderen Umständen nicht die Annahme einer treuwidrigen Behinderung des Informationsflusses durch die Arbeitgeberin zu tragen.
Das Landesarbeitsgericht hat auch nicht festgestellt, dass Herrn Dr. R keine Berichtspflichten gegenüber der Geschäftsführung der Arbeitgeberin oblagen. In aller Regel dürfte der Leiter einer Compliance-Abteilung die Pflicht, die Geschäftsführung über relevante Zwischenstände einer Ermittlung zu unterrichten, schon aufgrund der ihm übertragenen Stellung und Funktion haben. Dafür, dass dies auch im Streitfall nicht anders war, spricht, dass das Compliance-Team entschied, einen Zwischenbericht für die Geschäftsführung zu erstellen.
Die Einrichtung einer Abteilung für Compliance sowie deren Beauftragung mit der Ermittlung möglicher Pflichtverstöße von Arbeitnehmern ist für sich genommen auch nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht unredlich, sondern vielmehr sachgerecht. Seine Annahme, die Aufgabenkonzentration und Spezialisierung in einer unterhalb der Geschäftsführung eingebundenen Compliance-Abteilung steigerten grundsätzlich die Effektivität der Aufklärung, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass die Arbeitsabläufe in einer Compliance-Abteilung so festgelegt werden, dass hierdurch der Informationsfluss in einer mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarenden Weise behindert wird. Für ein solches sachwidriges Organisationsdefizit bedarf es aber fallbezogener Feststellungen, an denen es vorliegend fehlt.
Auf der rechtsfehlerhaften Anwendung von § 626 Abs. 2 bzw. § 242 BGB beruht das Berufungsurteil zunächst insoweit, wie es die Berufung der Arbeitgeberin gegen das der Klage gegen die fristlose Kündigung vom 27.09.2019 stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen hat. Da das Bundesarbeitsgericht nicht selbst über die Wirksamkeit der Kündigung entscheiden kann, unterliegt das Berufungsurteil insoweit der Aufhebung und Zurückverweisung. Das Landesarbeitsgericht wird, sofern es zu dem Ergebnis kommt, der Arbeitnehmer habe den Unwirksamkeitsgrund rechtzeitig gem. § 4 Satz 1, § 6 KSchG geltend gemacht, im fortgesetzten Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB vorlag. Zudem wird es ggf. zu würdigen haben, ob die Kündigung mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist.
Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt das Berufungsurteil ferner, soweit es die Berufung der Arbeitgeberin gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Klage gegen die hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vom 27.09.2019 sowie über den Weiterbeschäftigungsantrag zurückgewiesen hat. Das Landesarbeitsgericht hat den weiteren Kündigungsschutzantrag zutreffend als nur für den Fall gestellt erachtet, dass der Arbeitnehmer mit dem Kündigungsschutzantrag gegen die fristlose Kündigung obsiegt. Über den Weiterbeschäftigungsantrag ist nur für den Fall des Obsiegens mit beiden Kündigungsschutzanträgen zu entscheiden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 5. Mai 2022 – 2 AZR 483/21
- ArbG Ulm 10.11.2020 – 8 Ca 193/19[↩]
- LAG Baden-Württemberg 03.11.2021 – 10 Sa 7/21[↩]
- BAG 27.02.2020 – 2 AZR 570/19, Rn. 32, BAGE 170, 84; 1.06.2017 – 6 AZR 720/15, Rn. 61, BAGE 159, 192[↩]
- BAG 27.02.2020 – 2 AZR 570/19 – aaO; 27.06.2019 – 2 ABR 2/19, Rn.19[↩]
- BAG 27.02.2020 – 2 AZR 570/19 – aaO; 16.07.2015 – 2 AZR 85/15, Rn. 55[↩]
- BAG 1.02.2007 – 2 AZR 333/06, Rn. 21[↩]
- BAG 2.12.2021 – 3 AZR 119/19, Rn. 39; BGH 14.10.2021 – VII ZR 242/20, Rn. 43 ff.; 8.07.2020 – VIII ZR 270/18, Rn. 37[↩]
- vgl. etwa BAG 27.02.2020 – 2 AZR 570/19, Rn. 32, BAGE 170, 84[↩]
- BAG 27.02.2020 – 2 AZR 570/19, Rn. 32, BAGE 170, 84; 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, Rn. 47, BAGE 157, 69[↩]
- vgl. BAG 18.05.1994 – 2 AZR 930/93, zu II 3 a der Gründe[↩]
- BAG 1.10.2020 – 2 AZR 238/20, Rn. 13; 27.02.2020 – 2 AZR 570/19, Rn. 29, aaO[↩]
- vgl. BAG 7.09.1983 – 7 AZR 196/82, zu II 3 der Gründe[↩]
- BAG 7.09.1983 – 7 AZR 196/82 – aaO[↩]
- BAG 26.11.1987 – 2 AZR 312/87, zu B II 2 der Gründe[↩]
- vgl. BAG 27.02.2020 – 2 AZR 570/19, Rn. 32, BAGE 170, 84; 23.10.2008 – 2 AZR 388/07, Rn. 22[↩]
- BAG 27.02.2020 – 2 AZR 570/19 – aaO[↩]
- hierzu und zu den Folgen einer sekundären Darlegungslast im Allgemeinen: vgl. BAG 16.07.2015 – 2 AZR 85/15, Rn. 41; 18.06.2015 – 2 AZR 256/14, Rn. 28[↩]
- BAG 27.01.1972 – 2 AZR 157/71, zu 3 der Gründe, BAGE 24, 99[↩]
- BAG 11.06.2020 – 2 AZR 442/19, Rn. 36, BAGE 171, 66; 27.02.2020 – 2 AZR 570/19, Rn. 29, BAGE 170, 84[↩]
- BGH 19.11.1998 – III ZR 261/97, zu 2 b der Gründe; 26.02.1996 – II ZR 114/95, zu I 2 a der Gründe[↩]
- vgl. Göpfert/Drägert CCZ 2011, 25, 26 f.[↩]
- zu diesem Zielkonflikt vgl. auch Horstmeier BB 2021, 1140, 1142 ff.; zu weitgehend daher Göpfert/Drägert CCZ 2011, 25, 27 ff.[↩]