Die Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich sowie zwischen Deutschland und der Schweiz sehen besondere Regelungen für Grenzgänger vor. Grenzgänger sind Steuerpflichtige, die regelmäßig zwischen ihrem Wohnsitz in einem Vertragsstaat und dem Arbeitsort im anderen Vertragsstaat hin und zurück pendeln.

Das Besteuerungsrecht für Grenzgänger steht nach den beiden Doppelbesteuerungsabkommen jeweils dem Wohnsitzstaat zu. Das Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates entfällt jedoch, wenn der Grenzpendler berufsbedingt an mehr als 60 Tagen (DBA-Schweiz) bzw. an mehr als 45 Tagen (DBA-Frankreich) nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt. Bisher war umstritten, ob diese Höchstgrenze von 45 bzw. 60 Tagen auch durch Dienstreisen überschritten werden konnten, die der Steuerpflichtige zu unternehmen hatte.
DBA-Schweiz[↑]
In dem ersten der drei jetzt vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfälle hat der Bundesfinanzhof eine Überschreitung der im DBA-Schweiz festgelegten 60-Tage-Grenze bei einem in Deutschland ansässigen und hier unbeschränkt Steuerpflichtigen verneint, da bei der Berechnung der „schädlichen“ Nichtrückkehrtage zwar Dienstreisetage mit auswärtiger Übernachtung in Deutschland zu berücksichtigen waren, nicht aber solche Dienstreisetage, an denen der Steuerpflichtige an den Wohnsitz zurückgekehrt ist (eintägige Dienstreisen, Rückreisetage bei mehrtägigen Dienstreisen).
- Bei der Anwendung der Grenzgängerregelung in Art. 15a DBA-Schweiz 1992 zählen Dienstreisetage mit Übernachtungen im Ansässigkeitsstaat zu den Tagen, an denen der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt –Nichtrückkehrtage–1.
- Eintägige Dienstreisen in Drittstaaten führen nicht zu Nichtrückkehrtagen2.
- Der Tag, an dem der Arbeitnehmer von einer mehrtätigen Dienstreise in Drittstaaten an seinen Wohnsitz zurückkehrt, zählt nicht als Nichtrückkehrtag. Ein Nichtrückkehrtag liegt dagegen vor, wenn der Arbeitnehmer an diesem Tag mit der Rückreise beginnt, aber erst am Folgetag an seinen Wohnsitz zurückkehrt.
- Tage, an denen der Arbeitnehmer aufgrund einer anderweitigen selbständigen Tätigkeit nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt, führen nicht zu Nichtrückkehrtagen.
- Entfällt eine mehrtägige Dienstreise des Arbeitnehmers auf Wochenenden oder Feiertage, so liegen keine Nichtrückkehrtage vor, wenn die Arbeit an diesen Tagen nicht ausdrücklich vereinbart ist und der Arbeitgeber für die an diesen Tagen geleistete Arbeit weder einen anderweitigen Freizeitausgleich noch ein zusätzliches Entgelt gewährt, sondern lediglich die Reisekosten übernimmt3. Dies gilt auch für leitende Angestellte, die ihre Tätigkeit zeitlich eigenverantwortlich wahrnehmen und während einer Dienstreise freiwillig am Wochenende arbeiten4.
[I R 15/09]
DBA-Schweiz bei leitenden Angestellten[↑]
In dem zweiten jetzt vom BFH entschiedenen Streitfall war nach Ansicht des Bundesfinanzhofs die Anwendung der Grenzgängerregelung des DBA-Schweiz auf den in Deutschland ansässigen leitenden Angestellten einer Schweizer Kapitalgesellschaft ausgeschlossen, da die Höchstgrenze von 60 Tagen infolge der Dienstreisen überschritten war. Der Bundesfinanzhof entschied hier unter Berufung auf die abkommensrechtliche Sonderregelung für leitende Angestellte von Kapitalgesellschaften, dass die Einkünfte aus der Tätigkeit für die Schweizer Kapitalgesellschaft in Deutschland auch insoweit von der Besteuerung freizustellen sind, als die Tätigkeit tatsächlich außerhalb der Schweiz verrichtet worden ist.
Die Tätigkeit eines in Deutschland ansässigen leitenden Angestellten für eine schweizerische Kapitalgesellschaft, die unter Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1992 fällt, wird auch insoweit i.S. des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1992 „in der Schweiz ausgeübt“, als sie tatsächlich außerhalb der Schweiz verrichtet wird5.
