Aufstockungsunterhalt – wegen Vorwegabzugs des Kindesunterhalts

Ein Anspruch auf (Aufstockungs)Unterhalt kann auch dadurch entstehen, dass das Einkommen des für den Kindesunterhalt barunterhaltspflichtigen Ehegatten durch den Vorwegabzug des Kindesunterhalts unter das Einkommen des kinderbetreuenden Ehegatten absinkt.

Aufstockungsunterhalt – wegen Vorwegabzugs des Kindesunterhalts

Der auf Seiten des kinderbetreuenden Ehegatten entstehenden Belastung ist im Rahmen der Bemessung seiner Erwerbsobliegenheit und durch die (teilweise) Nichtberücksichtigung überobligatorisch erzielten Einkommens Rechnung zu tragen.

Leben die Ehegatten getrennt, so kann ein Ehegatte von dem anderen den nach den Lebensverhältnissen und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt verlangen (§ 1361 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB).

Die Bemessung des Unterhaltsbedarfs erfolgt wegen des Maßstabs der ehelichen Lebensverhältnisse entsprechend den auch für den nachehelichen Unterhalt nach § 1578 Abs. 1 BGB geltenden Grundsätzen1. Zur Bestimmung des Unterhaltsbedarfs ist vor allem auf die von den Ehegatten erzielten Einkünfte abzustellen, soweit diese die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt haben.

Allerdings haben solche Einkommensverbesserungen unberücksichtigt zu bleiben, die auf eine unerwartete; und vom Normalverlauf abweichende Entwicklung zurückzuführen sind2. Außerdem sind im Regelfall Einschränkungen geboten, wenn das erzielte Einkommen auf überobligatorischer Tätigkeit beruht3.

Bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen sind ferner weitere Umstände zu berücksichtigen, die das für Unterhaltszwecke verfügbare Einkommen vor Rechtskraft der Ehescheidung beeinflusst haben. Dazu gehört auch die Barunterhaltspflicht für gemeinsame Kinder4. Dadurch ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass der Bedarf für den Kindesunterhalt im Rahmen einer Angemessenheitsbetrachtung mit Rücksicht auf weitere Unterhaltspflichten etwa durch Herabstufung innerhalb der Düsseldorfer Tabelle zu korrigieren ist5. Schließlich ist ein Vorwegabzug des Kindesunterhalts bei der Bedarfsbemessung im Ergebnis dadurch begrenzt, dass der Mindestbedarf des unterhaltsberechtigten Ehegatten nicht unterschritten werden darf6.

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Ob ein Vorwegabzug des Kindesunterhalts auch für den Fall durchzuführen ist, dass der für die Kinder barunterhaltspflichtige Ehegatte erst infolge des Abzugs über ein geringeres Einkommen verfügt und er demzufolge gegenüber seinem Ehegatten unterhaltsberechtigt wird, ist in Rechtsprechung und Literatur mit der Erwägung in Zweifel gezogen worden, dass der betreuende Ehegatte dadurch indirekt zum Barunterhalt für die Kinder beitragen müsse7.

Diese Bedenken teilt der Bundesgerichtshof nicht. Die Berücksichtigung des Barunterhalts für minderjährige Kinder bei der Bestimmung des Bedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen hängt nicht davon ab, ob die Kinder vom Unterhaltsberechtigten oder vom Unterhaltspflichtigen betreut werden. In beiden Fällen beeinflussen die für den (sächlichen) Unterhaltsbedarf der Kinder aufzuwendenden Barmittel den Lebensstandard der Familie gleichermaßen, indem sie das für den eigenen Bedarf der Ehegatten verfügbare Einkommen schmälern. Die Regelung in § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB steht dem nicht entgegen. Diese gilt nur für den Kindesunterhalt und hat zur Folge, dass der betreuende Elternteil von der Barunterhaltspflicht für die Kinder befreit wird8. Das Oberlandesgericht hat dementsprechend zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Differenzierung danach, ob der betreuende Ehegatte Unterhaltsberechtigter oder Unterhaltspflichtiger ist, nicht gerechtfertigt ist. In beiden Fällen werden die ehelichen Lebensverhältnisse durch die Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern geprägt und muss der betreuende Ehegatte bei der Unterhaltsbemessung nach Quoten im Ergebnis wirtschaftlich mittragen, dass sich das für den Lebensbedarf der Ehegatten verfügbare Einkommen durch den Kindesunterhalt vermindert9. Sinkt das Einkommen des zum Barunterhalt verpflichteten Ehegatten durch den Abzug des Kindesunterhalts unter das des betreuenden Ehegatten ab, so ist das Entstehen des Anspruchs auf Aufstockungsunterhalt die notwendige Folge. Denn dieser knüpft lediglich an das höhere Einkommen eines Ehegatten an und hat eine Beibehaltung des ehelichen Lebensstandards zum Ziel10, während eine Abweichung davon einer etwaigen Herabsetzung des (nachehelichen) Unterhalts gemäß § 1578 b Abs. 1 BGB vorbehalten bleibt.

