Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile – und eine Rechtsmittelfrist von drei Tagen

Ein Beklagter, dem das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, und der sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, hat nur dann eine Möglichkeit, im Urteilsstaat einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung einzulegen, wenn ihm hierfür eine angemessene Frist zur Verfügung stand.

Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile – und eine Rechtsmittelfrist von drei Tagen

Eine Frist von drei Tagen genügt jedenfalls dann nicht, wenn der Beklagte keine Kenntnis von dem Verfahren und der ergangenen Entscheidung hat, diese Frist ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntniserlangung zu laufen beginnt und der Beklagte zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Urteilsstaat hat und den Rechtsbehelf daher aus dem Ausland einlegen müsste.

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof im Verfahren der Vollstreckbarerklärung einer Spanischen Entscheidung. Das Arbeits- und Sozialgericht Nr. 2 in Palma de Mallorca (fortan: Arbeits- und Sozialgericht) gab mit Urteil vom 08.06.2011 einer Kündigungsschutzklage des Antragstellers statt. Der Antragsgegner wurde verurteilt, den Antragsteller entweder wieder einzustellen oder eine Entschädigung in Höhe von 2.250 € sowie nicht geleistete Gehälter zu zahlen. Der Antragsteller beantragte anschließend beim Arbeits- und Sozialgericht die Zwangsvollstreckung (sog. ejecución de titolos) und eine Entscheidung, dass das Arbeitsverhältnis erloschen ist und der Antragsgegner verpflichtet wird, Schadensersatz in Höhe von 2.250 € und alle ausstehenden Gehälter vom Zeitpunkt der Kündigung bis zur rechtswirksamen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses in Höhe von 50 € pro Tag zu zahlen. Im Hinblick auf diesen Vollstreckungsantrag bestimmte das Arbeits- und Sozialgericht am 21.12 2012 einen Termin zur Verhandlung auf den 13.02.2013. Auf Anordnung des Arbeits- und Sozialgerichts erfolgte eine öffentliche Zustellung der Antragsschrift und der Ladung. Der Antragsgegner erschien zu dem Termin nicht. Mit Beschluss (sog. auto) vom 13.02.2013 erklärte das Arbeits- und Sozialgericht das Arbeitsverhältnis für beendet und verpflichtete den Antragsgegner, an den Antragsteller eine Entschädigung in Höhe von 51.618, 06 € sowie Gehälter in Höhe von 2.070 € zu zahlen. Auch dieser Beschluss wurde öffentlich zugestellt.

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Der Antragsteller hat die Vollstreckbarerklärung des Beschlusses vom 13.02.2013 in Deutschland nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen (fortan: EuGVVO aF) beantragt. Der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts Paderborn hat dem Antrag stattgegeben1. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht Hamm zurückgewiesen2. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Antragsgegner weiter gegen die Vollstreckbarerklärung und hatte nun vor dem Bundesgerichtshof Erfolg:

Das Verfahren richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO aF). Gemäß Art. 66 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen findet auf vor dem 10.01.2015 eingeleitete Verfahren weiterhin die EuGVVO aF Anwendung.

Rechtsfehlerfrei nimmt das Beschwerdegericht an, der Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts vom 13.02.2013 sei zwischen den Parteien ergangen und beziehe sich auf das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts vom 08.06.2011. Für die von der Rechtsbeschwerde gerügte Verletzung des vollstreckungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots ist nichts ersichtlich.

Der Vollstreckbarerklärung steht jedoch ein Anerkennungshindernis entgegen. Gemäß Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO aF kann eine ausländische Entscheidung nicht anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte.

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Die erste Voraussetzung dieser Vorschrift ist erfüllt. Der Antragsgegner hat sich auf das Verfahren in Spanien nicht eingelassen. Weiterhin ist das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Antragsgegner nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden, dass er sich verteidigen konnte. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts war die öffentliche Zustellung unwirksam.

