Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerde – und Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist

Der verfahrenskostenhilfebedürftige Rechtsmittelführer ist auch dann unverschuldet an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels gehindert, wenn er ein wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässiges persönliches Rechtsmittel eingelegt und dafür Verfahrenskostenhilfe beantragt hat. Das Rechtsmittelgericht hat auch in diesem Fall zunächst über die beantragte Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, bevor es das Rechtsmittel als unzulässig verwirft1.

Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerde – und Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall erbrachte die Unterhaltsvorschusskasse e an einen Studenten Vorausleistungen nach § 36 BAföG und nahm den Vater außergerichtlich aus übergegangenem Recht auf Erstattung der geleisteten Beträge in Anspruch. Daraufhin hat der Vater für die Studienjahre 2020/2021 und 2021/2022 Klagen vor dem Verwaltungsgericht erhoben, mit denen er primär die „Abweisung aller Zahlungsfestsetzungen“ erreichen will. Das Verwaltungsgericht hat die Verfahren verbunden und (teilweise) an das Amtsgericht – Familiengericht – verwiesen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Münster ist für den Vater niemand erschienen, woraufhin dessen Antrag durch Versäumnisbeschluss abgewiesen worden ist. Den dagegen eingelegten Einspruch des Vaters hat das Amtsgericht als unzulässig verworfen, weil der Einspruch nicht fristgerecht eingelegt worden sei2. Gegen diesen ihm am 15.07.2023 zugestellten Beschluss hat der Vater mit einem am 21.07.2023 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben persönlich Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht Hamm hat die Beschwerde als unzulässig, weil nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt, verworfen3. Hiergegen wendet sich der Vater mit seiner Rechtsbeschwerde, die zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses durch den Bundesgerichtshof und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht Hamm führte:

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Oberlandesgericht Hamm hat durch seinen Beschluss das Verfahrensgrundrecht des Vaters auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren4.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Oberlandesgericht Hamm hätte die Beschwerde des Vaters nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen dürfen, dass diese entgegen § 114 FamFG nicht von einem Rechtsanwalt eingelegt worden ist. Denn der Vater hat mit seinem am 21.07.2023 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt.

Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist Verfahrenskostenhilfe beantragt hat, ist bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen oder rechtzeitig zu begründen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste. Das gilt auch dann, wenn neben dem Verfahrenskostenhilfegesuch ein unzulässiges Rechtsmittel eingelegt worden ist. Da der Verfahrenskostenhilfe beantragende Beteiligte wegen seiner Bedürftigkeit gehindert ist, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen, ist ihm, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, nach Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Oberlandesgericht Hamm hat dementsprechend zunächst über das Verfahrenskostenhilfegesuch zu entscheiden5.

Daran gemessen durfte das Oberlandesgericht Hamm die Beschwerde nicht vor der Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Vaters verwerfen. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht, hätte das Oberlandesgericht Hamm zunächst über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe entscheiden müssen, weil dem Vater – bei Nachholung der formwirksamen Beschwerdeeinlegung und begründung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerde- und der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren gewesen wäre.

In seinem am 21.07.2023 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben hat der Vater ausgeführt, dass er aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sei, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, weshalb er im Falle eines Anwaltszwangs beantrage, ihm eine „Pflicht-Verteidigung“ zu benennen und unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Verfahrenserklärungen eines Beteiligten kann das Rechtsbeschwerdegericht selbst auslegen6. Im Wege einer solchen Auslegung ist dem genannten Schreiben mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Vater um Verfahrenskostenhilfe für seine Beschwerde nachgesucht hat. Dieses – vom Oberlandesgericht Hamm wohl übersehene – Gesuch ist innerhalb der Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG beim Amtsgericht eingegangen.

Auch musste der Vater nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Verfahrenskostenhilfeantrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen.

Zwar kann einem Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ein Rechtsmittel grundsätzlich nur stattgegeben werden, wenn neben dem Antrag innerhalb der Rechtsmittelfrist auch die notwendigen Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der erforderlichen Form gemacht werden7. Hierzu gehört grundsätzlich die Verwendung des nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vordrucks8.

