Ergänzender Hartz IV-Bezug – und der Missbrauch des EU-Freizügigkeitsrechts

Kann ein ausländischer freizügigkeitsberechtigter Arbeitnehmer durch seine Arbeitnehmertätigkeit seinen eigenen Lebensbedarf fast vollständig selbst decken, liegt kein Missbrauch des EU-Freizügigkeitsrechts vor.

Ergänzender Hartz IV-Bezug –  und der Missbrauch des EU-Freizügigkeitsrechts

Mit dieser Begründung hat das Landessozialgericht Darmstadt in dem hier vorliegenden Eilverfahren das zuständige Jobcenter verpflichtet, einem bulgarischen Arbeitnehmer und seiner Familie vorläufig laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (sog. Hartz IV) zu gewähren. Gleichzeitig ist der Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden aufgehoben worden. Im Frühjahr 2019 reiste ein bulgarisches Ehepaar mit zwei minderjährigen Kindern in die Bundesrepublik ein. Die Familie wurde zunächst von Verwandten finanziell unterstützt. Der Mann nahm Anfang Mai 2019 eine Tätigkeit als Landschaftsgärtner auf (Nettoverdienst 680,00 Euro bei 80 Stunden monatlicher Arbeitszeit), erlitt bereits nach wenigen Tagen einen Arbeitsunfall und erhielt daraufhin Verletzten- bzw. Krankengeld. Ergänzend beantragte er Grundsicherungsleistungen (sog. Hartz IV). Das Jobcenter lehnte dies ab. Leistungen seien ausgeschlossen, weil der Aufenthalt des Antragstellers sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Dagegen hat sich die Familie mit dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gewehrt. Nachdem das Sozialgericht Wiesbaden einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegenüber dem Antragsgegner verneint hatte1, haben die Antragsteller ihr Begehren vor dem Landessozialgericht weiter verfolgt.

In seiner Entscheidungsbegründung hat das Landessozialgericht Darmstadt ausgeführt, dass der Mann mit der Arbeitsaufnahme als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt sei.

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Er habe sich auch nicht rechtsmissbräuchlich auf das Freizügigkeitsrecht berufen. Denn die Inanspruchnahme von Sozialleistungen, die aufstockend zu einer tatsächlichen Arbeitnehmertätigkeit gewährt werde, begründe nicht per se einen entsprechenden Missbrauch. Diese gelte jedenfalls, wenn der Betroffene durch seine Arbeitnehmertätigkeit den eigenen Bedarf fast und zumindest unter zusätzlicher Inanspruchnahme von Wohngeld decken könne. Hiervon sei bei dem Antragsteller aufgrund des Monatsgehalts von knapp 700,00 Euro netto auszugehen.

Landessozialgericht Darmstadt, Beschluss vom 11. Dezember 2019 – L 6 AS 528/19 B ER

  1. SG Wiesbaden, Beschluss vom 22.10.2019 – S 34 AS 695/19[]

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