Rechtsfehlerhaft meint das Beschwerdegericht, einem Anerkennungshindernis stehe entgegen, dass der Antragsgegner die Möglichkeit gehabt habe, in Spanien einen Rechtsbehelf einzulegen, mit dem er die fehlerhafte Zustellung habe geltend machen können. Das Beschwerdegericht legt einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab an die Möglichkeit, seine Rechte durch ein Rechtsmittel zu wahren. Der recurso de reposición genügt unter den Umständen des Streitfalles nicht den Anforderungen an einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO aF.

Nr. 2 EuGVVO aF erfordert die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte3. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darf das Ziel, die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung zu erleichtern, nicht dadurch erreicht werden, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird4.

Ist dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück wie im Streitfall nicht in einer Weise zugestellt worden, dass er sich verteidigen konnte, und hat sich der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen, kommt daher eine Anerkennung der Entscheidung nur in Betracht, wenn ihm noch im Urteilsstaat ein effektiver Weg tatsächlich zur Verfügung stand, seine Rechte geltend zu machen. Dies bedingt, dass die Rechtsbehelfe eine vollständige Überprüfung der Entscheidung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ermöglichen müssen5. Es kommt darauf an, ob der Beklagte seine Rechte wirksam vor dem Gericht des Ursprungsstaats hätte geltend machen können6. Dazu muss er insbesondere geltend machen können, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass er sich hätte verteidigen können7. Ausschlaggebend ist dabei, ob diese Möglichkeit tatsächlich bestand8. Dies hat das Beschwerdegericht im Rahmen der Vollstreckbarerklärung festzustellen9.

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Hierzu muss dem Beklagten auch eine angemessene Frist gewährt werden, um den Rechtsbehelf einlegen zu können. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO aF führt dazu, dass zwischen der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks und der Entscheidung eine Parallele zu ziehen ist10. Die rechtzeitige Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks und der Entscheidung in einer Weise, dass der Beklagte sich verteidigen kann, ermöglichen ihm, seine Rechte wahrzunehmen11. Voraussetzung ist daher, dass der Beklagte mit der Zustellung in einer Weise Kenntnis des Inhalts der Entscheidung erlangt, die mindestens so rechtzeitig zustande kommt, dass eine Verteidigung möglich ist12. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte13. In gleicher Weise ist der Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 1 EuGVVO bei einem Verstoß gegen den ordre public nur dann durch die Möglichkeit eines Rechtsmittels im Ursprungsmitgliedstaat ausgeschlossen, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die das Einlegen der Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat zu sehr erschweren oder unmöglich machen14. So wie die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks so rechtzeitig erfolgen muss, dass sich der Beklagte verteidigen kann, muss die Frist für den Rechtsbehelf gegen die Entscheidung so bemessen sein, dass der Beklagte diese Möglichkeit der Verteidigung auch tatsächlich wahrnehmen kann.

Nach diesen Maßstäben hat das Beschwerdegericht zu Unrecht angenommen, dass der Antragsgegner seine Rechte vor dem spanischen Gericht wirksam hätte geltend machen können. Zwar eröffnet der recurso de reposición nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts auch die Möglichkeit, die Unwirksamkeit der Zustellung zu rügen. Jedoch ist die Einlegung des recurso de reposición nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts an eine so kurze Frist geknüpft, dass dies unter den Umständen des Streitfalles dazu führt, dass der Rechtsbehelf dem Beklagten keine ausreichende Möglichkeit verschaffte, sich zu verteidigen und die Mängel der Zustellung geltend zu machen.

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Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist dem Antragsgegner weder das verfahrenseinleitende Schriftstück noch die Entscheidung vom 13.02.2013 wirksam zugestellt worden. Er hat von der spanischen Entscheidung erstmals im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung erfahren, als ihm diese zusammen mit dem Beschluss des Landgerichts am 10.07.2015 zugestellt worden ist. Die in Spanien erfolgte unwirksame öffentliche Zustellung hat dem Antragsgegner keine Möglichkeit verschafft, sich rechtzeitig zu verteidigen.

Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht, dass der nach spanischem Recht gegebene Rechtsbehelf des recurso de reposición die Voraussetzungen des Art. 34 Nr. 2 Fall 2 EuGVVO aF erfüllt. Ob die Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs so bemessen ist, dass sich der Beklagte gegen die Entscheidung noch verteidigen kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Der Rechtsbehelf muss dem Beklagten in zumutbarer Weise die Möglichkeit verschaffen, seine Rechte geltend zu machen. Hat der Beklagte bislang keine Kenntnis von dem Verfahren und der ergangenen Entscheidung, ist eine Frist von drei Tagen zur Einlegung eines Rechtsbehelfs jedenfalls dann zu kurz, wenn diese Frist wie im Streitfall ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntniserlangung zu laufen beginnt, der Beklagte zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Urteilsstaat hat und den Rechtsbehelf daher aus dem Ausland einlegen müsste. Unter diesen Voraussetzungen fehlt es für einen Beklagten, der sich bislang nicht auf das Verfahren eingelassen hat, an einer zumutbaren Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen. Daher ist die mit der Zustellung im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung erlangte (erstmalige) Kenntnis vom Inhalt der Entscheidung nicht so rechtzeitig zustande gekommen, dass dem Antragsgegner angesichts der kurzen Frist zur Einlegung des recurso de reposición noch eine Verteidigung möglich gewesen ist.

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Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Der Bundesgerichtshof hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 17 Abs. 2 Satz 2 AVAG; § 577 Abs. 5 ZPO). Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist abzulehnen, weil der Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO aF erfüllt ist.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30. April 2020 – IX ZB 12/19

  1. LG Paderborn, Beschluss vom 30.06.2015 – 3 O 177/15[]
  2. OLG Hamm, Beschluss vom 29.01.2019 – I-25 W 225/15[]
  3. EuGH, Urteil vom 14.12 2006 – C-283/05, IPRax 2008, 519 Rn.20 ASML; vom 07.07.2016 – C-70/15, RIW 2016, 593 Rn. 38 Lebek[]
  4. EuGH, Urteil vom 11.06.1985 – C-49/84, RIW 1985, 967 Rn. 10 Debaecker; vom 03.07.1990 – C-305/88, IPRax 1991, 177, 178 Lancray; vom 28.03.2000 – C-7/98, IPRax 2000, 406 Rn. 43 Krombach; vom 06.09.2012 – C-619/10, IPRax 2013, 427 Rn. 41 f Trade Agency; vom 07.07.2016, aaO Rn. 34; vgl. auch EuGH, Urteil vom 19.12 2012 – C-325/11, IPRax 2013, 157 Rn. 35 Alder[]
  5. vgl. EuGH, Urteil vom 17.12 2015 – C-300/14, IPRax 2016, 598 Rn. 38 zu Art.19 EuVTVO Imtech Marine[]
  6. EuGH, Urteil vom 14.12 2006 – C-283/05, IPRax 2008, 519 Rn. 48 ASML[]
  7. vgl. EuGH, Urteil vom 14.12 2006, aaO Rn. 49 ASML; vom 28.04.2009 – C-420/07, EuGRZ 2009, 210 Rn. 75 ff Apostolides[]
  8. vgl. EuGH, Urteil vom 07.07.2016 – C-70/15, RIW 2016, 593 Rn. 47 f Lebek[]
  9. BGH, Beschluss vom 17.05.2018 – IX ZB 26/17, WM 2018, 1316 Rn. 16[]
  10. EuGH, Urteil vom 14.12 2006 – C-283/05, IPRax 2008, 519 Rn. 42 ASML[]
  11. EuGH, aaO Rn. 43[]
  12. EuGH, aaO Rn. 46[]
  13. EuGH, Urteil vom 28.04.2009 – C-420/07, EuGRZ 2009, 210 Rn. 75 mwN Apostolides[]
  14. vgl. EuGH, Urteil vom 16.07.2015 – C-681/13, IPRax 2016, 270 Rn. 68 Diageo Brands; vom 25.05.2016 – C-559/14, RIW 2016, 424 Rn. 48 Meroni[]
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