Einen solchen Vordruck hat der Vater bislang nicht zur Akte gereicht. Dieses Versäumnis wirkt sich unter den vorliegenden Umständen aber nicht zulasten des Vaters aus. Denn das Oberlandesgericht Hamm hat es verfahrensfehlerhaft unterlassen, den in der Beschwerdeinstanz anwaltlich nicht vertretenen und insoweit offensichtlich nicht rechtskundig beratenen Vater darauf hinzuweisen, dass sein Verfahrenskostenhilfeantrag unvollständig ist.

Der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren verpflichtet das Gericht zur Rücksichtnahme auf die Beteiligten. Das Gebot der Rücksichtnahme gilt im Verfahrenskostenhilfeverfahren in besonderem Maße. Dementsprechend ist es in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass das Gericht einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe nicht wegen unterlassener Einreichung des in § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vordrucks ablehnen darf, wenn es den Beteiligten nicht zuvor erfolglos auf die Unvollständigkeit seines Antrags hingewiesen und ihm eine Frist zur Einreichung dieses Vordrucks gesetzt hat9. Im Rechtsmittelverfahren besteht diese Hinweispflicht dann, wenn der Verfahrenskostenhilfeantrag so rechtzeitig gestellt worden ist, dass eine Einreichung des Vordrucks auf einen entsprechenden Hinweis hin noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist möglich erscheint.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze war das Oberlandesgericht Hamm gehalten, den nicht rechtskundig beratenen Vater nach dem am 2.08.2023 erfolgten Akteneingang darauf hinzuweisen, dass der von ihm gestellte Verfahrenskostenhilfeantrag unvollständig war und er innerhalb der Beschwerdefrist eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem amtlichen Vordruck einreichen müsse. Denn die Beschwerdefrist lief erst am 15.08.2023 ab, so dass noch ausreichend Zeit für eine Vervollständigung des Verfahrenskostenhilfeantrags zur Verfügung stand. Es ist vorliegend rechtsbeschwerderechtlich davon auszugehen, dass der Vater auf einen solchen Hinweis reagiert und innerhalb der Beschwerdefrist eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem in § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vordruck eingereicht hätte.

Die angefochtene Entscheidung des Oberlandesgerichts konnte daher keinen Bestand haben. Das Oberlandesgericht Hamm wird eine Frist zu bestimmen haben, binnen derer der Vater seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der erforderlichen Form darzulegen hat. Sollte diese Darlegung nicht form- oder fristgerecht erfolgen, wäre die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe schon deshalb – und ohne Prüfung der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung – abzulehnen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO).

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. März 2024 – XII ZB 506/23

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 10.01.2024 – XII ZB 510/23 MDR 2024, 391[]
  2. AG Münster, Beschluss vom 13.06.2023 – 64 F 100/22[]
  3. OLG Hamm, Beschluss vom 29.08.2023 – II13 UF 127/23[]
  4. vgl. BGH, Beschluss vom 23.08.2023 – XII ZB 278/22 , FamRZ 2023, 1982 Rn. 6 mwN[]
  5. st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 10.01.2024 – XII ZB 510/23 – MDR 2024, 391 Rn. 6 mwN[]
  6. st. Rspr., vgl. BGH Beschluss vom 27.08.2019 – VI ZB 32/18 , FamRZ 2019, 2015 Rn. 9 mwN[]
  7. vgl. BGH Beschluss vom 27.08.2019 – VI ZB 32/18 , FamRZ 2019, 2015 Rn. 13 mwN[]
  8. BGH Beschluss vom 12.06.2001 – XI ZR 161/01 , NJW 2001, 2720, 2721[]
  9. vgl. BGH Beschluss vom 27.08.2019 – VI ZB 32/18 , FamRZ 2019, 2015 Rn. 14 ff. mwN[]