Einem Heimarbeiter steht keine Vergütung aus Annahmeverzug (§ 615 Satz 1 BGB) zu, wenn der Auftraggeber dem Heimarbeiter nicht zugesagt hat, ihm monatlich eine bestimmte Arbeitsmenge anzudienen.

Hierbei bedarf es keiner Entscheidung, ob mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen ist, dass Heimarbeitsverhältnisse dem Anwendungsbereich des § 615 BGB entzogen sind, weil § 29 Abs. 7 und Abs. 8 HAG abschließende, den Besonderheiten des Heimarbeitsverhältnisses angepasste Regelungen zur Entgeltsicherung enthalten. Die Auftraggeberin befindet sich nicht im Verzug mit der Annahme von Diensten, die der Heimarbeiter schuldet.
§ 615 Satz 1 BGB gewährt keinen eigenständigen Anspruch, sondern perpetuiert unter den dort genannten Voraussetzungen den ursprünglichen Erfüllungsanspruch. Die gesetzliche Vergütungspflicht knüpft nach § 611 Abs. 1 BGB an die Leistung der „versprochenen“ Dienste an. In Annahmeverzug kann der Auftraggeber nur geraten, wenn zum Zeitpunkt des Angebots der Leistung ein erfüllbares Dienstverhältnis besteht, aufgrund dessen der Dienstnehmer berechtigt ist, die Dienstleistung zu erbringen, und es dem Auftraggeber obliegt, die Dienstleistung anzunehmen1. Fehlt es an einer Leistungspflicht des Schuldners, kann der Gläubiger folgerichtig nicht in Annahmeverzug geraten2.
Ein Heimarbeitsverhältnis ist durch Merkmale des Arbeitsrechts wie auch des Werkvertragsrechts gekennzeichnet. Es unterscheidet sich von einem Arbeitsverhältnis maßgeblich durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Der Heimarbeiter kann seinen Arbeitsplatz sowie Zeitpunkt und Zeitdauer seiner Tätigkeit frei bestimmen, dabei Hilfspersonen hinzuziehen und seine Werkzeuge und Geräte sowie seine Arbeitsmethode selbständig wählen. Er gestaltet damit seine Tätigkeit im Wesentlichen frei. Anders als ein Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis wird ein Heimarbeiter mit der Begründung des Heimarbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres „zur Leistung der versprochenen Dienste“ und der Auftraggeber nicht unmittelbar „zur Gewährung der vereinbarten Vergütung“ (§ 611 Abs. 1 BGB) verpflichtet. Vorbehaltlich besonderer Absprachen folgt aus der bloßen Begründung eines Heimarbeitsverhältnisses auch nicht, dass der Heimarbeiter einen Anspruch auf die Ausgabe einer bestimmten Arbeitsmenge und der Auftraggeber einen Anspruch auf Erledigung eines bestimmten Arbeitspensums hat3. Vielmehr werden die Leistungspflichten erst mit der Ausgabe und Entgegennahme der Heimarbeit begründet4.
Im vorliegenden Fall hatte in der Vorinstanz das Landesarbeitsgericht Niedersachsen5 ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Auftraggeberin dem Heimarbeiter nicht zugesagt hat, ihm monatlich eine bestimmte Arbeitsmenge anzudienen:
Die Auslegung des Verhaltens der Parteien durch das Landesarbeitsgericht unterliegt ebenso wie die Auslegung einer ausdrücklichen nichttypischen Willenserklärung einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle. Revisionsrechtlich ist sie nur dahin zu überprüfen, ob die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB verletzt worden sind, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder Umstände, die für die Auslegung von Bedeutung sein können, außer Betracht gelassen worden sind6.
Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Auslegung des Landesarbeitsgerichts im hier entschiedenen Streitfall stand:
Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts, dem zufolge sich durch die jahrelange Ausgabe einer bestimmten Arbeitsmenge und hinzutretende Begleitumstände die Rechte und Pflichten der Parteien eines Heimarbeitsvertrags dahin konkretisieren können, dass eine bestimmte Menge vom Auftraggeber auszugeben; und vom Heimarbeiter zu bearbeiten ist7. Dass der Auftraggeber an einen Heimarbeiter für einen bestimmten Zeitraum in bestimmtem Umfang Heimarbeit ausgibt, reicht für sich genommen nicht aus, um eine Vertragsänderung anzunehmen. Bei der Ausgabe von Heimarbeit handelt es sich um ein tatsächliches Verhalten, dem nicht notwendig ein bestimmter rechtsgeschäftlicher Erklärungswert in Bezug auf den Vertragsinhalt zukommt. Stattdessen ist auf die ausdrücklichen oder konkludenten Absprachen abzustellen, die der Ausgabe von Heimarbeit zugrunde liegen8. Im Rahmen der rechtlichen Bewertung der Vertragsdurchführung kann ua. von Bedeutung sein, auf wessen Initiative die Ausgabe von Heimarbeit zurückgeht und wie die Arbeitsmenge zwischen den Parteien des Heimarbeitsvertrags festgelegt wird.
Das Landesarbeitsgericht hat im Einklang mit diesen Grundsätzen angenommen, eine konkludente Vertragsänderung sei im Streitfall nicht anzunehmen, da keine Umstände ersichtlich seien, die ein schutzwürdiges Vertrauen des Heimarbeiters auf die Beibehaltung des bisherigen Leistungsumfangs begründeten. Bei seiner Auslegung hat das Landesarbeitsgericht die maßgeblichen tatsächlichen Umstände des Streitfalls berücksichtigt. Es hat in seine Überlegung einbezogen, dass die Auftraggeberin dem Heimarbeiter in der Vergangenheit regelmäßig nach Fertigstellung eines Projektes ein neues zugewiesen hat. Allerdings stand es dem Heimarbeiter frei, die ihm angebotenen Projekte zu bearbeiten. Er erledigte die ihm angedienten Aufgaben nach eigener Vorstellung in dem zeitlichen Rahmen, den er selbst für erforderlich und angemessen hielt. Sonstige Begleitumstände, die über den bloßen Vollzug des Heimarbeitsverhältnisses hinaus für eine vertragliche Festlegung einer bestimmten Arbeitsmenge sprechen, ergeben sich weder aus den weiteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch aus dem Vorbringen der Parteien.
Die Auftraggeberin ist nicht verpflichtet, dem Heimarbeiter Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB zu leisten. Der Tatbestand, an den das Gesetz für den Fall, dass eine Vertragspartei eine ihr obliegende Pflicht verletzt, eine Haftung knüpft, ist im Streitfall nicht erfüllt. Haben die Parteien des Heimarbeitsvertrags ausdrücklich oder konkludent vereinbart, dass eine bestimmte Auftragsmenge vom Auftraggeber auszugeben; und vom Heimarbeiter zu bearbeiten ist, kann dem Heimarbeiter ein Schadensersatzanspruch zustehen, wenn der Auftraggeber die Auftragsmenge vertragswidrig kürzt9. Diese Voraussetzungen liegen im Verhältnis der Parteien zueinander nicht vor. Zwischen den Parteien bestand weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Abrede, der zufolge die Auftraggeberin verpflichtet gewesen wäre, dem Heimarbeiter eine bestimmte Menge an Heimarbeit zuzuweisen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. August 2019 – 9 AZR 41/19
- vgl. BAG 27.01.2016 – 5 AZR 9/15, Rn. 16 mwN, BAGE 154, 100[↩]
- vgl. Staudinger/Richardi/Fischinger [2016] § 615 BGB Rn. 46; MünchKomm-BGB/Henssler 7. Aufl. § 615 BGB Rn. 13; ErfK/Preis 19. Aufl. BGB § 615 Rn. 10[↩]
- vgl. BAG 11.07.2006 – 9 AZR 516/05, Rn.20, BAGE 119, 31[↩]
- vgl. Otten NZA 1995, 289, 290 f.[↩]
- LAG Niedersachsen 15.11.2018 – 6 Sa 1225/17[↩]
- vgl. BAG 24.10.2018 – 10 AZR 19/18, Rn. 15[↩]
- BAG 13.09.1983 – 3 AZR 270/81, zu I 3 b der Gründe, BAGE 44, 124[↩]
- vgl. BAG 26.09.2012 – 10 AZR 336/11, Rn. 14[↩]
- vgl. BAG 13.09.1983 – 3 AZR 270/81, zu I 3 b der Gründe, BAGE 44, 124[↩]
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