Ordentliche Kündigung – außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes

Die außerhalb des betrieblichen Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes (§ 23 Abs. 1) erklärte ordentliche Kündigung der Arbeitgeberin löst das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 622 Abs. 1 BGB mit Ablauf der Kündigungsfrist auf, wenn die Kündigung weder sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) noch treuwidrig (§ 242 BGB) ist.

Ordentliche Kündigung – außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes

Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB, wenn es nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Verstößt das Rechtsgeschäft – wie eine an sich neutrale Kündigung1 – nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung, muss ein persönliches Verhalten des Handelnden hinzukommen, welches diesem zum Vorwurf gemacht werden kann. Hierfür genügt es im Allgemeinen nicht, dass vertragliche Pflichten verletzt werden. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln oder der zutage tretenden Gesinnung ergeben kann2.

Der Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Eine gegen diesen Grundsatz verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist wegen der darin liegenden Rechtsüberschreitung als unzulässig anzusehen. Die Vorschrift des § 242 BGB ist aber auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind3.

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Im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB ist der objektive Gehalt der Grundrechte zu berücksichtigen4. Der durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vermittelte verfassungsrechtliche Schutz ist allerdings umso schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 KSchG geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind. Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen5.

Daran gemessen stellte sich im vorliegenden Streitfall die allein noch streitbefangene ordentliche Kündigung für das Bundesarbeitsgericht weder als sitten- noch als treuwidrig dar:

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, wenn einer Arbeitgeberin zugetragen werde, eine Arbeitnehmerin verbreite negative Tatsachen über sie, sei es nachvollziehbar, dass die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen möchte. Das gelte umso mehr, als hier die als Nanny/Kinderfrau eingestellte Arbeitnehmerin im absoluten Nähebereich der Arbeitgeberin quasi wie ein Familienmitglied tätig war. Eine allgemeine Pflicht zur Aufklärung des „wahren Sachverhalts“ gebe es nicht. Die Arbeitgeberin habe sich auch nicht treuwidrig selbstwidersprüchlich verhalten. Schließlich könne zugunsten der Arbeitnehmerin unterstellt werden, dass die Arbeitgeberin Gründe für die außerordentliche Kündigung „nachträglich erdichtet“ habe. Späteres prozessuales Verhalten mache die Kündigung(en) nicht unwirksam.

Diese Würdigung ist frei von Rechtsfehlern.

Der Willkürvorwurf scheidet aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt6. Ein solcher ist bei einem auf konkreten Umständen beruhenden Vertrauensverlust grundsätzlich auch dann gegeben, wenn die Tatsachen objektiv nicht verifizierbar sind7. Unstreitig hat die Zeugin B der Arbeitgeberin mitgeteilt, dass die Arbeitnehmerin behaupte, sie – die Arbeitgeberin – sei nie zu Hause, schließe sich andernfalls immer in ihrem Zimmer ein und esse, wenn sie doch einmal daheim sei, nur Schokolade mit ihrer Tochter. Dass die Arbeitgeberin nicht weiter – vermeintlicher – Kritik betreffend ihre Mutterrolle durch eine in ihrem Haushalt beschäftigte Arbeitnehmerin ausgesetzt sein wollte, ist verständlich und hat mit Rachsucht oder Vergeltung8 nichts zu tun.

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Es kann zugunsten der Arbeitnehmerin unterstellt werden, dass die der Arbeitgeberin zugetragenen Äußerungen – wären sie so gefallen – als wahre Tatsachenbehauptungen und/oder Meinungsbekundungen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG fielen. Jedenfalls könnte, zumal angesichts der grundrechtlich geschützten Positionen der Arbeitgeberin – von einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Meinungsfreiheit der Arbeitnehmerin keine Rede sein. Ihr wird nicht jede kritische Äußerung über die Arbeitgeberin und deren Umgang mit ihrem Kind verboten. Die Arbeitnehmerin muss es lediglich hinnehmen, dass sie derartige Kritik nicht – erneut – aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus vorbringen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis überwiegend in dem durch Art. 13 Abs. 1 GG besonders geschützten Bereich der „räumlichen Privatsphäre“ der Arbeitgeberin durchgeführt werden sollte und die ihr über die Zeugin B zugetragenen – vermeintlichen – Äußerungen der Arbeitnehmerin das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte elterliche Erziehungsrecht betrafen.

Im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB kommt es hingegen nicht darauf an, ob die Arbeitnehmerin durch die der Arbeitgeberin zugetragenen Äußerungen – unterstellt sie wären so gefallen – gegen ihre aus § 241 Abs. 2 BGB folgende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Belange der Arbeitgeberin verstieß und ob ggf. eine solche Pflichtverletzung eine am Maßstab des § 1 Abs. 2 KSchG zu messende verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen vermöchte. Im Gegenteil kann die Berechtigung von Gründen, die unter Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes als solche im Verhalten der Arbeitnehmerin gewertet werden könnten, auf der Grundlage allein der zivilrechtlichen Generalklauseln gerade nicht nachgeprüft werden9.