[I R 83/08]
DBA-Frankreich[↑]
Für das DBA-Frankreich – und konkret einen in Belgien wohnenden, in Deutschland mit seinen Arbeitseinkünften beschränkt Steuerpflichtigen – hat der Bundesfinanzhof in seinem dritten Urteil dagegen angenommen, dass Dienstreisetage auch bei einer Rückkehr an den Wohnsitz in diese Berechnung einzubeziehen sind, wenn der Steuerpflichtige ganztägig außerhalb der im Abkommen festgelegten Grenzzone gearbeitet hat. Keine Nichtrückkehrtage sind auch Krankheitstage während einer mehrtägigen Dienstreise. Dienstreisetage, die auf Wochenenden oder Feiertage entfallen, gehören demgegenüber nach beiden Doppelbesteuerungsabkommen regelmäßig zu den Nichtrückkehrtagen. Um einen Nichtrückkehrtag handelt es sich auch, wenn der Arbeitnehmer während der Dienstreise infolge höherer Gewalt daran gehindert ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen; in dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall war dies eine „Taifunwarnung“.
Die Entscheidungen in den genannten Revisionsverfahren weichen zu einem Gutteil von der einschlägigen Praxis der Finanzverwaltung ab und sind als Präzedenzfälle von Bedeutung für eine Vielzahl weiterer Parallelverfahren, die derzeit noch beim Bundesfinanzhof, aber auch den Finanzgerichten und den Finanzämtern, insbesondere in Baden-Württemberg, anhängig sind.
- Bei einer Beschäftigung in der Grenzzone während des ganzen Kalenderjahres geht die Grenzgängereigenschaft nach Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich nur dann verloren, wenn der Arbeitnehmer an mehr als 45 Arbeitstagen (Nichtrückkehrtagen) entweder nicht zum Wohnsitz zurückkehrt oder ganztägig außerhalb der Grenzzone für seinen Arbeitgeber tätig ist6.
- Krankheitstage während einer mehrtägigen Dienstreise führen nicht zu Nichtrückkehrtagen. Ein Nichtrückkehrtag liegt dagegen vor, wenn der Arbeitnehmer während der Dienstreise infolge höherer Gewalt (hier: „Taifunwarnung“) daran gehindert ist, seine vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen.
- Eintägige Dienstreisen außerhalb der Grenzzone führen zu Nichtrückkehrtagen, wenn der Arbeitnehmer an diesen Tagen nicht zugleich innerhalb der Grenzzone gearbeitet hat; bloße Transferreisen innerhalb der Grenzzone sind insoweit unbeachtlich7. Dies gilt in gleicher Weise für Rückreisetage bei mehrtägigen Dienstreisen außerhalb der Grenzzone.
- Hinreisetage bei mehrtägigen Dienstreisen außerhalb der Grenzzone zählen nur dann zu den Nichtrückkehrtagen, wenn der Arbeitnehmer nicht vor der Abreise zwischen seinem Wohnsitz und dem Arbeitsort in der Grenzzone gependelt ist.
- Entfällt eine mehrtägige Dienstreise außerhalb der Grenzzone auf Wochenenden oder Feiertage, so liegen keine Nichtrückkehrtage vor, wenn die Arbeit an diesen Tagen weder vertraglich vereinbart ist noch vom Arbeitnehmer tatsächlich ausgeübt wird8; die Reisetätigkeit ist insoweit nicht als Arbeitstätigkeit anzusehen.
[I R 84/08]
Bundesfinanzhof, Urteile vom 11. November 2009 – I R 15/09, I R 83/08, I R 84/08
[Eine ausführliche Darstellung der drei Urteile finden Sie in der Außenwirtschaftslupe.]
- Bestätigung des BMF-Schreibens vom 19. September 1994, BStBl I 1994, 683 Tz. 13[↩]
- Abweichung vom BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683 Tz. 14[↩]
- Abweichung vom BMF-Schreiben vom 7. Juli 1997, BStBl I 1997, 723 Tz. 11[↩]
- Bestätigung von BFH, Urteil vom 26.07..1995 – I R 80/94, BFH/NV 1996, 200[↩]
- Bestätigung von BFH, Urteil Senatsurteils vom 25.10.2006 – I R 81/04, BFHE 215, 237[↩]
- Bestätigung des BMF-Schreibens vom 3. April 2006, BStBl I 2006, 304 Tz. B.2[↩]
- Abgrenzung zu BFH, Beschluss vom 25.11.2002 – I B 136/02, BFHE 201, 119, BStBl II 2005, 375[↩]
- Bestätigung des BMF-Schreibens vom 3. April 2006, BStBl I 2006, 304 Tz. B.4[↩]