Rentenkürzung wegen fiktiver gesetzlicher Unterhaltspflicht

Die Regelung des § 32 VersAusglG, wonach die Anpassung der Rentenkürzung wegen einer fiktiven gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem geschiedenen Ehegatten nur für Regelsicherungssysteme und nicht für die ergänzende Altersversorgung vorgesehen ist, ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs mit dem Grundgesetz vereinbar1.

Rentenkürzung wegen fiktiver gesetzlicher Unterhaltspflicht

Eine Aussetzung der Rentenkürzung nach § 33 Abs. 1 VersAusglG setzt nicht voraus, dass diese sich auf die Höhe des geschuldeten Unterhalts auswirkt. Haben die geschiedenen Ehegatten eine Unterhaltsvereinbarung getroffen, ist die Anpassung der Rentenkürzung sowohl durch die Höhe des fiktiven gesetzlichen Unterhalts als auch durch die Höhe des vereinbarten Unterhalts begrenzt.

Keine Verfassungswidrigkeit der Rentenkürzung wegen einer fiktiver Unterhaltspflicht

Gemäß § 33 Abs. 1 VersAusglG wird die Kürzung der laufenden Versorgung der ausgleichspflichtigen Person auf Antrag ausgesetzt, solange die ausgleichsberechtigte Person aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine laufende Versorgung erhalten kann und sie gegen die ausgleichspflichtige Person ohne die Kürzung durch den Versorgungsausgleich einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch hätte.

Nach § 32 VersAusglG ist die Anpassung der Rentenkürzung wegen einer fiktiven gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem geschiedenen Ehegatten allerdings – wie im früheren Recht – nur für Regelsicherungssysteme vorgesehen. Im Bereich der ergänzenden Altersvorsorge kommen die Anpassungsvorschriften hingegen nicht zur Anwendung2.

Wurde der Versorgungsausgleich auf der Grundlage des bis zum 31.08.2009 geltenden Rechts durchgeführt, ist die durch § 33 Abs. 1 VersAusglG ermöglichte Aussetzung der Kürzung der Versorgung auf den Betrag beschränkt, der im Wege des Splittings nach § 1587 b Abs. 1 BGB ausgeglichen wurde. Denn auf diese Weise wurde die Hälfte der Differenz der Ehezeitanteile beider Ehegatten in der gesetzlichen Rentenversicherung auf das Versicherungskonto des ausgleichsberechtigten Ehegatten übertragen, was dem Vollzug der Entscheidung zum Versorgungsausgleich nach neuem Recht gemäß § 10 Abs. 2 VersAusglG entspricht. Die weitergehende Kürzung der gesetzlichen Rente des Ehemanns infolge des erweiterten Splittings nach § 3 b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG bleibt hingegen unberücksichtigt, weil diese Kürzung auf den Ehezeitanteil des Ehemanns in der Zusatzversorgung des Baugewerbes zurückgeht, die kein Regelsicherungssystem im Sinne von § 32 VersAusglG ist3.

Die damit vorgenommene Differenzierung zwischen Regelsicherungssystemen und Systemen der ergänzenden Altersvorsorge ist mit dem Grundgesetz vereinbar4.

Denn bei den in §§ 32 ff. VersAusglG normierten „Privilegien“, welche eine Leistungspflicht des Versicherers über die schlichte Teilung der ehezeitlich erworbenen Anrechte hinaus begründen, handelt es sich um versicherungsmathematische Besserstellungen geschiedener Ehegatten gegenüber anderen Angehörigen der Versichertengemeinschaft, die – wovon auch das Bundesverfassungsgericht ausgegangen ist5 – nicht kostenneutral bewirkt werden kann. Denn während der ausgleichsberechtigte Ehegatte den hälftigen versicherungsmathematischen Wertanteil des ehezeitlich erworbenen Anrechts bereits mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs als eine eigenständige, vom Versicherungsschicksal des ausgleichspflichtigen Ehegatten losgelöste Versorgung erwirbt, welche anders als das zu Ehezeiten bestehende Recht auch eine eigene Invaliditätsversorgung umfasst, einer Wiederverheiratung standhält und sogar spätere Ansprüche auf Witwer- oder Witwenrente eines neuen Ehegatten begründen kann, nimmt der ausgleichspflichtige Ehegatte über das Unterhaltsprivileg an zusätzlichen Rentenleistungen teil, die ihm aufgrund eines bei ihm eingetretenen Versicherungsfalls so gewährt werden, als verfüge er noch über sein ungeteiltes Anrecht. Hierin liegt eine Vermehrung der Leitungspflichten des Versicherers, die nicht durch rentenrechtliche Zeiten (§ 54 SGB VI) erdient ist und deshalb der Sache nach eine versicherungsfremde Sozialleistung des Trägers der Rentenversicherung an geschiedene Ehegatten darstellt.

