Die Ablehnung des Antrags auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung, welcher mit einem ärztlicherseits bescheinigten „fieberhaften grippalen Infekt“ begründet wird, ist ermessensfehlerhaft, wenn sich das Finanzgericht bei seiner Entscheidung nicht mit der Frage befasst, ob es dem Prozessbevollmächtigten angesichts der attestierten, für eine mögliche Corona-Infektion sprechenden Krankheitssymptome unter Berücksichtigung der aktuellen Maßgaben des Infektionsschutzes überhaupt möglich und zumutbar ist, am Tag der mündlichen Verhandlung zum Gerichtsort zu gelangen und mit Blick auf möglicherweise bestehende Zugangsregelungen des Gerichts an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

In dem hier vom Bundesfinanzhof beurteilten Fall streiten die Beteiligten vor dem Finanzgericht Köln in der Sache über die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung für die Jahre 2012 bis 2014. In dem Klageverfahren wurde der zunächst auf den 29.06.2021 anberaumte Termin für die mündliche Verhandlung auf den 30.09.2021 verlegt. Mit Telefaxschreiben vom 29.09.2021 teilte der Geschäftsführer und Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter Hinweis auf eine zugleich vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom selben Tag gegenüber dem Finanzgericht mit, dass es ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Ihm wurde ärztlicherseits bescheinigt, an einem „fieberhaften grippalen Infekt“ zu leiden, aufgrund dessen er sich im häuslichen Bereich aufhalten solle, um eine Gefährdung anderer auszuschließen.
Das Finanzgericht Köln, das diesbezüglich von einem Antrag auf Terminsverlegung ausgegangen ist, verfügte mit Schreiben der Bundesfinanzhofsvorsitzenden gleichfalls vom 29.09.2021, dass das Gericht nicht beabsichtige, den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben. Das vorgelegte Attest treffe keine ausreichende Feststellung zur Verhandlungsunfähigkeit am Tag der Verhandlung. Dem Geschäftsführer und Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde zugleich anheimgestellt, seine Verhandlungsunfähigkeit durch Vorlage eines amtsärztlichen Attestes nachzuweisen. Dieser teilte am Tag der mündlichen Verhandlung erneut mit, dass ihm krankheitsbedingt eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht möglich sei. Ein amtsärztliches Attest wurde nicht beigebracht. Das Finanzgericht hat trotz des Ausbleibens des Geschäftsführers und Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Sache verhandelt und entschieden1. Erhebliche, zur Terminsaufhebung zwingende Gründe i.S. des § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO seien weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Auf der Grundlage der ärztlichen Bescheinigung, die keine Angaben zur Schwere der Erkrankung und einer Verhandlungsunfähigkeit enthalten habe, habe das Finanzgericht nicht selbst beurteilen können, ob der Geschäftsführer und Prozessbevollmächtigte der Klägerin am Tag der mündlichen Verhandlung reise- und verhandlungsunfähig gewesen sei.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde gegen das angefochtene Urteil, mit dem das Finanzgericht die Klage als unbegründet abgewiesen hat. Sie rügt u.a., das Finanzgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es ihrem Antrag auf Terminsaufhebung zu Unrecht nicht entsprochen habe. Ihrem Geschäftsführer und Prozessbevollmächtigten sei aufgrund der besonderen Vorschriften, die im Rahmen der Corona-Pandemie zu beachten gewesen seien, eine Teilnahme an dem Termin nicht möglich gewesen. Der Bundesfinanzhof gab der Nichtzulassungsbeschwerde statt, hob das finanzgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht Köln zurück:
Das Finanzgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es die mündliche Verhandlung am 30.09.2021 durchgeführt und eine verfahrensabschließende Entscheidung getroffen hat, obwohl der Geschäftsführer und Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor dem Termin mitgeteilt hatte, dass er -wie dem vorgelegten ärztlichen Attest zu entnehmen war- an einem fieberhaften grippalen Infekt leide und sich am Tag der mündlichen Verhandlung im häuslichen Bereich zum Ausschluss einer Gefährdung anderer aufhalten solle. Hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund2.
Einem Verfahrensbeteiligten wird das rechtliche Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl der Beteiligte einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat.
Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann das Gericht einen Termin aus „erheblichen Gründen“ vor seiner Durchführung aufheben oder (unter Bestimmung eines neuen Termins) verlegen. Sind die geltend gemachten Gründe i.S. des § 227 ZPO erheblich, so verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht. Welche Gründe als erheblich anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls3.
Zu den erheblichen Gründen i.S. des § 227 ZPO gehört auch eine krankheitsbedingte Verhinderung4. Allerdings stellt nicht jegliche Erkrankung einen ausreichenden Grund für eine Terminsverlegung dar. Diese ist grundsätzlich nur geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass vom Beteiligten die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann5.