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Die ordentliche Kündigung stellt sich nicht deshalb als sitten- oder doch treuwidrig dar, weil der Arbeitnehmerin keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen gegeben wurde. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist – außer bei einer Verdachtskündigung im Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 KSchG – keine Wirksamkeitsvoraussetzung10.

Die Arbeitgeberin hat sich mit dem Ausspruch der ordentlichen Kündigung nicht iSv. § 242 BGB rechtsmissbräuchlich selbstwidersprüchlich verhalten11. Durch das Inaussichtstellen eines unbefristeten Arbeitsvertrags ist schon kein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Die Arbeitgeberin hätte auch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis aufgrund der Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 KSchG ohne das Erfordernis einer besonderen Rechtfertigung ordentlich kündigen können.

Es bedarf keiner Entscheidung, ob der ausschließlich gegen eine vorrangig erklärte außerordentliche fristlose Kündigung erhobene Vorwurf der Sittenwidrigkeit auf eine ausdrücklich hilfsweise zu dieser ausgesprochene ordentliche Kündigung – und damit auf ein anderes Rechtsgeschäft – „durchschlagen“ kann.

Nach den weder mit einem erfolgreichen Tatbestandsberichtigungsantrag gemäß § 320 ZPO noch einer (zulässigen) Verfahrensrüge iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Arbeitnehmerin in den Tatsacheninstanzen nur behauptet, die Arbeitgeberin habe die außerordentliche fristlose Kündigung im Prozess durch selbst erfundene Vorwürfe und im Zusammenwirken mit einer „lügenden“ Zeugin zu verteidigen versucht. Hingegen ist nicht festgestellt, dass die Arbeitgeberin nach substantiierter Behauptung der Arbeitnehmerin einen entsprechenden Beschluss bereits bei Ausspruch der Kündigungen für den Fall eines möglichen Rechtsstreits gefasst hatte. Dementsprechend hat die Arbeitnehmerin auf Nachfrage des Bundesarbeitsgerichts in der Revisionsverhandlung bestätigt, insofern handele es sich um eine bloße „Mutmaßung“.

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Der erst nach Vornahme eines Rechtsgeschäfts gefasste Vorsatz, dieses im Rahmen eines zwischenzeitlich anhängigen Rechtsstreits unter Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht aus § 138 Abs. 1 ZPO zu verteidigen, kann sich ggf. als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung iSv. § 826 BGB darstellen12, zu der es hier im Übrigen nicht gekommen wäre, weil die außerordentliche Kündigung bereits erstinstanzlich rechtskräftig für unwirksam befunden wurde. Er kann aber nicht eine Kündigung rückwirkend nichtig machen, deren Wirksamkeit als Gestaltungsrecht sich im Zeitpunkt ihres Zugangs bestimmt13. Das gilt auch für die Beurteilung ihrer Sittenwidrigkeit14.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 5. Dezember 2019 – 2 AZR 107/19

  1. BAG 21.03.1980 – 7 AZR 314/78, zu II 3 der Gründe[]
  2. BGH 16.07.2019 – II ZR 426/17, Rn. 24[]
  3. BAG 22.04.2010 – 6 AZR 828/08, Rn. 41[]
  4. BAG 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, Rn.20, BAGE 160, 337[]
  5. BVerfG 27.01.1998 – 1 BvL 15/87, zu B I 3 b cc der Gründe, BVerfGE 97, 169; BAG 5.11.2009 – 2 AZR 383/08, Rn. 24[]
  6. BAG 28.08.2003 – 2 AZR 333/02, zu B III 1 b der Gründe[]
  7. vgl. BAG 25.04.2001 – 5 AZR 360/99, zu II 4 b der Gründe[]
  8. vgl. dazu BAG 9.05.1996 – 2 AZR 128/95, zu II 6 der Gründe[]
  9. vgl. BAG 28.09.1972 – 2 AZR 469/71, zu IV der Gründe, BAGE 24, 438[]
  10. BAG 10.04.2014 – 2 AZR 647/13, Rn. 33[]
  11. zu den Anforderungen vgl. BAG 23.01.2018 – 3 AZR 448/16, Rn. 38, BAGE 161, 335[]
  12. vgl. Palandt/Sprau 78. Aufl. § 826 Rn. 50[]
  13. BAG 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, Rn. 66[]
  14. vgl. Palandt/Ellenberger 78. Aufl. § 138 Rn. 9[]
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