Obwohl in der hiermit einhergehenden Vermehrung der möglichen Versicherungsfälle und Leistungsansprüche geschiedener Ehegatten zugleich eine Benachteiligung der in fortbestehender Ehe lebenden Versicherten gesehen werden könnte, hat das Bundesverfassungsgericht den Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 GG dahin verstanden, dass es zu einem verfassungswidrigen Zustand kommen könne, wenn beim Ausgleichspflichtigen vor dem Ausgleichsberechtigten ein Versicherungsfall eintritt und der ausgleichsberechtigte Teil, dem die übertragenen Werteinheiten mangels Vorliegens eines Versicherungsfalles noch nicht zugutekommen, auf Unterhaltsleistungen des Ausgleichsverpflichteten angewiesen ist6.

Die nach dieser Verfassungsrechtsprechung notwendigen, für den Versicherer aufwandserhöhenden Privilegierungen geschiedener Ehegatten hat der Gesetzgeber den Trägern der staatlichen Regelsicherungssysteme auferlegt, nicht jedoch den privaten Rentenversicherungsträgern und beitragsfinanzierten Zusatzversorgungskassen. Zu dieser Differenzierung war der Gesetzgeber berechtigt, da zwischen den Regelsicherungssystemen und den Systemen der ergänzenden Altersvorsorge Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen. Denn anders als bei den Regelsicherungssystemen muss sich die Rentenleistungspflicht der Träger der ergänzenden Altersvorsorge in ein versicherungsmathematisches Äquivalenzverhältnis zur vorherigen Beitragsleistung fügen, im Falle der Zusatzversorgungskassen durch ein Umlagesystem. Dies hindert es, Trägern der ergänzenden Altersvorsorge über die durch den Versorgungsausgleich angeordnete, wertneutrale Halbteilung bestehender Anrechte hinaus zusätzliche Leistungspflichten und Risiken durch die in den §§ 32 ff. VersAusglG normierten Privilegien aufzubürden, welche das versicherungsmathematische Gleichgewicht von Beitragszahlung und Leistungsanspruch einseitig zu Lasten des Versicherers oder der Versichertengemeinschaft verschöben. Aus diesem Grund teilt der Bundesgerichtshof nicht die in Teilen der Literatur7 und mit dem Vorlagebeschluss des OLG Schleswig8 vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vom Gesetz vorgenommene Differenzierung zwischen Regelsicherungssystemen und anderen Versorgungssystemen. Der Bundesgerichtshof hält vielmehr an der eindeutigen Gesetzeslage fest, wonach eine Kürzung der Aussetzung der Versorgung außerhalb der Regelsicherungssysteme nicht in Betracht kommt9. Das gilt auch für die in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes erworbenen Anrechte, die vor Eintritt des Versicherungsfalls bereits grundsätzlich keine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Anwartschaft begründen10, und deren rechtliche Ausgestaltung im Einzelnen grundsätzlich der Tarifautonomie unterliegt11.

Unbeachtlichkeit der tatsächlichen Auswirkung auf den gesetzlichen Unterhalt

Eine vorgenommene Auslegung des § 33 Abs. 1 VersAusglG, wonach die Aussetzung der Rentenkürzung voraussetze, dass diese sich auf die Höhe eines gesetzlich geschuldeten Unterhalts auswirke, wird der Bedeutung der Vorschrift nicht gerecht.

Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, beschränkt § 33 Abs. 3 VersAusglG die Aussetzung der Rentenkürzung auf die Höhe des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs, den der geschiedene Ehegatte nach § 33 Abs. 1 VersAusglG bei ungekürzter Versorgung hätte. Damit hat der Gesetzgeber die Aussetzung einer durch den Versorgungsausgleich bedingten Kürzung ausdrücklich auf die Höhe dieses fiktiven gesetzlichen Unterhaltsanspruchs begrenzt. Hierdurch begegnet die gesetzliche Neuregelung auch der Gefahr von Manipulationen durch kollusives Zusammenwirken der Eheleute12.