Auf Verlangen des Vorsitzenden sind die erheblichen Gründe glaubhaft zu machen (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung erfordert nicht den vollen Beweis, wohl aber die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Umstände, aus denen der erhebliche Grund abgeleitet wird, tatsächlich vorliegen6. Der eine Terminsverlegung beantragende Verfahrensbeteiligte muss die Gründe i.S. des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO so genau angeben, dass sich das Gericht aufgrund seiner Schilderung ein Urteil über deren Erheblichkeit bilden kann7. Wird eine Erkrankung geltend gemacht, reicht die Vorlage eines Attestes eines Arztes, mit dem lediglich pauschal „Arbeitsunfähigkeit“ bescheinigt wird, bzw. eine formularmäßige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht aus8.
Eine Terminsverlegung kann indes unter den besonderen Bedingungen der im Streitjahr bestehenden Pandemielage u.a. auch dann geboten sein, wenn zwar der aktuelle Gesundheitszustand des Beteiligten eine Wahrnehmung des Termins zulassen würde, er jedoch an bestimmten (noch leichten) Krankheitssymptomen leidet, die für eine mögliche Corona-Infektion sprechen können, und beim Finanzgericht für solche Personen aus Gründen des Infektionsschutzes ein Zugang zum Gerichtsgebäude und damit zur mündlichen Verhandlung nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist9.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweist sich das Vorgehen des Finanzgericht, die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des erkrankten Geschäftsführers und Prozessbevollmächtigten der Klägerin durchzuführen und eine verfahrensabschließende Entscheidung zu treffen, als verfahrensfehlerhaft.
Dabei kann der Bundesfinanzhof dahingestellt lassen, ob das Finanzgericht nach Maßgabe der dargelegten Rechtsprechungsgrundsätze den Verlegungsantrag des Geschäftsführers und Prozessbevollmächtigten zu Recht deshalb abgelehnt hat, weil die von ihm vorgelegte „ärztliche Bescheinigung“ dessen Verhandlungsunfähigkeit nicht bescheinigt hat. Ebenso kann offenbleiben, ob mit der bescheinigten ärztlichen Diagnose „fieberhafter grippaler Infekt“ eine hinreichend genaue Schilderung der Erkrankung mitgeteilt worden war, die dem Finanzgericht eine Beurteilung dazu ermöglicht hätte, ob der Geschäftsführer und Prozessbevollmächtigte krankheitsbedingt gehindert war, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.
Die Ablehnung des Antrags auf Terminsverlegung erweist sich jedenfalls als ermessensfehlerhaft, weil sich das Finanzgericht mit dem weiteren -aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung zu entnehmenden- Verlegungsgrund des Infektionsschutzes in einer Pandemielage nicht befasst hat.
Das Finanzgericht hätte bei seiner Ermessensentscheidung über den Terminsverlegungsantrag der Frage nachgehen müssen, ob es dem Geschäftsführer und Prozessbevollmächtigten, dem ärztlicherseits Symptome einer (potentiellen) Corona-Infektion bescheinigt worden sind, überhaupt möglich und zumutbar ist, am Tag der mündlichen Verhandlung zum Gerichtsort zu gelangen und an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Das Finanzgericht hätte hierzu insbesondere unter Heranziehung der am Tag der mündlichen Verhandlung aktuellen Maßgaben des Infektionsschutzes und der bestehenden Zugangsregelungen des Gerichts prüfen müssen, ob eine Teilnahme des Geschäftsführers und Prozessbevollmächtigten an der mündlichen Verhandlung ohne Gefährdung anderer erfolgen kann. Hieran fehlt es im Streitfall; aus der Begründung der Ermessensentscheidung geht schon nicht hervor, dass das Finanzgericht eine dahin gehende Prüfung überhaupt vorgenommen hat.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22. März 2023 – XI B 112/21
- FG Köln, Urteil vom 30.09.2021 – 10 K 647/19[↩]
- vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 21.04.2020 – X B 13/20, BFH/NV 2020, 900; vom 21.11.2012 – VIII B 144/11, BFH/NV 2013, 240; vom 06.04.2021 – VIII B 108/20, BFH/NV 2021, 1078, Rz 8[↩]
- vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 05.03.2012 – III B 236/11, BFH/NV 2012, 973; in BFH/NV 2021, 1078, Rz 10[↩]
- vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 04.11.2019 – X B 70/19, BFH/NV 2020, 226; in BFH/NV 2021, 1078, Rz 11[↩]
- vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 17.04.2002 – IX B 151/00, BFH/NV 2002, 1047; in BFH/NV 2021, 1078, Rz 11[↩]
- vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 14.10.2013 – III B 58/13, BFH/NV 2014, 356; in BFH/NV 2021, 1078, Rz 12[↩]
- vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 30.05.2007 – V B 217/06, BFH/NV 2007, 1695; in BFH/NV 2021, 1078, Rz 12[↩]
- vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 01.04.2009 – X B 78/08, juris; in BFH/NV 2013, 240; vom 10.10.2001 – IX B 157/00, BFH/NV 2002, 365; vom 08.09.2015 – XI B 33/15, BFH/NV 2015, 1690; in BFH/NV 2021, 1078, Rz 12[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2021, 1078, Rz 13, m.w.N.; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 91 FGO Rz 125; Wendl in Gosch, FGO § 91 Rz 142.1[↩]