Jede Stichtagsregelung für eine tarifliche Leistung hat zur Folge, dass bei einem erst zeitlich danach erfolgenden Gewerkschaftsbeitritt ein Anspruch des betreffenden Arbeitnehmers kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit grundsätzlich nicht mehr entstehen kann.

Dies gilt insbesondere, wenn in Anbetracht der Höhe der im Tarifvertrag geregelten Leistungen auch nicht ersichtlich ist, dass der Arbeitgeber „als Sachwalter der Außenseiterinteressen“ ausfällt und die sog. Außenseiter „billig abgespeist“ wurden1.
Diese von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Gruppenbildung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern orientiert sich an einem Stichtag, der im Rahmen der vorliegenden Tarifverträge mit sozialplanähnlichen Inhalten wirksam ist. Diese Regelung verletzt weder die negative Koalitionsfreiheit noch verstößt sie gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG2.
Die Stichtagsregelung verletzt nicht Art. 3 Abs. 1 GG3.
Die Gegenansicht kann sich nicht darauf stützen, Tarifvertragsregelungen nach § 1 Abs. 1 TVG müssten geeignet sein, an die Stelle einer staatlichen Regelung über Arbeitsbedingungen zu treten, und daher angemessene und ausgewogene Regelungen für seinen Geltungsbereich enthalten, die Rücksicht auf die Interessen von Außenseitern nehmen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 18.03.20094. Insoweit handelte es sich um nicht tragende, nicht entscheidungserhebliche Erwägungen. Sie standen zur tragenden Begründung in einem rechtlichen Alternativverhältnis. An ihnen hat das Bundesarbeitsgericht, wie in der Entscheidung vom 15.04.2015 bereits ausführlich begründet5, – klarstellend – nicht mehr festgehalten. Auch die Ordnungsfunktion von Tarifverträgen ist entsprechend der von Verfassungs wegen vorgegebenen mitgliedschaftlichen Struktur der Koalitionen nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG auf die unmittelbar Tarifgebundenen beschränkt6.
Es ist rechtlich ohne Belang, einerseits zusätzliche Leistungen nur für diejenigen Gewerkschaftsmitglieder vorzusehen, die zum Stichtag der IG Metall bereits beigetreten waren, andererseits aber nicht zu berücksichtigen, dass der Sonderkündigungsschutz auch bei gewerkschaftlich nicht organisierten Arbeitnehmern aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahmen entfallen ist. Ebenso wie sich die Unzulässigkeit einer Tarifnorm nur aus übergeordnetem Recht, nicht aber aus einer vertraglichen Bezugnahmeregelung der Individualvertragsparteien ergeben kann7, sind die Tarifvertragsparteien rechtlich grundsätzlich nicht gehalten, die Ziele des tarifautonomen Verhandlungsprozesses und den Inhalt des gefundenen Verhandlungskompromisses an bestehenden individuellen Arbeitsvertragsvereinbarungen zu orientieren8.
Die tarifvertragliche Stichtagsregelung verletzt weiterhin nicht die sog. negative Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmerin bzw. das von ihr so bezeichnete „Fernbleiberecht“9. Dies gilt unabhängig von dem Umstand, dass die Arbeitnehmerin von September 2012 bis Januar 2013 Mitglied der IG Metall war. In den hier maßgebenden Regelungen liegen keine nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtigen Abreden. Die mit ihnen erfolgte „Binnendifferenzierung“ zwischen Gewerkschaftsmitgliedern schränkt weder die Handlungs- und insbesondere Vertragsfreiheit des Arbeitgebers noch die der sog. Außenseiter ein. Kann der Arbeitnehmer in Ausübung der individuellen Privatautonomie aufgrund der strukturellen Unterlegenheit seine Interessen nicht durchsetzen, ist von Verfassungs wegen die Tarifautonomie darauf angelegt, diese Unterlegenheit durch kollektives Handeln auszugleichen und ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu erzielen10. Mögliche rechtliche Auswirkungen für die „Unorganisierten“ beruhen nicht auf der normativen Wirkung der Tarifverträge, sondern auf der für das Arbeitsverhältnis privatautonom getroffenen Vereinbarung. Will ein Arbeitnehmer am Inhalt eines Kollektivvertrags partizipieren, muss er, wenn er in den individuellen Vertragsverhandlungen seine Interessen nicht durchsetzen kann, in die tarifschließende Gewerkschaft eintreten11.
Auch kommt den hinsichtlich der Abfindung differenzierenden tariflichen Regelungen die Vermutung der Angemessenheit zu. Insbesondere regelt der Tarifvertrag keine Außenseiter-Arbeitsbedingungen, denen eine von der Arbeitnehmerin so bezeichnete „Unangemessenheitsvermutung“ zukommen soll. Nach den Bestimmungen des Tarifvertrages konnte die IG Metall auch mit dem TS-TV nur Regelungen für ihre Mitglieder treffen, in der Sache also für solche Arbeitnehmer, die ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft nach dem 23.03.2012, 12:00 Uhr, begründeten. Damit kommt auch dem TS-TV die Vermutung der Angemessenheit zu.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. Juli 2016 – 4 AZR 966/13
- BAG 27.01.2016 – 4 AZR 830/13, Rn. 18; vgl. auch bereits 15.04.2015 – 4 AZR 796/13, Rn. 40, 67, BAGE 151, 235[↩]
- BAG 27.01.2016 – 4 AZR 830/13, Rn.19[↩]
- ausf. bereits BAG 15.04.2015 – 4 AZR 796/13, Rn. 29 ff., 37 ff., BAGE 151, 235[↩]
- BAG 18.03.2009 – 4 AZR 64/08, Rn. 60 ff., BAGE 130, 43; sh. auch 23.03.2011 – 4 AZR 366/09, Rn. 22, BAGE 137, 231[↩]
- BAG 15.04.2015 – 4 AZR 796/13, Rn. 50 ff., BAGE 151, 235[↩]
- BAG 27.01.2016 – 4 AZR 830/13, Rn. 21; ausf.07.07.2010 – 4 AZR 549/08, Rn. 68, BAGE 135, 80[↩]
- BAG 15.04.2015 – 4 AZR 796/13, Rn. 49 mwN, BAGE 151, 235[↩]
- BAG 27.01.2016 – 4 AZR 830/13, Rn. 24[↩]
- BAG 27.01.2016 – 4 AZR 830/13, Rn. 25; ausf. 15.04.2015 – 4 AZR 796/13, Rn. 45 ff., BAGE 151, 235[↩]
- BVerfG 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, zu C I 3 b aa der Gründe, BVerfGE 84, 212[↩]
- BAG 15.04.2015 – 4 AZR 796/13, Rn. 49, aaO mit umfangr. Nachw. aus der Literatur[↩]