Eine weitere Einschränkung dahin, dass die Aussetzung der Rentenkürzung außer Betracht bleibe, soweit der Ausgleichspflichtige auch ohne diese zur Unterhaltsleistung verpflichtet ist, lässt sich der Vorschrift hingegen nicht entnehmen13. Eine dahin gehende Einschränkung ginge auch nicht mit der Verfassungsrechtslage konform. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts6 träte ein verfassungswidriger Zustand ein, wenn der Ausgleichspflichtige neben der grundsätzlich hinzunehmenden Rentenkürzung zusätzlich durch Unterhaltszahlungen belastet wird, durch die er in der Freiheit seiner Lebensführung weiter eingeschränkt würde. Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für die Aussetzung der Rentenkürzung ist daher nicht die Unterhaltsverkürzung in der Person des Ausgleichsberechtigten, sondern eine neben die Kürzung der Rente aus einem Regelsicherungssystem tretende Unterhaltsbelastung des Ausgleichspflichtigen. Dies zu vermeiden entspricht auch einer in der Gesetzesbegründung hervorgehobenen Zielsetzung14. Bis zum Höchstbetrag der fiktiven gesetzlichen Unterhaltspflicht führen daher auch solche Unterhaltslasten zu einer Aussetzung der Rentenkürzung, die auf unabänderbaren Unterhaltsvergleichen beruhen.

Begrenzung der Rentenkürzung auf den gesetzlich und den vertraglich geschuldeten Unterhalt

Die Aussetzung der Rentenkürzung wird nicht nur durch den von der fiktiven gesetzlichen Unterhaltspflicht gesetzten Rahmen begrenzt, sondern ist weiterhin auf das Maß des – vereinbarungsgemäß – tatsächlich geschuldeten Unterhaltsbetrags beschränkt (§ 33 Abs. 3 VersAusglG). Denn über den tatsächlich gezahlten Betrag hinaus tritt eine Doppelbelastung des Ausgleichspflichtigen, durch die er in der Freiheit seiner Lebensführung mehr als zulässig eingeschränkt würde und vor der er deshalb von Verfassungs wegen geschützt werden müsste, nicht ein.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. November 2012 – XII ZB 271/12

  1. entgegen OLG Schleswig FamRZ 2012, 1388[]
  2. BT-Drucks. 16/10144 S. 71 f.[]
  3. BGH, Beschluss vom 21.03.2012 – XII ZB 234/11, FamRZ 2012, 853 Rn. 16 ff.[]
  4. aA OLG Schleswig, Vorlagebeschluss in FamRZ 2012, 1388[]
  5. BVerfGE 53, 257, 303 = FamRZ 1980, 326, 335[]
  6. BVerfGE 53, 257, 303 f. = FamRZ 1980, 326, 335[][]
  7. Bergner ZRP 2008, 211, 213; Rehme FamRZ 2008, 738, 741; MünchKomm-BGB/Gräper 5. Aufl. § 32 VersAusglG Rn. 6; Palandt/Brudermüller BGB 71. Aufl. § 32 VersAusglG Rn. 1; Weinreich/Klein/Wick Fachanwaltskommentar Familienrecht 4. Aufl. § 32 VersAusglG Rn. 3; Ruland FamFR 2012, 313; Borth Versorgungsausgleich 6. Aufl. Rn. 955[]
  8. OLG Schleswig, FamRZ 2012, 1388[]
  9. ebenso BVerwG FamRZ 2012, 1565; OLG Köln FamRZ 2012, 1569; OLG Hamm, Beschluss vom 17.05.2011 – 1 UF 192/10; OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.06.2011 – 18 UF 107/11; Johannsen/Henrich/Hahne, Familienrecht 5. Aufl. § 32 VersAusglG Rn. 3; Gerhardt/v.HeintschelHeinegg/Klein/Gutdeutsch/Wagner, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 8. Aufl. Kap. 7 Rn. 224; Schwab/Hahne/Holzwarth, Handbuch des Scheidungsrechts 6. Aufl. Kap. VI Rn. 502[]
  10. vgl. BGHZ 174, 127 Rn. 51 f. mwN[]
  11. BVerfG FamRZ 2010, 797 Rn. 29[]
  12. BGH, Beschluss vom 21.03.2012 – XII ZB 234/11, FamRZ 2012, 853 Rn. 23 mwN[]
  13. OLG Frankfurt FamRZ 2011, 1595; OLG Karlsruhe FamRZ 2012, 452; Bergner NJW 2010, 3545; Gutdeutsch FamRB 2010, 149, 150; aA: Ruland Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rn. 951; Borth Versorgungsausgleich 6. Aufl. Rn. 964; Johannsen/Henrich/Hahne 5. Aufl. § 33 VersAusglG Rn. 5; MünchKomm-BGB/Gräper 5. Aufl. § 33 VersAusglG Rn. 13[]
  14. BTDrs. 16/10144 S. 72[]