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Wie der Bundesgerichtshof jedoch zum Anspruch auf Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB hervorgehoben hat, kann einer Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils – teilweise – entgegenstehen, dass die ihm mögliche Erwerbstätigkeit zusammen mit der von ihm zu leistenden Betreuung und Erziehung des Kindes zu einer überobligationsmäßigen Belastung führen kann. Insoweit lässt die vom Gesetz angeordnete Billigkeitsabwägung nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB Raum für eine Einbeziehung dieses Umstands unter dem Gesichtspunkt einer gerechten Lastenverteilung zwischen unterhaltsberechtigtem und unterhaltspflichtigem Elternteil im Einzelfall11. Ähnliches gilt bei der Bestimmung der Erwerbsobliegenheit des nach § 1573 Abs. 2 BGB oder § 1361 BGB zum Aufstockungsunterhalt verpflichteten Ehegatten12. Auch hier kann mit Rücksicht auf die sich aus Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit ergebende Gesamtbelastung im Einzelfall ein Teil des Erwerbseinkommens als überobligatorisch eingestuft werden.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11. November 2015 – XII ZB 257/15

  1. BGH, Urteil vom 25.01.1984 – IVb ZR 51/82 , FamRZ 1984, 356, 357[]
  2. vgl. etwa BGH, Urteil BGHZ 179, 196 = FamRZ 2009, 411 Rn. 25[]
  3. vgl. BGH, Urteile vom 31.10.2012 – XII ZR 30/10 , FamRZ 2013, 191 Rn. 16 und BGHZ 188, 50 = FamRZ 2011, 454 Rn. 23 f. mwN[]
  4. BGH, Urteil BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 18 f. mwN[]
  5. BGH, Urteile BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189 Rn.20; BGHZ 175, 182 = FamRZ 2008, 968 Rn. 48[]
  6. vgl. BGH, Urteile BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 29; vom 17.02.2010 – XII ZR 140/08 , FamRZ 2010, 629 Rn. 32 f.; und vom 16.01.2013 – XII ZR 39/10 , FamRZ 2013, 534 Rn. 26[]
  7. OLG Köln NJW-RR 2001, 1371, 1372; OLG Jena FamRZ 2004, 1207, 1208; Niepmann/Schwamb Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 12. Aufl. Rn. 28, 1052; weitergehend gegen den Vorwegabzug des Kindesunterhalts OLG Hamburg FamRZ 1992, 1187, 1188 und FamRZ 1986, 1001; anderer Ansicht OLG Stuttgart MDR 2012, 1417; OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 1565; OLG Schleswig NJW-RR 2004, 151, 152; FA-FamR/Maier 10. Aufl.06. Kapitel Rn. 681; MünchKomm-BGB/Maurer 6. Aufl. § 1578 Rn. 211; Johannsen/Henrich/Hammermann Familienrecht 6. Aufl. § 1573 Rn. 40[]
  8. vgl. BGH, Beschluss vom 05.11.2014 – XII ZB 599/13 , FamRZ 2015, 236 Rn. 17 f.[]
  9. OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 1565 f.; zum Einsatzzeitpunkt für den Aufstockungsunterhalt nach Wegfall der Kindesunterhaltsverpflichtung vgl. BGH, Urteil vom 04.11.2015 – XII ZR 6/15[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 04.11.2015 – XII ZR 6/15; Staudinger/Verschraegen BGB [2014] § 1573 Rn. 58 ff.[]
  11. BGH, Urteil BGHZ 193, 78 = FamRZ 2012, 1040 Rn. 24 mwN[]
  12. OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 1565, 1566[]
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